Fulko, Prior von Deuil
© Dr. Werner Robl, 2000
Alles, was wir von Fulko von Deuil wissen, entnehmen wir einem
Brief dieses Mannes, den er an Abaelard einige Zeit nach seiner Kastration - vermutlich im Jahre 1118 - gesendet hatte. Dieser Brief ist in Mignes Patrologia Latina unvollständig, d.h. teilzensiert, jedoch bei Cousin unzensiert abgedruckt.
Fulko war Leiter des Priorates von Deuil, welches dem Heiligen Eugen geweiht war und ca. 4 km nördlich von Saint-Denis lag. Dorthin hatte sich Abaelard nach seiner Kastration geflüchtet. Die Konvente waren somit unmittelbar benachbart. Das Priorat Deuil gehörte zum altehrwürdigen Kloster Saint-Florent bei Saumur an der Loire. >Siehe
Meinert, H., Ramackers, J., Papsturkunden in Frankreich, neue Folge,
Band 5: Touraine, Anjou, Maine et Bretagne, Göttingen 1956, Seite 131,
249, 314.
Das Obituarium von Deuil berichtete:
VII
kal. Hic obiit frater Fulco, sacrista de Sancto Floriencio veteri, qui
fuit prior deintus, qui dedit conventui vincam de Dugniaco pro
anniversario faciendo.
Am
26. starb hier Fulko, ehemaliger Sakristan von Saint-Florent..., der
hier Prior war und dem Konvent für seine jährliche Gedenkfeier einen
Weinberg bei D. schenkte...
Aus Molinier, A., Obituaires de la Province de Sens, Tome I, diocèses de Sens et de Paris, Paris, 1902, Seite 415.
Fulko war also Sakristan des Kloster
Saint-Florent-le-Vieil gewesen, eines bereits im 4. Jahrhundert in der Merowingerzeit gegründeten Konvents an der
Loire, unmittelbar an der Grenze zur
Bretagne gelegen. Dieser Konvent war einst von einem aus Bayern zugewanderten heiligen Mann namens
Florentius am Berg
Glomna errichtet worden. Von dort aus erfolgte die spätere Gründung von
Saumur, beziehungsweise des dort gelegenen, gleichnamigen Klosters
Saint-Florent. Später - nach Zerstörung durch den bretonischen König
Nominoë - verlor der ältere Konvent an Bedeutung, dagegen blühte die Neugründung bei
Saumur auf. Im 11. und 12. Jahrhundert war
Saint-Florent-le-Vieil ebenso wie
Deuil bei
Paris nur noch Priorat von
Saint-Florent bei
Saumur.
Fulko trug einen im Anjou weit verbreiteten Namen und war deshalb vermutlich gebürtiger Angeviner. Seine Heimat lag damit nicht weit von der
Fulberts entfernt, von dem wir aufgrund unserer Recherchen annehmen, dass er ebenfalls aus dem
Anjou stammte (siehe
Robl, W., Heloïsas Herkunft: Hersindis Mater, München 2001).
Fulko hatte jedoch auch als ehemaliger Sakristan in
Saint-Florent-le-Vieil nur einige Kilometer von
Abaelards Geburtsort -
Le Pallet - entfernt gelebt. Diese Landsmannschaft mag die spätere Bekanntschaft zu beiden Männern in
Paris mitbegründet haben.
Fulko starb an einem 26. Oktober in seinem Priorat. Das Todesjahr ist unbekannt.
Abaelard selbst berichtete von Fulko in seiner Lebensbeichte nichts. Der an Abaelard gerichtete Brief Fulkos wird gemeinhin als Trostbrief an einen Freund bezeichnet, ist jedoch aufgrund seines Charakters so ambivalent, dass man an Fulkos
Freundschaft zu Abaelard zweifeln kann. Dies liegt vielleicht auch
daran, dass ihm die Beziehungen zum ebenfalls aus der Heimat stammenden
Fulbert, der von Abaelard so schmählich betrogen worden war,
wichtiger waren. Trotz der stilistischen und inhaltlichen Schwächen
enthält der Brief Einzelheiten zu Abaelards Lebenswandel und
Verstümmelung, so dass er ein unschätzbares Zeitzeugnis darstellt. Beim
kritischen Durchlesen fiel Folgendes auf:
- Das Schreiben ist in Anlehnung an antike Vorbilder, z.B. Seneca, als Trostschreiben - epistola consolatoria
- verfasst, enthält diesbezüglich jedoch weniges, was Abaelard wirklich
in seinem Kummer hätte trösten können. Vergleiche mit Kirchenvätern
werden gezogen, Keuschheit und Demut als religiöses Ideal vorgestellt -
und dies alles mit einem für unsere Verhältnisse sehr steifen,
unpersönlichen Unterton.
- Allerdings enthält das Schreiben auch eine Eloge auf Abaelards Leistungen als Lehrer und Philosoph, und wir erfahren, dass zu Abaelard nach seinem kometenhaften Aufstieg wirklich Schüler aus allen europäischen Ländern geströmt waren. Die Leute aus der Bretagne, dem Anjou und Poitou
werden neben den Engländern zuvorderst genannt - was auf Fulkos
Heimatbezug hindeutet. Eine Länderangabe wurde von einigen modernen
Kommentatoren (Podlech, Clanchy) mir Slawe oder Schwede falsch übersetzt: Der Begriff Suevius beschrieb einen deutschen Schwaben!
- Umso sarkastischer, vorwurfsvoller und hämischer wirken die Auslassungen Fulkos über Abaelards Lebenswandel: Mit Huren sei er unzüchtig verkehrt! Dies ist die einzige Stelle, die Abaelard außerehelichen Verkehr mit mehreren Damen unterstellt! Heloïsa
wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Über die Glaubwürdigkeit dieser
Angaben kann nur gemutmaßt werden. Unterstrichen wird der Vorwurf der
Promiskuität durch weitere Angaben: Die Damen von Paris würden Abaelards Verstümmelung fassungslos betrauern. Auch Heloïsa hat Abaelard an anderer Stelle (Epistel 2) als Frauenschwarm beschrieben. Andererseits wusste Fulko
alles nur aus zweiter Hand zu berichten - auf Grund von Gerüchten, wie
er mehrfach zugibt. Engen und gar freundschaftlichen Kontakt zu Abaelard kann er deshalb nicht gehabt haben. Geradezu beleidigend sind seine Worte: Die
Güte Gottes... hat deinen aufgeblasenen Verstand und deinen hochmütigen
Blick durch diese Art von Strafe ein für alle Mal gebändigt.
- Interessant sind auch Andeutungen über Abaelards Geldmangel. Nach seiner Kastration sei er bettelarm gewesen. Angaben der Historia Calamitatum unterstreichen diese Behauptungen: Einerseits hatte Abaelard
nach seiner Krankheit keine Vorlesungsgelder mehr erhalten,
andererseits musste er sein Erspartes für die heimliche und überstürzte
Reise in die Bretagne, für das Ziehgeld für Astralabius, für die Bezahlung seiner Krankheitskosten und Unterkunft, für die Einkleidung Heloïsas in Argenteuil, eventuell auch für Schweigegelder für Fulbert und seine Verwandtschaft vollkommen verbraucht haben. Davon konnte Fulko vor allem durch Fulbert selbst ins Licht gesetzt worden sein. Auf jeden Fall ist Abaelard ohne eigene Mittel - nur in Lumpen -, eventuell aber durch Hilfe aus der Politik - Stephan von Garlande? - in Saint-Denis
eingetreten. Möglicherweise haben ihn dort dieser Vorgang und das
fehlende Einbringen von Benefizien, die bei einem Klostereintritt
üblich waren, von vorne herein unbeliebt gemacht.
- Es folgen sehr genaue und auch von Abaelard in der Historia Calamitatum
bestätigte Angaben zum Hergang des Verbrechens. Wir erfahren, dass zwei
der Täter gefasst, geblendet und ebenfalls kastriert worden waren.
Außerdem hören wir indirekt von Abaelards Wut und Enttäuschung über den Pariser Bischof, der den vermuteten Drahtzieher des Verbrechens, Fulbert, nur verhältnismäßig milde bestraft hatte. Fulko unterstellt Abaelard
Rachsucht aber auch deshalb, weil er durch die kastrationsbedingten
Veränderungen seines Körpers für jeden erkennbar gebrandmarkt sei.
- Es
folgt eine detaillierte Beschreibung der körperlichen Veränderungen
nach einer Kastration. Diese Stelle zeigt auf, dass wegen des
eingetretenen Überschusses an weiblichen Hormonen der Kastrat optisch
sich verändert, seine Gesicht erschlafft und sich runzelt, die
geschlechtstypische Behaarung ausfällt, die Miene verweichlicht. All
dies beschreibt das Kastratengesicht recht genau.
- Fulko versucht schließlich mit allen psychologischen Mitteln, Abaelard von einer Petition beim Heiligen Stuhl abzuhalten. Man kann vermuten, dass Fulko dabei wiederum eher die Partei des Bischofs oder Fulberts vertrat. Vielleicht trat er auch als Vermittler auf Bitten von Abaelards Konvent auf, welcher sich eine Auseinandersetzung mit dem Bischof und dem orthodoxen Klerus von Paris nicht leisten wollte. Genaues weiß man nicht. Besonders geringschätzig und verachtend äußert sich der Prior von Deuil über die Bestechlichkeit des Heiligen Stuhles. Diese Stelle war von J.P. Migne aus Pietätsgründen in seiner Veröffentlichung eliminiert worden. Fulko warnt Abaelard vor dem offensichtlich geplanten Appell an den als erpresserisch-räuberisch geschilderten Papst eindringlichst. Hier wird auch Abaelards
Wesenszug, beckmesserisch sein Recht mit aller Macht durchsetzen zu
wollen, deutlich. Am Ende seines Lebens, nach dem Konzil von Sens, wird er sich ähnlich verhalten. So leicht, wie es Abaelard
Jahre später in seiner Leidensgeschichte behauptete, hatte er sich auf
jeden Fall zunächst doch nicht mit seiner Verstümmelung abfinden
können! Wenn er in der Historia Calamitatum schreibt: Wie gerecht war der Verrat dessen, den ich zuerst verraten hatte, wenn er mir nun Gleiches mit Gleichem vergalt..., so stellt sich die Frage: Hat Abaelard nur geheuchelt, hat er nach Fulkos
Schreiben wirklich seine Gesinnung geändert, oder ist dies erst Jahre
später nach Sublimierung seines körperlichen und seelischen Gebrechens
erfolgt? Näheres ist nicht bekannt. Tatsache ist jedoch, dass er seinen
geplante Reise nach Rom nicht wie geplant antrat.
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