Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich, von Überanstrengung im Studium zerrüttet, wegen einer Krankheit in meine Heimat zurückkehren musste. So war ich einige Jahre aus Frankreich sozusagen verbannt und wurde von denen, welche die dialektische Wissenschaft reizte, besonders schmerzlich vermisst. Es verflossen einige Jahre, als ich mich längst von meiner Krankheit erholt hatte, da änderte Wilhelm von Champeaux, mein berühmter Lehrer und Archidiakon von Paris, plötzlich seine Lebensweise, indem er in den Orden der regulierten Chorherren eintrat - man sagte, mit der Absicht, auf diese Weise für frömmer gehalten zu werden und sich dadurch zu um so höherer Würde aufzuschwingen. Dies gelang ihm denn auch in kürzester Zeit: er wurde Bischof von Châlons, ohne dass ihn diese Umgestaltung seines Lebens von Paris oder von der gewohnten Beschäftigung mit der Philosophie abhielt; vielmehr hielt er eben in dem Kloster, in das er sich aus Frömmigkeit zurückgezogen hatte, öffentliche Vorlesungen in gewohnter Manier. Damals kehrte ich zu ihm zurück, um Rhetorik bei ihm zu hören; abgesehen von mancherlei sonstigen gemeinsamen Disputationsversuchen brachte ich ihn durch unumstößliche Beweisgründe dahin, dass er seine alte Lehre von den Universalien [Allgemeinbegriffen] abänderte, ja gänzlich verwarf. Seine Lehre von der Gemeinsamkeit der Universalien bestand darin, dass er behauptete, ein und dieselbe Wesensbeschaffenheit sei in allen Einzeldingen ganz und zugleich, so dass diesen gewiss keine Verschiedenheit im Wesen zukomme, sondern nur eine Mannigfaltigkeit durch die Menge der Akzidenzien. Nun änderte er seine Lehre insofern, dass er nicht mehr die Identität der Wesensbeschaffenheit behauptete, sondern nur ihre Ununterscheidbarkeit. Diese Frage galt aber bei den Dialektikern von jeher als eine der wichtigsten in der Lehre von den Universalien, so dass selbst Porphyrius in seinen Isagogen, als er über die Universalien schrieb, sie nicht zu entscheiden wagte, sondern nur sagte: "Dies ist ein sehr weitläufiges Unternehmen." Da nun Wilhelm von Champeaux in diesem Punkt seine Lehre geändert oder vielmehr unfreiwillig aufgegeben hatte, gerieten seine Vorlesungen dermaßen in Misskredit, dass man ihm kaum noch gestattete, die übrigen Lehrstücke der Dialektik zu lesen, als ob diese ganze Wissenschaft ihren Kernpunkt in dieser Lehre von den Universalien hätte.
Unter diesen Umständen gewann meine eigene Schule so viel Ausstrahlungskraft und Geltung, dass jene, die meinem Meister zuvor recht eifrig anhingen und meine Lehre früher am heftigsten bekämpft hatten, in meine Schule eilten; ja selbst der, der an der Schule zu Paris meinem Meister im Lehramt nachfolgte, bot mir seinen Lehrstuhl an, um sich mit den ändern ebenda meiner Meisterschaft anzuvertrauen, wo einst unser gemeinsamer Meister geglänzt hatte. Erst wenige Tage leitete ich dort das Studium der Dialektik; mit welchem Neid begann er sich da zu verzehren, in welchem Schmerz zu rasen: mein Meister - das ist nicht leicht darzustellen. Außerstande, das Rasen des empfundenen Unglücks länger zu tragen, griff er mich tückisch an, um mich auch jetzt wieder zu verdrängen. Da er in dem, was er offen tun konnte, nichts gegen mich vermochte, setzte er auf Grund von übelsten Beschuldigungen durch, dem Mann die Lehrbefugnis zu nehmen, welcher mir seinen Lehrstuhl überlassen hatte, worauf einer meiner Gegner an seine Stelle rückte. Daraufhin kehrte ich nach Melun zurück und richtete dort meine Schule ein wie früher, und je unverhüllter seine Missgunst mich verfolgte, desto mehr trug sie mir Ansehen ein - nach dem Dichterwort: "Die Größe macht der Neid zu seinem Ziel. Am schärfsten weht der Sturmwind auf den Höhn." Bald darauf merkte Wilhelm, dass fast alle seine Schüler an seiner Frömmigkeit zweifelten und sich allerhand über seine Bekehrung zuraunten, da er sich nicht im geringsten veranlasst gesehen hätte, sich aus der Hauptstadt zurückzuziehen. Nun siedelte er mit seinem Konventikel und mit seiner Schule an einen von der Stadt Paris ziemlich entfernten Ort über. Alsbald kehrte ich von Melun nach Paris zurück, weil ich hoffte, zukünftig Ruhe vor ihm zu haben. Da jedoch, wie gesagt, mein Platz noch von meinem Gegner eingenommen war - das hatte er erreicht -, so schlug ich das Lager meiner Schule außerhalb der Stadt auf dem Berg der heiligen Genoveva auf, als wollte ich den belagern, der meinen Platz eingenommen hatte. Auf die Kunde davon ging mein Meister unverfroren auf der Stelle nach Paris zurück; was er noch an Schülern haben konnte, brachte er samt seiner kleinen Bruderschaft in seinem alten Kloster unter; es sah aus, als wollte er den Posten, den er alleingelassen hatte, von unserer Belagerung befreien. Allein: während er ihm nützen wollte, schadete er ihm besonders. Vorher nämlich hatte jener noch etliche Schüler gehabt, hauptsächlich wegen seiner Vorlesungen über Priscianus, in denen er noch am ehesten etwas taugte, wie man annahm. Nachdem der Meister aber angekommen war, verlor er vollends alle und war so genötigt, die Leitung der Schule aufzugeben, und nach noch nicht langer Zeit hat auch er, am Ruhm dieser Welt für immer verzweifelnd, sich zum klösterlichen Leben bekehrt. Welche Gefechte in Disputationen meine Schüler nach der Rückkehr meines Meisters mit ihm selbst wie mit seinen Anhängern ausgefochten haben und welche Glückswendungen das Schicksal in diesen Kämpfen mir und den meinen gönnte, das hat dir längst der weitere Verlauf von selbst gezeigt. Kühn, wenn ich auch bescheidener spreche, darf ich jenes Wort des Ajax anführen: "Und fragt ihr nach dem Schicksal dieses Kampfs: Er hat mich nicht besiegt." Wollte ich darüber schweigen, so spricht schon der Verlauf laut für sich, und der Erfolg der Sache selbst bezeugt es.
Während dies geschah, drang meine geliebte Mutter Lucia in mich, nach Hause zu kommen. Sie bereitete sich nach der Bekehrung meines Vaters Berengar zum Mönchsgelübde darauf vor, es ebenfalls abzulegen. Als dies vollbracht war, kehrte ich nach Frankreich zurück, hauptsächlich um Theologie zu studieren. In diesem Fache prunkte mein schon oft genannter Meister Wilhelm von Champeaux innerhalb seines Bistums Châlons. Die größte Autorität auf diesem Gebiete besaß jedoch seit langer Zeit sein Lehrer Anselm von Laon.
Einige seiner bedeutendsten Schüler waren nun darüber empört, dass ich zum Verächter eines solchen Meisters würde. Daher brachten sie auch ihn heimlich gegen mich auf und machten mich durch üble Verleumdungen bei ihm verhasst. Eines Tags geschah folgendes: Nach dem Vergleich einiger Thesen unterhielten wir uns in zwangloser Weise. Einer meiner Mitschüler fragte mich in der Absicht, mir eine Falle zu stellen, was ich vom Lesen der Heiligen Schrift halte. Ich, der ich bis jetzt nur weltliche Wissenschaft getrieben hatte, antwortete, dass es kein heilsameres Studium gebe als das der Bibel, weil man daraus das Heil unserer Seele erkenne; nur müsse ich mich darüber sehr wundern, dass den Gelehrten zum Verständnis der Auslegungsmöglichkeiten der heiligen Schriftsteller nicht der einfache Text und etwa die Glossen dazu genügen, sondern dass sie noch weitere Anleitung nötig hätten. Darüber lachten die meisten Anwesenden, und man fragte mich, ob ich mir zutraue und dazu fähig sei, dies in Angriff zu nehmen. Ich erwiderte, dass ich zur Probe bereit sei, wenn sie es wollten. "gewiss wollen wir", antworteten sie mir unter Geschrei und erneutem Gelächter, "man soll Euch zu einem weniger bekannten Text einen Ausleger suchen und anweisen, und wir wollen erproben, was Ihr versprecht."
Sie einigten sich nun auf ein höchst dunkles Kapitel des Propheten Ezechiel; ich nahm den Ausleger an und lud sie schon auf den folgenden Tag zu einer Vorlesung ein. Sie jedoch gaben mir gegen meinen Willen einen Rat und meinten, eine so wichtige Sache dürfe man nicht übereilen; da ich in diesem Fach doch noch unerfahren sei, müsse ich mehr Zeit auf die Ausarbeitung und Absicherung meiner Auslegung verwenden. Allein ich antwortete gereizt, es gehöre nicht zu meiner Gewohnheit, mit Routine weiterzukommen, sondern mit Genialität; und ich fügte hinzu, ich werde überhaupt die ganze Sache aufgeben, wenn sie sich nicht ohne Verzug zu der Vorlesung einfinden wollten, wann ich es wünsche. Zu meiner ersten Vorlesung fanden sich nun allerdings nur wenige ein; den meisten erschien es lächerlich, dass ich - bisher ganz unbewandert im Studium der Heiligen Schrift - dies so übereilt in Angriff nehme. Denen aber, die meiner Vorlesung beiwohnten, gefiel sie so gut, dass sie sie in höchsten Tönen lobten und drängten, meine Erklärung nach dieser meiner Methode fortzusetzen. Als dies bekannt wurde, beeilten sich auch die um die Wette, die bisher ferngeblieben waren, in die zweite und dritte Vorlesung zu kommen, und waren eifrig darauf bedacht, von den Erläuterungen, die ich am ersten Tag begonnen hatte, sich noch zu ihrem Anfang eine Abschrift zu verschaffen.
Es waren damals in der Schule dieses alten Mannes zwei, die alle übrigen auszustechen schienen: Alberich von Reims und Lotulf aus der Lombardei; je mehr sie von sich selbst eingenommen waren, desto tiefer waren sie gegen mich erbittert. Von deren Verleumdung, wie man nachher feststellte, wurde jener alte Mann so sehr verwirrt, dass er mir auf unverschämte Art untersagte, das begonnene Unternehmen der Erläuterung am Ort seiner Lehrtätigkeit fortzusetzen, indem er den Grund vorschützte, es könne, wenn ich etwa bei jenem Unternehmen etwas im Irrtum niederschriebe, ihm zur Last gelegt werden. Als dies meinen Schülern zu Ohren kam, war ihre Entrüstung gewaltig über eine so offenkundige Intrige aus Brotneid, wie sie niemanden je schlimmer getroffen hatte. Je offenkundiger sie war, um so ehrenvoller war sie für mich, und durch die Verfolgung machte sie mich noch berühmter.
Ich möchte, dass du beide Geschichten wahrheitsgetreuer aus ihrem wirklichen Verlauf als vom Hörensagen kennen lernst, in der Reihenfolge, in der sie abliefen. Weil ich vor dem schmutzigen Verkehr mit Dirnen immer zurückschreckte und mich vom Treffen und Umgang mit vornehmen Damen durch die Beharrlichkeit meines Studiums abhalten ließ, überhaupt vom Umgangston gegenüber weltlichen Frauen nicht viel verstand, da fand das schlimme Schicksal, wie man sagt, mir schmeichelnd eine um so bequemere Gelegenheit, mich noch leichter vom Gipfel meiner Größe herabzustürzen - ja vielmehr die göttliche Güte wollte mich, den Überstolzen und vor der empfangenen Gnade Undankbaren, gedemütigt für sich retten.
In Liebe zu diesem Mädchen vollkommen entflammt, suchte ich nach einer Gelegenheit, um sie durch täglichen Verkehr in ihrem Hause mir vertraut zu machen und sie leichter zur Hingabe zu verleiten. Ihres Oheims eigene Freunde waren mir dabei behilflich, dass dies auch eintrat; ich kam mit ihm überein, dass er mich um eine beliebige Aufwandsentschädigung in sein Haus aufnehmen sollte, das ganz in der Nähe meiner Schule lag. Ich gebrauchte dabei den Vorwand, dass die Sorge für meinen Haushalt mein Studium erheblich behindere und der Aufwand mich allzu sehr belaste. Nun war Fulbert ein großer Geizhals, dabei aber doch darauf bedacht, dass seine Nichte in ihrer gelehrten Bildung immer weiter Fortschritte mache. Beides zusammen verschaffte mir leicht die Einwilligung, und ich bekam, was ich wollte: einerseits war er ganz auf das Geld aus, andererseits versprach er sich davon, dass seine Nichte etwas von meiner gelehrten Bildung in sich aufnehmen werde. Ja, er kam selbst meinen Wünschen über das, was ich zu hoffen wagte, hinaus entgegen und leistete meiner Liebe Vorschub. Er überließ sie offensichtlich ganz und gar meiner Erziehung und bat mich obendrein dringend, ich möchte doch ja alle freie Zeit, wenn ich von der Schule zurückgekehrt sei, sei's bei Tag oder bei Nacht, auf ihren Unterricht verwenden, ja, wenn ich spürte, dass sie nachlässig sei, solle ich sie rücksichtslos züchtigen. Ich musste sehr staunen, wie groß seine Einfalt war, und ich war bei mir nicht weniger entsetzt, als wenn er das unschuldige Lamm dem hungrigen Wolf anvertraute. Wenn er sie mir nicht bloß zur Ausbildung, sondern auch zur heftigen Züchtigung auslieferte: was tat er da anderes, als meinen Wünschen vollkommene Freiheit zu gewähren und mir Gelegenheit zu bieten, auch wenn ich nicht wollte, sie, wenn ich es mit Schmeicheleien nicht vermochte, mit Drohungen und Schlägen um so leichter umzustimmen. Aber besonders zweierlei hielt schmählichen Verdacht fern von ihm: die Liebe zu seiner Nichte und der bisherige Ruf meiner Enthaltsamkeit.
Was soll ich weiter viel sagen? Zuerst ein Haus, dann ein Herz und eine Seele verbinden uns. Unter dem Deckmantel der Unterweisung gaben wir uns ganz der Liebe hin, und unsere Beschäftigung mit Lektüre bot uns die stille Abgeschiedenheit, die unsere Liebe sich wünschte. Da wurden über dem offenen Buch mehr Worte über Liebe als über Lektüre gewechselt; da gab es mehr Küsse als Sprüche. Nur allzu oft zog es die Hand statt zu den Büchern zu ihrem Busen, und öfter spiegelte Liebe die Augen ineinander, als dass die Lektüre sie auf die Schrift lenkte; ja, um jeden Verdacht unmöglich zu machen, gab es einige Male Schläge. Aber es war Liebe, nicht Grimm, Neigung, nicht Zorn, und sie überboten die Süße von allem Balsam der Welt. Kurz: keine Stufe der Liebe ließen wir Leidenschaftlichen aus, und wo die Liebe etwas Ungeheuerliches erfinden konnte, wurde es mitgenommen. Und je weniger wir bisher diese Freuden erfahren hatten, um so glühender verharrten wir in ihnen und um so weniger wandelten sie sich in Überdruss. Und je mehr mich diese Lust ergriffen hatte, desto weniger hatte ich mehr Zeit und Muße für Philosophie und Schule. Es war mir im Innersten zuwider, vor meine Schüler hinzutreten und unter ihnen zu weilen; zugleich war es aufreibend: meine Nächte widmete ich der Liebe, die Tage der geistigen Arbeit. Meine Vorträge zeigten mich gleichgültig und matt, so dass ich nichts mehr mit Genialität, sondern alles mit Routine vortrug; ich war nur noch ein Rezitator vergangener Einfälle, und wenn ich dann und wann noch imstande war, ein Lied zu erfinden, so war es ein Lied der Liebe, nicht von den Tiefen der Weisheit. Die meisten dieser Lieder leben noch jetzt in vielen Gegenden, wie du selbst weißt, und werden von denen gesungen, die ein ähnliches Leben genießen. Von der Trauer, dem Jammer, den Klagen meiner Schüler, als sie diese Ergriffenheit, ja Erschütterung spürten, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Nur wenigen konnte ein so klarer Sachverhalt entgehen, eigentlich niemandem, wie ich glaube, außer dem, dessen Ehre es am meisten betraf, dem Oheim des Mädchens selbst. Zwar wurde er mehrmals und von verschiedenen Seiten heimlich gewarnt; aber er konnte daran nicht glauben, und zwar, wie ich oben erwähnte, wegen der unbegrenzten Liebe zu seiner Nichte und wegen der unbezweifelbaren Reinheit meines Vorlebens. Denn wohl fällt es uns schwer, von denen, die wir lieben, Schlechtes zu glauben, und in leidenschaftlicher Liebe ist nichts von dem schleichenden Gift des Argwohns. So schreibt auch der heilige Hieronymus in seinem Brief an Sabinianus: "Gewöhnlich erfahren wir selbst zuletzt das Unheil in unserem Hause und wissen nichts von den Fehlern unserer Kinder und Frauen, wenn die Nachbarn schon laut davon sprechen." - Aber wenn auch spät, einmal weiß man es doch; was alle entdecken, bleibt einem einzigen nicht leicht verborgen.
Dies widerfuhr, nachdem einige Monate verflossen waren, auch uns. Ach, welchen Schmerz bereitete diese Entdeckung dem Oheim! Wie groß war der Schmerz, der die Liebenden selbst durch die Trennung traf! Welche Schamröte überströmte mich! Mit welcher Verzweiflung peinigte mich die Pein des Mädchens! Welche Qualen, welche Trauer über meine Beschämung stand sie aus! Keiner jammerte über das, was ihm, sondern was dem ändern zugestoßen war. Jeder von uns beklagte nicht sein eigenes Missgeschick, sondern nur das des ändern. Allein die körperliche Trennung war das stärkste Band unserer Seelen, und unsere Liebe wurde um so glühender, je mehr die Erfüllung ihr versagt war. Und das bereits durchgestandene Leiden an unserer Beschämung machte uns schamloser: um so geringer wurde das Leiden an unserer Beschämung, je verlockender unser Tun erschien. Es geschah an uns dasselbe, was der Dichter von Mars und Venus erzählt, als sie beieinander überrascht wurden.
Bald darauf fühlte Heloïsa, dass sie empfangen hatte; in der höchsten Freude benachrichtigte sie mich davon und fragte mich um Rat, was nun zu tun sei. Nachdem wir vorher darüber eins geworden waren, entführte ich sie ihrem Oheim in einer Nacht, da er nicht zu Hause war. Unverzüglich geleitete ich sie in meine Heimat zu meiner Schwester, bei der sie verblieb, bis sie ein Knäblein gebar, dem sie den Namen Astralabius gab. Der Oheim gebärdete sich bei seiner Heimkehr wie ein Rasender; welcher Schmerz in ihm loderte, welche Scham ihn peinigte, kann nur ermessen, wer es an sich selbst erfuhr. Er wusste nicht, was er mir antun, welche Rache er an mir nehmen sollte. Mich zu töten oder mir einen leiblichen Schaden zuzufügen - davon hielt ihn die Angst ab, seine vielgeliebte Nichte möchte dies in meiner Heimat zu büßen haben. Auch konnte er sich nicht etwa meiner bemächtigen und mich mit Gewalt in irgendeinen Gewahrsam bringen. Denn gerade darin sah ich mich sehr vor; ich zweifelte nicht, dass er, wenn er es vermöchte oder wagte, ziemlich rasch zuschlagen würde. Zuletzt aber bekam ich selbst Mitleid mit dem maßlosen Kummer des Mannes, und wegen meiner Arglist, zu der mich Liebe getrieben hatte, klagte ich mich selbst gleichsam des Hochverrates an. So ging ich denn zu dem Menschen, bat ihn um Vergebung und bot ihm jede Entschädigung an, die er selbst festsetzen solle. Ich beteuerte ihm, dass niemand über meine Tat befremdet sein könne, der die Macht der Liebe erfahren und in Erinnerung behalten habe, wie abgrundtief von Anbeginn der Welt an selbst die größten Männer durch Frauen zu Fall gebracht worden seien. Um ihn völlig zu besänftigen, bot ich ihm eine Genugtuung an, die er nicht erwarten konnte: nämlich sie, die ich entehrt hatte, mit mir zu vermählen, solange dies nur insgeheim geschehen könne, damit ich an meinem Ruf keine Einbusse erleide. Es stimmte jener mit seinem und seiner Freunde Ehrenwort zu und besiegelte durch Küsse die Übereinkunft, um die ich nachsuchte - nur um mich desto sicherer zu verraten.
Um dieses Hindernis eines philosophischen Studiums einmal beiseite zu lassen: denk allein an den Zustand einer gutbürgerlichen Lebensführung! Was für ein Zusammentreffen! Schüler und Kammerzofen, Schreibtisch und Kinderwagen! Bücher und Hefte beim Spinnrocken, Schreibrohr und Griffel bei den Spindeln! Wer kann sich der Betrachtung der Schrift oder der Philosophie hingeben und dabei das Geschrei der kleinen Kinder, den Singsang der Amme, der sie beruhigen soll, die geräuschvolle Schar männlicher und weiblicher Dienstboten ertragen? Wer wird die beständige widerliche Unreinlichkeit der Kinder aushalten können? Reiche Leute können das, wirst du sagen, deren Paläste oder weitläufige Häuser Hinterzimmer haben, deren Überfluss Kosten nicht spürt und nicht von Alltagssorgen behelligt wird. Allein die Lage der Philosophen ist, sage ich, eine andere als die der Reichen, und wiederum: Wer nach irdischen Schätzen trachtet und in die Sorgen dieser Welt verwickelt ist, wird nicht frei sein für theologische oder philosophische Aufgaben.
Darum haben auch die großen Philosophen der alten Zeit die Welt am meisten verachtet, ihr Treiben nicht so sehr hinter sich gelassen als vielmehr geflohen und sich so alle Freuden versagt, um allein in den Armen der Weisheit Ruhe zu finden. Einer der größten von ihnen, Seneca, gibt dem Lucilius folgende Anweisung: "Nicht nur, wenn du freie Zeit hast, darfst du philosophieren: alles müssen wir vernachlässigen, um uns ihr zu widmen, für die keine Zeit lang genug ist... Es macht keinen großen Unterschied, ob du die Philosophie aufgibst oder mit ihr aussetzt. Denn sie bleibt nicht da, wo sie unterbrochen wurde, stehen." Widerstehen muss man den Tagesgeschäften, sie nicht abwickeln, sondern fernhalten. Was noch jetzt unsere Mönche, wenigstens die diesen Namen wahrhaft verdienen, aus Liebe zu Gott tun, das taten in der alten Zeit aus Liebe zur Weisheit die edlen heidnischen Philosophen. Denn in jedem Volke, sei es heidnischen, jüdischen oder christlichen Glaubens, hat es von jeher Männer gegeben, die durch Zuverlässigkeit oder Sittenreinheit über den anderen standen und durch einen besonderen Grad von Enthaltsamkeit und Strenge vom Volke geschieden waren.
So gab es bei den Juden von alters her Nasiräer, die sich nach einer besonderen Gesetzesvorschrift Gott weihten; (4. Mose 6,21; Richt. 16,17; Am. 2,11) da waren ferner die Söhne der Propheten, die Jünger des Elia und Elisa, die uns im Alten Testament nach dem Zeugnis des heiligen Hieronymus wie Mönche beschrieben werden. Etwas Ähnliches waren schließlich auch jene drei philosophischen Sekten, die Josephus in seinen Altertümern, Kapitel 18, aufzählt und teils Pharisäer, teils Sadduzäer, teils Essäer nennt. Bei uns sind die Mönche an ihre Stelle getreten, die entweder das gemeinsame Leben der Apostel nachahmen oder jenes frühere Einsiedlerleben des Johannes (Mk. 1,2ff). Die Heiden aber hatten dafür, wie gesagt, ihre Philosophen. Denn unter dem Namen "Weisheit" oder "Philosophie" verstanden sie weniger das Erfassen der Wissenschaft als eine gottesfürchtige Lebensführung; dies lehn uns der Ursprung des Wortes und außerdem auch das Zeugnis der heiligen Väter. So sagt der heilige Augustinus im achten Kapitel seines Buches Vom Gottesstaat, wo er die verschiedenen Philosophenschulen aufzählt, folgendes: "Der Stifter der Italischen Schule ist Pythagoras von Samos; man sagt, dass von ihm der Name "Philosophie" herrühre. Früher nämlich wurden Männer, die sich durch tadellose Lebensführung irgendwie über die ändern zu erheben schienen, Weise genannt. Pythagoras dagegen sagte, als man ihn nach seinem Beruf fragte, er sei ein Philosoph, d. h. ein Jünger oder Liebhaber der Weisheit; sich einen Weisen zu nennen, schien ihm äußerst anmaßend."
Nun geht aus den Worten "die sich durch tadellose Lebensführung irgendwie über die ändern zu erheben schienen" deutlich hervor, dass die heidnischen Weisen, d. h. die Philosophen, ihren Namen eher der Vortrefflichkeit ihres Lebenswandels als der ihres Wissens verdankten. Wie nüchtern und enthaltsam sie lebten, brauche ich aber nicht aus Beispielen zu erschließen, das hieße Eulen nach Athen tragen. Wenn aber Laien, und dazu Heiden, durch kein religiöses Gelübde gebunden, so gelebt haben, was wirst dann du zu tun haben, du, ein Kleriker und Kanoniker, dass du nicht dem Dienst an Gott schändliche Leidenschaften vorziehst, dass dich nicht kopfüber jene Charybdis verschlingt, dass du nicht in dieser Unzucht schamlos und unwiderruflich versinkst? Wenn dich die Rücksicht auf deinen geistlichen Beruf nicht kümmert, so verteidige wenigstens die Würde der Philosophen. Lassest du die Gottesfurcht außer acht, so möge doch das Ehrgefühl deine Schamlosigkeit zügeln. Denke an die Ehe des Sokrates, und mit welch schimpflichem Zwischenfall er den Verrat an der Philosophie büßen musste, damit die ändern durch sein Beispiel vorsichtiger würden. Hieronymus übergeht auch das nicht im ersten Buch seiner Schrift Gegen Jovinianus, wo er eben von Sokrates erzählt: "Xanthippe überschüttete ihn einmal vom Fenster aus mit einer endlosen Flut von Schimpfworten. Sokrates hielt stand, und als sie ihm auch noch schmutziges Wasser auf den Kopf goss, trocknete er ihn ab und sagte: "Ich wusste wohl, dass diesem Donnerwetter ein Regenguss folgen werde."
Heloïsa fügte schließlich hinzu, wie gefährlich es für mich sei, sie zurückzuführen, und wie viel lieber es ihr und ehrenvoller für mich sei, dass sie eher meine Geliebte als meine Gattin heißen wolle, so dass mich an sie allein Zuneigung bände, nicht der Zwang der ehelichen Fessel kettete. Und wir, zur rechten Zeit getrennt, genössen bei unserer Zusammenkunft um so willkommenere Freuden, je seltener sie wären. Da sie nun dadurch, dass sie dies und Ähnliches riet oder abriet, meinen verblendeten Sinn nicht umzustimmen vermochte und mich doch auch nicht beleidigen wollte, brach sie heftig seufzend und weinend ihren Epilog mit den Worten ab: "Dies allein bleibt uns zu guter Letzt, dass in unser beider Verderben kein geringerer Schmerz nachfolgt als Liebe vorherging." Und auch darin - die ganze Welt weiß es - hatte ihr prophetischer Geist nur allzu richtig gesehen.
Wir ließen unser neugeborenes Kind in der Obhut meiner Schwester und kehrten heimlich nach Paris zurück. Dort wurden wir nach wenigen Tagen eines Morgens in aller Frühe durch den ehelichen Segen verbunden, nachdem wir die Nacht in einer Kirche mit der Feier der Vigilien in der Stille verbracht hatten. Als Zeugen waren zugegen der Oheim Heloisas sowie einige Verwandte von meiner und ihrer Seite. Dann trennten wir uns heimlich - jeder ging seiner Wege, und von da an sahen wir uns nur noch selten und verstohlen, da wir möglichst geheim hielten, was wir getan hatten.
Heloisas Oheim jedoch und seine Angehörigen, die für den ihnen zugefügten Schimpf nach Genugtuung verlangten, fingen an, unser Ehebündnis bekannt zumachen und brachen damit das Versprechen, das sie mir gegeben hatten. Heloïsa ihrerseits schwor unter Verwünschungen, dass es erlogen sei, worüber jener heftig erbittert war und sie mit vielfachen Beleidigungen überhäufte. Als ich davon hörte, brachte ich sie in das Nonnenkloster Argenteuil bei Paris, in dem Heloïsa einst als kleines Mädchen erzogen und gebildet worden war. Ich ließ sie auch die Gewandung anlegen, die das Klosterleben erfordert - mit Ausnahme des Schleiers. Als sie davon hörten, glaubten Fulbert und seine Verwandten, ich hätte sie jetzt erst recht hintergangen und Heloïsa zur Nonne gemacht, um sie loszuwerden. Aufs höchste entrüstet, verschworen sie sich gegen mich. Nachdem sie meinen Diener mit Geld bestochen hatten, nahmen sie eines Nachts, als ich ruhig in einer abgeschiedenen Kammer schlief, die grausamste und beschämendste Rache an mir, welche die Welt mit höchstem Entsetzen vernahm: sie beraubten mich der Körperteile, mit denen ich begangen hatte, worüber sie klagten. Die Täter ergriffen bald die Flucht, zwei von ihnen, die man festnehmen konnte, wurden ihrer Augen und Genitalien beraubt. Einer davon war jener Diener, der stets in meiner Umgebung gewesen und durch seine Geldgier zum Verrat an mir verleitet worden war.
Nicht zum wenigsten ängstigte mich auch folgendes: Nach dem tötenden Buchstaben des Gesetzes sind Eunuchen vor Gott ein solcher Greuel, dass Leute, deren Hoden abgeschnitten oder zerstoßen sind, als anrüchig und unrein den Tempel nicht betreten dürfen und dass sogar derartige Tiere nicht zum Opfer zugelassen werden. Im Levitikus heißt es: "Du sollst dem Herrn kein Zerstoßenes oder Zerriebenes oder Zerrissenes oder was verwundet ist, opfern"(3. Mose 22,24) und 5. Mose, Kap. 23: "Es soll kein Zerstoßener und Verschnittener in die Gemeinde des Herrn kommen." (5. Mose 23,2)
In dieser elenden Verzweiflung trieb mich weniger ein Verlangen nach Bekehrung - ich gestehe es offen - als die Verlegenheit meiner Scham in den bergenden Schutz der Klostermauern. Heloïsa hatte schon vorher auf mein Geheiß bereitwillig den Schleier genommen und war ins Kloster gegangen. Und so trugen wir nun beide das geistliche Gewand: ich in der Abtei von Saint-Denis, sie im Kloster von Argenteuil. Noch erinnere ich mich: Aus Mitleid mit ihrer Jugend versuchte man sie vom Joch der Klosterregel wie vor einer unerträglichen Strafe abzuschrecken. Vergebens: unter Tränen schluchzend brach sie in jene Klage der Cornelia aus: "O herrlicher Gatte, Besseren Ehebetts wert! So wuchtig durfte das Schicksal Treffen ein solches Haupt? Ach musst' ich darum dich freien, dass dein Unstern ich würd'? - Doch nun empfange mein Opfer, Freudig bring ich es dir !" Mit diesem Worte eilte sie vor den Altar, empfing aus der Hand des Bischofs den geweihten Schleier und legte vor dem ganzen Konvent das Klostergelübde ab.
Ich hatte mich kaum von meiner Verletzung erholt, als die Kleriker herbeiströmten und sowohl meinen Abt wie mich selbst fortgesetzt mit Bitten bestürmten: ich solle mich dem Studium, das ich bisher aus Verlangen nach Geld oder Ruhm getrieben habe, jetzt aus Liebe zu Gott widmen. Ich solle bedenken, dass Gott das Talent, das er mir anvertraut, mit Zinsen von mir zurückverlangen müsse! Bisher habe ich mich fast nur mit Reichen abgegeben, jetzt solle ich mich nur um die Ausbildung der Armen bemühen. Ich möchte erkennen, dass die Hand des Herrn mich vor allem deshalb geschlagen habe, damit ich desto unbehinderter, den Lockungen des Fleisches und dem unruhigen Treiben der Welt entrückt, dem Studium der Wissenschaft leben könne und nicht mehr die Weisheit dieser Welt, sondern die wahre Gottesweisheit lehren möge.
In dem Kloster, in das ich eingetreten war, herrschte zu jener Zeit ein überaus weltliches, sittenloses Leben. Je höher der Abt selbst seinem Range nach über den ändern stand, desto schlimmer und berüchtigter war sein Lebenswandel. Da ich nun ihre unerträgliche Sittenlosigkeit teils im vertrauten Kreis, teils öffentlich mehrmals aufs nachdrücklichste rügte, so machte ich mich ihnen allen überaus unbequem und verhasst. Über den täglichen Andrang meiner Schüler höchst erfreut, fanden sie dadurch Gelegenheit, sich meiner zu entledigen. Da nun jene mir unaufhörlich zusetzten und zudringlich bei mir anklopften, auch der Abt und die Brüder sich einmischten, zog ich mich in eine Einsiedelei zurück, um meine gewohnte Lehrtätigkeit wiederaufzunehmen. Hier strömte nun eine solche Menge von Schülern zusammen, dass weder der Raum für Quartiere noch das Land für Nahrungsmittel ausreichte.
Wie es meinem jetzigen Beruf entsprach, hielt ich hauptsächlich theologische Vorlesungen. Doch gab ich die Unterweisung in den weltlichen Wissenschaften deshalb nicht ganz auf; in ihnen war ich einst ziemlich bewandert gewesen und um ihretwillen suchte man mich hauptsächlich auf; vielmehr fertigte ich aus ihnen gleichsam einen Haken, um mit ihm jene vom philosophischen Geruch geköderten Zuhörer ins Studium der wahren Philosophie zu locken, wie denn die Kirchengeschichte dasselbe Verfahren von Origenes berichtet, jenem größten aller christlichen Philosophen. Da es nun aber ersichtlich wurde, dass Gott mir in der theologischen Lehre keine geringere Ausstrahlung als in der weltlichen verliehen hatte, so vermehrte sich die Zahl meiner Zuhörer in beiden Fächern, während die ändern Schulen sich nachhaltig leerten. Dadurch erregte ich den heftigsten Neid und Hass der Lehrer gegen mich, die nun, wo sie konnten, mich herabsetzten und hauptsächlich zwei Vorwürfe andauernd gegen mich erhoben, während ich fern war: dass es dem Beruf eines Mönchs zuwiderlaufe, sich vom Studium weltlicher Bücher in Beschlag nehmen zu lassen, und dass ich mir ein Lehramt in der Theologie ohne Lehrer angemaßt habe, so dass mir die Ausübung meiner Lehrtätigkeit ganz untersagt sei, wozu sie unermüdlich Bischöfe, Erzbischöfe, Äbte und sonstige einflussreiche Kirchenmänner, wo sie konnten, aufwiegelten.
Bevor ich noch dort ankam, hatten mich meine beiden Hauptwidersacher bei Klerus und Volk so angeschwärzt, dass das Volk mich mit meinen paar Begleitern noch am ersten Tag unserer Ankunft beinahe gesteinigt hätte; es hieß, ich lehre in Wort und Schrift drei Götter - das hatte man ihnen eingeredet. Sogleich nach meiner Ankunft in Soissons ging ich zum Legaten und übergab ihm mein Buch zur Prüfung und Beurteilung; zugleich erklärte ich mich bereit zur Berichtigung oder zum Widerruf, falls ich etwas geschrieben oder gesagt hätte, das mit dem allgemeinen Glauben im Widerspruch stehe. Der Legat jedoch schickte mich mit meinem Buch zum Erzbischof und zu meinen Gegnern; die Männer sollten über mich richten, die mich angeklagt hatten, und an mir sollte sich das Wort erfüllen: "Meine Feinde sind meine Richter" (5. Mose 32,31)! Oftmals untersuchten und durchstöberten sie das Buch, fanden aber nichts, das sie in der Versammlung gegen mich gewagt hätten vorzubringen, und verschoben darum die Verdammung des Buchs, nach der sie lechzten, bis auf den Schluss des Konzils. Ich meinerseits hielt an jedem Tag, ehe die Sitzungen abgehalten wurden, für alle öffentliche Vorträge über den allgemeinen Glauben, wie er in meinen Schriften zum Ausdruck kam, und mit großer Bewunderung empfahlen alle, die zuhörten, ebenso die Verständlichkeit meiner Worte wie meinen Scharfsinn weiter. Das Volk aber und die Geistlichkeit fingen an, als sie es beobachteten, zueinander zu sprechen: "Sehet, nun redet er frei und offen vor aller Welt (Joh. 8,26), und niemand widerspricht ihm! Das Konzil, das doch seinetwegen vor allem, wie wir hörten, versammelt war, eilt seinem Ende entgegen. Haben vielleicht die Richter eingesehen, dass sie selbst irren, nicht er?" Infolgedessen empörten sich meine Gegner täglich mehr und mehr.
Eines Tags nun kam Alberich mit einigen seiner Schüler zu mir, um mir eine Schlinge zu legen. Nach einigen einleitenden höflichen Redensarten sagte er, eine Stelle, die er sich angemerkt habe in meinem Buch, habe ihn befremdet: nämlich, obwohl Gott Gott gezeugt habe und nur ein Gott sei, leugne ich doch, dass Gott sich selbst gezeugt habe. Unverzüglich antwortete ich ihm: "Ich bin bereit, hierüber Rechenschaft abzulegen, wenn Ihr wollt." Darauf versetzte er: "In solchen Fragen lassen wir nicht menschliche Vernunft oder Euren Scharfsinn gelten, sondern einzig und allein die Worte einer Autorität." - "Schlaget nur in meinem Buche nach", erwiderte ich, "und Ihr werdet eine solche Autorität finden." - Das Buch war zur Hand; er hatte es selbst mitgebracht. Ich schlug die Stelle auf, die ich kannte, die er keineswegs bemerkt hatte, weil er nur nach solchen suchte, die mir schaden konnten. Und der Wille Gottes war es, dass mir rasch auffiel, was ich finden wollte. Es war ein Zitat aus dem ersten Buche von Augustins Werk Über die Dreieinigkeit: "Wer da glaubt, Gott habe die Macht, sich selbst zu erzeugen, irrt um so mehr, als nicht allein Gott so nicht ist, sondern überhaupt keine andere geistige oder leibliche Kreatur; es gibt überhaupt kein Wesen, welches sich selbst erzeugen könnte." Als dies seine anwesenden Schüler gehört hatten, wurden sie verlegen und erröteten. Er selbst sagte, um irgendwie sein Gesicht zu wahren: "Das muss man gut verstehen." Ich erwiderte ihm, diese Ansicht sei nicht neu, allein für den Augenblick falle sie nicht ins Gewicht, da er ja nur nach Worten und nicht den Sinn gesucht habe. Falls er aber die Begründung ihres eigentlichen Sinnes beachten wolle, so sei ich bereit, ihm aus seiner eigenen These nachzuweisen, dass er in die Ketzerei verfallen sei, nach der Gott-Vater sein eigener Sohn sei. Als er das zu hören bekam, wurde er geradezu rasend und verlegte sich auf Drohungen, indem er versicherte, dass weder meine eigenen Begründungen noch andere Autoritäten mir in diesem Fall etwas helfen sollten. Und damit ging er.
Am letzten Tag des Konzils begannen noch vor der Sitzung jener Legat und der Erzbischof von Reims mit meinen Gegnern und einigen ändern Personen lange darüber zu beraten, was über meine Person und mein Buch zu beschließen sei; denn um dieser Sache willen waren sie ja hauptsächlich einberufen worden. In meinen Worten oder in meiner Schrift, die vorlag, fand man nichts, was man gegen mich hätte vorbringen können. Einen Augenblick verstummten alle oder setzten mich schon weniger offen herab: Da ergriff Gottfried, Bischof von Chartres, durch den Ruf seiner Frömmigkeit und das Ansehen seines Stuhles den übrigen Bischöfen überlegen, das Wort und sprach: "Würdige Herren! Ihr alle, die ihr hier versammelt seid, wisst, dass die Lehre dieses Mannes, welcher Art sie auch sein mag, und sein Genie, welchem Gebiet immer er sich zugewandt hat, Schmeichler und Anhänger zahlreich gefunden und dadurch selbst den Ruhm seiner und unserer Lehrer erstickt haben, so dass man fast sagen könnte, die Reben seines Weinbergs hätten sich von Meer zu Meer ausgebreitet (Ps. 80,12). Wolltet ihr nun, was ich nicht glauben kann, einen solchen Mann mit einem Vorurteil belasten - wenn auch zu Recht -, so sollt ihr wissen, dass viele an euch Anstoß nehmen werden, und es würde nicht an zahlreichen Leuten fehlen, die ihn verteidigen wollten; zumal wir in der Schrift, die er vorgelegt hat, nichts sehen, was etwas von einer offenen Ketzerei an sich hätte. Nach dem Wort des Hieronymus "Stets hat die Tüchtigkeit Neider öffentlich bei sich" und dass "der Blitz die höchsten Gipfel trifft" - seht euch vor, seinen Namen durch ein gewaltsames Vorgehen noch mehr zu verbreiten, damit wir nicht uns eine größere Anklage aus Missgunst als ihm aus Gerechtigkeitssinn aufbürden. Denn "falsches Gerede" - sagt der ebengenannte Lehrer - "erlischt schnell und die Folgezeit richtet das Vorleben" Wenn ihr aber anordnet, nach kanonischem Recht gegen ihn zu verfahren, so möge seine Lehre oder sein Buch hier öffentlich vorgetragen werden, und ihm selbst soll gestattet sein, auf Fragen freimütig zu antworten, um dann - überführt oder geständig - für immer zu schweigen. Dies war schon die Meinung des seligen Nikodemus, als er, um den Herrn selbst freizubekommen, sagte: "Richtet unser Gesetz auch einen Menschen, ehe man ihn verhört und erkenne, was er tut?" (Joh. 7,51) Als sie das hörten, lärmten meine Gegner sofort los und riefen aus: "Welcher Rat eines Weisen, gegen dessen Wortgewalt zu streiten, dessen Schlüssen oder Sophismen die ganze Welt nicht standhalten kann!" - Und doch - es war gewiss noch viel schwerer, mit Christus selbst zu streiten: trotzdem hat Nikodemus dazu aufgefordert, ihn zu hören nach Maßgabe des Gesetzes.
Als nun der Bischof die Anwesenden nicht für das, was er vorgeschlagen hatte, gewinnen konnte, suchte er ihre Missgunst auf anderem Wege zu zügeln, indem er sagte, dass für die Erörterung einer so wichtigen Sache die wenigen, die anwesend waren, nicht genügend könnten und dass diese Angelegenheit einer umfassenden Prüfung bedürfe. Sein Rat gehe deshalb dahin, mein Abt solle mich in das Kloster Saint-Denis zurückbringen, wo man mehr und gelehrtere Persönlichkeiten berufen und mit gründlicherer Prüfung, was in dieser Sache zu tun sei, entscheiden solle. Es stimmte der Legat diesem letzten Vorschlag zu und alle übrigen. Bald erhob sich der Legat, um vor dem Beginn der Sitzung die Messe zu lesen, und ließ mir durch jenen Bischof förmliche Erlaubnis zur Rückkehr in mein Kloster übermitteln, wo ich dann erwarten solle, was verabredet worden war.
Nun aber fiel es meinen Gegnern ein, dass sie nichts ausgerichtet hätten, wenn mein Prozess außerhalb ihrer Diözese geführt würde, wo sie dann ihre Macht überhaupt nicht ausüben könnten; da sie offenbar der Gerechtigkeit weniger vertrauten, redeten sie dem Erzbischof ein, dass es eine große Schande für sie wäre, diese Sache an eine andere Behörde zu verweisen, und dass es gefährlich sei, wenn ich so davonkäme. Sie liefen auch zum Legaten, stießen seine Entscheidung um und verleiteten ihn gegen seinen Willen dazu, dass er mein Buch ohne jede Untersuchung verdammte, es vor aller Augen verbrannte und über mich lebenslängliche Haft in einem auswärtigen Kloster verfügte. Sie sagten nämlich, zur Verurteilung meines Buches müsse schon dies genügen, dass ich mir angemaßt habe, es ohne die Genehmigung des Papstes oder der Kirche öffentlich vorzutragen, und dass ich es schon vielen zum Abschreiben überlassen habe; es könne nur dem christlichen Glauben dienen, wenn einmal durch ein Exempel an meiner Person einer ähnlichen Anmaßung vieler anderer vorgebeugt werde. Der Legat war wissenschaftlich nicht so gebildet, wie er hätte sein sollen, und folgte deshalb in der Hauptsache dem Rate des Erzbischofs wie der Erzbischof ihrem Rat.
Als der Bischof von Chartres es erfuhr, ließ er mir sofort von diesen Machenschaften berichten und ermahnte mich eindringlich, ich möchte dies um so leichter ertragen, je mehr allen offenbar sei, wie gewaltsam sie handelten; und diese Gewalttat eines so offensichtlichen Neides werde jenen nur schaden, mir nur nützen: daran dürfe ich nicht zweifeln; auch solle ich mich wegen der Klosterhaft nicht beunruhigen: er wisse gewiss, dass der Legat, der es nur gezwungen tat, wenn er nach einigen Tagen von hier abgereist sei, mich völlig freilassen werde. Und so hat, wie er nur konnte, mich im Weinen er selbst weinend getröstet.
Nun erhob sich der Erzbischof, und indem er die Worte, wie es erforderlich war, abänderte, bestätigte er den Satz des Legaten mit den Worten: "In der Tat, ehrwürdiger Herr, allmächtig der Vater, allmächtig der Sohn, allmächtig der Heilige Geist, und wer damit nicht übereinstimmt, ist offensichtlich ein Abweichler und nicht anzuhören. Doch vielleicht dürfte es sich empfehlen, dass dieser unser Bruder seinen Glauben vor allen bekenne, damit er, wie es jeweils erforderlich ist, gebilligt oder missbilligt und verbessert werde." Als ich mich zum Bekenntnis und zur Darlegung meines Glaubens erhob, um das, was ich dachte, in eigenen Worten auszudrücken, da riefen meine Gegner mir zu, ich brauche nur das Athanasianische Glaubensbekenntnis herzusagen, was jedes Kind ebenso gut hätte tun können. Und damit ich nicht etwa Unkenntnis als Entschuldigung vorschützen könnte, als wisse ich den Wortlaut nicht auswendig, ließ man mir den geschriebenen Text zum Vorlesen herbeitragen. Unter Seufzern, Schluchzern und Tränen las ich, so gut ich konnte. Hierauf wurde ich wie ein überführter Verbrecher dem Abt von Saint-Médard, der auf dem Konzil anwesend war, übergeben und in dessen Kloster wie in mein Gefängnis abgeführt. Das Konzil selbst wurde sogleich aufgelöst.
Der Abt indessen und seine Mönche, die glaubten, dass ich nun weiterhin bei ihnen bleiben werde, nahmen mich mit höchster Freude auf; obwohl sie mich mit aller Liebe behandelten, bemühten sie sich vergeblich, mich zu trösten. 0 Gott, der du gerecht richtest! Mit wie viel Galle in meinem Herzen, wie viel Bitterkeit in meinem Sinn beschuldigte ich Wahnsinniger dich selbst, klagte ich Rasender dich an, indem ich unablässig jenen Seufzer des heiligen Antonius wiederholte: "Guter Jesus, wo warst du?" Wie viel Schmerz in mir tobte, wie viel Schamröte mich überströmte, wie viel Verzweiflung mich erschütterte: fühlen konnte ich es damals, darstellen kann ich es nicht. Was ich jetzt zu leiden hatte, verglich ich mit all dem, was mir an meinem Körper widerfahren war, und ich erachtete mich für den elendesten aller Menschen. Im Vergleich mit diesem Unrecht hielt ich jenen Verrat für geringfügig, und ich beklagte weniger den Schaden meines Leibes als den Verlust meines Ruhmes, da ich zu jenem mit einer gewissen Schuld gekommen war, doch in diese so augenscheinliche Vergewaltigung mich lautere Absicht und Liebe zu unserem Glauben lockten, die mich zum Schreiben gedrängt hatten.
Zu wem auch die Kunde von diesem grausamen und unüberlegten Verfahren gegen mich gelangte, alle rügten es lebhaft; einzelne, die teilgenommen hatten, wiesen die Schuld von sich und schoben sie auf andere; sogar meine Feinde leugneten, dass es auf ihren Rat geschehen sei, und der Legat bedauerte vor allen überschwänglich die Missgunst der Franzosen. Er sah sich bald aus Reue veranlasst, nach einigen Tagen, da er, für den Augenblick gezwungen, ihren Neid befriedigt hatte, mich aus dem fremden Kloster führen und in mein eigenes zurückschicken zu lassen, wo ich fast alle schon von früher her, wie oben erwähnt, zu Feinden hatte, da die Verkommenheit ihres Lebenswandels und ihr unverschämter Umgangston bei mir tiefen Verdacht erregten, so dass sie mich, wenn ich sie rügte, nur schwer ertrugen. Es vergingen nur wenige Monate, da bot das Schicksal ihnen eine geschickte Gelegenheit, mich zu verderben. Eines Tages begegnete mir nämlich beim Lesen zufällig ein Satz in Bedas Auslegung der Apostelgeschichte, in dem er behauptete, dass Dionysius Areopagita nicht Bischof von Athen, sondern von Korinth gewesen sei. Dies schien denen sehr befremdlich, die in dem Schutzpatron ihres Klosters eben jenen Dionysius Areopagita verehren, dessen Lebensgeschichte angibt, dass er Bischof von Athen gewesen sei. Als ich das herausgefunden hatte, zeigte ich einigen der umherstehenden Brüder halb im Scherz jenes Zeugnis des Beda, das gegen uns sprach. Sie aber erklärten höchst entrüstet den Beda für einen ganz verlogenen Schreiberling und beriefen sich auf ihren Abt Hilduin als auf einen zuverlässigeren Zeugen, der, um dies zu erforschen, Griechenland lange durchstreift und, da die Wahrheit der Sache anerkannt war, in einer Lebensgeschichte jenes Mannes, die er niederschrieb, diesen Zweifel vollkommen behoben habe. Einer der Umstehenden drang mit der misslichen Frage in mich, wem ich in diesem Streite recht gebe, dem Beda oder dem Hilduin. Ich antwortete, das Zeugnis des Beda, dessen Schriften in der ganzen abendländischen Kirche in Ansehen stünden, scheine mir gewichtiger zu sein.
Der Graf selbst war mir nicht ganz unbekannt; auch hatte er an meinen Demütigungen, von denen er hörte, sehr mitgelitten. Ich hielt mich zunächst bei dem Schloss Provins auf, in einer Klause der Mönche von Troyes, deren Prior mir bereits vorher befreundet gewesen war und mich liebgewonnen hatte. Dieser war über meine Ankunft sehr erfreut und sorgte für mich auf die liebenswürdigste Weise. Eines Tags geschah dies: Es kam mein Abt in geschäftlichen Angelegenheiten zum Grafen auf das Schloss. Als ich dies erfuhr, ging ich mit dem Prior ebenfalls zum Grafen und bat ihn, er möchte sich bei meinem Abt für mich verwenden, dass er mich losspreche und mir die Erlaubnis gebe, als Mönch zu leben, wo ich einen passenden Ort fände. Der Abt und seine Begleiter zogen die Sache in Erwägung und wollten dem Grafen noch am gleichen Tage antworten, bevor sie heimkehrten. Als sie nun ihre Erwägung anstellten, bildeten sie sich ein, ich wolle in ein anderes Kloster eintreten, was eine unermessliche Schande für sie gewesen wäre. Denn als ein gewaltiges Ruhmesblatt rechneten sie sich an, dass ich mich gerade in ihr Kloster zurückgezogen hatte, als ob deswegen alle übrigen Klöster verachtet wären, und jetzt, sagten sie, drohe ihnen gewaltige Schmach, wenn ich sie verschmähte und zu anderen überliefe. Deshalb hörten sie weder mich noch den Grafen in dieser Sache an, sondern drohten mir gleich, mich zu exkommunizieren, falls ich nicht unverzüglich zurückkehre. Dem Prior aber, bei dem ich eine Zuflucht gefunden hatte, untersagten sie aufs strengste, mich weiterhin bei sich zu behalten, falls er nicht ebenfalls der Exkommunikation verfallen wolle. Als wir das hörten, waren wir - der Prior ebenso wie ich - sehr beunruhigt. Da starb mein Abt, wenige Tage, nachdem er mit solchem Starrsinn zurückgekehrt war.
Als sein Nachfolger eingesetzt war, ging ich mit dem Bischof von Meaux zu ihm, er möchte mir gewähren, was ich schon von seinem Vorgänger erbeten habe. Als auch er zuerst nicht recht auf die Sache eingehen wollte, gewann ich durch Vermittlung einiger Freunde den König und seinen Rat dafür und erreichte so, was ich wollte. Der damalige Seneschall des Königs, Stephanus, nahm den Abt und dessen Vertraute beiseite und fragte sie, warum sie mich gegen meinen Willen zurückhalten wollten; sie könnten dadurch leicht in einen Skandal geraten und hätten jedenfalls wenig Nutzen davon, da meine Lebensweise und die ihrige nun einmal nicht zusammenpasse. Ich wusste aber, dass im königlichen Rat die Meinung dahin ging, dass, je weniger regelgetreu jenes Kloster sei, es um so mehr dem König ergeben sei und nützlich für weltliche Gewinne. Darum glaubte ich auch, die Zustimmung des Königs und seiner Räte erlangen zu können. Und wirklich, es gelang mir. Damit aber unser Kloster den Ruhm, den es an mir hatte, nicht verlöre, gestanden sie mir zu, in eine einsame Gegend überzusiedeln, wohin ich wollte, wenn ich mich nur keinem Kloster unterordnete. Dies wurde in Gegenwart des Königs und seiner Räte von beiden Seiten gutgeheißen und bekräftigt. So begab ich mich in eine einsame Gegend im Gebiet von Troyes, die mir von früher bekannt war. Dort wurde mir von einigen Leuten ein Stück Land zur Verfügung gestellt, und mit Genehmigung des Bischofs erbaute ich dort nur aus Binsen und Stroh eine Kapelle im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. In dieser Einsamkeit mit einem befreundeten Kleriker lebend, konnte ich allen Ernstes dem Herrn das Lied singen: "Siehe, ich habe mich ferne weggemacht und bin in der Wüste geblieben." (Ps. 55, 8.)
Als das meine Schüler erfuhren, begannen sie von allen Seiten zusammenzulaufen und, nachdem sie ihre Städte und Burgen verlassen hatten, die Einsamkeit zu bevölkern, statt geräumiger Häuser sich enge Hütten zu bauen, statt raffinierter Speisen wilde Kräuter und Schwarzbrot zu genießen, statt weicher Betten sich ein Lager aus Binsen und Stroh herzurichten, statt der Tische Rasenbänke aufzustellen. Man hätte wirklich glauben können, sie wollten die alten Philosophen nachahmen, über die Hieronymus im zweiten Buch seiner Schrift Gegen Jovinianus mit folgenden Worten berichtet: "Durch unsere fünf Sinne dringen die Laster wie durch eine Art Fenster ins Herz ein. Die Hauptstadt und Festung der Vernunft kann nicht eingenommen werden, wenn das feindliche Heer nicht durch die Tore eindringt. Wenn jemand seine Lust hat an Zirkusspielen, an Ringkämpfen, an Gauklergeschick, an der Figur der Frauen, am Glanz von Edelsteinen, Kleidern und dergleichen Dingen, dessen Seele hat ihre Freiheit durch die Fenster der Augen verloren, und es erfüllt sich das Wort des Propheten: "Der Tod ist hereingekommen durch unsere Fenster." Wenn nun die Anfechtungen dieser Welt wie ein feindlicher Keil durch solche Tore in die Burg unsres Herzens eingedrungen sind - wo wird dann unsre Freiheit bleiben, wo unsere Tapferkeit, wo der Gedanke an Gott? Zumal das einmal geweckte Herz auch die vergangenen Freuden sich ausmalt, mit der Erinnerung an einstige Leidenschaften die Seele nötigt, mitzuleiden und gewissermaßen etwas, was sie nicht mehr verwirklichen kann, noch einmal durchzumachen. Von solchen Gründen geleitet, haben viele Philosophen die volksbelebten Städte und die städtischen Lustgärten verlassen, wo das bewässerte Land, das Laub der Bäume, das Zwitschern der Vögel, die kristallklare Quelle, der murmelnde Bach und viele andere Verlockungen auf Augen und Ohren wirken, damit durch Üppigkeit und Überfluss an Gütern die Kraft ihrer Seele nicht erschlaffe und ihre Keuschheit nicht befleckt werde. Und in der Tat: unnütz ist es, häufig zu sehen, was dich berücken könnte, und dich der Versuchung all dessen auszusetzen, was du nachher nur schwer entbehren kannst. Auch die Schüler des Pythagoras wichen dem Treiben der Welt aus und wohnten in der Einsamkeit und in der Wüste. Selbst Plato, der ja reich war und welchem Diogenes einmal sein Ruhebett mit schmutzigen Schuhen bearbeitete, selbst er wählte die Akademie, um für die Philosophie frei sein zu können, einen Ort, fern von der Stadt, nicht bloß abgelegen, sondern auch ungesund: durch die beständige Besorgnis vor Krankheiten sollten die Anfechtungen der Begierde erstickt werden, und seine Schüler sollten keinen anderen Genuss empfinden als an den Dingen, die sie lernten." Eine ähnliche Lebensweise sollen auch die Jünger des Propheten Elisa geführt haben (Kön. 6,1f). Hieronymus stellt sie als die Mönche jener Zeit dar und schreibt über sie dem Mönche Rusticus unter anderem folgendes: "Die Prophetenschüler, von denen wir im Alten Testament wie von Mönchen lesen, bauten sich an den Fluten des Jordan kleine Hütten, verließen Menschenansammlungen und Städte und lebten von Graupen und Kräutern des Feldes."
In dieser Weise bauten sich auch meine Schüler ihre Hütten am Ufer des Flusses Ardusson, und man sah in ihnen eher Einsiedler als Studenten. Je größer aber der Zustrom von Schülern wurde und ein je härteres Leben sie meinem Unterricht zuliebe auf sich nahmen, desto nachhaltiger wirke es sich - so vermuteten meine Neider - für mich ehrenvoll und für sie beschämend aus. Da sie alles, was sie nur konnten, gegen mich getan hatten, kränkte es sie, dass alles mir zum Guten ausschlug (Rom. 8,28), und obwohl ich nach dem Wort des Hieronymus mich fern von Städten, vom Markt, von Streitigkeiten und Aufläufen hielt - dennoch fand mich, wie Quintilian sagt, selbst in der Verborgenheit der Neid. Seufzend und klagend sprachen jene zu sich selbst: "Siehe, die ganze Welt läuft ihm nach (Joh. 12,19); nichts haben wir ausgerichtet mit unseren Verfolgungen, ja, wir haben ihn nur noch berühmter gemacht. Auslöschen wollten wir die Leuchte seines Namens, und wir haben sie nur heller entfacht. In den Städten haben die Schüler alles Notwendige zur Hand, aber, auf alle Genüsse menschlicher Kultur verzichtend, strömen sie hinaus in die unwirtliche Einöde und werden freiwillig arm."
Zu jener Zeit nötigte mich meine unerträgliche Armut, eine regelrechte Schule einzurichten; denn graben mochte ich nicht (Lk. 16,3), und ich schämte mich zu betteln. Anstelle der Handarbeit kehrte ich daher zu jener Kunst zurück, die ich verstand, und sah mich zu einer Vortragstätigkeit genötigt. Gern reichten mir meine Schüler dar, was ich an Nahrung und Kleidung brauchte, sie nahmen mir auch die Bestellung des Feldes und die Ausgaben für Gebäude ab, damit mich keine wirtschaftliche Sorge von der Wissenschaft abhalte. Da unsere Kapelle nur den kleinsten Teil der Anwesenden fassen konnte, so vergrößerten sie sie notgedrungen und bauten sie aus Stein und Holz noch besser aus. Ich hatte die Kapelle einst im Namen der heiligen Dreifaltigkeit gegründet und sie ihr geweiht. Nun aber gab ich ihr den Namen "Paraklet" (Tröster), in dankbarer Erinnerung an diese Wohltat: hier hatte ich, ein schon verzweifelnder Flüchtling, durch die Gnade des göttlichen Trostes zuerst wieder aufatmen dürfen. Viele Leute, die davon hörten, vernahmen es nicht ohne erhebliche Verwunderung, ja einige griffen mich deshalb heftig an: nach altem Herkommen könne man eine Kirche nicht dem Heiligen Geist im besonderen weihen, so wenig als Gott dem Vater allein; sondern nur entweder dem Sohn allein oder der ganzen Dreieinigkeit zusammen. Zu diesem Angriff verleitete sie hauptsächlich der Irrtum, dass sie zwischen den Begriffen "Paraklet" und "Geist Paraklet" keinen Unterschied vermuteten. In Wirklichkeit kann ja der Trinität und jeder einzelnen Person der Trinität mit dem gleichen Recht, wie sie Gott oder Helfer genannt wird, auch der Name Paraklet, d. h. Tröster, beigelegt werden - nach dem Wort des Apostels: "Gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal" (2. Kor. l,3f) - und auch nach dem Wort, das die "Wahrheit" spricht: "Und er soll euch einen ändern Tröster geben." (Joh. 14,16.) - Was hindert denn daran? Da doch jede Kirche im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geweiht wird und keiner von ihnen an dem Besitz ungleichen Anteil hat - warum soll man denn nicht auch einmal ein Gotteshaus Gott dem Vater oder dem Heiligen Geist im besondern zueignen dürfen, so gut wie dem Sohne? Wer wollte sich erlauben, den Namen dessen, dem das Haus gehört, über dem Eingang zu tilgen? Oder wenn der Sohn sich dem Vater zum Opfer darbringt und demgemäß bei der Messe die Gebete an Gott den Vater besonders gerichtet werden und für ihn die Opferung der Hostie geschieht: sollte da nicht der Altar ganz im besonderen ihm zu eigen sein, dem doch Gebet wie Opfer gilt? Ist der Altar nicht mit größerem Rechte dem zuzusprechen, welchem geopfert wird, als dem, der geopfert wird? Oder wollte jemand behaupten, dass dem Kreuz oder Grab des Erlösers, oder dem heiligen Michael, Johannes, Petrus oder sonst einem Heiligen ein Altar zukomme, da sie weder geopfert werden, noch ihnen geopfert wird, noch auch Gebete an sie gerichtet werden? Auch bei den Götzendienern wurden nur denjenigen Wesen Altäre oder Tempel zugeeignet, denen man Opfer und Huldigung darbringen wollte. Aber vielleicht möchte jemand behaupten, man dürfe deshalb nicht Gott dem Vater Kirchen oder Altäre weihen, weil es kein Fest in der Kirche gebe, das zu seiner besonderen Feier eingesetzt wäre. Doch diese Begründung nimmt dies Recht der Trinität selbst, nimmt es aber nicht dem Heiligen Geist, denn der Heilige Geist hat seit seiner Herabkunft auch ein eigenes Fest, nämlich Pfingsten, so gut wie der Sohn seit seiner Herabkunft das Fest seiner Geburt hat. Denn wie einstens der Sohn in die Welt gesandt wurde, so kam der Heilige Geist auf die Jünger und beansprucht dafür sein eigenes Fest. Ja, wenn wir das Zeugnis der Apostel und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes genauer ins Auge fassen: muss es uns nicht natürlicher erscheinen, ihm einen Tempel zu weihen als irgendeiner der ändern göttlichen Personen? Denn keiner der drei Personen schreibt der Apostel ausdrücklich einen geistigen Tempel zu außer dem Heiligen Geist. Denn er spricht nicht von einem Tempel des Vaters oder des Sohnes, wohl aber von einem solchen des Heiligen Geistes, wenn er im ersten Korintherbrief sagt: "Wer dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm" und ferner: "Oder wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr habt von Gott und seid nicht euer selbst." (1. Kor. 6,17-19) Und wer wollte verkennen, dass die Wohltat der heiligen Sakramente, welche in der Kirche wirken, ganz ausdrücklich der Wirkung der göttlichen Gnade, d. h. des Heiligen Geistes zugeschrieben werden? Aus Wasser und aus Geist werden wir ja in der Taufe wiedergeboren, und erst dadurch wird aus uns ein eigentlicher Tempel Gottes erbaut. Und zum vollständigen Ausbau dieses Tempels wird uns in siebenfacher Gnadengabe der Heilige Geist zuteil, und durch sie wird der Tempel Gottes geschmückt und geweiht. Was ist also daran erstaunlich, wenn wir dem einen sichtbaren Tempel weihen, welchem der Apostel einen geistigen zuteilt? Oder welcher Person der Dreieinigkeit könnte man mit größerem Recht eine Kirche zueignen als derjenigen, welcher alle Gnadenwirkungen, die man in der Kirche vermittelt, vor anderen zugeschrieben werden? Dennoch schließe ich daraus nicht, dass ich, wenn ich meine Kapelle zuerst "Paraklet" genannt habe, damit eingestehe, sie nur einer göttlichen Person geweiht zu haben, sondern nur, es aus dem Grund, den ich oben angab, getan zu haben: nämlich zur Erinnerung an den Trost, den ich hier gefunden. Gleichwohl: wenn ich es, wie man glaubt, in jenem Sinn getan hätte, wäre dies nicht gegen die Vernunft, sondern nur für das herkömmliche Verfahren unbekannt gewesen.
In der Bretagne, im Bistum Vannes, lag ein Kloster des hl. Gildas von Rhuys. Dieses war durch den Tod seines Oberhirten verwaist, und die einstimmige Wahl der Mönche rief mich mit Genehmigung des Landesfürsten an diese Stelle und setzte dies auch bei meinem Abt und den Brüdern leicht durch. So trieb mich die Feindschaft der Franken nach dem Westen wie einst den Hieronymus die der Römer nach dem Osten. Denn niemals wäre ich, bei Gott, auf jenen Vorschlag eingegangen, wenn ich nicht gehofft hätte, so den unausgesetzten Demütigungen, die ich zu leiden hatte, einigermaßen auszuweichen. Das Land war mir fremd, die Landessprache mir unbekannt, die schändliche und zuchtlose Lebensweise der dortigen Mönche fast allen sattsam bekannt, die übrige Bevölkerung roh und unkultiviert. Wie einer, der vor dem drohenden Schwert sich erschrocken in den Abgrund stürzt, und, um für den Augenblick den einen Tod hinauszuzögern, in den ändern läuft, so habe ich mich aus einer Gefahr wissentlich in eine andere begeben. Dort, an des Ozeans donnernden Wogen, wo das Ende der Erde mir keine weitere Flucht gewährte, da wiederholte ich oft in meinen Gebeten jenes Wort: "Von den Enden der Erde habe ich zu dir geschrieen, da meine Seele in Ängsten war." (Ps. 77,2 ff) Ich glaube, es ist niemandem verborgen geblieben, mit welchem Kummer jene zuchtlose Herde von Mönchen, deren Leitung ich übernommen hatte, Tag und Nacht mein Herz quälte, wenn ich die Gefahren für Leib und Leben erwog. Es stand mir zweifellos fest, dass ich nicht leben könne, wenn ich sie zu dem kanonischen Leben, dem sie sich doch geweiht hatten, zu zwingen versuchen würde, andererseits war ich zu verdammen, wenn ich in dieser Hinsicht nicht alles tat, was ich konnte. Die Abtei selbst hatte ein in jenem Land unumschränkt mächtiger Tyrann - indem er aus den ungeordneten Verhältnissen des Klosters die Gelegenheit dazu erhielt - sich bereits so lange unterjocht, dass er sich die Nutznießung des gesamten Klostergebietes angeeignet hatte und von den Mönchen schwerere Abgaben eintrieb als selbst von den steuerpflichtigen Juden.
Die Mönche bedrängten mich fortwährend mit ihren täglichen Bedürfnissen, denn sie besaßen nichts gemeinschaftlich, wovon ich ihnen etwas hätte hergeben können, sondern es unterhielt jeder von seinem eigenen alten Geldbeutel sich und seine Konkubine mit Söhnen und Töchtern. Sie freuten sich, dass ich mich darüber bekümmerte, stahlen sogar selbst und trugen herbei, was sie konnten, damit ich in der Verwaltung versagte und so gezwungen wäre, entweder von der Disziplin abzurücken oder mich überhaupt zurückzuziehen. Da aber das ganze Land in seiner Barbarei ebenso gesetz- wie zügellos war, gab es keine Menschen, in deren Beistand ich hätte flüchten können: dem Treiben aller stand ich gleich fremd gegenüber. Draußen waren es der Fürst und seine Gefolgschaft, die mich fortwährend bedrängten, drinnen wurde ich unaufhörlich von den Brüdern angefeindet, so dass das Geschehen selbst beweist, wie jenes Wort des Apostels auf mich besonders zutrifft: "Draußen Streit, drinnen Furcht." (2. Kor. 7,5) Ich betrachtete und betrauerte, ein wie nutzloses und elendes Leben ich führte, wie unfruchtbar ebenso für mich wie für andere ich lebe, und wie viel ich früher bei den Klerikern ausrichtete, und dass ich jetzt, nachdem ich sie wegen der Mönche entlassen hatte, weder an ihnen noch an den Mönchen irgendwelche Früchte erkenne, und wie erfolglos ich in all meinen Vorhaben und Versuchen würde, so dass man mir in allem mit vollem Recht vorwerfen müsste: "Dieser Mensch hob an zu bauen und kann es nicht hinausführen." (Lk. 19,30 [14, 30]) Ich verzweifelte tief, wenn ich bedachte, was ich geflohen, und wenn ich erwog, in was ich mich gestürzt hatte. Meine früheren Missgeschicke achtete ich für nichts, und seufzend musste ich mir oftmals selbst sagen: "Ich leide nur, was ich verdient habe; den Parakleten, das ist den Tröster, habe ich verlassen und mich in die sichere Trostlosigkeit hineingedrängt; Drohungen suchte ich zu meiden und in offenbare Gefahren habe ich mich geflüchtet." Das aber schmerzte mich am meisten, dass ich in der verlassenen Kapelle für eine gottesdienstliche Feier nicht so, wie es sich gehört hätte, sorgen konnte, da die Dürftigkeit jener Gegend kaum für die Bedürfnisse eines Menschen genügte. Allein der wahre Tröster selbst gab mir, dem zutiefst Trostlosen, den echten Trost und sorgte für sein eigenes Haus, wie es sich ziemte.
Es begab sich nämlich, dass der Abt von Saint-Denis jenes Kloster Argenteuil, in welchem Heloïsa, jetzt viel mehr meine Schwester in Christo als meine Gattin, einst den Schleier genommen hatte, mit allen Mitteln unter dem Vorwand, dass es von alters her unter die Gerichtsbarkeit von Saint-Denis gehört habe, an sich brachte und mit Gewalt den ganzen Konvent der Nonnen, deren Äbtissin meine Freundin gewesen war, vertrieb. Während diese sich nun heimatlos in verschiedene Richtungen zerstreuten, erkannte ich, dass der Herr selbst mir hier eine Gelegenheit biete, für mein Oratorium zu sorgen. Ich kehrte nun dorthin zurück und lud Heloïsa mit den wenigen Nonnen aus ihrer Kongregation, die noch an ihr hingen, nach dem Paraklet ein. Als ich sie dorthin geführt hatte, übereignete und schenkte ich ihnen das Oratorium mit allem, was dazugehörte. Und diese Schenkung hat, dank der Zustimmung und Verwendung des Landesbischofs, Papst Innozenz II. ihnen und ihren Nachfolgerinnen durch ein Privilegium für alle Zeiten bestätigt. Sie, die dort anfangs gewiss ein dürftiges Leben fristeten und zeitweilig überhaupt verzweifelten, hat die Rücksicht der göttlichen Barmherzigkeit, der sie fromm dienten, in kurzem getröstet; auch ihnen zeigte er sich als der wahre Paraklet und stimmte die benachbarte Bevölkerung barmherzig und gnädig. Und nach einem Jahr - Gott mag es bezeugen - waren sie an irdischem Besitz reicher, als ich es geworden wäre, wenn ich hundert Jahre dort gelebt hätte. Denn eben weil das weibliche Geschlecht das schwächere ist, um so mitleiderregender weckt seine Hilfsbedürftigkeit das menschliche Mitgefühl, und die Tugend der Frauen ist vor Gott und Menschen um so angenehmer. Gott aber verlieh unserer geliebten Schwester, die den anderen vorstand, in aller Augen so viel Gnade, dass die Bischöfe sie wie eine Tochter, die Äbte wie eine Schwester, die Laien wie eine Mutter liebten, und alles bewunderte gleicherweise ihre Frömmigkeit, Klugheit und in allen Lagen unvergleichliche Sanftmut und Geduld. Je seltener sie sich sehen ließ, um bei geschlossener Tür ungestört dem Gebet und frommer Betrachtung zu leben, um so brennender verlangten Leute, die in der Welt lebten, nach ihrer Gegenwart und den Mahnungen der geistlichen Aussprache.
Solche Männer waren von jeher bei keuschen und ehrbaren Frauen, je höheres Ansehen und Vertrauen sie erlangten, um so weiter diesem Verdacht entrückt. Um diesen Verdacht gänzlich zu beseitigen, habe Origenes, der größte aller christlichen Philosophen, wie die Kirchengeschichte im sechsten Buch erzählt, selbst Hand an sich gelegt, da er sich auch dem theologischen Unterricht von Frauen widmete. Dennoch glaubte ich, dass die göttliche Barmherzigkeit mir gnädiger war als ihm: was jener, wie man meint, allzu übereilt getan und sich damit in ein nicht geringes Verbrechen gestürzt hatte, das tat fremde Schuld an mir, um mich für ein ähnliches Werk freizumachen, und um so geringer war meine Pein, je kürzer und überraschender sie war; wurde ich doch im Schlaf überfallen, so dass ich fast nichts von einer Pein empfand, als man Hand an mich legte. Aber wenn ich damals weniger an meiner Wunde zu ertragen hatte, so leide ich jetzt um so mehr unter der Verleumdung, und der Verlust meines Ruhmes quält mich mehr als der Schaden an meinem Körper. Denn so steht geschrieben: "Ein guter Name ist besser als große Schätze." (Spr. 22,1) - und der heilige Augustinus sagt in einer Predigt "Über Leben und Sitten der Geistlichen": "Wer im Vertrauen auf sein Gewissen seinen Ruf vernachlässigt, der ist grausam." Und weiter oben: "Wir wollen nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen gute Maßregeln vorsehen. Unseretwegen genügt unser Gewissen; aber euretwegen darf unser guter Name nicht befleckt werden, sondern muss fleckenlos bleiben. Gewissen und Ruf sind zweierlei: das Gewissen ist für dich, der Ruf für deinen Nächsten."
Was aber würde der Neid dieser Leute selbst Christus oder seinen Gliedern, den Propheten und Aposteln oder sonst den heiligen Vätern vorwerfen, wenn er in jener Zeit aufgelebt wäre? Besonders wenn sie gesehen hätten, wie diese Männer bei unversehrtem Körper gerade mit Frauen im vertrautesten Umgang verbunden waren. Auch der heilige Augustinus zeigt in seinem Buch Vom Werk der Mönche, wie eben die Frauen als unzertrennliche Begleiterinnen unserem Herrn Jesus Christus und den Aposteln so anhingen, dass sie mit ihnen sogar zur Predigt auftraten. "Zu dem Zweck nämlich", sagte er, "gingen auch gläubige Frauen, die irdisches Hab und Gut besaßen, mit ihnen und gaben ihnen von ihrem Hab und Gut, damit sie nichts von dem entbehrten, was zum Hab und Gut dieses Lebens gehört. Wer es etwa nicht glaubt, die Apostel hätten geschehen lassen, dass mit ihnen Frauen von heiligem Lebenswandel umherwanderten, wo immer sie das Evangelium predigten, der soll das Evangelium hören und erkennen, wie sie dies nach dem Beispiel des Herrn selbst taten. Es steht nämlich im Evangelium zu lesen: "Und es begab sich danach, dass er reiste durch die Städte und Märkte und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes und die Zwölfe mit ihm. Dazu etliche Weiber, die er gesund hatte gemacht von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren, und Johanna, das Weib Chusas, des Pflegers Herodis, und Susanna und viel andere, die ihnen Handreichung taten von ihrer Habe." (Lk. 8,1-3). Auch Leo IX. erwidert auf den Brief des Parmenianus Über das Klosterleben: "Wir erklären, dass kein Bischof, Presbyter, Diakon oder Subdiakon unter dem Verwände der Religion sich der Fürsorge für seine Ehefrau entziehen darf; und zwar verstehen wir dies so, dass er sie mit Nahrung und Kleidung versorgen, nicht aber leiblich mit ihr verkehren soll. So haben es auch, wie wir lesen, die heiligen Apostel gehalten, wie denn Paulus sagt: "Haben wir nicht auch Macht, eine Schwester als Weib mit umherzuführen, wie die Brüder des Herrn und Kephas (1. Kor. 9,5)? Sieh doch, du Tor, dass er nicht gesagt hat: Haben wir nicht auch Macht, eine Schwester als Eheweib zu umarmen? Vielmehr heißt es, "sie mit herumzuführen" Sie sollten also diese Frauen von dem Ertrag ihrer Predigt unterhalten, ohne dass auch ein leibliches Eheband zwischen ihnen sei."
Jener Pharisäer, welcher von dem Herrn im stillen sagte: "Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und welch ein Weib das ist, die ihn anrührt, denn sie ist eine Sünderin" (Lk. 7,39) - dieser Pharisäer konnte nach menschlichem Urteil jedenfalls über den Herrn den noch viel eher naheliegenden Verdacht auf ein unsittliches Verhalten fassen, als meine Gegner mir gegenüber. Oder wer die Mutter des Herrn sah, die dem Jüngling anvertraut war (Joh. 19,27), und die Propheten, die so vielfach bei Witwen zu Gaste waren und mit ihnen verkehrten (1. Kön. 17,10), könnte ja einen noch viel eher einleuchtenden Argwohn schöpfen. Ja, was hätten meine Neider erst gesagt, wenn sie jenen gefangenen Mönch Malchus, von dem der heilige Hieronymus erzählt, mit seinem Weib unter einem Dach hätten leben sehen? Was für einem Verbrechen würden sie das zuschreiben, was jener hervorragende Lehrer, als er es gesehen hatte, nachdrücklich empfahl. Er sagt: "Es war da ein hochbetagter Mann namens Malchus, in der dortigen Gegend selbst geboren. Eine alte Frau teilte mit ihm seine Wohnung. Beide waren voll religiösen Eifers und wichen nicht von der Schwelle der Kirche; man hätte sie für Zacharias und Elisabeth im Evangelium halten können (Lk. 1,5ff), nur dass ein Johannes fehlte." Warum, frage ich, halten sie sich nicht von der Verleumdung der heiligen Väter zurück, von denen wir so häufig lesen oder auch geradezu vor uns sehen, dass sie Frauenklöster einrichten und ihnen dienen - nach dem Beispiel jener sieben ersten Diakonen (Apg. 6), welche die Apostel an ihrer Statt für die Mahlzeiten und die Versorgung der Frauen einsetzten. Das schwächere Geschlecht ist auf die Hilfe des stärkeren angewiesen. Darum verordnet auch der Apostel, dass der Mann stets des Weibes Haupt sein solle (1. Kor. 11,3); und des zum Zeichen sollen die Frauen ihr Haupt verhüllt tragen (1. Kor. 11,4 ff).
Darum bin ich auch nicht wenig erstaunt, dass in den Klöstern folgende Bräuche längst eingewurzelt sind, sofern man jetzt Äbtissinnen über die Nonnen setzt, wie man für die Mönche Äbte hat, und dass beide, Nonnen wie Mönche, sich auf das Bekenntnis zu ein und derselben Regel verpflichten, während diese doch manches enthält, was von Frauen niemals eingehalten werden kann, von den Vorgesetzten so wenig wie von den Untergebenen. An den meisten Orten beobachten wir sogar, dass das natürliche Verhältnis sich umgekehrt hat und Äbtissinnen und Nonnen über die Kleriker herrschen, von denen das Volk abhängig ist. Je unumschränkter es ihnen gelingt, den Männern zu gebieten, um so leichter können sie sie zu schlimmen Gelüsten verlocken und sie unter einem drückenden Joch halten. Darum sagt auch ein satirischer Dichter, der es betrachtet: "Unerträglicher nichts als eine mächtige Frau."
Da ich dies oft bei mir durchdachte, hatte ich mir schließlich vorgenommen, für die Schwestern im Paraklet nach Möglichkeit zu sorgen und mich ihrer anzunehmen; auch, je tiefer sie mich verehrten, auf diese Weise ihren Bedürfnissen mehr nachzukommen. Gerade damals entmutigte mich die Verfolgung meiner eigenen Söhne häufiger und heftiger als in früheren Zeiten die meiner Brüder; und so flüchtete ich mich aus der Drangsal dieses Sturmes zu den Schwestern wie in einen stillen Hafen, um dort ein wenig Atem zu schöpfen, da ich an den Mönchen überhaupt keinen, an ihnen zumindest einigen Ertrag erzielte. Und je notwendiger dies für ihre Schwachheit war, desto segensreicher sollte es für mich selbst werden. Aber der Satan hat mich damals gehindert, einen Ort zu finden, wo ich ausruhen oder auch nur leben könnte; der Fluch des Kain lastete auf mir: unstet und flüchtig umherzuirren von Ort zu Ort (l. Mose4,14.). Ich bin der Mann, den - wie ich schon sagte - "draussen Streit, drinnen Furcht" unablässig quälen, ja, vielmehr beides zugleich innen und aussen. Streit und Furcht. Und die Verfolgung meiner Söhne wütete viel gefährlicher und viel häufiger gegen mich als die meiner Feinde. Denn sie habe ich immer leibhaftig um mich, und ihre Anschläge ertrage ich ständig. Die Gewalttätigkeit meiner Feinde - eine Gefahr für Leib und Leben - sehe ich schon, wenn ich aus meinem Kloster heraustrete; im Kloster aber ertrage ich unablässig die so gewalttätigen wie heimtückischen Angriffe meiner Söhne, d. h. der Mönche, die mir als Abt, d. h. Vater, anvertraut sind. 0 wie oft suchten sie mich durch Gift zu beseitigen, wie man es dem heiligen Benedikt bereitet hat. Derselbe Grund, aus dem jener seine verworfenen Söhne verließ, könnte auch mich offenbar dazu treiben, nach dem Beispiel eines solchen Vaters mich nicht der sicheren Gefahr auszusetzen und mich nicht eher als leichtsinniger Versucher Gottes denn als ein Liebender, ja sogar als Selbstmörder zu zeigen.
Da ich vor derartigen täglichen Nachstellungen ihrerseits während der Bedienung mit Speise und Trank, so weit ich konnte, auf der Hut war, so suchten sie mich sogar während des Hochamts am Altar zu vergiften, indem sie mir Gift in den Kelch mischten. Als ich eines Tages nach Nantes ging, um den Grafen in seiner Krankheit zu besuchen und bei einem meiner leiblichen Brüder zu Gaste war, so versuchten sie, mich durch einen Diener aus meinem eigenen Gefolge vergiften zu lassen, da sie offenbar meinten, vor einem solchen Anschlag sei ich weniger auf der Hut. Durch göttliche Fügung aber geschah es, dass ich von der Speise, die man mir vorsetzte, nichts anrührte, während ein Klosterbruder, den ich mitgenommen hatte, aus Unkenntnis davon aß und auf der Stelle tot niederfiel, worauf jener Diener, der dies gewagt hatte, durch sein Gewissen und durch den Tatsachenbeweis erschreckt, die Flucht ergriff. Da sich die Ruchlosigkeit meiner Mönche allen offenbarte, begann ich von jetzt an ganz offen, ihre Fallen zu vermeiden, so gut ich konnte: ich entfernte mich aus der Abtei und hielt mich mit wenigen Getreuen in kleinen Zellen auf. Hatten jene erfahren, dass ich irgendwohin gehen müsse, so stellten sie mit barem Geld gedungene Mörder auf Wege und Stege, um mich zu töten. Während ich in solchen Gefahren schwebte, traf mich auch noch die Hand des Herrn schwer: als ich eines Tages zufällig vom Pferd stürzte, brach sie mir einen Halswirbel, und dieser Bruch beugte und schwächte mich weit mehr als meine einstige Verletzung.
Von Zeit zu Zeit versuchte ich die unbändige Zuchtlosigkeit der Mönche durch die Exkommunikation zu zügeln, und einige von ihnen, die ich am meisten zu fürchten hatte, brachte ich dazu, dass sie mir durch einen feierlichen Eid vor Zeugen versprachen, die Abtei für immer zu räumen und mich in keiner Weise mehr zu beunruhigen. Allein sie brachen ganz offen und in frechster Weise Wort und Eidschwur, und erst als Papst Innozenz deswegen einen besonderen Legaten mit einer Vollmacht entsandte, brachte man sie dazu, dass sie in Gegenwart des Grafen und der Bischöfe dasselbe noch einmal schworen und vieles andere. Aber trotz alledem gaben sie noch immer keine Ruhe. Erst vor kurzem noch, als diese Menschen, die ich erwähnte, vertrieben waren und ich in die Klostergemeinschaft zurückkehrte, um mich den Brüdern anzuvertrauen, die ich weniger verdächtigte, fand ich die Zurückgebliebenen noch schlimmer vor als die anderen. Sie gingen mir allerdings nicht mit Gift, sondern mit dem Schwert an die Gurgel, und ich bin ihnen nur unter dem Schutz eines adligen Herrn mit Mühe und Not entronnen. Und selbst jetzt noch schwebt diese Gefahr über mir, und Tag für Tag sehe ich das Schwert über meinem Nacken hängen, so dass ich kaum bei den Mahlzeiten aufatme, wie man über jenen Mann lesen kann, der die Macht und die zusammengerafften Schätze des Tyrannen Dionysius für das höchste Glück hielt und durch den Anblick eines Schwertes, das an einem Faden verborgen über ihm hing, darüber belehrt wurde, was für ein Glück irdischer Macht auf dem Fuße folgt. Dies erfahre ich auch jetzt noch unablässig an mir selbst, der ich, vom armen Mönch zum Abt befördert, um so unglücklicher wurde, je reicher ich war, damit auch durch mein Beispiel der Ehrgeiz derer, die aus eigenem Antrieb danach streben, gezügelt werde.
Gelieber Bruder in Christo und aus lange währendem Umgang vertrauter Freund! Was ich dir bis hierher geschrieben habe von der Geschichte meiner Niederlagen, mit denen ich von der Wiege an ohne Aufhören zu kämpfen habe, möge genügen für deine Trostlosigkeit und das dir angetane Unrecht. Wie ich gleich im Anfang meines Briefes vorausschickte, solltest du urteilen, dass deine Bedrängnis im Vergleich zu der meinen überhaupt nichts oder doch erträglich sei. Je geringer du sie einschätzt, desto geduldiger magst du sie tragen und dir immer jenes Wort zum Trost vorhalten, das Christus seinen Gliedern von den Gliedern des Satans vorausgesagt hat: "Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen (Joh. 15,20). So die Welt euch hasst, so wisset, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb (Joh. 15,18f)." An einer ändern Stelle sagt der Apostel: "Alle, die gottselig leben wollen in Christo, werden Verfolgung leiden." (2. Tim. 3,12) Und ferner: "Gedenke ich Menschen zu gefallen? wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht. " (Gal. 1,10) Und der Psalmist sagt: "Die den Menschen gefallen, sind zu Schanden geworden, weil Gott sie verworfen hat." Weil er dies aufmerksam beachtet, schreibt auch der heilige Hieronymus, als dessen Erben in den Verleumdungen der Ehrabschneider ich mich in besonderem Maße betrachte, in seinem Brief an Nepotianus: "Der Apostel schreibt: wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht - er hat aufgehört, den Menschen zu gefallen und ist ein Knecht Christi geworden." Derselbe Kirchenlehrer schreibt an Asella in der Schrift über falsche Freunde: "Ich danke meinem Gott, dass ich würdig bin, von der Welt gehasst zu werden." Und an den Mönch Heliodorus: "Du irrst, mein Bruder, du irrst, wenn du glaubst, dass ein Christ jemals der Verfolgung entgehen werde. Unser Widersacher schleicht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, und du glaubst an Frieden? Der Feind lauert im Hinterhalt mit den Mächtigen dieser Welt."
Durch diese Zeugnisse und Beispiele ermutigt, wollen wir dies alles um so unbesorgter ertragen, je unverdienter es uns zustößt. Wenn schon nicht zum Verdienst, so trägt es uns doch zu einer gewissen Läuterung bei: daran wollen wir nicht zweifeln. Und weil doch alles nach Gottes Fügung sich vollzieht, so kann sich jeder Gläubige in aller Not wenigstens damit trösten, dass Gottes Güte nichts ungeordnet geschehen lässt und dass er selbst alles, was sich verkehrt, zum besten Ende führt. Darum ist es gut, in allen Lagen zu sprechen: "Dein Wille geschehe." Welch kräftiger Trost für die, die Gott lieben, entstammt dem Zeugnis des Apostels: "Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen." (Röm. 8,28) Dies bemerkte auch der Weiseste der Weisen, wenn er im Buch der Sprüche sagt: "Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen, was ihm auch widerfahre." (Spr. 12,21) Damit zeigt er deutlich, dass diejenigen von der Gerechtigkeit abweichen, die sich wegen irgendeiner Prüfung dagegen empören, was - woran sie nicht zweifeln können - durch Gottes Fügung an ihnen geschieht. Solche Menschen unterwerfen sich ihrem eigenen statt Gottes Willen; ihnen tönt wohl das Wort im Munde: "Dein Wille geschehe", aber die verborgenen Wünsche widerstreiten ihm, da sie ihren eigenen Willen über den Willen Gottes setzen.
Lebe wohl!