Geistesbrüder:
Christoph Willibald Gluck
und Friedrich Gottlieb Klopstock
erneuern die deutsche Lyrik und Tondichtung

 
© Dr. Werner Robl, Berching, Juni 2024

 
Der in Weidenwang in der Westoberpfalz geborene und überwiegend in Wien lebende und schaffende Opernkomponist Christoph Willibald Gluck (1714-1787) stieg in den Jahren zwischen 1774 und 1779 mit seinen späten französischen Opern - Iphigénie en Aulide, Orphée et Euridice, Alceste, Armide, Iphigénie en Tauride und Écho et Narcisse - in der Olymp des Musiktheaters auf.

Bei seinem letzten Aufenthalt in Paris, als er bereits 65 Jahre zählte, traf er in einer Pariser Gesellschaft auf seinen 14 Jahre jüngeren Nebenbuhler Niccolò Piccini (1728-1800). Das Gespräch fiel auf die vorangegangenen Opernkompositionen, und jemand aus der illustren Runde fragte Gluck, wieviele Opern er geschrieben habe.

„Nicht viele“, antwortete Gluck, „ich glaube, kaum deren zwanzig, und auch diese nur mit vielem Studium und größter Anstrengung!“ Der in der Nähe befindliche Meister Piccini sagte hierauf, ohne gefragt zu sein: „Ich mehr als hundert, und zwar mit wenig Mühe!“ Da flüsterte ihm Gluck zu: „Das, lieber Freund, hätten Sie nicht sagen sollen!“

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Was auf den ersten Blick hin wie eine simple rhetorische Übertreibung Glucks wirkt, ist in Wirklichkeit Ausdruck der Tatsache, dass Christoph Willibald Gluck in Zusammenarbeit mit dem deutschen Dichterfürsten Friedrich Gottlieb Klopstock (1734-1803) über fast 20 Jahre (1768-1787) an einem neuen System der deutschen Lyrik und Ton-Dichtung feilte, das Gluck zu einem kleinteiligen, exakt am einzelnen Wortsinn und an der Metrik und Rhythmik der Dichtung orientiertes Komponieren verpflichtete. Dieses System war exklusiv Gluck vorbehalten und in sich sehr kompliziert, hebt aber gerade deshalb seinen Schöpfer weit über alle Operkomponisten seiner Epoche hinaus. Wenn der englische Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller Charles Burney (1726-1814) nach einem Besuch in Wien im Jahr 1772 Gluck als den "Michelangelo der Musik" bezeichnete, dann traf er damit den Nagel auf den Kopf!

Woraus Glucks neues kompositorisches System bestand, und warum man mit Recht von einer Zweiten Opernreform Glucks sprechen kann, erfuhr ein kleiner, aber motivierter und hoch interessierter Interessentenkreis bei einem zweistündigen musikhistorischen Vortrag, den wir zu Ehren der beiden Ausnahmekünstler Gluck und Klopstock am 24. Mai - und in Wiederholung am 8. Juni 2024 - im Gluck'schen Geburtshaus in Weidenwang hielten. Da Gluck seine besonders schwierige Art zu Komponieren aus inneren und äußeren Gründen nie systematisch und reproduzierbar für andere Komponisten und Dirigenten zu Papier brachte (weswegen Glucks zweite und vergleichsweise viel wichtigere Operreform sehr oft übersehen wird), und wir sein Vorhaben auch nur in Teilen aus den zahlreichen Äußerungen Glucks und seiner Zeitgenossen rekonstruieren können, veröffentlichen wir an dieser Stelle zum Nachlesen alle Zitate vollständig, auf den Folien unseres Vortrags.

Wir enden mit einer großen Überraschung, die anderweitig so bis dato nicht nachzulesen ist:

Gluck hat zwar sein kompositorisches Vorhaben, das er exemplarisch bei Klopstocks Bardiet "Die Hermanns Schlacht" zur Geltung bringen wollte, in großen Teilen mit ins Grab genommen, aber er fand schon vor und erst recht nach nach seinem Tod einen würdigen Nachfolger. Dieser Komponist verstand Gluck nicht nur grundlegend (auch und gerade in Bezug auf Klopstock), sondern er verehrte ihn auch aufrichtig. Im Jahr 1782, als der greise Gluck wegen seines Schlaganfalls bereits definitiv das Komponieren hatte aufgeben müssen, ging dieser 26-jährige junge Mann bei ihm in Wien über Monate sozusagen in die Lehre, erwies sich am Ende des Gluck-Erbes würdig und führte und entwickelte Glucks Kompositionskunst in ebenso genialer Weise weiter, wie es dieser selbst getan hätte.

Dieser Nachfolger und Erbe Glucks ist der aus dem Odenwald stammende deutsche Komponist Joseph Martin Kraus (1756-1792), der unter König Gustav III. in Stockholm als Kapellmeister und Komponist wirkte. Joseph Martin Kraus, der leider jung verstarb, wird heute wegen der fast gleichen Lebenseckdaten und seines "Genies" (Joseph Haydn) als "der Mozart des Nordens" bezeichnet, hat aber mit Mozarts Kunst wenig zu tun und sollte deshalb gemäß der Empfehlung seines Biografen Hanns Åstrand eher "der Gluck des Nordens" genannt werden!

Wer nun neugierig geworden ist und Näheres auch über Kraus erfahren will, sei auf unsere Vortragsfolien im PDF-Format (ca. 9,5 MB) verwiesen. Zum Download bitte auf das nachfolgende Bild oder diesen [Link] klicken!

Joseph Martin Kraus (1756-1792)

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