Duo autem, fateor, tibi specialiter inerant quibus feminarum quarumlibet animos statim allicere poteras, dictandi videlicet et cantandi gratia, que ceteros minime philosophos assequutos esse novimus. Quibus quidem, quasi ludo quodam laborem exercitii recreans philosophici, pleraque amatorio metro vel rithmo composita reliquisti carmina, que pre nimia suavitate tam dictaminis quam cantus sepius frequentata tuum in ore omnium nomen incessanter tenebant, ut illiteratos etiam melodie dulcedo tui non sineret immemores esse; atque hinc maxime in amorem tui femine suspirabant. Et cum horum pars maxima carminum nostros decantaret amores, multis me regionibus brevi tempore nunciavit et multarum in me feminarum accendit invidiam...
Zweierlei - ich gestehe es - war es vor allem, womit du die Herzen aller Frauen sofort gewinnen konntest: eine Ausstrahlungskraft der Dichtung und des Gesanges, die, wie ich weiß, die übrigen Philosophen am allerwenigsten erreicht haben. Bei ihr erholtest du dich wie bei einem Spiel von der Anstrengung deiner geistigen Arbeit, und eine ganze Anzahl von Gedichten und Liebesweisen, metrisch oder rhythmisch gebunden, hast du hinterlassen, die - wegen der besonderen Süße ihres Wortlauts und ihrer Melodie oft und viel gesungen - deinen Namen in aller Munde lebendig erhielten. Schon die Anmut deiner Weisen ließ auch ungebildete Leute dich nicht vergessen. Und daher vor allem seufzten die Frauen in Liebe zur dir. Die große Mehrzahl dieser Gedichte besang unsere Liebe, und so klang mein Name in kurzem weit hinaus in die Lande und weckte in vielen Frauen die Eifersucht...
Heloisa an Abaelard, Brief 2: Heloyse sue ad ipsum deprecatoria, z. B. in: Hicks, La vie et les epistres Pierres Abaelart et Heloys sa dame, Paris, 1991, Seite 51.
Libello quodam hymnorum vel sequentiarum a me nuper precibus tuis consummato, veneranda in Christo et amanda soror Heloissa...
Das Buch der Hymnen und Sequenzen, in Christo verehrte und geliebte Schwester Heloïsa, habe ich jüngst auf Deine Bitten vollendet...
Abaelard an Heloïsa, Begleitbrief für die Predigtsammlung des Paraclet, z.B. in: Cousin, V., Petri Abaelardi Opera Omnia, Paris 1849, Band 1, Seite 350.
Obwohl Peter Abaelard Heloïsa brieflich darüber informiert hatte, dass er für sie ein Buch der Hymnen und Sequenzen verfasst habe, ließ sich in den aufgefundenen Manuskripten, Hymnarien und Liedsammlungen keine Sequenz oder Melodie finden, die Peter Abaelard eindeutig als Verfasser ausgewiesen hätte - mit einer einzigen Ausnahme: Abaelards Bearbeitung von Psalm 26 - das Responsorium Ne derelinquas me findet sich in seiner typischen Form in einem Brief an Heloisa: Brief 3 Dilectissime sorori sue in Christo, z. B. in: Hicks, E., La vie et les epistres Pierres Abaelart et Heloys sa dame, Paris, 1991, Seite 58f. Das von Abaelard oben erwähnte Büchlein der Hymen und Sequenzen dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Hymnarius Paraclitensis entsprochen haben - erhalten in einigen mittelalterlichen Manuskripten. Dieser Hymnenschatz von immerhin 133 Gesängen zu nahezu allen Anlässen des Kirchenjahres findet sich innerhalb dieser Seiten an anderer Stelle: Gesamtwerk/Lyrik/Hymnarius Paraclitensis. Sequenzen im eigentlichen musikhistorischen Sinn des Wortes weist er nicht aus; da der Verfasser von einem Büchlein gesprochen hatte, darf mit Recht bezweifelt werden, ob Abaelard einen weiteren Codex mit Sequenzen überhaupt schriftlich kompiliert hat. Heloïsa wiederum sprach in einem ihrer Briefe davon, dass die Gesänge Abaelards in aller Munde gewesen seien. Keines von diesen Liedern - meist Liebeslieder für Heloïsa - hat die Zeiten namentlich überdauert. Um Sequenzen mit theologischen Inhalten dürfte es sich dabei nicht gehandelt haben, denn Heloïsa hatte sich in ihren Anmerkungen über Abaelards Kompositionskunst recht eindeutig auf die Zeit vor seiner Konversion bezogen.
Somit bleibt dahingestellt, ob es sich bei den folgenden Liedern - von dem Responsorium Ne derelinquas me einmal abgesehen - überhaupt um Werke Abaelards handelt. Zumindest bei dreien davon ist dies jedoch mit einigermaßen plausiblen Argumenten untermauert: Epithalamica, Virgines caste und De profundis. Die mögliche Urheberschaft Peter Abaelards erstmalig erkannt zu haben, ist das Verdienst des Trappistenpaters Chrysogonus Waddell von der Gethsemani Abbey in Kentucky. Über seine Entdeckung berichtete der Pater zusammen mit Mary Berry, einer Expertin der Gregorianik:
Dier Manuskripte der Abtei des Paraklet schlossen ein altfranzösisches liturgisches Verzeichnis aus dem späten 13. Jahrhundert ein: Paris, Bibliothèque Nationale 14410, welches zahlreiche Hinweise auf liturgische Sequenzen enthielt. Da Abaelard persönlich einst Bezug genommen hatte auf eine Sammlung dieser Sequenzen, die er Heloïsa und ihren Schwestern zusammen mit einer Sammlung von Hymnen geschickt hatte - war es nun möglich, dass die Sequenzvermerke in diesem altfranzösischen Verzeichnis auf einige der verlorenen Sequenzen von Abaelard Bezug nahmen? Ein sorgfältiges Studium dieses Repertoires von ca. 60 Sequenzen, von denen ein halbes Dutzend unidentifizierbar blieben, brachte eine Gruppe von drei Werken ans Licht, die wegen ihrer textlichen Übereinstimmungen mit Abaelards Hymnen, Predigten und Briefen bemerkenswert waren. Die strophischen Formen und die eigenartigen Rhythmus-Schemata waren die von Abaelards Hymnen. Die Kompositionstechniken, die Ähnlichkeit von vielen melodischen Einschnitten und die Behandlung von Akzenten und Wortendungen in Bezug auf die Melodie - all dies wies auf einen einzigen Verfasser hin. Auch kann es kaum Zufall gewesen sein, dass diese drei Sequenzen in Verbindung mit dem oben erwähnten Prosarium von Nevers und in unmittelbarer Nebeneinanderstellung mit Abaelards Planctus für Saul und Jonathan aufgefunden wurden. Die weitere Forschung ergab die Identifizierung von zahlreichen Manuskripten und sogar Druckvorlagen sowohl für Texte als auch für Melodien - der endgültige Beweis, dass wenigstens ein paar von Abaelards Sequenzen ihren Weg - wenngleich in anonymer Form - in die Liturgiebücher von Frankreich, der Schweiz und sogar Deutschland gefunden haben... Zwei von seinen erst kürzlich identifizierten Sequenzen, die er für den Paraklet geschrieben hat, sind seine Ostersequenz Epithalamica und seine Sequenz für den Tod De profundis. Die Epithalamica, die stark vom Lied der Lieder inspiriert wurde, sieht das Drama der Wiederauferstehung neu im Leben einer Nonne des Paraklet verwirklicht, die als Braut Christi auf die Wiederkehr des Bräutigams aus dem Grabe wartet. De profundis ist von besonderer musikalischer Bedeutung, da es unterschiedliche Abschnitte der diatonischen Tonleiter benutzt. Es bewegt sich schrittweise von den absteigenden Phrasen der Klage in Modus 2 zu der Hoffnung und Heiterkeit, die von den ansteigenden Phrasen vermittelt werden, die der Komponist für das Ende in Modus 8 wählte....
12th-Century Chant, Abelard: Hymns and sequences for Heloise, Schola Gregoriana of Cambridge and Winchester Cathedral Choristers, CD 1995, Einleitungstext von Frater Chrysogonus Waddell, OCSO and Mary Berry, deutsche Übersetzung
Bei drei weiteren frühmittelalterlichen Sequenzen, die sich im Anhang finden, ist die Urheberschaft noch weniger gesichert als bei den bislang erwähnten. Dennoch werden auch sie bisweilen mit Peter Abaelard in Verbindung gebracht. Weite Verbreitung erfuhr der wunderschöne, aber eben leider ebenfalls anonyme Schwanengesang. Das Suscipe me wiederum war ein Gesang, der bei der ewigen Profess von Mönchen und Nonnen zur Anwendung kam.
Ne derelinquas me - Verlasse mich nicht |
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Ne derelinquas me, Domine Pater et dominator vitae meae, ut non corruam in conspectu adversariorum meorum; ne gaudeat de me inimicus meus. Apprehende arma et scutum, R Deus meus, sperantem in te. V Mitte ei, Domine, auxilium de sancto. R Et de Sion tuere eum. V Esto ei, Domine, turris fortitudinis. R A facie inimici. V Domine exaudi orationem meam. R Et clamor meus ad te veniat.
Oremus. Deus, qui per servum tuum ancillulas tuas in nomine tuo dignatus es aggregare, te quaesumus, ut eum ab omni adversitate protegas, et ancillis Per Dominum nostrum lesum |
Verlass mich nicht, oh Herr, Vater und Lenker meines Lebens, damit ich nicht zusammenbreche im Anblick meiner Gegner; Und mein Feind soll nicht über mich triumphieren! Ergreife die Waffen und den Schild, R Mein Gott, ich hoffe auf Dich. V Schicke ihm, oh Herr, Hilfe Vom Himmel. R Und von Zion herab schütze ihn. V Du mögest, oh Herr, im ein Bollwerk der Stärke sein. R Im Angesicht des Feindes. V Oh Herr, erhöre meine Bitte. R Und mein Rufen dringe bis zu Dir.
Lasset uns beten. Herr, der Du durch Deinen Knecht Durch unseren Herrn Jesus Christus, |
Epithalamica - Brautgesang |
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Wechselgesang zwischen Braut und Bräutigam und dem Chor der Jungfrauen, nach Motiven des Hohen Lieds der Liebe, verfasst als Ostersequenz. Manuskripte: Paris BN n.a.l. 3126, 1170/1175 aus Nevers; Le Puy, Bibliothèque du Grand Séminaire, Prosolarium Ecclesiae Anicensis, 12. Jhd.; Vic, Museum Episcopal MS 105, 12./13. Jhd.; Paris BN lat. 1059, 15 Jhd., aus Béziers. |
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Epithalamica dic, Sponsa, cantica, intus quae conspicis dic foris gaudia, et nos laetificans, de Sponso nuntia cuius te refovet semper praesentia. Adulescentulae Per noctem igitur Risi mane, flevi nocte; Plausus die, planctus nocte, Quam fecit Dominus Amen. |
Stimme an den Brautgesang, Verlobte! Und die innerliche Freude verkünde laut! Mach uns froh durch Kunde von Deinem Verlobten, dessen Gegenwart dich immer von neuem erwärmt! Ihr jungen Mädchen, So gehe ich hinaus und suche Gelacht habe ich morgens, geweint habe ich nachts: Freude am Tag und Klagen in der Nacht, Der Herr hat ihn geschaffen! |
Virgines caste - Keusche Jungfrauen |
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Sequenz über den Chor der Jungfrauen, die Christus nachfolgen. Der Text ist in folgenden Manuskripten erhalten: Paris BN n.a.l. 3126, 1170/1175, aus Nevers; Stuttgart Landesbibliothek HB I asc. 95, 12. Jhd.; Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Blasien 102, 13. Jhd.; Sankt Gal-len Stiftsbibliothek 383, 13. Jhd., 546, 15. Jhd.; Sittin, Archives du Chapitre de Sion 29, 13. Jhd., 48, 14. Jhd., 78, 16. Jhd.; Limoges BM 2, 13. Jhd.; Fribourg, Kapitelsarchiv Sankt Nikolaus 14, 16. Jhd., 16, 16. Jhd.; Fribourg Bibl. cantonale et universitaire MS L 292, 14. Jhd., MS L 536, 15. Jhd., aus Sittin; Douai BM 124, 15./16. Jhd. aus Aix. |
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Virgines caste virginis summe decus precinentes Ceteras quoque Psalmis et hymnis Solvant in istis Hec est a dextris Juncto latere Aurata veste Tanquam dominam Post eam adducte Talis erat Tecla Filie Tiri Holocaustum Domino 0 felices nuptie Lectulos harum Dormit in istis Dextera sponsi Aprobans sompnum Hic ecclesiastici Ornate tam bissina Hie choro talium Crebros saltus dat hic agnus In earum pectore Virgo quippe cum sit ipse Sompnus illi placidus Hoc attende canticum Quo nostra devocio |
Keusche Jungfrauen, die Lieder singen, würdig der allerhöchsten Jungfrau! Es singen auch andere mit Psalmen und Hymnen Wie sich gebührt, bringen sie Sie hat ihren Platz Voller Freude ihm zugesellt in Gold gekleidet, so wie die heilige Magd Nachdem man ihr die Solch eine war Thekla, Töchter aus Tyrus, Vereint bringen sie 0 glückliche Hochzeit, Schutzengel Christus schläft Vom Bräutigam umarmt, Froh, sie schlafen zu sehen, Diese Blume ist Geschmückt mit feinem Linnen Umgeben von einer solchen Das Lamm springt wieder und wieder hoch, Auf ihren Busen zieht es sich eine Jungfrau fürwahr, denn er selbst wird Ruhigen Schlaf findet er Hört nun das Lied damit könnte unsere Hingabe |
De profundis - Aus der Tiefe |
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Manuskripte: Paris BN n.a.l. 3126, 12. Jhd., aus Nevers; Troyes BM 721, 12. Jhd.; Sittin, Archives du Chapitre de Sion 49, 13. Jhd.; Le Mans BM 223, 15. Jhd., aus Nantes, zitiert im Ordinale Paraclitensis Paris BN 14410. | |
De profundis ad te clamantium, pie Deus, exaudi gemitum, nec mensuram observes criminum, ut perferri possit iudicium, pie Deus. lesu bone, comple quod diceris, Fletu Petri trina negacio Confitentes nomen Christi Nomen tuum, quod unguentum Penitentum ecce contritio, Illa mater, tu pater es; Ibi fratris susceptio Si nos, Pater, abicis, Miserere, miserere, Ad hoc ambo missi mundo |
Erhöre, guter Gott, das Seufzen der aus der Tiefe zu Dir Rufenden, und achte nicht auf das Maß ihrer Verfehlungen damit Dein Richterspruch getragen werden kann, guter Gott! Guter Jesus, erfülle, was man von Dir sagt, Durch das Weinen des Petrus ist die dreifache Verleumdung in so kurzer Zeit vergeben worden Wenn wir den Namen Christi bekennen, Dein Name ist wie eine Salbe, die Siehe die Zerknirschung der Büßer Jene ist die Mutter, Du bist der Vater, Dort ist die Aufnahme des einen Bruders Wenn Du uns, Vater, verstößt, Erbarme Dich, erbarme Dich, Dazu seid Ihr beide in die Welt |
Suscipe me - Nimm mich auf |
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Suscipe me, Domine. secundum eloquium tuum. et vivam; et non confundas me Amen. |
Nimm mich auf, oh Herr, gemäß Deinem Wort, und ich werde leben! Und beraube mich nicht Amen. |
Sancta Maria Magdalena |
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Magnum salutis gaudium. Ietetur omne seculum, lesus redemptor gentium sanavit orbem languidum. Sex ante pasche ferias Honor, decus, imperium |
Große Freude herrscht über die Rettung, es freut sich die ganze Welt. Jesus, der Erlöser der Völker hat den ermatteten Erdkreis gerettet. Sechs Tage vor dem Paschafest Ehre, Zierde, Macht |
Planctus cigne - Das Klagelied des Schwans |
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Clangam filii, ploratione una alitis cigne, qui transfretavit equora. et petisse alta maria ajens, Undis quatior, Angor inter arta gurgitum cacumina Cernens copiosa piscium legumina, Ortus, occasus, plage poli, Ovarizans jam agebatur Hilarata et jucundata nimis facta, Dulcimodo cantitans volitavit Concurrite omnia alitum |
Ich will laut klagen, meine Söhne, Mit dem Lied des mächtig beschwingten Schwans, Der das spiegelglatte Meer überflog. Und vertrauensvoll das tiefe Meer aufsuchte. Von den Wellen geschlagen, Ich werde zwischen den Wogenkämmen zerdrückt, Obwohl ich die Fischschwärme vom Seetang unterscheide, Kann ich im schweren Seegang Aufgang und Untergang, Himmelsfläche, An der Spitze des Zuges, wurde sie nun emporgehoben Nun aber mit viel größerer Freude und Lust Unter stetem süßen Gesang flog sie hinüber Rauscht voran, ihr Geflügelten, |