Ein spätbarockes Juwel der Stadt Berching:

Die Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt"


Ein Beitrag aus der Reihe: Perlen der Berchinger Stadtgeschichte


© Dr. Werner Robl, Berching 2012, Update 2024:

Pedettis sensationelle Pentagramm-Geometrie
Baaders sensationelles Deckengemälde

 

 

Die Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" in Berching, von Dr.-Grabmann-Platz aus gesehen.

 

Kurzer Abriss der Geschichte der Stadtpfarrkirche, vom Hochmittelalter bis zur Neuzeit

Die Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" liegt im südöstlichen der vier Stadtviertel, die durch die beiden sich kreuzenden Hauptstraßenzüge der Innenstadt entstehen, beim Dr.-Grabmann-Platz. Hier, im ältesten Teil der Bischofstadt rechts der Sulz, stand im Frühmittelalter eine vom Templer-Orden errichtete, bereits damals der Gottesmutter, der Zentralheiligen dieses Ritterordens, geweihte Kapelle, die 1422 als "Liebfrauenkapelle" erstmalig urkundlich erwähnt wird. [Link]

Im Jahr 1488 erfuhr dieser Bau im Rahmen der Befestigung Berchings eine Erweiterung und es entstand eine frühgotische Chorturm-Kirche, die sich aber als Nebenkirche von St. Lorenz noch immer "capella" nannte.

Damals hatten der Eichstätter Fürstbischof Wilhelm von Reichenau (1426-1496) und sein Hofbaumeister Ludwig von Eyb (1450-1521), Ritter vom Heiligen Grab in Jerusalem, bereits erahnt, was dann im Jahr 1504 schreckliche Wirklichkeit wurde:

Am 22./23. Mai diesen Jahres brannten brandenburgisch-ansbachische Truppen im Rahmen des Landshuter Erbfolgekriegs die Berchinger Vorstadt komplett nieder, konnten aber glücklicherweise die westliche Bischofsstadt dank der verstärkten Reichenau-Mauer nicht einnehmen. Wir haben diesem bis dato in Berching unbekanntem Ereignis eine eigene Facharbeit gewidmet. [Link]

Bei der Feuerbrunst fielen nicht nur alle Häuser, Städel und Scheunen der Vorstadt zum Opfer, sondern es nahm auch die alte Kirche St. Lorenz Schaden, die bis dahin nicht nur der Vorstadt, sondern auch der Weststadt Berching als Pfarrzentrum gedient hatte. [Link]

Angesichts dieser Brandkatastrophe beschloss der Innere Rat der Stadt Berching, aus Sicherheitsgründen das Zentrum der Pfarrgemeinde hinter die dicken und hohen Mauern der Weststadt zu verlegen und vom Eichstätter Bischof die dortige Kirche "Mariä Himmelfahrt" ausbauen und zur künftigen Stadtpfarrkirche erheben zu lassen. St. Lorenz sollte dagegen künftig als reine Passions- und Trauerkirche an das Inferno von 1504 erinnern und gleichzeitig dem Berchinger Friedhof, der nicht verlegt werden konnte,  als geistiges Zentrum dienen.

Bis es soweit war, sollten allerdings mehr als 10 Jahre ins Land ziehen, denn der Wiederaufbau der komplett eingeäscherten Vorstadt ging in der Dringlichkeit dem Kirchenbau voran. Doch um 1515 wurde dann die bis dato eher unbedeutende Marienkirche in der Weststadt baulich um zwei Seitenkapellen erweitert und mit einer zusätzlichen Prädikantenstelle massiv aufgewertet. Im Jahr 1519 erfolgte dann die Weihe von drei Altären in der Liebfrauenkirche, die damit zur Stadtpfarrkirche erhoben war. Mauernumwehrt war sie jedenfalls sicherer als die vormalige Stadtpfarrkirche St. Lorenz. Dies alles fand kurz vor dem reformatorischen Sturm und dem relativen Niedergang des Katholizismus in Deutschland statt.

Kurz nach der Reformation, genau im Jahr 1525, wurde Berching ein Brennpunkt eines bislang falsch als "Bauernkrieg" titulierten Volksaufstandes, der in Wahrheit auch Teile der Handwerkerschaft, ja selbst der Geistlichkeit betraf. Die Stadt wurde vom sogenannten "Mässinger Bauernhaufen", mehrere tausend Freischärler aus allen Ständen, belagert. Die Stadt überstand diesen Ansturm dank ihrer hohen Stadtmauer und mutigen Bürgerwehr ohne Verluste. Die in die Stadt zu Verhandlungen gekommenen Anführer des Aufstandes wurden ergriffen; sie erhielten auf der Stadtmauerkrone eine öffentliche Tracht Prügel und wurden anschließend durch eine kleine Schlagtür aus Berching wieder hinausgestoßen. Bei solcher Schmach zog der wilde Haufen nach Süden ab und plündete stattdessen das wehrlose Kloster Plankstetten. Wenig später war der Aufstand bereits niedergeschlagen: Die Freischärler wurden von Pfalzgraf Friedrich von Neumarkt und seinen Truppen verfolgt und ergriffen, viele wurden verhaftet und hingerichtet, der Rest zu schweren Strafzahlungen und Frondiensten verurteilt. Am Ende war jeglicher Widerstand gegen die Obrigkeit gebrochen.
 

Gemälde im Rittersaal des Schlosses Hirschberg, von Johann Michael Franz, aus den Jahren 1765/66, nach einem Entwurf von Maurizio Pedetti von 1762. Die Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" steht hinter hohen Mauern, während die vorherige Stadtpfarrkirche St. Lorenz und die Vorstadt nur von ungleich niedrigeren Vorstadtmauern umgegeben blieb, wobei - im Gegensatz zu Darstellung des Gemäldes - die Sulzseite völlig offen stand.

Die Verlegung des Pfarrsitzes in die Stadt rechts der Sulz war also gerade noch rechtzeitig erfolgt, die Errichtung der Stadtmauer mit ihren 12 Türmen ebenso. Sie hatte Hofbaumeister Ludwig von Eyb, der Bruder des künftigen Bischofs Gabriel von Eyb (1455-1535), schon vor 1486 erbaut und mit Wallbüchsen und kleinen Kanonen ausgestattet.

Hundertzwanzig Jahre später, im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), kam Berching nicht mehr ungeschoren davon. Die Stadt wurde 1633/34 von den Schweden unter dem Obristen Claus Dietrich von Sperreuth (1600-1653) besetzt, zum Hauptquartier erklärt und dabei total ausgeplündert. Es brach eine Hungersnot und wenig später auch die Pest aus, so dass Hunderte von Einwohnern den Tod fanden. Im Jahr 1640 fanden weitere Besetzungen statt. So berichten es alte Chroniken und das Sterbebuch der Stadt Berching. Die Kunde, dass im Dreißigjährigen Krieg die gesamte Vorstadt abbrannte, ist dagegen eine von Ludwig Gernhardt u. a. gestreute Falschmeldung; wie oben erklärt, kann sich diese Episode nur auf den Landshuter Erbfolgekrieg 1504 bezogen haben, denn die schwedischen Truppen von 1634 hatten ihrerseits kein Interesse an der baulichen Zerstörung einer Stadt, deren Häuser sie als Standquartier benötigten. Sie hielten sich vielmehr an den Dörfern der Umgebung schadlos, die sie zum größten Teil in Schutt und Asche legten, nachdem sie sie ausgeplündert und ihre Bewohner, wenn sie ihrer habhaft wurden, ermordet hatten.

Nach 3 Jahrzehnten Not war dann 1648 mit dem Westfälischen Frieden endlich dieser schlimme Glaubenskrieg vorbei. Erste Baumaßnahmen an der Stadtpfarrkirche nach den Kriegswirren, zwischen 1661 und 1663, beschränkten sich auf Reparaturen.

In den Jahren 1684 und 1685 erfolgte dann wie bei St. Lorenz ein Umbau durch den Baumeister Johann Baptist Camesino (1642-1724), nach den Plänen des Graubündener Baumeisters Jakob Engel (1632-1714). Die Kirche erhielt am Ostende des Schiffs zwei rechteckige Kapellenanbauten mit halbrunden Conchen im Inneren, außerdem wurde in den Turm ein neuer Chor eingebrochen und ein neues Portal errichtet.

Diese Kirche wies bereits 1742 derartige Schäden auf, dass die Berchinger Bürgerschaft in Eichstätt um einen völligen Neubau bat. In den Folgejahren wurden Gutachten erstellt, in deren Zusammenhang wir illustre Namen der fürstbischöflichen Baukunst in Eichstätt finden: Es liegen Gutachten vor vom fürstbischöflich-eichstättischen Baudirektor Gabriel de Gabrieli (1671-1747) aus Roveredo in Graubünden, von seinem Interims-Nachfolger, Bauinspektor Matthias Seybold (1696-1765), desgleichen vom Ingolstädter Stadtmaurermeister Michael Anton Prunnthaler (1684-1750). Alle plädierten für einen Neubau, brachten ihn jedoch nicht zur Ausführung. Gottseidank - möchte man heute sagen.

Im März 1750 wandte sich die Berchinger Bürgerschaft abermals an den Fürstbischof Johann Anton II. Freiherr von Freyberg-Hopferau (1674-1757), der sich nun höchstpersönlich nach Berching begab, um sich von der Baufälligkeit der Stadtpfarrkirche zu überzeugen.

 

Maurizio Pedetti, als Comaske ein Meister seines Fachs

Es war dem neuen eichstättischen Baudirektor Maurizio Pedetti (1719-1799) vorbehalten, im bischöflichen Auftrag das Werk anzupacken.

Maurizio Pedetti war am 13. Oktober 1719 in dem kleinen Ort Casasco d'Intelvi, hoch über dem Westufer des Comer Sees, als Sohn des Marmorsteinmetz Francesco Giuliano Pedetti und der Giovanna Caterina, geb. Retti, geboren worden. Pedettis Großvater mütterlicherseits war der Architekt Lorenzo Retti, von dem er meisterlich das Bauzeichnen lernte. Im Jahr 1722 zog die Familie Pedetti nach Mannheim um, wo lukrative Aufträge winkten. Die praktische Baukunst erlernte Maurizio Pedetti jedoch nicht in Mannheim, sondern in Ludwigsburg, wo er 1731 zusammen mit seinem Vetter Donato Giuseppe Frisoni am Bau des neuen Schlosses mitwirkte. Danach war er ab 1735 als Zeichner des Hofbauamtes Ansbach an der Planung und dem Bau des dortigen Markgrafenschlosses und der Gumbertus-Kirche beteiligt. Nach Intermezzi in München (1738), Speyer (1741), Bruchsal (1742) und einer Italienreise (1739-1741), bei der sich Pedetti bei Giovanni Baptista Nolli (1701-1756) weiterbildete, nahm er ab 1743 als Soldat am Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) teil. Zwei Jahre später begab sich Maurizio Pedetti an den Hof König Christians VI. von Dänemark und schließlich an den Hof des Fürsten Radziwill in Polen.

Nach dieser erweiterten Ausbildungsphase, die ihn durch viele Fürstenhöfe Europas geführt hatte, bewarb sich Pedetti am 12. April 1750 erfolgreich um die ausgeschriebene Stelle des Hofbaudirektors und Hofkammerrats in Eichstätt. Er bekam den Zuschlag und hatte dann diese hohen Posten unter 4 Fürstbischöfen inne, bis zu seinem Tod am 14. März 1799.
 

Grabsäule und Grabinschrift Maurizio Pedettis im Eichstätter Ostenfriedhof.

Bekannt geworden ist Maurizio Pedetti vor allem durch seine wenigen Großbauten, z. B. als Erbauer des Schlosses Hirschberg und des Eichstätter Residenzplatzes, der heute als einer der schönsten spätbarocken Stadtplätze in Deutschland gilt. Da jedoch im Bistum Eichstätt schon unter den Baumeistern Jakob Engel (1632-1714) und Gabriel de Gabrieli (1671-1747) die schlimmsten Schäden des Dreißigjährigen Krieges behoben und zahlreiche Sakralbauten im Barockstil neu errichtet worden waren, tragen Pedettis Handschrift weniger komplette Neubauten als vielmehr unzählige Umbauten, Erweiterungs- und Verschönerungsmaßnahmen. Die Berchinger Stadtpfarrkirche gehört exemplarisch dazu.

Am 8. März 1751 legte Pedetti seine Risse und Vorschläge zur Berchinger Kirche dem Konsistorium in Eichstätt vor, im Jahr darauf heiratete er Maria Anna Walburga Hortis aus Herrieden, mit der er 3 Kinder zeugte, wobei jedoch nur eine Tochter längerfristig überlebte.
 

"Durchschnidt der neu herzustellen sejenden Pfarrkirchen zu Berching, dieselbige gegen den Chor zu sehen ist." Federzeichnung von Maurizio Pedetti, von 1751.

 

Sensation Nr. 1: Maurizio Pedetti plante nach dem Pentagramm-Prinzip!

Pedetti suchte bei der Erweiterung der Stadtpfarrkirche in Berching für ein schwieriges architektonisches Problem eine elegante Lösung: Die Vorgänger-Kirche war insgesamt für die Einwohner Berchings viel zu klein geworden, konnte jedoch weder komplett abgerissen noch in der Länge ausreichend erweitert werden. Auf der anderen Seite gefährdete der Zwang zur Vergrößerung nicht nur die Statik, sondern auch die innere Harmonie des neuen Kirchenraumes. Pedettis Pläne sahen eine Erhöhung und Gliederung des Langhauses durch jonisierende Doppelpilaster sowie den seitlichen Anbau von zwei geräumigeren Kapellen vor. Zusätzlich musste der Hochaltar aus dem dunklen Chor ins Schiff vorgerückt und aus statischen Gründen zwei Freipfeiler zur Abgrenzung des Altarraumes eingestellt werden. Das ergab wiederum ein Platzproblem für die Seitenaltäre, die bei normaler Platzierung hinter den Säulen dem Blick des Kirchenvolkes entzogen gewesen wären. Pedetti entwarf deshalb diese Altäre ungewöhnlich flach ausgeführt und stellte sie entgegen allen Konventionen vor die neu errichteten, um des freien Blickes willen relativ filigran ausgeführten Freisäulen.
 

Die folgenden Aufnahmen wurden im Winter 2023/2024 angefertigt. Leider zeigen die Wände und der Stuck der Kirche noch immer die Spuren jener Zerstörung, die ein paar Halbstarke vor einigen Jahren durch das wahllose Versprühen von Feuerlöscher-Schaum angerichtet haben. Die komplette Innenrenovierung der Kirche lässt leider noch immer auf sich warten!

Alles in allem handelte es sich jedoch um ein riskantes Unterfangen, denn wenn dieser neue Kirchenraum nicht eine vollendete Harmonie seiner Proportionen aufwies, dann drohte er optisch zu einer bauchigen Kugel, zu einem amorphen, nach beiden Seiten zerfließenden Geschachtel von Einzelräumen zu entarten. Deshalb besann sich Pedetti zur Minimierung dieses Risikos auf ein Jahrtausende altes Konstruktionsprinzip, das jedoch zu seiner Zeit schon längst verlassen und vergessen war. Es handelt sich um die Raum-Einteilung nach dem Pentagramm-Prinzip. Diese zuvor nur mündlich weitergegebene Technik war um ca. 1500 von den meisten Baumeistern, Malern und Bildhauern fallen gelassen und anschließend vergessen worden, weil neuere technische Möglichkeiten, die sich aus der Entdeckung der Zentralperspektive (die Pedetti ebenfalls meisterlich beherrschte) und der höheren Trigonometrie ergaben, auch neuere und viel freiere Konstruktionen zuließen.

Doch Pedetti war das neue, von den alten Regeln losgelöste Verfahren viel zu riskant; deshalb griff er auf die alten, schon seit prähistorischen Zeiten verwendeten Planungs-Pentagramme zurück: Diese implizieren in den Grund- und Aufrissen vielfach den Goldenen Schnitt (1:1,618) [Link] und sorgen so für die größtmögliche Harmonie eines Bauwerks!

Der Kunstschmied Peter Klink aus Denkingen hat dieses vergessene, aber sehr wirkmächtige Planungsprinzip am mittelalterlichen Grundriss seiner Heimatstadt Pfullendorf vor wenigen Jahren wiederentdeckt, anschließend an Dutzenden von Stadtgrundrissen, Gebäuden und anderen Werken der bildenden Kunst - von der Antike bis zur Renaissance - verifiziert und schlussendlich das Wissen darüber mit uns geteilt.

Pentagramm-Geometrie. Bitte auf das Bild klicken!

Wer die komplizierte Methodik näher kennenlernen und vor allem inhaltlich verstehen will, muss sich allerdings sehr intensiv damit beschäftigen, sonst kommt es zu vielen Fehlschlüssen. Dies mussten wir bei den vielen Nachfragen zum Thema immer wieder feststellen. Wir haben deshalb zusammen mit Peter Klink ein Vorstellungs-Konzept mit diversen Beispielen via Internet veröffentlicht: "Pentagramme verändern die Welt - eine online-Dokumentation von Peter Klink und Werner Robl".

Dabei konnten wir selbst in kulturhistorischen Untersuchungen an exemplariusch ausgewählten Objekten nachweisen, dass die Pentagramm-Geometrie als Konstruktionsprinzip schon seit ca. 10000 v. Chr. im mesopotamischen Raum entdeckt und anschließend als Geheimwissen nie schriftlich publiziert, sondern immer nur mündlich von einer Meister-Generation zur nächsten weitergegeben wurde. So aber ist sie erstaunlicherweise sogar kontinent-übergreifend wirksam geworden, d. h. in fast allen Kulturen der Menschheit nachzuweisen.

 

Dass nun Maurizio Pedetti im Jahr 1751 die neue Berchinger Stadtpfarrkirche ausgerechnet unter Verwendung von Planungs-Pentagrammen perfekt entwarf, belegt folgende Einzeichnung in seinem Aufriss der Kirche:
 

Die Hilfspentagramme des Maurizio Pedetti.

Zur Erklärung:

Das große zentrale Innen-Pentagramm spannt das Kirchenschiff und das Dach darüber bis zur Firstspitze auf. In den beiden linken Pentagramm-Spitzen und in der oberen Spitze sind drei Unter-Pentagramme aufgespannt. Hinzu kommt noch ein viertes Hilfspentagramm ganz links außen. An den Spitzen und den Schnittpunkten der Pentagramme entstehen Konstruktionspunkte = blaue Punkte. Von diesem Konstruktionspunkten aus definieren sich fast alle vertikalen und horizontalen Fluchten des Kirchenbaus; sie bestimmen somit die Lage von allen wichtigen architektonischen Elementen der neuen Berchinger Stadtpfarrkirche!

Man vergleiche hierzu folgendes Bild, in welches ein Teil diese Baulinien in violetter Farbe eingezeichnet ist. Besonders signifikant sind in diesem Zusammenhang jene Konstruktionspunkte, die als Zirkelpunkte für die Rundung der Tonnengewölbe dienten. Solch wichtige Zirkelpunkte sind ohne eine zugrundeliegende Pentagramm-Konstruktion nicht denkbar!

Da die Planungs-Pentagramme in ihrem Winkeln und Strecken vielfach den Goldenen Schnitt wiedergeben, entstand nach diesen Plänen ein Gebäude von perfekter Harmonie und Proportionalität!
 

Einzeichnung einiger Baufluchten in Magenta. Man beachte, dass vor allem die Konturen des Krüppel-Walmdachs der beiden neuen Seitenkapellen perfekt den Pentagramm-Linien folgen!

Wir staunen ob dieser Technik und fragen uns zurecht:

Woher hatte Pedetti sein profundes Wissen über die Pentagramm-Geometrie (mit der nicht-christlichen Primzahl 5), die zwar trotz ihres heidnischen Ursprungs bis zum Ende des Spätmittelalters ihren Platz in der christliche Kunst und Architektur gefunden hatte, aber schon ca. zweieinhalb Jahrhunderte vor Pedetti ganz fallen gelassen und inzwischen als unpubliziertes Geheimwissen von den allermeisten Kunstsschaffenden vergessen worden war?

Wir wissen es nicht genau, nehmen aber an, dass Maurizio Pedetti dieses Wissen durch seinen Vater Francesco und seinen Onkel Retti vermittelt erhielt. Diese stammten als waschechte "Comasken" aus einer Baumeister- und Steinmetz-Tradition, welche ihr Können und Wissen aus uralten Überlieferungen speiste und eben nicht zum Vergessen neigte. Schon im 11. und 12. Jahrhundert hatten comaskische Baumeister im Dunstkreis der Regensburger Pabonen für wunderbare romanische Kunstwerke gesorgt. [Link]

Ob diese raffinierte Planung bei Maurizio Pedetti ein Einzelfall blieb oder nicht, müssen wir aber offen lassen, da uns aktuell keine weiteren Konstruktionszeichnungen für eine profundere Analyse zur Verfügung stehen. Hieraus ergibt sich ein dringendes Desiderat an die Wissenschaft: Bitte forschen - nach dem Motto: "Wer da suchet, der findet ..." (Mt 7,9)!

 

Der Höhepunkt von Pedettis Kirchenbaukunst

Bei soviel Überlegung und Wissen um die Geheimnisse der Architektur konnte nichts schief gehen. Maurizio Pedetti setzte noch ein paar kleinere Änderungswünsche des Fürstbischofs um, dann zeichnete er am 28. August 1753 den endgültigen Plan der neuen Berchinger Stadtpfarrkirche. Als zusätzliche Neuerung fand sich jetzt auch ein verbreiteter Westanbau mit Emporen und seitlichen Eingängen, gekrönt von lebensgroßen Figuren der Diözesanheiligen Walburga und Willibald.

Nachdem man ab 1752 in Berching Gelder für den Umbau gesammelt hatte - mit den Pettenkofers als betuchte Weinhändler und Bürgermeister an der Spitze -, begann man am 6. Juni 1755 mit den Arbeiten. Schon ein Jahr später, Mitte August 1756, wurde das Dach aufgerichtet. Am 4. September 1758 teilte Stadtpfarrer Johann Martin Zinsmeister (1723-1775) mit, dass der Bau voraussichtlich in drei Wochen fertig sein werde. Zwei Jahre später wurde das grobschlächtige, aber sehr massive Emporengestühl eingebaut (vgl. weiter unten). Die feierliche Konsekration durch den neuen Fürstbischof Raymund Anton Graf von Strassoldo (1718-1781) fand am 15. Mai 1760 statt. Die weitere Ausstattung der Kirche zog sich noch bis ca. 1785 hin.

Am Ende war ein Meisterwerk entstanden - außen ein relativ schlichter, durch flache Pilaster und Lisenen gegliederter Bau, wobei sich an den frühgotischen Turm, dessen Obergeschoß mit Klangarkaden noch aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammte, nach Westen das rechteckige Langhaus anschloss, dessen Grundbestand zwar in die Zeit vor 1500 zurückreichte, das aber nun entsprechend dem Bedarf erheblich erweitert worden war. Neu waren vor allem die durch Pedetti hinzugefügten Seitenkapellen, die durch ihre Größe die Wirkung eines zentralen Querschiffes erreichten. Der westliche Anbau wiederum belebte durch abgeschrägte Ecken und die beiden Hauptportale das Architekturbild. In zwei Nischen über den Portalen befinden sich seitdem die bemalten Statuen der Bistumspatrone.

So schlicht das Äußere auch wirkt: Umso prunkvoller ist der Innenraum der Kirche, mit seinen perfekten Proportionen und seinen diversen Kunstwerken, nicht nur aus der Zeit des späten Barock und des Rokoko, sondern vereinzelt auch aus der Zeit der Gotik, wozu wir im Folgenden kommen.

Der Besucher, der heute das Kircheninnere betritt, kann sich des intensiven Eindrucks perfekter Harmonie nicht entziehen. Ihm wird schlagartig klar, was damals vor dem Neubau keineswegs von vorn herein feststand: Das Platzproblem war von Maurizio Pedetti nicht nur elegant gelöst worden, sondern es war ein zwar unkonventioneller, aber äußerst wohl proportionierter und gefälliger Kirchenraum entstanden, dessen eigentliches Geheimnis in der verpönten und vergessenen Pentagramm-Konstruktion lag.

Diese Raumgestalt erhebt die Berchinger Stadtpfarrkirche architektonisch weit über alle anderen Kirchen des 18. Jahrhunderts im ehemaligen Hochstift Eichstätt hinaus. Nicht zu Unrecht wird sie deshalb auch als "der schönste Kirchenbau im Oeuvre des Maurizio Pedetti" bezeichnet.
 

Weihnachten 2023: Links partieller Blick in die nördliche Seitenkapelle.

 

Sensation Nr. 2: Der künstlerische und biografische Gehalt im Deckenfesko des Eichstätter Hofmalers Johann Michael Baader

Unser Interesse gilt nun dem zentralen Deckengemälde der Kirche. Im großen "Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern V, Regensburg und die Oberpfalz, 2008" ist es mit einem einzigen Halbsatz abgetan: "Im großen Deckenspiegel des Schiffs Marienkrönung und Huldigung der vier Erdteile, sign. und dat., etc.". Und im offiziellen Kirchenführer der Pfarrei, gedruckt bei der Druckerei Fuchs in Pollanten, steht lapidar: "... das große Fresko von Johann Michael Baader aus dem Jahr 1758. Es zeigt die zu dieser Zeit bekannten vier Erdteile, die Maria huldigen."

Das war es, und damit hatte es sich also.

Soviel sei vorweg verraten: Die Detailanalyse dieser monumentalen Malerei hat eine ganze Reihe von überraschenden Befunden erbracht, welche z. T. künstlerischer Art sind, z. T. aber auch Rückschlüsse auf den ausführenden Künstler, auf sein Leben und sein privates und berufliches Umfeld zulassen, sodass dieses Werk ab sofort in die oberste Kategorie vergleichbarer Kunstwerke des Rokoko zu heben ist!

Dies gilt umso mehr, als der geradezu sensationelle Befund in seiner Tagweite weder in Berching noch bei den Kunsthistorikern im Allgemeinen erkannt, geschweige denn entsprechend gewürdigt zu sein scheint. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass dieses Deckengemälde trotz seines Wertes durch Kerzenruß und die besagte Feuerlöscher-Attacke inzwischen sehr vergraut und dennoch nicht sachgerecht restauriert ist.

So haben wir uns zur eigenen Analyse entschlossen, die wir im Folgenden vorstellen. Dabei konnten wir dem Manko der Vergrauung insofern abhelfen, als wir im Rahmen der Nachbearbeitung alle Farben der Fotografien wenigstens elektronisch auffrischen konnten - in unterschiedlichen Nuancen.
 

Das zentrale Deckenfresko des Eichstätter Hofmalers Johann Michael Baader, aus dem Jahr 1758.

Doch zuvor zum Künstler, dem Berching dieses Fresko zu verdanken hat. Man beachte die dazugehörenden [Referenzen]!


Baaders Biografie Teil 1:

Johann Michael Baader (1729-1792) wurde am 18. Mai 1729 als Sohn des "Strimpfstrickhers" und Eichstätter Bürgers Johann Caspar Bader und seiner Ehefrau Maria Monica in Eichstätt geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Johann Michael war das zweite von insgesamt 5 Kindern dieses Paares, wobei die drei letzten kein hohes Alter erreichten (Schwester Maria Elisabeth † 19. Oktober 1732 im Alter von 2 Jahren, Bruder Franz Caspar *1. Januar 1732, verschollen, Bruder Franz Anton * 5. Mai 1733 † 10. Mai 1760). Von väterlicher Seite hatte Johann Michael Baader schwarzwäldisches Blut in den Adern, denn sein Großvater Johann Peter Baader stammte aus Grafenhausen im Landkreis Waldshut. Seine Mutter war dagegen in Eichstätt gebürtig, ihre Eltern waren das Bäcker-Ehepaar Joachim und Elisabeth Hingerling. Baaders Mutter verstarb früh, am 10. Dezember 1733, im Alter von nur 28 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war ihr zweitgeborener Sohn Johann Michael gerade viereinhalb Jahre alt. Ab dem 18. Februar 1740 wohnte der Witwer Bader mit seinem 11-jährigen Sohn und dessen älterer Schwester Maria Monica (* 3. Mai 1727 † 14. Juli 1809) in einem Anwesen in der Eichstätter Schlaggasse 1, auf dem die Gerechtsame eines Weißgerbers (samt Zubehör) lag.

Das vermutete Bader-Anwesen in der Schlaggasse 1 in Eichstätt. Weißgerber brauchten zum Auswaschen der Lohe Fließwasser, das einst möglicherweise im Bereich des Anwesens oberirdisch, heute aber unterirdisch vom Marktbrunnen her zur Altmühl verläuft.

Ab dieser Zeit wird die 13-jährige Schwester Monica bereits den Haushalt geführt haben, während Johann Michael vermutlich noch 4 Jahre seinem Vater bei der durchaus anstrengenen Weißgerberei helfen musste (falls sein Vater dieses Gewerbe zusätzlich zur Strumpfstrickerei ausübte), ehe er selbst ab ca. 1744 "bey einem diesseitigen beriembten Mahler" zur Lehre ging. Der Vater Bader wird sich am 29. Oktober 1752 mit der Tagelöhner-Tochter Maria Heigl ein zweites Mal verheiraten. Dies geschah jedoch erst, als seine beiden Kinder aus erster Ehe den Haushalt bereits verlassen hatten.

Johann Michael Baader schrieb sich, wie wir aufgrund von Schriftzeugnissen wissen, im Gegensatz zu seinen Eltern immer mit zwei "a" im Familiennamen - vermutlich, um sich von Gewerbe "Bader" mit einem "a" zu unterscheiden. Nach einigen Lehrjahren in Eichstätt begab er sich als 20-jähriger junger Mann im Jahr 1749 auf eine mehrjährige Walz durch Italien. Die "nothige Reiss- und andere Cösten" gewährte ihm Fürstbischof Johann Anton II. Freiherr von Freyberg-Hopferau (1674-1757) unter der Bedingung, dass Baader diese nach "vollstreckhten Wanderjahren" durch seine Kunst "anwiderumben ... verabdinen" sollte. Baader war also bereits zu diesem Zeitpunkt als großes Mal-Talent erkannt, sonst hätte ihm der Bischof diese Gunst erst gar nicht gewährt.

In Italien bildete sich der junge Künstler im Lauf der nächsten 5 Jahre unter dem Einfluss zeitgenössischer römischer Malerei zu einem versierten Historienmaler fort, mit dem Schwerpunkt christlicher Bildinhalte. Dies geschah vornehmlich "bey dem renomirten Mahler Cavaliere Chonga 5 Jahr hindurch in Fresco= und Historic Picturen mit volkomener Approbation". Gemeint ist hier der Maler und Lehrer Sebastiano Conca (1680-1764). Wenn diese Angaben stimmen, dann bildete sich Baader jedoch nicht nur in Rom bei Conca fort, sondern auch in Neapel, wohin Conca im Jahr 1751 umgezogen war.

Papst Benedikt XIV., Ölgemälde um 1745, Condé-Museum.

Sicher ist, dass sich Baader zuvor "in den Römischen Mahlerey Academien in der Delinierung" fortgebildet hatte und im Heiligen Jahr 1750 "von Ihro Pöbstl. Heylligkeit mit zweyen Praemien" ausgezeichnet wurde. Die Kunsthistorikerin Christina Grimminger schrieb hierzu: "Tatsächlich hat sich im Archiv der Accademia di San Luca in Rom eine Handzeichnung Baaders erhalten, mit der er an dem im Jahre 1750 veranstalteten Concorso Clementino [nur alle 3 Jahre stattfindend] teilgenommen und den ersten Preis gewonnen hat. Die Preisverleihung durch Papst Benedikt XIV. [persönlich] dürfte einer der Höhepunkte in Baaders Leben gewesen sein."

In diesem Heiligen Jahr weilte der Opernkomponist Christoph Willibald Gluck (1714-1787), der wie Johann Michael Baader im Bistum Eichstätt geboren und getauft worden war, über mehrere Monate untätig in Rom. Warum dies geschah, erfährt man am besten durch unsere Arbeiten zu Gluck: [Link] [Link] Es ist zwar bis dato quellenmäßig nicht zu fassen, aber dennoch gut möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass sich beide Künstler, der 21-jährige Johann Michael Baader und der 36-jährige Christoph Willibald Gluck, als vormalige "Eichstätter", in der deutschen Künstler-Kolonie in Rom (um Johann Joachim Winckelmann u. a.) zum ersten Mal persönlich kennenlernten!

Nach seiner Rückkehr ins "Vatterlandt" resp. nach Eichstätt, die "nach solcher erlangten Wissenschaften" spätestens im Jahr 1755 stattfand, trat Johann Michael Baader vertragsgemäß zur Abarbeitung seines "Stipendiums" in die Dienste seines Herrn. Am 10. Februar des Folgejahres 1756 heiratete Baaders Schwester Maria Monica in der Pfarrei St. Walburg den Hofbinder - "vietor aulicus" - Emmanuel Schleiß, 10 Tage später trat Johann Michael Baader von der römischen Kongregation in die Bürgerliche Marianische Kongregation Mariä Verkündigung in Eichstätt über. In diesem Jahr malte Baader für den Nonnenkonvent St. Walburg ein erstes Ölgemälde der heiligen Klostergründerin Walburga.

Der Stich ist auf dieser Google-Reproduktion nicht ganz ausgeklappt. Unten liest man (von uns vergrößert): "JMBaader Pictor Aulius Pinxit et Delineavit 1757 - Hofmaler JMBaader hat diesen Entwurf farbig skizziert 1757."

Am 2. Februar 1757 suchte Baader schriftlich beim betagten Eichstätter Fürstbischof Johann Anton II. von Freyberg-Hopferau um den Titel eines "Hoff- und Cabinets Mahlers" nach. Das Gesuch wurde seitens des Bischofs bewilligt; Baader erhielt obendrein auf dessen Weisung hin erste Aufträge der hofmarschallamtlichen Direktion.

Nicht ganz ein Vierteljahr später segnete Baaders Gönner auf dem Bischofsthron von Eichstätt das Zeitliche: Baader entwarf daraufhin für den toten Fürstbischof, dem er seine Ausbildung zu verdanken hatte, den Aufbau für desssen "Leich-Begängnuß". Abgebildet ist hier nicht nur das "Todengerüst", auf dem der tote Bischof aufgebahrt wurde, sondern auch große Teile des geschmückten Kircheninneren, die z. T. erheblich vom heutigen Zustand abweichen. Es handelt sich deshalb um ein für die Kirchenforschung sehr wertvolles Dokument.

Wenig später begann Baader seine Arbeit an den Seitenaltarblättern und Fresken der Kirche Heilig-Kreuz von Schambach (bei Walting). Wir kommen darauf zurück.

 

Wiederum ein Jahr später treffen wir den 29-jährigen Baader unter dem neuen Kirchenfürsten Raymund Anton Graf von Strassoldo (1718-1781) im Schiff der Berchinger Stadtpfarrkirche an - bei der Arbeit an einem Deckenfresko, das sich auf die Patronin der Kirche bezieht und deshalb die Krönung der Gottesmutter Maria sowie die Huldigung der damals bekannten vier Erdteile zum Programm hat.

Es handelt sich sozusagen um das erste große Werk eines der Allgemeinheit nicht weiter bekannten, einheimischen Freskanten, der bislang nur sporadisch als Kirchenmaler und einmalig als Freskant gewirkt hatte.

 


 

Zum weiteren Vergrößern bitte auf das Bild klicken!

Das Deckenfresko ist korrekt nur von der Eingangsseite der Kirche aus zu betrachten. Es teilt sich in zwei Szenerien, von denen die eine irdischer Natur ist und auf einer geschwungenen, himmelwärts gestaffelten Balustrade stattfindet, wie man sie eben in einer Rokokokirche antrifft. Gleichwohl handelt es sich um eine fantasievolle Illusionsmalerei, die in sich zum großen Teil die Huldigung der damals bekannten vier Erdteile an die Gottesmutter birgt, mit einer Reihe an fantasievoll geschmückten Personen und exotischen Tieren und Pflanzen. Daneben findet sich zur Linken eine Menschengruppe, die im Folgenden wegen ihrer Einzigartigkeit unsere besondere Aufmerksamkeit erfährt.

Über einer atmosphärischen Zwischenzone, die in Wolkenbildern das Wetter vom heiteren Tag zur Rechten bis zum drohenden Gewittersturm zur Linken abbildet, öffnet sich eine Himmelszenerie, mit Maria, der Muttergottes, als Zentralfigur. Darüber erhebt sich in höchste Himmelssphären hinein die göttliche Dreifaltigkeit, mit Jesus Christus, Gottvater und dem Heiligen Geist. Dazu erkennt man zur Rechten auch einige biblische und zur Linken einige weltliche Gestalten - und an diversen Stellen sehr viele beflügelte Engel, in unterschiedlichster Größe, Ausführung und Lebendigkeit, vom zornigen Erzengel Michael bis hin zur kleinsten Putte.

Allein letzteres ist schon als erstes Qualitätsmerkmal bemerkenswert, denn viele Kirchenfresken der damaligen Zeit, selbst von großen Meistern, ergehen sich diesbezüglich in relativ starrer Uniformität.

Bei der Entwicklung dieser vor Lebendigkeit und Einfallsreichtum sprühenden Komposition dürfte dem Künstler das Deckenfresko eines berühmten Vorgängers im Fach, nämlich Cosmas Damian Asam (1686-1739) als Vorbild gedient haben, das genau 22 Jahre zuvor in Ingolstadt entstanden war. Es handelt sich um ein 490 Quadratmeter großes Deckengemälde in der Kirche "Maria de Victoria", dem religiösen Versammlungsraum der Marianischen Studentenkongregation der Universität Ingolstadt, das wir nachfolgend abbilden. Wie bei Baader hat auch dieses weltberühmte Deckengemälde Asams die Huldigung der vier Erdteile an die Gottesmutter zum Thema. Dennoch ähneln sich beide Entwürfe nur entfernt.
 

Cosmas Damian Asams berühmtes Deckengemälde in der Ingolstädter Kirche "Maria de Victoria" - zum Vergleich.

Von Asam übernimmt Baader zwar die Huldigung der vier Erdteile und manche ihrer Motive, außerdem gewisse Teile der Himmelsarchitektur; in vielen anderen Motiven und auch in der Ausführung seiner Malerei unterscheidet er sich jedoch erheblich von Asam. Die Pose der Gottesmutter übernahm Baader vermutlich von seinen römischen Lehrer Sebastiano Conca (1680-1764). Man vergleiche in diesem Zusammenhang Concas Zentralfigur in der "Krönung der heiligen Cäcilia".

Trotzdem würde man Johann Michael Baader bitter unrecht tun, wenn man ihn als bloßen "Kopisten" herabqualifizieren würde. Durch seine originellen Ideen bei der Disposition der einzelnen Figuren und seine individuell ausgefeilte Maltechnik erreichte er ein so hohes Maß seiner Kunst, dass man ihm in Bezug auf andere Maler allenfalls das Attribut des "Weiterentwicklers" zuweisen dürfte!

Zum Verständnis dessen, was wir ausgeführt haben, gehen wir nun in die Details:
 

Ausschnitt: Die Huldigung Europas und Amerikas. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

Wir beginnen mit der irdischen Szenerie unten: Die knieende weibliche Person halblinks, mit einem Hermelin-Purpur-Mantel und der Fürstenkrone, ist "Europa", das personifizierte Abendland. Mit der Rechten greift sie zum Herz, als Ausdruck der Liebe und Treue, mit der Linken weist sie nach unten, meint aber wohl die Darstellung des Globus rechts neben ihr, auf dem wir die Konturen des europäischen Kontinents gut erkennen, inklusive des Schwarzen Meeres und der derzeit umkämpften Halbinsel Krim. Demnach geht Europa fast bis zum Ural. Der Blick nach oben gilt vermutlich mehr der Gottesmutter, der sozusagen der Kontinent zu Füßen gelegt wird, als der martialischen Gestalt hinter dem Globus.

Es handelt sich hierbei um den personifizierten Kontinent "Amerika". Pfeil und Bogen, der Schurz aus Pfauenfedern, die Pranken eines Bärenfells auf den Schultern und der Helm aus dem Kopf eines Gabelbocks geben diesem Indianer der besonderen Art ein sehr exotisches Gepränge. Mit der ausgestreckten Rechten grüßt dieser Häuptling die Gottesmutter. Der Eindruck des Herrischen wird noch verstärkt durch den Baldachin, den ein indianischer Pygmäe mit Federnkrone und weiterem Federnschmuck am Arm und an den Lenden über den Krieger "Amerika" hält. Einen ähnlichen Sonnenschirm hatte Asam in seinen Deckenfresko in Ingolstadt dem Erdteil "Afrika" vorbehalten. Die weibliche Person hinter dem Baldachinträger scheint hier zur Gruppe "Amerika" zu gehören. Die Indianerin ist leicht bekleidet, hat sich aber zur Ehre der Mutter Gottes mit Perlenketten geschmückt und trägt eine solche auch in der Hand, wohl als Geschenk für Maria. Auf der linken Hand sitzt ein wunderbar exotisch ausgeführter Papagei in stolzer Pose, mit rot-grünem Federkleid.

An dieser Gruppe gefällt neben der fantasievollen Darstellung ähnlich der Asam'schen Maxime "Alle Menschen und Menschengesichter müssen neben der Individualität der dargestellten Person auch die Individualität des Künstlers ausdrücken!" vor allem die "moderne" Farbgebung der Lendenschürzen der Indianer auf - in "Türkis" und "Rosé": Der Freskant Baader beherrschte das Mischen der Farben offenkundig perfekt, und er wusste bei nassem Auftrag der Farben genau, wie diese hinterher im getrockneten Zustand ausfielen! Dasselbe gilt für den kupferartigen Baldachin, der gerade in seinem Metallglanz sehr naturgetreu wirkt.

Wir übergehen die anderen dargestellten Personen und wenden uns nun den Kontinenten "Afrika" und "Asia" zu, rechts unten im Gemälde:
 

Detail: Die Huldigung Afrikas und Asiens. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

Die Weihrauchfass schwingende Person im Bildmitte ist die personifizierte "Afrika". Wieder imponiert die farbenfrohe Ausführung und die Spezifität von Gestik und Mimik, sowie die in Farbe und Muster elegante Ausführung des Gewandes. Der alte Herr dahinter, mit dem breitkrempigen Turban, dem weißen Rauschebart und dem geblendeten rechten Auge gehört zu dieser Gruppe. Seine helle Ausführung kontrastiert gekommt mit der/dem dunkelhäutigen "Afrika". Mit einer muskelkräftigen Linken weist er auf ein Objekt jenseits des Freskos. Wegen der spezifischen Ausführung dieser Figur und ihrer Hellhäutigkeit sollte es sich um eine ganz bestimmte Person handeln, die wir aber aktuell nicht näher einordnen können (Entdecker? Seefahrer?). Ganz rechts am Bildrand und hinter ihm steht ein Dromedar oder Trampeltier mit keck aufgerichtetem Kopf, mit originellem Kinnbart und Federnbusch auf dem Haupt. Auf dem Sattel hält ein nacktes Bürschchen den Zügel. Es erinnert nur entfernt an ein abendländisch-christliches Engelchen, sondern entspricht eher einem Kind fernöstlich-heidnischer Herkunft. Wenn mit dem Chinesenhut der Ferne Osten angedeutet ist, dann gehört dieses Ensemble nicht mehr zu Afrika, sondern zur Gruppe "Asia" darunter. Hinter dem Reittier erhebt sich eine zum Himmel ragende Dattelpalme in sehr schöner Ausführung, mit vielfach grün-hellbraun geschweifter Palmenkrone und mehreren in leuchtenden Orange-Tönen ausgeführten Dattelfrüchten. Dahinter erkennt man noch einen Vulkan, der soeben beginnt, Magma auszuspucken. In diesem Zusammenhang ist vielleicht erwähnenswert, dass drei Jahre zuvor der Vulkan Ätna in Sizilien einen größeren Ausbruch erfahren hatte.

Zu Füßen dieser Personen und des Indianers befinden sich drei Wesire, die sich wegen ihres Aussehens am ehesten der heutigen Türkei zuordnen ließen, hier aber den vierten Kontinent Asien in der Gesamtheit vertreten. Die kniende Person mit Perlenschnur, Turban und dem goldenen Abzeichen des Halbmondes darauf repräsentiert die mythische Allegorie der "Asia" selbst. Hier imponiert der perlen-gekrönte goldene Umhang, dessen Saum z. T. mit großen Perlen bestickt ist. Besonders im untersten Anteil sind diese weißen Perlen zum Schimmern gebracht - ein für eine Nassmalerei auf Kalkgrund sehr schwierig zu gestaltendes Element. Auch hier erkennt man wieder: Johann Michael Baader ist ein Meister seines Fachs!

Auf dem Unterrand der halbrund vorkragenden Balustrade aus Marmor hat der Künstler seine Signatur untergebracht: "JMBaader v. Eichst. Pinxit Anno 1758 - Johann Michael Baader aus Eichstätt hat dieses Gemälde im Jahr 1758 gemalt".

 

Am linken Bildrand erkennt man eine Gruppe von Kopfbedeckungen, die wir nachfolgend ins Zentrum der Abbildung rücken, da diese Darstellung ein ungeheuer kühnes Unterfangen dieses damals noch jungen und weithin unbekannten Künstlers in den Raum stellt.

Die vergessenen Kopfbedeckungen weltlicher und geistlicher Größen.

Man erkennt auf dem untersten Absatz der Balustrade von rechts nach links die Tiara", die Krone des Papstes, dann die Reichskrone der deutschen Könige und Kaiser (der Edelsteine beraubt), im Weiteren den roten Galero der hohen Kardinäle mit dreißig Quasten ("fiocchi"), und dahinter, ganz links außen, die Mitra der Bischöfe!

Johann Michael Baader erteilt vermutlich mit dieser Art der Darstellung der hohen Geistlichkeit, egal ob Bischof, Kardinal oder Papst, aber auch dem weltlichen Souverän eher eine Abfuhr, als dass er sie würdigt. Diese Stände kommen auf dem gesamten Gemälde sonst nicht vor, sie haben hier offensichtlich auch nichts zu suchen! Dies gilt selbst für den Fürstbischof von Strassoldo, der Baader den Auftrag zu diesem Gemälde erteilt hat. Aber mehr noch: Diese höchsten Repräsentanten der weltlichen und geistlichen Macht scheinen zwar da gewesen zu sein, aber dann einen plötzlichem Platzverweis erhalten zu haben - vielleicht von Gott persönlich. Sonst hätten sie bei der eiligen Flucht nicht ihre vom Haupt genommenen Kopfbedeckungen zurückgelassen! So wirkt jedenfalls diese Hutablage.

Vielleicht fehlt uns der große Überblick, aber einen solchen Mut, sich symbolisch und in Andeutungen gegen die hohe Geistlichkeit und die weltlichen Machthaber auszusprechen, haben wir bisher nur beim großen Michelangelo erlebt.

Allein dieses kleine Detail erhebt Baaders Gemälde aus unserer Sicht weiter! 

Aber dem ist noch nicht genug, es kommt noch frappanter!

 

Zunächst aber wenden wir uns der großen Himmelsszenerie zu:

Die Himmelfahrt und Krönung Mariens in der Gesamtheit. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer größeren Darstellung.

Zentralfigur ist die Mutter Gottes, mit dem Sternenkranz umgeben, mit weißem Untergewand und wallend blauem Mantel!

Die Gottesmutter Maria wird von Engeln unterstützt. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer größeren Darstellung.

Die Figur der Mutter Gottes spricht in ihrer Schönheit für sich selbst und braucht keine weitere Kommentierung. Uns faszinieren himmelwärts die hellen Zwischentöne des Hintergrunds und die Gruppe umgebender Engel, von denen sich jeder vom anderen durch Größe, Aussehen, Mimik und Gestik unterscheidet.

Besonders der Engel, der Maria durch Hochschürzen ihres blauen Mantels unterstützt und dabei aus Anstrengung seine Flügel verloren hat, ist von ungeheurer Lebendigkeit und Originalität. Er hat einen von beiden Flügeln provisorisch über seinen Oberarm gehängt, um ihn nicht zu verlieren!

Im Gegensatz zu den anderen Engeln ist der Engel zur Rechten nicht perfekt ausgeführt; er imponiert sehr dunkel und verstrichen, und zeigt vor allem keinerlei Hilfestellung für die Gottesmutter. Symbolisiert dieses Schattenwesen mit hängenden Flügeln, ohne Unterkörper, den "gestürzten Engel", aus dem alles Unheil kommt? Asam hatte in Ingolstadt diesem Motiv ein ganzes Engelkonvolut vorbehalten.

Oder hat Baader bewusst auf die Ausarbeitung dieses Engels verzichtet, um deutlich zu machen, in wieviel Schichten er malen muss, bis alles perfekt ist? Diese Attitüde des gezielt Unfertigen kennen wir wiederum vom großen Michelangelo her, der bei der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle im Vatikan auch Partien ohne komplette Ausarbeitung hinterlassen hat.

Oder ging es Baader gar um beides? Ist die Unfertigkeit ein Symbol der Verweigerung des Malers einem falschen Engel gegenüber?

Der Fantasie des Betrachters sind hier keine Grenzen gesetzt; doch wir werden in der Folge die wahrscheinlichste Erklärung für diese Missgestalt liefern!

Im Kontrast dazu sieht man rechts den fliegenden Erzengel Michael, den Namenspatron des malenden Künstlers, in seiner ganzen Schönheit. Darunter, gerade noch am Bildrand sichtbar, lugt der Kopf des Adam hervor. Daneben hält Moses den Dekalog, die beiden Gesetzestafeln mit den 10 Geboten, und Aarons Stab, der ursprünglich Adam gehörte. Unter ihm ist der Apostel Matthäus mit dem Schreiben des Evangeliums beschäftigt!

Man beachte hier die unterschiedlichen Grüntöne, die der Künstler für die Randfiguren dieser Gruppe - Gewand des Moses und Flügel des linken Engels - vorgesehen hat. Möglicherweise nahm er damit auch Bezug auf die Farben des Rocaille-Putzes, die sich aktuell nicht mehr im Original erhalten haben.

Zu den anderen Figuren kommen wir später!
 

Die Trinität Gottes. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Links imponiert Marias Sohn, der auferstandene Jesus Christus, mit den noch immer frischen Wundmalen. Den Hermelin-Mantel hat ihm ein Engelchen abgenommen, es dominiert nun die wallende Purpur-Toga des Salvators, der gerade dabei ist, seiner geliebten Mutter Maria die perlengesäumte, teil purpurne, teils goldene Himmelskrone aufzusetzen. Johann Michael Baader hat dabei Jesus Christus ähnlich athletisch und kraftvoll in Szene gesetzt, wie einst Michelangelo in der Sixtina seine eigenen Himmelsfiguren.

Ganz zur Linken ist zu erkennen, dass der Erlöser für diese Pose das Kreuz und die echte goldene Krone - nicht etwa die Dornenkrone - und die goldene Kette des "Königs der Juden" abgelegt und zurückgelassen hat! Rechts über ihm sitzt gütig Gottvater, mit wallendem Bart und Haupthaar; er hat seinen Thron verlassen, heißt Maria willkommen und weist ihr mit ausgebreiteten Armen und dem Szepter den weiteren Weg nach oben. Beide, Gottvater und Gottsohn, werden unterstützt durch grün gekleidete Engel.

Oben in der Mitte schwebt die Taube des Heiligen Geistes über der Szenerie, im himmlischen Strahlenkranz, unter einem letzten Baldachin, hinter dem eine Gruppe weiterer Engel hervorlugt.
 

Die Gruppe um Jesus Christus. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

 
Mit dieser Darstellung der Engelsgruppe um Jesus Christus und das Kreuz kehren wir langsam in die untere Himmelsphäre zurück:

Die basalen Himmelsgruppen. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer größeren Darstellung.

Zu Füßen Marias erkennt man auf der rechten Seite zusätzlich Eva mit dem Granatapfel der Verführung; sie wird vom Flammenschwert des Erzengels Michael gegeißelt. Neben ihr klein und gerade erkennbar der Oberkörper ihres Gatten Adam. Unmittelbar daneben erkennt man, wie bereits größer gezeigt, Moses mit den beiden Gesetzestafeln und noch weiter zentral den Apostel Matthäus.
 
Auf die linke Seite Mariens hat dagegen Baader eine weltliche Figurengruppe gesetzt: Man identifiziert medial einen römischen Feldherrn im Triumph, gut erkennbar an seinem Lorbeerkranz, daneben kniet ein gekrönter König germanischer Herkunft, mit einem Totenschädel als Symbol der Sterblichkeit und der "vanitas mundi" zu Füßen, und dahinter sieht man einen einfachen Landmann oder Bauern, mit hochgekrempelten Ärmeln seines grünen Hemdes.

Alle Figuren sind nicht statisch und blaß, sondern farbenfroh, prall voll Kraft, Leben und Bewegung - eben so, wie sie nur große Meister ihres Fachs zustandebringen. In der ausgehenden Barockzeit und im Rokoko hat es sie noch gegeben, diese Künstler, im nachfolgenden Klassizismus waren sie schon sehr rar, und heute gibt es so gut wie keinen Kunstschaffenden mehr, der sich an ihnen messen könnte.

Welch ein grandioses Kunstwerk!
 
Damit könnten wir den Exkurs zu diesem außergewöhnlichen Deckengemälde Johann Michael Baaders beenden, aber wir kehren nochmals in die irdische Szenerie zurück, wo sich der eigentliche Höhepunkt des Freskos findet:

Hier, auf der linken Seite seine Gemäldes hat der Meister Baader eine Szenerie hinterlassen, die wegen ihres autobiografischen und historischen Inputs derartige Alleinstellungsmerkmale aufweist, dass damit die Berchinger Stadtpfarrkirche zum Weltereignis wird!

Denn in dieser Figurengruppe schildert Johann Michael Baader nicht etwa eine biblische Szene, sondern seinen ganz persönlichen und durchaus irdischen "Himmel" des Jahres 1758!
 

Die irdische Szenerie am linken unteren Gemälderand.

Achten wir zunächst auf das Paar in Bildmitte - im Hintergrund ein junger Mann und links neben ihm eine junge Frau!

Beide gehören sichtlich zueinander: Sie neigen sich aufeinander zu, sie tragen dasselbe blonde Haar und ein sehr ähnliches Gewand, sie halten Werkzeuge verwandter Metiers in der Hand, der junge Mann Pinsel und Palette, was ihn als Maler ausweist, die junge Frau die Spachtel des Stuckadeurs oder - topisch - als Muse "Sculptura" den Flachmeißel des Bildhauers! Warum wir die Putzspachtel einer sehr irdischen Frau für das Wahrscheinlichere halten, werden wir sogleich begründen!

Dieses Paar hat auf jeden Fall die Muse geküsst: Das belegt - in Anlehung an ein Asam-Motiv in Ingolstadt - das geflügelte Pferd "Pegasus" auf dem Berg "Helikon" hinter ihnen, Symbol aller Künste. Am Abhang dieses geweihten Berges sprudelt obendrein die Apollo und den Musen geweihte Quelle "Hippokrene", aus sich alle Künstler inspirieren lassen. Bei Baader ist aus dieser Quelle ein veritabler Springbrunnen geworden!
 

Das Künstlerpaar im Detail, optisch hervorgehoben. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer größeren Darstellung.

Es handelt sich hierbei um ein Selbstbildnis Baaders und seiner Geliebten, Anna Maurer aus Plankstetten, die möglicherweise dem Nürnberger Stuckadeur-Meister Johann Jakob oder Michael Berg (1727-1787), der in der Berchinger Kirche den Rocaille-Stuck der Decken und Wände besorgte (siehe Bild oben), oder noch viel wahrscheinlicher dem Freskomaler Baader selbst als ortsansässige Gehilfin diente. Schließlich war dieser für die Putzfelder, die er als feuchten Malgrund benötigte, persönlich verantwortlich. Während Baader also an dem einen Putzfeld sein malerisches Tagwerk vollbrachte, dürfte direkt neben ihm jene Anna den Malgrund des nächsten Tages aufgetragen haben! Genau aus diesem Grund hatte Baader aus dem Ort Plankstetten schon im Vorjahr Anna Maurer für seine Arbeit angeworben - und offensichtlich dabei sehr lieb gewonnen. Dies werden wir sogleich belegen.

Es besteht kein Zweifel - zumal dann nicht, wenn man das Fresko richtig interpretiert: Anna Maurer und der Maler Baader müssen sich ineinander verliebt haben, wobei Anna auch noch auf einem Kopfkissen ruht, was der ganzen Szene einen erotischen Touch verleiht!

Nicht zu glauben?

Dann bitten wir auf folgende Geschichte zu achten, von der uns Heinrich Edinger zuerst aufmerksam machte. Wir zitieren hier zum großen Teil wörtlich aus einer seiner Veröffentlichungen:


Baaders Biografie - Teil 2:

"In die Berchinger Schaffenszeit fällt für den Maler ein ganz persönliches Ereignis, das möglicherweise sein ganzes weiteres Leben bestimmte. Mitte des Jahres 1758 wurde ihm in Plankstetten ein unehelicher Sohn geboren. In den Pfarrmatrikeln Plankstettens ist unter dem 24. Juni 1758 die Taufe von Johann Michael, dem illegitimen Sohn des Pictoris Eichstaettensis Johann Michael Baader und der Anna Maurer aus Plankstetten, überliefert ..."

Wenn wir das Geburtsdatum des unehelichen Kindes beachten, dann müssen sich Johann Michael Baader und Anna Maurer schon im Herbst 1757 kennen- und lieben gelernt haben. Dies geschah, wie soeben bereits begründet, zu jener Zeit, in der Baader in Vorbereitung des Berchinger Freskos vor Ort Hilfspersonal für sein künftiges Projekt gesucht hatte und dabei auch nach Plankstetten gekommen war! Dass Baader gerade in Plankstetten fündig wurde, braucht nicht verwundern: Unter dem heiligmäßig lebenden Abt Maurus Xaverius Herbst (1701-1757), einem gebürtigen Pleinfelder, der jedoch im nahen Berching aufgewachsen war und sich deshalb vor Ort höchster Beliebtheit erfreute, war das Innere der romanischen Klosterkirche Plankstetten mit einem neuen Stuckwerk im Rokokostil versehen worden. Diese Arbeit war im Jahr 1717 begonnen worden, kam aber mit dem Tod des Abtes im Jahr 1757 zum Stillstand oder zum Abschluss. Wenn Anna Maurer zuletzt bei den Plankstetter Putzarbeiten Erfahrungen gesammelt hatte, dann konnte sich Baader nun diese Fertigkeit des Mädchens bei der Ausschmückung der Berchinger Stadtpfarrkirche zunutze machen. So gab er noch im selben Jahr Anna Mauerer einen Anstellungsvertrag - und schenkte ihr danach auch noch sein Herz - und ein Kind. Was den jungen Maler anbetraf, so dürfte es im Hinblick auf seine weitere Biografie die große Liebe gewesen sein!

Wenn man die Kirchenbücher Plankstettens auswertet, die im Jahr 1610 einsetzen, so ist es trotz einer großen Datenmenge leider nicht möglich, aus ihnen heraus die Familie der Geliebten Baaders eindeutig zu identifizieren. An der Neugestaltung des Klosters und der Klosterkirche arbeitete damals eine ganze Maurer-Sippe als Zimmerleute, die 1639 (nach den Gräueln des 30-jährigen Krieges) im stark entvölkerten Plankstetten mit einem zugewanderten Georg Maurer begann. Von diesen Stammvater aus entwickelte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein großer Stammbaum mit zwei Hauptlinien und insgesamt 144 Personen namens Maurer, wobei die Männer alle im Zimmerer-Handwerk arbeiteten. Unter den Frauen finden sich insgeamt 17 Personen namens Anna Maria = Annemarie, wobei sich jedoch als potentielle Gehilfin Baaders nur eine relativ alte, bereits 1721 geborene Anna Maria direkt nachweisen lässt, deren Bruder Benedikt der Zunftmeister aller Plankstetter Zimmerleute war. Dass diese später ledig gebliebene Anna Maria dem 8 Jahre jüngeren Baader die Liebe gelehrt hätte, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wegen der jugendlichen Darstellung im Deckenfresko relativ unwahrscheinlich. Nach dem Stand der Dinge kommt eine sehr junge, 1742 geborene und später ebenfalls ledig gebliebene Anna Maria, die Tochter des Zimmermanns Lorenz Maurer, eher als Liebhaberin Baaders in Frage, diese kann aber aus den Tauf- und Sterbebüchern heraus nur dringend angenommen, aber nicht konkret nachgewiesen werden. Wir ersparen uns an dieser Stelle die ausführliche Begründung und warten ab, ob es mit weiteren Quellen, die einst im Besitz des Historischen Vereins Eichstätt waren, noch gelingt, in diesem wichtigen Punkt Klarheit zu schaffen.

Wegen der Darstellung im Deckenfresko vermuten wir jedoch, dass letztere Anna Maria die Geliebte Baaders war; sie hätte dann zum Zeitpunkt der Defloration im 16. Lebensjahr gestanden. Dies war allerdings in der damaligen Zeit ein durchaus heiratsfähiges Alter.

Was das Liebespaar auf dem Berchinger Fresko des Jahres 1758 angelangt, bleiben unter diesen Prämissen zwar Fragen offen, aber bezüglich der Motivation des Malers keine grundlegenden Zweifel:

Es ist offenkundig: Der Maler schwebte, als er diese Szenerie schuf, im siebenten Himmel; seine junge Geliebte hatte ihm ihrerseits ihre Liebe geschenkt - und erwartete alsbald von ihm auch ein Kind! Und genau in einem solchen Ausnahmezustand ist das Ausnahmetalent Baader so inspiriert und motiviert worden, dass er über sich selbst hinauswuchs und in nur wenigen Wochen ein so fantasievolles wie technisch ausgefeiltes Kunstwerk schuf, wie es die "Huldigung der vier Erdteile" darstellt:

Dieses Fresko ist eine einzige Liebestat Johann Michael Baaders!


Achten wir nun auf einige Details, die von unten mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind:
 

Das schöpferische Liebespaar im Detail.

Der Künstler lehnt sich nach getaner Arbeit ein wenig erschöpft zurück und träumt von einer gemeinsamen glücklichen Zukunft. Dabei setzt er sein Selbstporträt detailreich in Szene: Die linke Hand ist mit einer ledernen Halbschale kaschiert, aus der die zwei Greiffinger nur stummelartig herausragen. Das blonde Haar erscheint etwas störrisch aufgeworfen. Die obere Gesichtshälfte ist abgedunkelt. Was auf den ersten Blick hin wie die Maske der Muse "Pictura", das Symbol der Nachahmung wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als asymmetrischer Salbenanstrich. Beides - Salbe und Ledermanschette - dienten wohl dem in Rückenlage malenden Freskanten als Schutz von herabspritzender und leicht ätzender Farbe auf Kalkbasis.

Allerdings soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass Johann Michael Baader unabhängig von einer solchen Deutung bei einigen seiner Bildfiguren absichtlich geschwärzte oder abgedunkelte Gesichtspartien hinterließ, mal durch Schminke, mal durch Maske. Dass er diese künstlerische Verfremdung geradezu zu seinem Markenzeichen machte, erkennt man an einem Engel im Nebenfresko des Harfe spielenden Davids vor der Orgel, das noch gesondert zur Darstellung kommt.

Wie dem auch sei:

Wir haben hier das authentische Bild eines hochbegabten, selbstbewussten, liebevollen und hoch motivierten Freskanten kurz nach getaner Arbeit vor uns, der es, aus einfachsten Verhältnissen stammend, zum Hof- und Kabinettmaler des Eichstätter Fürstbischofs und zum Liebhaber eines der schönsten Mädchens des Sulzgau gebracht hatte!

Die geliebte Anna ist in Gegensatz zu ihm, obwohl weich gebettet, hellwach, mit weitem Decolleté blickt sie keck dem Betrachter entgegen, die Spachtel nach wie vor in der rechten Hand tragend. In dieser Pose hat sie Johann Michael Baader vor seinem inneren Auge gesehen und malend verewigt!

Links neben Anna erkennt man im Hintergrund eine barbusige Frau in einer Muschel: Es handelt sich bei diesem Attribut um die Darstellung der Liebesgöttin Venus in der Muschel: Nach der griechischen Mythologie entstand Venus aus dem Schaum des Meeres, Sandro Botticelli (1455-1510) stellte die "Geburt der Venus" in einer entsprechenden Jakobsmuschel dar - und in der Tierwelt gibt es noch heute die "Venusmuschel" als Gattung!

Warum aber Baader dieser friedlichen Göttin eine Lanze mit einem totenkopfartigen Emblem an der Spitze in die Hand gegeben hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Ahnte er schon das nahe Ende seiner Beziehung?


Lesen wir dazu weiter bei Heinrich Edinger:

"... Über Baaders Verhältnis zu diesem unehelichen Sohn ist nichts weiter bekannt. Nachweislich wurde das Kind am 6. März 1776 [notabene: 18 Jahre nach dem Fresko!] auf Betreiben der Mutter durch den Eichstätter Hofpfalzgraf Friedrich Wilhelm Boiler nachträglich legitimiert, um ihm das Erlernen eines ehrbaren Handwerks zu ermöglichen. In dieser Zeit weilte der Vater im fernen Paris. Genau eine Woche später, am 13. März 1776, wurde Michael Baader vom Eichstätter Schreinermeister Johann Michael Nissler als Lehrling aufgenommen. Nachdem der junge Mann nach Ableistung seiner Lehr- und Gesellenzeit am 13. März 1779 freigesprochen worden war, muss er Eichstätt verlassen haben, da sich in den Matrikeln beider Eichstätter Pfarreien zu seiner Person keine Einträge mehr finden ..."

Es gibt erneut keinen Zweifel:

Kurz bevor Baader sein Deckenfresko fertig gestellt hatte, scheint eine schlimme Vorahnung zur Gewissheit gewörden zu sein: Die geliebte Anna Maurer wird ihm am Ende der Zusammenarbeit eröffnet haben, dass sich Baader trotz eingetretener Schwangerschaft keine Hoffnung auf eine Verheiratung machen könne! Dass das für Baader ein Sturz aus allen Wolken war, und dass dabei der Vater des Mädchens eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte, saugen wir uns nicht aus den Fingern, denn ein weiteres Werk Baaders, das noch zur Besprechung kommt, deutet genau auf eine solche Entwicklung hin!

Und an diesem Werk wird man dann auch erkennen, dass dieser Sohn von seiner Mutter heimlich ausgetragen und hinterher vermutlich aus dem Haus gegeben wurde, um selbst durch vermeintlich erhaltene Unschuld später eine bessere Partie machen zu können. In der Tat wäre für ein ehrgeiziges Mädchen - oder wahrscheinlicher einen ehrgeizigen Vater - die Ehe mmit einem ein Künstler ohne großen Namen und mit äußerst unsicherem Einkommen - ein ziemliches Risiko gewesen!

Nun erfährt der "gestürzte" Engel im Berchinger Fresko - in seiner düsteren und unfertigen Form - eine erstaunlich plausible Deutung: Wie keine zweite Figur reflektiert er die schwere Enttäuschung und depressive Verstimmung des Malers! Vielleicht wollte er mit dieser Missgestalt die spröde gewordene Anna auch zum Einlenken bewegen: Sie sollte ruhig sehen, wie sehr er litt! Wenn wir Baaders weitere Biografie beachten, erscheint uns dies als die wahrscheinlichste Erklärung für das Auftauchen dieses beflügelten "Diabolus" in Baaders Himmel!

Am Ende musste sich Baader mit der Trennung abfinden, eingesehen hat er diese Notwendigkeit vermutlich nicht.


Baaders Biografie Teil 3:

Zurück in Eichstätt und aller Illusionen beraubt, hatte Baader unverzüglich einen weiteren Auftrag des Bischofs von Strassoldo zu bewältigen, nämlich 6 große Wandgemälde von über 3 m Höhe für den Hauptsaal in der Sommerresidenz des Fürstbischofs zu malen. Diese Großgemälde (Öl auf Leinwand) im sog. Holzersaal der Residenz Eichstätt existieren noch heute. Sie sind zwar nur im Rahmen von Führungen oder Veranstaltungen zugänglich, aber die in der Fußnote erwähnte Ausstellungsschrift von 2003, herausgegeben von Klaus Walter Littger, gibt darüber gut und erschöpfend Auskunft.

Das Hauptgemälde im Eichstätter Jephta-Zyklus von Johann Michael Baader, gemalt 1758.

Die Bilder-Serie, welche an Kunstfertigkeit und Originalität dem Berchinger Fresko nicht nachsteht, beschreibt in 2 Haupt- und 4 Nebenszenen das verhängnisvolle Wirken des alttestamentarischen Heerführers und Richters Jephta an seiner Tochter. Unseres Wissen ist es weltweit das einzige große Bildprogramm eines Künstlers zu einem gemeinhin wenig bekannten Bibeltext, und allein deswegen von großem künstlerischen Wert.

Um dem Leser klarzumachen, worum es bei dieser Geschichte geht, zitieren wir aus dem Alten Testament die entsprechende Stelle, aus dem Buch der Richter 11,1-39 (Elberfelder Bibel, Orthografie z. T. geändert).

Der Vorlauf: Das Volk Israel hatte sich gegen GOTT versündigt und statt seiner Baal und andere Götzen angebetet. Bei fehlendem Kriegsglück gegen die Ammoniter zeigte es in verzweifelter Lage Reue und berief den zuvor verschmähten Jephta als neuen Heerführer. Um GOTT von der Ernsthaftigkeit seines Bemühens zu überzeugen, entschließt sich dieser zum einem Menschenopfer der besonderen Art:

"Jephta, der Gileaditer, war ein tapferer Held ... Und es geschah nach einiger Zeit, da kämpften die Söhne Ammons mit Israel ... Da ging Jephta mit den Ältesten von Gilead mit, und das Volk setzte ihn als Oberhaupt und als Anführer über sich ... Und Jeftah gelobte dem HERRN ein Gelübde und sagte: 'Wenn du die Söhne Ammon wirklich in meine Hand gibst, dann soll es geschehen: Wer aus dem Tor meines Hauses herauskommt mir entgegen, den ich will ihm als Brandopfer opfern!' So zog Jephta zu den Söhnen Ammon hinüber, um gegen sie zu kämpfen. Und der HERR gab sie in seine Hand ... eine sehr große Niederlage für die Söhne Ammon. So mussten sich die Söhne Ammon vor den Söhnen Israel beugen ... Nun kam Jephta nach Mizpa zu seinem Haus. Und siehe, da trat seine Tochter heraus - ihm entgegen, mit Tamburinen und in Reigentänzen. Nur sie hatte er, als Einzige; außer ihr hatte er weder Sohn noch Tochter. Und es geschah, als er sie sah, da zerriss er seine Kleider und sagte: 'Wehe, meine Tochter! Tief beugst du mich nieder. Du, du bist unter denen, die mich ins Unglück bringen! Ich selber habe meinen Mund gegen den HERRN aufgerissen und kann nicht mehr zurück!' Da sagte sie zu ihm: 'Mein Vater, hast du deinen Mund gegen den HERRN aufgerissen, so tu mir, wie es aus deinem Mund hervorgegangen ist, nachdem der HERR dir Rache verschafft hat an deinen Feinden, den Söhnen Ammon!' Und sie sagte weiter zu ihrem Vater: 'Es möge dies mir gewährt werden: Lass mir zwei Monate, dass ich hingehe und hinabsteige über die Berge und meine Jungfrauenschaft beweine, ich und meine Freundinnen!' Er sagte: 'Geh hin!' Und er entließ sie für zwei Monate. So ging sie hin, sie und ihre Freundinnen, und beweinte ihre Jungfrauenschaft auf den Bergen. Und es geschah am Ende von zwei Monaten, da kehrte sie zu ihrem Vater zurück. Und er vollzog an ihr sein Gelübde, das er gelobt hatte. Sie aber hatte bis dahin keinen Mann erkannt [d. h. an sich herangelassen] ..."

Jephtas Tochter alias Anna Maurer, Ausschnitt aus dem 5. Gemälde des Jephta-Zyklus von Johann Michael Baader, gemalt Ende 1758.

Diejenigen Kunsthistoriker, welches sich mit Baaders Jephta-Zyklus besonders befasst haben - Georg Wacha und Christina Grimminger - erkannten wohl den religiösen Impakt der Jephta-Geschichte, aber nicht das für uns entscheidende Moment:

In ganz spezieller Weise spiegelt sich in dieser grausamen Opfergeschichte Johann Michael Baaders eigenes Schicksal, respektive das Schicksal der soeben durch Vaterwillen verlorenen Anna Maurer wider!

Exemplarisch brechen wir die Jephta-Erzählung in der Quintessenz auf den kleinsten Nenner Baaders unter, lesen dabei auch zwischen den Zeilen und schließen auf Anna Maurers verheißenes Schicksal wie folgt zurück:

  1. Jephtas Tochter alias Anna Maurer fällt wegen des Vaters Strenge einem grausamen Schicksal zum Opfer: In der biblischen Geschichte muss sie sterben, im wirklichen Leben darf sie Baader nicht heiraten und muss nach Außen hin ihre Jungfräulichkeit bewahren.

  2. Wir wissen es nicht genau, nehmen aber an, dass Anna Maria Maurer deshalb ihr uneheliches Kind auswärts bei Verwandten (in Eichstätt?), aber wegen der Schande nicht in Plankstetten ausgetragen hat.

  3. Als die namentlich nicht genannte Tochter Jephtas von ihrem schlimmen Los erfährt, beweint sie den unsinnig erlogenen Erhalt ihrer Jungfräulichkeit, denn ihr wird nun, als alles für sie verloren ist, bewusst: Hätte sie ihre Jungfräulichkeit zugunsten einer Ehe offen aufgegeben, dann hätte sie den elterlichen Haushalt längst verlassen und würde jetzt nicht das Opfer ihres Vaters! Sollte dieses Schreckensbild nach Baaders Willen jetzt nicht auch Anna Maria Maurer bzw. ihrem Vater gelten und beiden wenigstens optisch vorgehalten werden?

Ausschnitt aus dem Hauptgemälde im Jephta-Zyklus von Johann Michael Baader.

Sicher sind auch gering variante Deutungen möglich, aber wie man es auch dreht und wendet, am Ende bleibt der dringende Verdacht bestehen, dass sich Baader erneut in diesen Bildern autobiografisch verankert hat!

Vor diesem interpretatorischen Hintergrund, der dann später durch etliche biografische Betails aus dem Leben Baaders weiter abgesichert wird, sind wir so gut wie sicher, dass es nicht der Fürstbischof Graf von Strassoldo oder einer seiner Berater war, der Johann Michael Baader den Jephta-Zyklus als zu malendes Bildprogramm vorschlug, sondern dass das Gegenteil der Fall war:

Der intelligente Baader wird sich nach gemachten Erfahrungen mit Anna Maurer bewusst mit dieser biblischen Geschichte vor dem Hintergrund ihres Schicksals beschäftigt und gerade deshalb diese biblische Thematik dem Bischof selbst vorgeschlagen haben, womit er zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Befriedigung des religiösen Anspruchs seines Bischofs und sein persönliches Künstlerbegehren, im Sinn der malerischen Sublimierung großen Seelenschmerzes!

Genau mit dieser Idee wollte Baader nicht nur deutlich machen, dass er ein großer Künstler sei, der einer Anna Maurer würdig gewesen wäre, sondern auch, was er von der Zurückweisung hielt, nämlich nichts!

Zu diesem Zeitpunkt war vermutlich seine Trauer über die zerbrochene Liebesbeziehung bereits einer gehörigen Portion Zorn oder Trotz gewichen!

Doch für den geplanten Seitenhieb musste Baader seiner Eichstätter Malerei erneut einen ganz persönlichen Stempel aufdrücken - und genau dies tat er:

Während Baader die Nebenbilder rückseitig signierte, wobei die zweifach angebrachte Signatur "JMBaader invenit et pinxit - Ich, Johann Michasel Baader habe das alles erfunden und malerisch in Szene gesetzt" ganz klar die von uns unterstellte Urheberschaft des Bildprogrammes eigenhändig belegt, brachte er auf dem wichtigsten der beiden Hauptbilder, von 310 x 189 cm Ausmaß, seine Signatur doppelt im Gemälde selbst unter:

Selbstbildnis Johann Michael Baaders im Hauptgemälde des Eichstätter Jephta-Zyklus.

Auf diesem Zentralgemälde, auf dem Jephtha seine Tochter von einem Priester mit einem Halsstich töten lässt, tritt hinter dem erschreckten Richter und Heerführer, aus der Runde seiner lorbeer-bekränzten, also wegen des Sieges über die Ammoniter triumphierenden Israeliten ganz am rechten Bildrand der junge Baader in klaren und schönen Zügen selbst hervor! Damit man an dieser Selbstdarstellung keinen Zweifel hegt, hinterließ Baader auf dem Revers des Mantels - rechts im Bild leider nicht zu erkennen - folgenden Eintrag: "EFI" (für lat. "effigies" = Bildnis) und sein übliches "JMBaader" (ligiert). Mehr noch: Am linken unteren Bildrand befindet sich auf einer Vase die feine Signatur "MIChaeL BaaDer EVstettensIs feCIt". Wenn man die Großbuchstaben als römische Zahlenwerte versteht und aufsummiert, entsteht die Jahreszahl 1758!

Ob es sich bei den an gleichem Ort aufgetragenen Sternen- und Schildwappen um die Embleme von Baaders Kunst und seiner Familie handelt, wie Christina Grimminger vorschlug, wollen wir offen lassen.

Aber die auf der Vase angebrachte Inschrift "Cum Deo et Die" ist erneut hoch signifikant: "Mit Gottes Hilfe und mit der Zeit" würde er - Baader - über den Seelenschmerz, den ihm Anna Maurer zugefügt hatte, schon hinwegkommen! Um den biblischen Jephta ging es da jedenfalls nicht!

Wir unterstellen jedoch an dieser Stelle nicht, dass Johann Michael Baader seiner ehemaligen Geliebten einen Tod wie bei Jephtas Tochter wünschte, denn dazu war er, wie wir später erfahren, viel zu weich. Aber eines wollte er mit dem Bilderzyklus seiner geliebten Anna im fernen Plankstetten schon klar machen:

Du hättest mich heiraten und Dich offen zu unserem gemeinsamen Kind bekennen sollen! Nun wirst Du schon sehen, wo man hinkommt, wenn man sich hinter dem Vaterwillen versteckt!

Wir wissen weder, ob Anna Maurer dieser Wink mit Jephtas Zaunpfahl je erreicht hat, noch, ob sie Baader wirklich geliebt hat. Erst viele Jahre später wird ihre Aktivität um den gemeinsamen Sohn sichtbar - im Antrag um Legitimierung desselben und um Schaffung einer Lehrstelle. Ob dabei der Kindsvater Baader beteiligt war, wissen wir nicht, es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, denn er weilte damals in Paris.

Dass aber Baader sein außereheliches - und damit höchst unchristliches - Verhältnis zu Anna Mauerer nicht nur im Berchinger Fresko, sondern auch noch im Eichstätter Jephta-Zyklus verewigte und er obendrein im Berchinger Gemälde sein distanziertes Verhältnis zum hohen Klerus dokumentierte, mag ihm spätestens dann, als in Eichstätt Gerüchte von seinem Liebesverhältnis und dem illegitimen Kind die Runde machten und auch den bischöflichen Stuhl erreichten, zu einem echten Problem geworden sein!

Das Resultat: Nach dem Jephta-Zyklus erhielt Johann Michael Baader keine nennenswerten Aufträge mehr - nur zwei kleinere Entwürfe für Spalt und Rebdorf haben sich erhalten. Obendrein schlug im Jahr 1760 auch das familiäre Schicksal unbarmherzig zu: Am 10. Mai wurde sein 26-jähriger Bruder Franz Anton, der Schreiber geworden war, zu Grabe getragen, und am 25. September auch sein Vater Caspar Bader. Da sein Bruder Franz Caspar Eichstätt verlassen hatte und möglicherweise als Soldat auf unbekannten Schlachtfeld gefallen war, und auch seine Schwester Monica nun ganz woanders wohnte, gab es für Johann Michael Baader keinen Grund mehr, im verwaisten Elternhaus in Eichstätt zu bleiben.

Es entstanden in dieser Zeit noch zwei kleinere Ölgemälde, die sich heute im Diözesanmuseum Eichstätt befinden, sowie 14 Kreuzwegbilder für die zur Pfarrei Spalt gehörige Kirche in Großweingarten.

Das war es dann - und so ging es nicht weiter, zumal man ihm bei Hof inzwischen den Hofmaler Johann Michael Franz (1715-1793) regelmäßig bei Aufträgen vorzog!


Baaders Biografie Teil 4:

Noch vor 1762 verließ der vom privaten und beruflichen Glück verlassene Johann Michael Baader seine Heimatstadt auf Dauer. Er begab sich zunächst zum Maler und Freskanten Johann Georg Bergmüller (1688-1762) nach Augsburg, der jedoch bereits am Ende seiner Schaffensperiode und auch seines Lebens angelangt war.

Von diesem ging es weiter nach Rom, wo Baader beim nahezu gleichaltrigen Maler und Porträtisten Anton Raphael Mengs (1728-1779) studierte. Dieser Aufenthalt in Rom brachte Baader einen ersten Preis bei der "Accademia di Belle Arti di Roma" ein, wie wir von einem Freund erfahren. Dennoch blieb Baader nicht in Rom, sondern es zog ihm weiter!

Im September 1762 erreichte Baader schließlich Paris, die Metropole der schönen Künste im absolutistischen Frankreich, und er ließ sich dort nieder, um sich in den folgenden Jahren einen Namen als Landschafts-, Tier-, Porträtmaler und als Radierer zu machen. Am 25. September 1762 ist er in Paris erstmals schriftlich bezeugt. Genau einen Tag später wechselte in Eichstätt das elterliche Anwesen durch "Caspar Baaders Strumpfstrikers sel. Erben", also durch ihn und seine Schwester Monika, den Besitzer. Sein Anteil am Erbe wird Johann Michael Baader in Paris eine Zeit lang über Wasser gehalten haben.

Johann Georg Wille im Jahr 1763, Portrait von Jean-Baptiste Greuze.

Es gelang Johann Michael Baader, umgehend in den Freundeskreis des berühmten Kupferstechers und Kunsthändlers Johann Georg Wille (1715-1808) aufgenommen zu werden, zu dessen Schülern auch Maler, Zeichner und Radierer gehörten, wie z. B. der Schweizer Adrian Zingg (1734-1816), der Österreicher Jakob Matthias Schmutzer (1733-1811) und der Deutsche Ferdinand Kobell (1740-1799).

Baader selbst war jedoch von Anfang an kein Schüler Willes, sondern ein Freund des Hauses!

Dies lag vermutlich an seinem einnehmenden Wesen und seiner leutseligen und lustigen Redensart. Da er bei Tisch hinterkünftig geistreiche Konversation pflegte, über die viel gelacht wurde, war er schon nach kurzer Zeit ein gern gesehener Stammgast an der großzügigen Speisetafel der Familie Wille. Diese Tafel war ein Dreh- und Angelpunkt des Pariser Kunst-Geschehens, nicht nur für die deutschsprachige Künstler-Kolonie in Paris, sondern auch für die französische Kunstszene.

Da Johann Georg Wille über sein Leben ausführlich Buch führte, erfahren wir von ihm bei 96 verschiedenen Gelegenheiten viele kleine, manchmal auch interessante Begebenheiten aus Baaders Leben. Willes Tagebuch ist aber auch unabhängig davon eine der wichtigsten Informationsquellen über die Pariser Kunstwelt des 18. Jahrhunderts. Deshalb wurde es 1857 in französischer Sprache herausgegeben und liegt inzwischen sogar in einer deutschen Übersetzung vor: [Link] [Link] Wir zitieren im Folgenden wiederholt aus diesem Werk, ohne Seitenangabe.

"Baader war der scherzhafte Silen unsere Truppe, er führte, entfesselte und vereinte alle germanischen Schelmereien, Kindereien und Jovialitäten ...", schrieb Wille schon im Vorwort seines Journals.

Es kam zu einer lebenslangen Freundschaft zwischen Johann Georg Wille und Johann Michael Baader, an der auch Willes Familie, seine französische Gattin Marie Louise geb. Deforges und auch seine Söhne Peter Alexander und Friedrich, herzlich Anteil nahmen.

Kennengelernt hatten sich beide Männer schon unmittelbar nach Baaders Ankunft in Paris, im September 1762. Es war wohl der Maler Mengs in Rom gewesen, der dem Pariser Kunsthändler Baader anempfohlen hatte.

Wenn Wille seine Schüler zu Studienreisen in die Provinz einlud, z. B. in seinen Landsitz bei Longjumeau, ca. 20 km südlich der Cité de Paris, war Baader als geselliger Unterhalter meistens dabei, so am 2. September und 8. Dezember 1770 und am 30. August 1772: "Herr Baader war wie ein Scherzkeks und brachte uns fast mehr zum Lachen, als wir wollten..." liest man bei Wille. Bei einem erneuten gemeinsamen Besuch Longjumeaus am 4. September 1774 "hatten wir viel Spaß bei diesem Ausflug, sowohl wegen des schönen Wetters, aber auch, weil Herr Baader, der größte Witzbold der Erde, uns vor Lachen fast sterben ließ ..."

"Studie eines Heuhaufens mit Fass und Laterne", Johann Martin Baader 1772.

Soweit zu den überragenden Unterhaltungsqualitäten Baaders, die sich auch bei anderen Ausflügen manifestierten, z. B. nach Monceaux oder zu den Bauten des Architekten Ledoux.

Ein Kind von Traurigkeit scheint Baader also nicht gewesen zu sein!

Doch dies war vielleicht nur Fassade! Da Baader in Paris kein weiteres Verhältnis mit einer Frau einging - von Wille hätten wir es mit Sicherheit erfahren, wenn es anders gewesen wäre - mag er in seinem Herzen noch immer das Bild seiner Geliebten in der Westoberpfalz getragen und dieser nachgetrauert haben!

Baader war, wie gesagt, nicht Willes Schüler. Gleichwohl betätigte er sich bei Willes Exkursionen als Zeichner und Maler, wie nebenstehendes Scheunen-Stilleben zeigt. Willes Sohn, selbst ein begabter Künstler, der beim berühmten Jean-Baptiste Greuze (1725-1805) in die Lehre ging, fertigte bei einer dieser Gelegenheiten ein Portrait Baaders ohne Perücke an, über dessen Verbleib wir leider nichts in Erfahrung bringen konnten.

Doch nun der Reihenfolge nach:

Am 13. Januar 1768 besichtigten Wille und Baader gemeinsam die verheerenden Folgen eines winterlichen Hochwassers der Seine bei Paris.

Am 17. August 1768 erregte Johann Michael Baader in Paris Aufsehen mit einer nahezu prophetischen Hinterglasmalerei, einer in Paris bis dahin nicht bekannten Kunst. Das Bild stellte eine Fantasie-Szene an der Ecke der "Rue ..." [bei Wille unleserlich] und der "Place du Louvre" dar, wo Baader selbst wohnte. Die glorreiche Dame "France" saß auf einem Schwibbogen, mit dem Portrait des Dauphins in der einen Hand, während sich die andere nach dem Portrait der Dauphine ausstreckte, das ein in der Luft schwebender Adler in seinem Schnabel trug. In einem Transparent, das zwei Genien aufspannten, stand geschrieben: "Sie ist seiner würdig, wie er ihrer würdig ist." Unzählige Pariser wollten dieses sensationelle Bildnis in neuer Technik sehen, schrieb Wille.

Ein Jahr später hielt König Ludwig XV. für seinen Enkel und Erben Ludwig XVI. um die Hand der österreicherin Erzherzogin Marie-Antoinette an, und ca. zwei Jahre später wurde diese als 15-jähriges Mädchen Dauphine von Frankreich! Am 17. Mai 1770 konnte die Familie Wille gemeinsam mit Baader in Paris die Hochzeit des Thronfolger-Paares feiern!

Am 7. Mai 1770 stellte Baader seinem Freund Wille einen jungen Tischler aus seiner Heimat Eichstätt vor, mit einem sehr qualität- und geschmackvoll gemachten Möbelstück aus indischem Holz , das dieser in der "Faubourg Saint-Antoine" angefertigt hatte. Baaders unehelicher Sohn Johann Michael kann dies nicht gewesen sein, da dieser erst 9 Jahre später den Gesellenbrief eines Tischlers erhielt, aber eigenartig ist Baaders Bezug zum Schreinerhandwerk seiner Heimat doch. War dies ein Talent aus der Werkstatt des Johann Michael Nissler, der später auch Baaders Sohn ausbildete? Leider erfährt man von Wille nicht seinen Namen und auch nichts darüber, was aus dem begabten jungen Mann in Paris wurde.

Als am 4. Dezember 1770 Baader wieder einmal zu Gast bei den Willes war, als diese zwei Polen bewirteten, die sehr viel wissen wollten, "lachten wir bei Tisch, soweit möglich, über Herrn Baaders teil naive, teil satirische und eigentümliche Antworten."

Am 21. November 1771 war Baader sozusagen als "Mitglied der Familie Wille" mit dabei, als der Neffe Willes die Ehe einging, und am 4. Juli 1775 ebenso, als Willes Sohn Pierre-Alexandre heiratete.

In dieser Zeit muss Baader in Paris mit seinen Werken relativ gute Geschäfte gemacht haben, denn er deponierte aus Sicherheitsgründen eine größere Summe im Tresor der Familie Wille - ein Geld, das er allerdings am 2. Dezember 1773 wieder abholte.

Am 10. Juni 1774 begaben sich Willes Frau Marie Louise, sein zweiter Sohn Friedrich, seine Nichte, Madame Coutouli, und Herr Baader gemeinsam in das "Quartier de la Muette", um dort König Ludwig XVI. und seine Frau Marie-Antoinette live zu sehen, "die die liebenswürdigsten Menschen sind. Man speiste gemeinsam am Bois de Boulogne und kam abends sehr zufrieden von dieser Reise zurück."

Im April 1775 bekam Johann Michael Baader laut Wille nach dem Genuss von Muscheln einen anaphylaktischen Schock, und er wäre vermutlich daran verstorben, wenn nicht Willes Neffe geistesgegenwärtig die verderbliche Mahlzeit aus Baaders Magen durch ein Emetikum wieder herausgeholt hätte.

 

Es folgen Eckdaten von Baaders beruflicher Karriere:

Spätestens ab 1764 studierte Baader an der "Académie Royale de Peinture et de Sculpture" in Paris, wo er am 31. Dezember desselben Jahres den 1. Quartalspreis erhielt. Auch in den Jahren 1765 und 1766 war er bei der Pariser Akademie eingeschrieben, als Schüler beim Pariser Rokoko-Maler und Schriftsteller Noël Hallé (1711-1781). Unter diesem errang er eventuell einen weiteren Preis für eine Zeichnung.

In dieser Zeit beeinflusste ihn auch das Werk des Malers Jean-Baptiste Greuze (1725-1805).

Im Jahr 1775 wurde Johann Michael Baader in die "Académie de Saint Luc" als Mitglied aufgenommen. Er stellte im Folgejahr drei nicht erhaltene Werke im Pariser "Colisée" aus, einem großen Vergnügungslokal. Darunter war wohl auch das Werk der Bewerbung.

Schon im März des Jahres 1775 hatte Baader vom Marquis de Brunoy den Auftrag erhalten, innerhalb von 3 Wochen dessen Schloss in Brunoy mit einer Malerei zu dekorieren. Am 25. März war Baader in Paris wieder zurück; sein Einsatz muss eine lustige Angelegenkeit gewesen sein, wie Wille anmerkte. Der junge Marquis hieß mit Langnamen Armand-Louis Joseph Pâris de Montmartel (1748-1781). Er war eine extravagante Persönlichkeit, der z. B. beim Tod seines Vaters Jean Pâris im Jahr 1766 die Stadt Brunoy, 20 km südöstlich von Paris, ganz in Schwarz hatte kleiden lassen: Diener, Schloss, Bäume, Brunnen und Pferde, selbst Kühe und Hühner waren schwarz bemalt worden! Des Marquis' seltsames Verhalten und seine Geldverschwendung führten ihn am Ende in den Bankrott; er musste seine Besitztümer verkaufen und endete 1781 im Freitod. Soviel nur nebenbei.

Am 6. Mai 1776 wurde Baader - offensichtlich von Paris aus - auch noch Mitglied der k. k. Vereinigten Akademie der Bildenden Künste in Wien, mit dem Aufnahmegemälde "Tobias dankt für die Wiederherstellung des Augenlichts seines Vaters Tobit", das schon zuvor im Colisée ausgestellt worden war. Dass hierbei Jakob Mathias Schmutzer (1733-1811), der Direktor der Kupferstecherschule in Wien, der zuvor ein Schüler Willes gewesen war, eine Rolle spielte, ist durchaus möglich.

Wir denken aber in diesem Zusammenhang eher an den hocherfolgreichen Opernkomponisten Christoph Willibald Gluck (1714-1787), der wie Baader aus einfachen Verhältnissen heraus im Bistum Eichstätt geboren war und in dieser Zeit in Paris weilte. Ihn, der wenige Tage vor Baaders Aufnahme in die Wiener Akademie, am 23. April 1776, in Paris seine berühmte Oper "Alceste" in französischer Fassung uraufgeführt hatte, könnte der Maler, ein fähiger Dilettant auf der Geige, bei Gelegenheit persönlich kennengelernt haben. Gluck hatte auf jeden Fall über den österreichischen Botschafter Florimond de Merci-Argenteau (1724-1794) den entsprechenden Draht nach Wien! Dass sich Baader mit dem kurpfälzischen Botschaftssekretärs Franz Kruthoffer angefreundet hatte, der auch der "werteste Freund" Christoph Willibald Glucks war, wissen wir wiederum von gemeinsamen Abendessen bei der Familie Wille, zum ersten Mal schon am 4. Dezember 1768, dann am 29. Juli 1770 und 27. November 1771, zuletzt am 29. November 1776.

Der weitere Verbleib von Baaders Wiener Gemälde ist nicht bekannt; wir vermuten, dass es nach der Vorstellung an das Kunstmuseum "Albertina" in Wien fiel, wo sich heute zumindest ein zeichnerischer Entwurf Baaders befindet: "Die Enthauptung Johannes' des Täufers".

Über drei Jahrzehnte blieb die französische Hauptstadt Baaders Lebensschwerpunkt - von 1762 bis 1792.

Eigenartigerweise haben sich aus dem ersten Lebensjahrzehnt Baaders in Paris so gut wie keine größeren Kunstwerke erhalten. Erst in den Jahren 1778 und 1781 wurden in Paris Kupferstiche nach Zeichnungen Baaders veröffentlicht. Und erst im Jahr 1789 findet sich das einzige Werk Baaders aus seiner Pariser Zeit, das genau referenziert werden kann. Es handelt sich dabei um ein ehemaliges Altarblatt der Kirche "Saint Germain" in Le Chesnay bei Paris.

Nach Eichstätt kehrte Baader nur einmal sicher zurück. Dass er sich schon 1781 nach Eichstätt begeben hätte, genauer gesagt, als Bischof Raymund Anton Graf von Strassoldo am 13. Januar 1781 verstorben war, dessen sind wir im Gegensatz zur Kunsthistorikerin Grimminger nicht sicher. Zwar stellte Baader Ende des Jahres 1781 bei dessen Nachfolger, Fürstbischof Johann Anton III. von Zehmen (1715-1790), ein Gesuch um Widerbewilligung des Hoftitels und berichtete später darüber: "Die beeden letzten nun höchstseel. Gnädigste Landes Herren hatten die höchste Gnade, mir das Praedicat als höchstdero Hof- und Cabinet-Mahler per Decreta zu ertheilen", doch dies heißt noch lange nicht, dass er dazu persönlich angereist war. Das Gesuch war von Baader am 10. Dezember 1781 in Paris unterzeichnet worden und wurde am 16. Januar 1782 in Eichstätt bewilligt. Da beide Schreiben den Postweg genommen haben können, ist durch nichts gesichert, dass Baader persönlich in Eichstätt war, zumal Wille mit Sicherkeit von dieser Reise berichtet hätte, so sie denn stattgefunden hätte. Doch dies war nicht der Fall. Im Übrigen hätte Baader bereits damals das Geld für eine solche Reise gefehlt. Außerdem titulierte das Eichstätter Dekret Baader als "dermalen in Paris" - und eben nicht in Eichstätt!

Immerhin erfahren wir auf diese Weise, dass man Baader 23 Jahre nach seiner Verfehlung in Eichstätt von fürstbischöflicher Seite nichts mehr nachtrug!

Erst im Sommer 1785 machte sich Baader gesichert auf die Reise in seine alte Heimat: Wie Wille berichtet, erzählte Baader am 28. August 1785 plötzlich im Familienkeis von einer am nächsten Morgen beginnenden Reise in seine Heimatstadt Eichstätt, wobei ihn der Abbé von Owexer kostenlos bis nach Augsburg mitnehmen wollte. Ziel von Baders Heimatbesuchs kann höchstens seine Schwester Monika, vielleicht auch sein unehelicher Sohn Michael gewesen sein, aus der Beziehung mit Anna Maurer. Er wäre damals 27 Jahre alt gewesen!

In dieser Zeit weilte der Leibarzt des Eichstätter Fürstbischofs Johann Anton III., ein gewisser Dr. Starckmann, bei Baader in Paris zu Besuch. Wille gab Baader ein Geschenk und ein Empfehlungsschreiben an den Bankier, Kunstagenten und Kupferstecher Johann Heinrich Eberts (1726-1803) in Straßburg mit, mit sich 1774 auch Christoph Willibald Gluck angefreundet hatte. Dabei kam es zu einer skurrilen Szene, die wir aus Willes Tagebuch wörtlich in deutscher Übersetzung übernehmen:

"29. August 1785: Ich [Wille] habe bei Herrn Abbé d'Owexer mit mehreren Personen, die dort eingeladen waren, gespeist. Herr Dr. Starckmann, erster Arzt des Fürstbischofs von Eichstätt, war ebenso wie Herr Baader anwesend. Um Mitternacht kam Herr Baader mit uns zurück, um sich von meiner Frau zu verabschieden, die ihn allerdings sehr übel gelaunt empfing und sagte, er habe sie sich offenbar nur um des guten Geschmacks willen für zuletzt aufgespart. Schließlich warf sich der arme Christenmensch auf die Knie vor ihr nieder, ohne dass sie ihm Verzeihung gewährte. Meine Frau, die allerdings wütender aussah, als sie tatsächlich war, ließ ihn schließlich traurigen Herzens ziehen. 'Obwohl ich, Madame,', so rief er, 'seit fünfundzwanzig Jahren die Ehre habe, an Ihrem Tisch empfangen zu werden, wo ich mich infolge meiner Gefräßigkeit in einer meinem Appetit würdigen Weise verhalten habe, wollen Sie mir nicht einen Fehler verzeihen, der mir sehr gering erscheint, nämlich dass ich außerhalb Ihres Hauses gegessen habe, bevor ich Ihnen meine Schuldigkeit erwies?' Schließlich stieg er zwischen ein und zwei Uhr mit dem sehr wohlhabenden Herrn Abbé d'Owexer in den Wagen, der ihn nach Augsburg brachte, ohne dass es ihn auch nur einen Heller kostete. Von dort dürfte er schon einen Tag später in Eichstätt, seiner Heimat, ankommen sein. Herr Baader rechnete damit, dass er vor dem nächsten Winter wieder in Paris sein würde ..."

Es ist an dieser Szene unschwer zu erkennen, dass Willes Gattin zum unverheirateten Baader eine Art von platonischer Liebe entwickelt hatte und durch sein langes Fernbleiben an diesem Abend beunruhigt wurde. Dies geschah allerdings vor dem Hintergrund, dass sie selbst im Grunde genommen schon vom nahen Tod gezeichnet war. Nur wenige Monate später, am 29. Oktober 1785, schied Marie Louise Wille im Alter von 63 Jahren aus dem Leben, infolge einer "Wassersucht".

Baaders Reise nach Eichstätt verlief viel kürzer als zuvor angekündigt, was nichts Gutes verheißt. Schon Ende September war er wieder in Paris zurück, "noch dicker und fetter als zuvor, obwohl es ihm gut ging". Er hatte als Geschenk einige Münzen und Medaillen aus der Heimat mitgebracht, unter anderem eine Medaille, die Herr Starckmann, der Leibarzt des Fürstbischofs von Eichstätt, mitschickte. Sie zeigte den Kaiser Leopold mit der Inschrift "Vermehrer des Reichs", eine Anspielung auf die Anzahl der Festungen, die dieser in Ungarn den Türken abgenommen hatte.

In dieser Zeit unterhielt Baader auch gute Beziehungen zum Zarenhof in Sankt Petersburg - über den Botschaftsrat "von Chotenski", mit dem er sich diverse Male in Paris traf.

Frau Wille war längst tot, als sich im Frühjahr 1788 ihr Witwer und dessen Freund Baader, beide nun schon fortgerückten Alters, in die Haare gerieten. Der Anlass bleibt im Dunkeln, aber lange kann die Missstimmung zwischen beiden nicht angehalten haben, denn hinterher trifft man beide wieder als "ein Herz und eine Seele" an.

Marie Thérèse Levasseur, Kreide-Aquarell Johann M. Baaders von 1791.

Im letzten Jahr vor seinem Tod portraitierte Baader Marie Thérèse Levasseur (1721-1801), die Lebensgefährtin des verstorbenen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Das schlichte Kreide-Aquarell auf Büttenpapier, das sich erhalten hat und seine Signatur trägt, befindet sich heute im "Musée Jean Jacques Rousseau" in Montmorency.

 

In seinen Pariser Jahren hatte sich Baader fast täglich im Hause Willes und bei anderen Gastgebern zum Dinieren eingefunden und er war dabei sehr, sehr dickleibig geworden. Dieser ungesunde Lebenswandel forderte schließlich seinen Tribut:

Am 30. November 1792 verstarb der gebürtige Eichstätter im Alter von 63 Jahren plötzlich an zentralem Kreislaufversagen, infolge einer Hirnblutung. Die zweite Phase der Französischen Revolution mit all ihren Greueltaten, in der später auch sein Freund Wille Schaden nahm und völlig verarmte, hat Baader zuvor wohl nicht mehr tangiert.

Von seinem Tod berichtet sein Freund Wille ausführlich:

"1. Dezember 1792: Am frühen Morgen erhielt ich einen Brief vom Bürger Renouvin, Verwalter bei M. Travanel, der mir mitteilte, dass unser gemeinsamer Freund, Herr Travanel, gestern gegen 6 Uhr abends in seiner Küche saß, als sich Baader, der sich zu ihm zum gemeinsamen Abendessen begeben hatte, plötzlich schlecht fühlte und in die Speisekammer ging, um sich eine Brühe geben zu lassen. Nach ihrem Erhalt fiel er tot um! Ich war zutiefst betrübt über diese Nachricht, denn Baader war mir ein Freund über dreißig Jahre. Am Tag vor seinem Tod hatte er noch bei mir zu Abend gegessen, aber seit einiger Zeit klagte er darüber, dass er Schwierigkeiten beim Atmen habe ..."

Es folgte eine Art von Nachruf und Würdigung: 

Auch wenn er nicht zur allerersten Garde der Maler in Paris gehörte, so war er doch wenigstens immer pünktlich und sehr fleißig gewesen; außerdem war er ein sehr ehrlicher Mensch, dazu sparsam, aber wohltätig; sein überaus fröhliches Gemüt machte ihn zum Freund aller, die die Ehre hatten, ihn kennenzulernen. Seine Scherze waren unglaublich und endlos. Er war immer auf Neues aus, aber er war vor allem ein guter Freund. Oft äußerte er sich satirisch, aber ohne irgend jemandem schaden zu wollen. Er stand früher auf sehr leichtem Fuß, aber als er sehr dick geworden war, war seine Beweglichkeit geringer geworden. Er war ein großer Esser, aber ein kleiner Trinker. Er dinierte oft bei uns und unterhielt sich mit uns fast immer.

Er konnte nach meiner Berechnung gegen vierundsechzig Jahre alt sein. Er stand kurz vor der Abreise und wollte sich nun doch nach Eichstätt in Franken zurückziehen, wo er geboren war. Er war mir sehr zugetan, und ich liebte ihn ...

Er war Schüler von Bergmüller in Augsburg und von Ritter Mengs in Rom gewesen. Er hatte die erste Medaille an der Akademie von Rom gewonnen und auch den ersten Preis an der königlichen Akademie von Paris für einen Entwurf ..."

Bei dieser Gelegenheit erfährt man von einem weiteren engen Freund Baaders, von einem gewissen Herrn Daudet. Dieser ließ Baaders Wohnung versiegeln, damit von seinen Kunstsschätzen nichts wegkam. Ein gemeinsamer Bekannter aus der Pariser Zeit, der Augsburger Klauber, bekam den Auftrag, mit Baaders Schwester bezüglich des Nachlasses Kontakt aufzunehmen. Die Abwicklung zog sich dann aus bürokratischen Gründen über längere Zeit hin.

In welchem Pariser Friedhof Johann Michael Baader zur letzten Ruhe wurde, ist nicht bekannt.

Erst posthum traf in Paris die Botschaft ein, dass Baader eine Schwester namens Monika Schleiß - in Paris geschrieben als "Scheis" - hatte, die als Hofbinderin in Eichstätt lebte. Monika Schleiß war bei Baaders Tod seine einzige lebende Angehörige und seinem Willen entsprechend auch seine Alleinerbin, aber offenkundig ohne jeglichen Sinn für die Kunst ihres Bruders. Nach einem Verkaufskatalog des "J. Paul Getty Trust" wurde auf ihre Veranlassung Baaders gesamter Nachlass am 14. Februar 1793 in Paris mit insgesamt 92 Losen versteigert - um nicht zu sagen: zu Spottpreisen verscherbelt (5 Gemälde, 7 Zeichnungen, 78 Drucke; an anderer Stelle ist von 13 Gemälden und 40 Zeichnungen die Rede). [Link] Es gibt dazu ein gedrucktes Nachlass-Verzeichnis Baaders, das für sein reiches Schaffen in Frankreich spricht. [Link]

Die Art der Abwicklung von Baaders Erbe ist biografisch signifikant. Sollte Baaders unehelicher Sohn noch am Leben gewesen sein, so hätte er nach dem Willen seines Vaters an diesem Erbe seinen Anteil haben müssen! Doch dies war nicht der Fall. Wahrscheinlicher als ein gezieltes Enterben erscheint uns, dass der Sohn nicht mehr am Leben war, als sein Vater in Paris  starb!

Interessanterweise finden sich von den hier besprochenen Pariser Bildern, aber selbst von weiteren Werken, die Wacha und Grimminger zum Künstler Baader zusammengetragen haben, so gut wie keine farbigen Abbildungen. Auch gibt das Nachlass-Verzeichnis über die gemalten und gestochenen Bildmotive Baaders so gut wie keine Auskunft. Im Gegensatz dazu haben jedoch in den letzten Jahren einige große Auktionshäuser via Internet Bilder von Malereien und Entwürfen in Verkehr gedacht, die eindeutig Johann Michael Baader zugeschrieben wurden, allerdings meist ohne Angaben zu Herstellungsdatum, Titel und Provenienz. Diesen Abbildungen zeigen wir hier in verkleinerter Form, so dass man am Ende doch einen kleinen Überblick über das "Petit Œuvre" Johann Michgael Baaders bekommt. Das Spektrum reicht von Gemälden religiösen Inhalts über Portraits von Kindern betuchter Pariser Bürger bis hin zu Jagdszenen und Stilleben. So gekonnt manche Bilder auch ausgeführt wurden, Baaders Genie blitzt hier nur verhalten auf; mit den Großwerken Baaders im Bistum Eichstätt bis 1759 können diese Werke in keiner Weise mithalten.

Links oben die Signatur Baaders auf oben gezeigtem Scheunen-Stilleben. Der Entwurf darunter und daneben zeigt "Le Christ au jardin des oliviers", eine grau lavierte Tuschzeichnung, die auch in Drucklform erschien. Links unten findet sich "Der heilige Augustus mit dem Regelbuch". In der Mitte oben ein Stilleben von 1776, mit erlegtem Wild (Reh, Ente, Hase, Fasan), mit einem braun-weißen Spaniel als Jagdhund, einem Steinschlossgewehr und einem Tagesbeutel, vor einer Fantasielandschaft. Darunter zwei Jagdgunde bei der Rebhuhnjagd. Rechts oben Portrait eines Jungen mit Buch aus dem Jahr 1774, darunter Portrait eines Mädchens mit rotem Hut, undatiert.

Abschließend noch ein Wort zu Willes Nachruf:

Johann Georg Wille wird damit recht gehabt haben, dass Johann Michael Baader aus seinem riesigen Talent, das ihm ja viele Preise eingebracht hatte, zuletzt zu wenig gemacht hatte, um in Frankreich zu den ganz Großen zu zählen. Dazu fehlten dem unverheiratet gebliebenen und zuletzt auch kinderlosen Mann auch die persönlichen Motive: Für wen hätte er sich ins Zeug legen sollen? Er war nach der großen Liebe zu Anna Maurer ein Leben lang ledig geblieben - und er war dabei vermutlich auch nicht immer so lustig gewesen, wie er sich in Gesellschaft gab. Auch war Paris nicht seine Heimat; gerade vor seinem Tod zog es ihn schwer ins heimatliche Altmühltal zurück! Der Erwerb einen großes Vermögen scheint Baader wenig im Sinn gelegen zu haben, denn für wen hätte er es erwerben sollen? Bei dieser Lage muss es Baader zuletzt auch ziemlich egal gewesen sein, dass er mit seinem Riesenappetit und seiner Fettleibigkeit seine Gesundheit ruinierte. Zum Lebensunterhalt brauchte er nicht viel, da er sich fast zu jedem Essen einladen ließ. Da fehlte u. E. am Ende jegliche Motivation, noch ein Meisterwerk abzuliefern!

Mit diesem Resümee beenden wir Baders Lebenslauf. Eines ist sicher: Mit Baaders Ableben verlor die Welt  ein großes Kunsttalent!


Damit fahren wir fort in der Beschreibung des Berchinger Deckenfreskos, denn noch sind nicht alle abgebildeten Figuren auf ihm erklärt.

Beide Herren zu Füßen des verliebten Künstlerpaares, die miteinander diskutieren, sind hoch stehende Zivilpersonen, also nicht aus dem geistlichen Stand oder dem hohen Adel stammend, wie an ihren gold-betressten Gehröcken - ohne Adelsembleme - gut zu erkennen ist. Derer gab es im Bistumssitz Eichstätt gar nicht so viele.

Wir sind deshalb so gut wie sicher, dass es sich bei diesen beiden Herren um diejenigen Persönlichkeiten handelt, denen Baader seine frühe Eichstätter Karriere und die Stadt Berching die Erneuerung ihrer Kirche zu verdanken hatten:
 

Die Eichstättischen Hofbaudirektoren Gabriel di Gabrieli und Maurizio Pedetti beim Fachsimpeln.

Johann Michael Baader hat mit dieser lebensechten Darstellung seinen beiden Mentoren verbindlichen Dank ausgedrückt und ihnen ein würdiges Denkmal gesetzt!

 

So bleibt am Ende nur noch zu klären, wer der geharnischte Ritter ganz zur Linken ist, hinter dem ein behelmter Kriegsknecht eine rot-weiß gestreifte Kriegsfahne schwingt.
 

Ausschnitt der autobiografischen Szenerie Johann Michael Baaders im Berchinger Deckenfresko.

Es könnte sich um eine Darstellung des kinderlosen Graf Gebhard VII. von Hirschberg handeln, der für die Zeit nach seinem Tod († 4. März 1305) dem Bischof von Eichstätt das gesamte Untere Hochstift Eichstätt, mit Berching als städtischem Zentrum, testamentarisch vermacht und damit besitzrechtlich übertragen hatte. Von ihm ist jedenfalls eine solche Darstellung im Harnisch, mit Helm und Kürass, bekannt (vgl. seinen Epitaph im Kloster Rebdorf). Die Farben Rot und Weiß der Fahne waren wiederum die Wappenfarben der Pabonen, die den Hirschbergern im Besitz der Gemarkung Berching vorangegangen waren und nach 1167 mit Hilfe des Templer-Ordens die Keimzelle der Stadt Berching gründet hatten, ehe sie 1184/85 ausstarben.

Einen schwarzen Doppeladler trägt wiederum auch das Bischofswappen des amtierenden Eichstätter Bischofs Raymund Anton Graf von Strassoldo, der ein gebürtiger Österreicher (Provinz Friaul) war.

Dennoch glauben wir nicht, dass Johann Michael Baader bei seiner Darstellung diese Personen besonders bewegt haben. Es sei denn, dass der gekrönte Rocaille-Schild an der Balustrade über dieser Gruppe an der Seite eine stilisierte Geweihstange trägt. Dies wäre dann ein Hirsch-Symbol und würde doch zum lang zuvor verstorbenen Grafen von Hirschberg passen.

Nach unserem Dafürhalten prägte ein ganz anderes, sehr aktuelles und bedrückendes Ereignis den Alltag der Berchinger Pfarrgemeinde, was am klugen Johann Michael Baader, so verliebt er auch gewesen sein mag, nicht spurlos vorübergegangen sein kann:

Zur Zeit, als das Deckenfresko entstand, tobte ein schlimmer Krieg in Zentraleuropa - und niemand konnte wissen, wo überall dieser noch ausbrach, wer alles davon in Mitleidenschaft gezogen würde und wie er am Ende ausging. Vielleicht liegt in diesem Krieg auch ein weiterer Grund, warum Baader in Bälde das Hochstift Eichstätt in Richtung Augsburg und dann Italien und Frankreich verließ:

Es könnte sich bei der Kriegsfahne um die allergorische Darstellung des sogenannten Siebenjährigen Krieges handeln, der sich zwischen 1756 und 1763 in fast alle Erdteilen ausbreitete und deshalb auch der erste Weltkrieg der Menschheitsgeschichte genannt wird. In Zentraleuropa waren einmal mehr die entscheidenden Gegner das Erzherzogtum Österreich und das Königreich Preußen, im Kampf um das Kurfürstentum Sachsen und um Schlesien. Das Hochstift Eichstätt verfügte zwar über keine eigenen Kampftruppen, aber es hatte sich auf die Seite Österreichs gestellt und musste für die Habsburger reichlich Söldner anwerben, was die Bürger des Hochstifts, auch in Berching, erheblich mit Kriegssteuern und Truppendurchmärschen belastete.

Die auf dem Fresko abgebildete Kriegsfahne zeigt demnach den österreichischen Bindenschild (der übrigens auf die pabonischen Vorfahren der Eppensteiner und die pabonischen Herren des sog. "Poigreichs" zurückgeht) in modifizierter Form, d. h. mit mehreren roten und weißen Streifen, und dem schwarzen Doppeladler als Symbol der habsburgischen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

Schwierig ist es, in diesem Zusammenhang den geharnischten Ritter näher einzuordnen. Er könnte einen der österreichischen Heerführer symbolisieren, wobei allerdings für einen solchen der Hufeisenbart und das Kriegshabit relativ ungewöhnlich wären: Ein solcher "moustache" war damals generell nicht mehr üblich, und ein solcher Helm wurde im Kampfeinsatz auch nicht mehr getragen. Aber vielleicht hatte Baader für diesen hohen Militär auf seinem Fresko bewusst eine historisierende Darstellung gewählt.

Ein weiteres Phänomen deutet darauf hin, dass es sich möglicherweise um den Oberkommandierenden des österreichischen Heeres handelt, den kaiserlichen Generalfeldmarschall Prinz Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen (1702-1787). Ihm hatte eine explodierende Pulverladung die rechte Augenpartie und Stirn irreversibel geschwärzt; in Übereinstimmung damit zeichnete Baader bei seinem adeligen Kürassier eine schwarze Halbstirn auf der richtigen Seite ein!

Wie dem auch sei:

Wir treffen beim Berchinger Fresko in diesen feinen Details wichtige Zeitzeugnisse an - und möglicherweise in der sog. "Gluck-Stadt" einen der Förderer Christoph Willibald Glucks (für die Zeit um 1754). Denn genau dies war der besagte Prinz von Hildburghausen!

Wir sind in diesem Zusammenhang auch relativ sicher, dass der Komponist Gluck bei seinem Heimatbesuch in Erasbach und Weidenwang im Jahr 1764, bei dem er zuletzt im Pettenkofer'schen Gasthaus (heute Rathaus) in Berching übernachtete, die Stadtpfarrkirche, die unmittelbar hinter seinem Übernachtungsquartier lag, entweder zum Abend- oder zum Morgengebet vor Abreise aufgesuchte und dabei Baader's Monumentalgemälde persönlich zu Gesicht bekam. Gluck war ein frommer, gottesfürchtiger Mann! Soviel nur nebenbei.

 

Baader hinterließ im Jahr 1758 zwischen seinem großen Deckengemälde und der Empore ein weiteres Fresko kleineren Ausmaßes, während ein in deutlich minderer Qualität gemaltes, von Engeln gesäumtes Marien-Emblem vor dem Altarraum mitunter fälschlicherweise Baader zugeschrieben wird, obwohl es eindeutig von Johann W. A. Wunderer stammt. Befassen wir uns noch kurz mit dem von Baader angefertigten Zweit-Fresko, mit dem er wahrscheinlich sein Berchinger Werk begonnen hatte. Nach seiner Trennung  von Anna Mauerer hätte er zu diesem Gemälde sicherlich nicht mehr die richtige Stimmung gehabt:
 

Das Fresko "Der konzertierende David". Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Man erkennt auf diesem rocaille-gerahmten Gemälde den König David des Alten Testamentes beim Harfenspiel, entsprechend der Bibelstelle 1. Samuel 16, 17-19 (bei der David allerdings noch kein König war): "Da sprach Saul zu seinen Knechten: Seht nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir. Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe einen Sohn Isais, des Bethlehemiters, gesehen, der ist des Harfenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der Herr ist mit ihm. Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist..." Auch diese Darstellung hat Baader von Cosmas Damian Asam entliehen.

Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um eine Einzeldarstellung des Königs David, von dessen Stamm Joseph, der irdische Vater Jesu, war, sondern um ein himmlisches Konzert, dessen Mittelpunkt er darstellt. Ihn umringen Gruppen von Engeln, die mit unterschiedlichen Instrumenten konzertieren, d. h. die Schalmei und die Trompete blasen, die Bratsche und die Violine streichen, die Pauken schlagen oder vom Blatt singen. Einer der Engel spielt sogar die Orgel. David spitzt den Mund, er zeigt sich begeistert! Rechts unten ein Engel mit Theatermaske, eine Darstellung, der bereits zuvor bei Baaders individuellem Malstil zur Sprache kam.

Auch das ist ein Gemälde, das in der Lebendigkeit der Gestalten und in der Schönheit der Ausführung weit über dem Durchschnitt ähnlicher Darstellungen des Barock und Rokoko liegt, wie z. B. an der Empore der Wallfahrtskirche auf dem nahen Habsberg.
 

Das Engelskonzert König Davids. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Fassen wir am Ende dieser ausführlichen Werkbeschreibung zusammen:

Wer ein derart geniales, bedeutungsschwangeres Fresko wie das der Berchinger Stadtpfarrkirche und obendrein den Eichstätter Jephta-Zyklus zustande bringt und es schafft, in Rom und Paris, den damaligen Zentren der bildenden Kunst in Europa, unter Dutzenden von gleichbegabten Malern zu bestehen und dort für seine Werke mehrere Preise abzuräumen, der muss entgegen anders lautenden Aussagen doch ein ganz Großer und Begnadeter unter den Künstlern gewesen sein! Dazu passt aber durchaus ein nachlässiger privater Lebenstil in Paris, den wir durch Baaders Freund Wille kennengelernt haben.

Genau diese Dichotomie Baaders kündete das Deckengemälde der Berchinger Stadtpfarrkirche bereits an, unabhängig vom exzellenten Malstil und der Originalität des Gesamtthemas.

Deshalb gehört u. E. dieses Fresko in die oberste Kategorie europäischer Rokokomalerei!

In deutschen und französischen Fachbüchern findet man darüber paradoxerweise so gut wie nichts; die eine Seite hat die andere Seite gar nicht ins Auge gefasst. Lassen wir deshalb die Werke allein für Johann Michael Baader sprechen, und folgen wir bewusst nicht dem viel zu nüchternen Resümee Christina Grimmingers, die sich u. E. zu sehr durch den negativen Ausspruch in Willes Nachruf beeindrucken ließ. Wille hätte sich, dessen sind wir uns sicher, anders geäußert, wenn er Baaders grandioses Fresko in der Berchinger Stadtpfarrkirche und dessen Gemäldezyklus zu Jephtas Geschichte in Eichstätt gekannt hätte. Doch dies war nicht der Fall.

Werke von solchem Ausmaß und solcher Qualität hat also Johann Martin Baader in Frankreich nicht hinterlassen, aber dennoch zollte ihm der Pariser Kunstexperte Emmanuel Bénézit selbst bei seinen kleinen Werken entsprechendes Lob: "Il a droit à une place honorable parmi les petits maitres réalistes du XVIIIe siècle. - Er hat Anrecht auf einen Ehrenplatz unter den kleinen realistischen Meistern des 18. Jahrhunderts ..."

Christina Grimminger hat indes unnötigerweise Willes negative Konnotation schon an den Beginn ihrer Abhandlung gestellt, sozusagen als präjudizierendes Urteil. Dies halten wir allein deshalb für verfehlt, weil damit der Leser schon Beginn der Lektüre von Grimmingers Artikel verunsichert wird: Warum ein ganzes Buch über einen Künstler schreiben, wenn dieser nicht zur ersten Garde gehört? Im kunsthistorischen Teil ihrer Abhandlung machte Grimminger leider in diesem Stil weiter, wobei ihr das persönliche Schicksal Baaders, das sich in den Gemälden von Berching und Eichstätt widerspiegelt, gänzlich entging. Dasselbe gilt für viele von Baaders Darstellungsweisen, die ihm eine ganz individuelle Handschrift und hohe Originalität verleihen. Wir erinnern z. B. an seine sehr ausgefeilte Farbgebung, an die Abschattung mancher Gesichter und verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die grundsätzlich wankenden Bäume Baaders im Jephta-Zyklus. All diese Alleinstellungsmerkmale beiseite lassend, resümierte Grimminger ebeso routinehaft wie nüchtern: "Baaders Eichstätter Schaffensjahre von 1755 bis 1762 lassen sich wie folgt zusammenfassen: Während er bei seinen Fresken aus unterschiedlichen Kompositions- und Motivquellen schöpfte, zeigen seine Ölmalereien die stilistische Schulung an der römischen Rokokomalerei auf. Insgesamt ist Baaders künstlerisches Vermögen auf dem Gebiet der Ölmalerei höher zu bewerten als sein Können auf dem Gebiet der Deckenmalerei." "Und beides war äußerst mittelmäßig", möchte man fast heraushören.

Nun, Frau Grimminger hat sich bei der Einschätzung der Fresken Baaders klar geirrt!

 Vielleicht ist sie insofern exkulpiert, als es schon eines besonders geschulten Auges bedarf, um den Wert der Berchinger Fresken beim direkten Anblick in halbdunkler Kirche (wenn die Sonne nicht hereinscheint) zu erkennen: Alterung, Vergrauung und Verrußung des Werkes nehmen ihm viel von seiner einstigen Fassion und Faszination, und es bedarf schon einer speziellen fotografischen Technik, um das Fresko vor dem Auge wieder so erstrahlen zu lassen, wie es ursprünglich der Fall war. Grimmingers Abbildungen in Littgers Buch können hier jedenfalls mit unseren Aufnahmen nicht mithalten.

Der österreichische Kunsthistoriker Georg Wacha, ein ausgewiesener Experte der süddeutschen und österreichischen Barockmalerei, hatte allerdings 1991/92 den nötigen geschulten Blick, denn ihm ging es bei seinem Besuch in Berching ganz anders: Er hatte zuerst einem österreichischen Freskanten namens Baader nachgespürt, dann einem Eichstättischen Baader, der aber in Wien tätig war. In beiden Fällen erlitt Wacha einen Fehlschlag. Aber schon beim Pariser Baader mit seinen kleineren Kunstwerken hatte Wacha gespürt, was ihm ihm steckte. Es war auch Wacha, der in den Selbstdarstellungen Baaders biografische Geheimnisse vermutete und dabei beiläufig Baaders außereheliches Verhältnis zu Anna Maurer als potentielle Ursache für seinen Weggang nach Paris in den Raum stellte. Dass sich aber gerade im Freskanten Baader ein riesiges Talent manifestierte, nahm Wacha schon vom ersten Augenblick an wahr, als er die Fresken sah, wozu er eigens von Linz nach Berching gereist war: "Ich stand 1991 und 1992 beeindruckt unter den Fresken des Künstlers in Berching und versuchte sofort, durch verschiedenen Auskünfte Licht in den Lebenslauf zu bringen".

Na also! Wenigstens Wacha bestätigt mit indirekten Worten: Baader war ein malendes Genie!

Doch damit nicht genug, denn wir warten nun mit einer weiteren Sensation auf:

 

Sensation Nr. 3: Die Pentagramm-Geometrie im Berchinger Deckenfresko Johann Michael Baaders

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Nicht nur der Hofarchtitekt Maurizio Pedetti, sondern auch der aus ganz anderer Lehrtradition kommende Johann Michael Baader kannte das Regelwerk der Pentagramm-Geometrie und brachte diese beim Berchinger Deckenfresko, seinem unumstrittenen Meisterwerk, gekonnt zur Anwendung - wie immer mit dem Ziel der Schaffung einer gottgewollten und gottgefälligen Harmonie!

Der Freskant Baader muss die Kenntnis der Pentagramm-Geometrie während seiner Studien in Rom erworben haben, vielleicht sogar von seinem Lehrer Sebastiano Conca selbst, dessen Werk wir allerdings diesbezüglich nicht weiter untersucht haben (ein Desiderat an die Fachwissenschaft!). Dass zur Lebenszeit Baaders nur noch ganz wenige Künstler von diesem Geheimwissen wussten, und in Eichstätt außer Pedetti wohl keiner davon Kenntnis besaß, das haben wir bereits erklärt. Rom war allerdings der Boden, wo man noch am ehesten die alte Tradition gewahrt hatte.

Wenn aber der "auswärtige" Baader dort in dieses Geheimnis eingeweiht wurde, dann kann man daraus auch ablesen, dass er dort seitens der italienischen Kollegen als Künstler ersten Ranges anerkannt und geschätzt war, denn an einen Dilettanten hätte man dieses unpublizierte, nur durch Mundpropaganda vermittelte Erfolgsrezept wohl kaum weitergegeben. Auf seine Anerkennung in Rom weist allerdings auch die hohe Dekoration durch den Papst persönlich hin (siehe weiter vorn).

Heute Planungspentagramme in kirchlichen Deckengewölben zu erkennen, fällt selbst dem versierten Kenner der Pentagramm-Geometrie nicht leicht. Dies liegt 1. an der Krümmung der bemalten Gewölbedecken, 2. an der Schwierigkeit, diese Decken ohne Parallaxenverschiebung fotografisch abzubilden:

Der Leser dieser Zeilen muss sich deshalb mit geringen Abweichungen abfinden, wenn er die folgenden Aufnahmen von Baader-Fresken betrachtet:

Dass Johann Michael Baader seine Gemälde-Expositionen nach dem Pentagrammprinzip gestaltete, fiel uns erstmalig nicht am Berchinger Deckenfresko auf, sondern an seiner Debüt-Arbeit in der Heilig-Kreuz-Kirche von Schambach. Nachdem in der Barockzeit die Schambacher Kirche durch den Eichstätter Hof- und Domkapitelsbaumeister Giovanni Domenico Barbieri (1704-1764) von Grund auf neu errichtet worden war, erhielt Johann Michael Baader unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Rom den Auftrag, dort neben ein paar kleineren Darstellungen in den Jahren 1756/57 je ein größeres Fresko im Altarraum uund im Kirchenschiff zu malen, wovon das eine die Kreuzigung Christi und das andere die Auffindung des Kreuzes druch die byzantinische Kaiserin Helena um 330 n. Chr. zum Thema hatte.

Bei der Betrachtung des Gemäldes mit der Kreuzigung Christi fiel uns sofort das zugrundeliegende Planungspentagramm auf, da sich die dargestellte Leiter und der Kreuzbaum mit dem 36°-Winkel exakt in einen Pentagamm-Pfeil einpassen. Hier scheiden Zufälligkeiten komplett aus. Die folgende Abbildung zeigt, wie sich von diesem Hauptpentagramm aus über Unterpentagramme markante Bildpunkte und Achsen weitere Gemäldedetails erschließen, wobei sich manche Linien durch Parallelverschiebung herausprojizieren (in der Abbildung exemplarisch blau eingezeichnet).

Abbildung aus Littger, a. a. O., kontrastverstärkt. Man achte u. a. darauf, wie das Antlitz des leidenden Christus in die obere Pentagrammspitze eingepasst ist!

Wir verzichten im Folgenden auf nähere Erklärungen zu diesem Werk und bitten den Betrachter nur, auf das Grundprinzip des Pentagramms zu achten, das den Goldenen Schnitt in allen Bildproportionen gewährleistet. Wollte man bei dieser Malerei in Schambach alle künstlerischen Details erfassen, wäre eine weitere Facharbeit fällig!

Damit wenden wir uns dem Berchinger Deckenfresko zu und bitten den Leser um Nachsicht, wenn diese Aufnahme unscharf ist. Wir haben sie deshalb gewählt, weil sie von all unseren Aufnahmen diejenige mit dem geringsten Parallaxenfehler ist. Dennoch lassen sich einzelne Pentagrammpunkte, vor allem die alterseitigen, im Gemälde nicht ganz genau zuordnen.

Johann Michael Baaders großes Planungspentagramm im Berchinger Deckengemälde.

Bezüglich der Hauptstrukturen kann es aber auch hier keinen Zweifel geben:

Die beiden Pentagrammspitzen links und rechts spannen exakt die gesamte Breite des Freskos auf. Die beiden unteren Pentagrammspitzen enden an zwei auffallenden Eckvorsprüngen der virtuellen Erden-Ballustrade. Der Innenwinkelpunkt unten ist zugleich Nabelpunkt des Kriegers "Amerika", der Pentagramm-Mittelpunkt ist Nabelpunkt des auf Maria zeigenden Engelchens, die obere Pentagrammspitze das Ende des Himmel-Baldachins. Der untere Innenwinkelpunkt des oberen Unterpentagramms ist zugleich Kniepunkt der Zentralfigur, der Gottesmutter Maria. Etc. etc.

All diese Punkte kennen wir in analoger Form von zahlreichen anderen Gemälden her, die hier alle zu vergleichen zu weit führen würde. Wir verweisen in diesem Zusammenhang erneut auf unsere im Kapitel "Pedetti und Planungspentagramm" vermerkten Facharbeiten.

Wenn man in das Zentralpentagramm im Berchinger Fresko auch noch die Mittelsenkrechten des Innenpentagons einzeichnet, entstehen symmetrische Felder in größerer Zahl, in welche fast alle Figurengruppen in ausgleichender Gewichtung und Gegengewichtung eingepasst sind. Desgleichen folgen etliche Körperachsen den Pentagrammlinien.

Wir verzichten nun auch hier auf weitere Details, bitten aber den Leser, sich abschließend klarzumachen:

Die den Gemälden immanenten Planungspentagramme verpflichteten den Künstler nicht zum Zwang, die gesamte Disposition seines Entwurfes nach ihren Punkten, Linien und Winkeln auszurichten. Ganz im Gegenteil: Das Pentagramm sollte zwar proportionen-wahrend vorhanden sein und für höchstmögliche Harmonie sorgen, es sollte allerdings nicht ins Auge des Betrachters springen, sondern ein dem Primärblick entzogenes Hilfsmittel bleiben! Deshalb waren auch Abweichungen von Schema erlaubt und zur Verschleierung des Pentagramms sogar gewollt.

Gerade im Spiel zwischen zeitlos planerischem Gebot und küstlerischer Freiheit liegt ja der Reiz und die Schönheit solcher Gemälde mit Pentagramm!

Wer kommen zur Quintessenz unserer Ausführungen:

Dass Johann Michael Baader in seinem Fach als Freskomaler ein Genie war, haben wir mehrfach demonstriert, durch seine Planungspentagramme wurde es nun zur abschließenden Gewissheit! Neu für dem Leser dieser Arbeit ist: Baaders überragendes Talent und sein profundes Wissen blitzten bereits in seinen allerersten Fresken im Bistum Eichstätt auf, z. B. in der Kirche von Schambach!

 

Die weitere Innenausstattung der Kirche "Mariä Himmelfahrt" in Berching

Bei der weiteren Innenausstattung der Kirche "Mariä Himmelfahrt" wollen wir uns so kurz wie möglich fassen, obwohl auch hier kein Vortrag oder keine Beschreibung reicht, um alle Elemente in ihrer Schönheit und Bedeutung zu durchdringen.

Zunächst zum Hauptaltar und den beiden Seitenaltären vor den Freisäulen:
 

Perfekte Harmonie der Altaraufbauten. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Der Hochaltar mit sechs der typisch-eichstättischen, in opaquen Brauntönen gehaltenen Kompositsäulen enthält überlebensgroße Figuren der Diözesanheiligen, des heiligen Willibalds und seiner heiligen Schwester Walburga. Das Gemälde des Hochaltars, umrahmt von  reichem Rocaille-Dekor, zeigt erneut die Himmelfahrt Mariens, nunmehr aus dem Kreis der Jünger heraus. Ausgeführt wurde dieses Gemälde wie auch die Altarblätter der beiden Seitenaltäre im Jahr 1779 vom Eichstätter Bürgermeister und Maler Johann Willibald Augustin Wunderer (1739-1799).
 

Der Prospekt des  Hauptaltars. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Die überlebendgroßen Standfiguren der heiligen Walburga und ihres heiligen Bruders Willibald.

Das zentrale Tafelgemälde des Hauptaltars von Johann Willibald Wunderer, aus dem Jahr 1779.

Der linke Seitenaltar zeigt als Zentralmotiv des Altarblattes das letzte Abendmahl Christi, daneben stehen die bemalten Skulpturen Johannes' des Täufers und Mose, darunter ein weiteres Gemälde mit dem Herz Christi, von ca. 1770.
 

Der linke Seitenaltar von Johann Willibald Wunderer. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Beim Pendant gegenüber, aus denselben Künstlerhänden, erkennt man auf dem großen Altarblatt oben Gottvater und Gottsohn mit dem Kreuz, dazu einige der vierzehn Nothelfer, basal den Patron der zweiten Berchinger Kirche, den heiligen Lorenz mit seinem Rost. Zu beiden Seiten stehen die schönen Standfiguren der Eltern Marias, links die Mutter Anna und rechts der Vater Joachim. Darunter steht ein zweites, um 1770 entstandenes Gemälde, mit dem Herzen und der Lilie ihrer Tochter Maria.
 

Der rechte Seitenaltar von Johann Willibald Wunderer: Die 10 Nothelfer und der heilige Lorenz, dazu die Standfiguren der Eltern Marias, links der Mutter Anna und rechts des Vaters Joachim. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Die reich geschmückte und von den 4 Evangelisten getragene Rokoko-Kanzel aus Stuckmarmor zur Rechten des Kirchenschiffs wurde wie der Umbau des Hauptaltars vom Eichstätter Hofbildhauer Matthias Seyboldt (1696-1765) gestaltet, hier mit einem Entstehungsdatum um 1760.

Seit Jahren stört uns an dieser schönen Kanzel das schief hängende Gottesauge, dessen sich offenkundig niemand erbarmt, und die grundverkehrte Nicht-Benutzung dieses schönen Kunstwerkes als Ort der Verkündigung.
 

Die Kanzel des Matthias Seyboldt, aus unterschiedlichen Projektionen und bei unterschiedlichem Lichteinfall. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Darstellung.

Der Balasterfuß des darunter stehenden Taufbeckens stammt noch aus dem Vorgängerbau der Kirche. Er wurde 1684 wie so viele andere im Bistum Eichstätt vom Bildhauer Antoni Grueber skulptiert. Das dazu gehörige Taufbecken mit der für die Region so typischen Muschelornamentik ist leider verloren gegangen; es wurde schon 1736 durch ein größeres ersetzt.
 

Das barocke Taufbecken von Antoni Grueber.

In den Seitenkapellen des Maurizio Pedetti befinden sich zwei weitere Großaltäre, mit gemalten Altarblättern des Eichstätter Hofmalers Johann Chrysostomos Winck (1725-1795). Hier kommt aus Gründen des ungünstigen Lichteinfalls bei der Fotografie nur der linke Seitenaltar zur Abbildung, mit dem heiligen Josef und dem Christuskind, mit dem Franziskaner Anton von Padua (1195-1231) und dem Jesuiten Franz-Xaver (1506-1552), bei der Missionierung. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Ölberg-Szene abgebildet. Die Heiligenbilder auf den Altarmensen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Am linken Altar vermuten wir eine Abbildung des heiligen Leonhard, worauf die abgelegte Bischofsmütze und die Viehherde im Hintergrund hinweist.
 

Der Altar in der linken Seitenkapelle, von Johann Chrysostomus Winck.

Von oben nach unten: Der heilige Josef mit dem Jesuskind, im Engelskranz, darunter links der heilige Anton von Padua und unten im Vordergrund rechts der heilige Franz Xaver.

 

In der Kirche befinden sich auch einige wertvolle Epitaphe, welche z. T. schon aus dem Vorgängerbau, also aus der Zeit vor 1700  stammen. Hier eine kleine Auswahl, zu betrachten von links nach rechts:
 

Ein kleine Auswahl der wertvollen Epitaphe in der Kirche "Mariä Himmelfahrt". Der besonders wertvolle Epitaph von Loy Hering ist schwer beschädigt und gehört dringend restauriert. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

Schier unerschöpflich sind weitere kleine und große Accessoires in der Kirche, ohne dass es an dieser Stelle möglich wäre, alle abzubilden. Sie runden das Gesamtbild des Kirchenraumes harmonisch ab.

So verzichten wir z. B. auf eine Abbildung des großen Kruzifixes am Öffnungsbogen der linken Seitenkapelle, mit schmerzhafter Muttergottes zu Füßen. Beides stammt aus dem Jahr 1785 und vom Berchinger Bildhauer Lorenz Raab.

In der folgenden Abbildung beachte man zur Linken die früh-klassizistische, wunderbar skulptierte Figur des heiligen Josef unbekannter Provenienz, mit Lilienstab und Jesus-Kind auf dem Arm. Oder die beiden teilvergoldeten Rokoko-Engel des Hochaltars auf ihren fahrbaren Podesten: In ihrer wunderbaren, zum Allerheiligsten hin gerichteten Beschwingtheit verdecken sie geschickt die optisch störenden eitenausgänge mit ihrem dunklen Vorhängen und runden so die Gesamtszenerie des Hochaltars in origineller Weise ab. Beide stammen wohl aus der Hand des Matthias Seyboldt, der sich allein durch diese beiden Engel als großer Künstler ausgewiesen hat!
 

Ein kleine Auswahl der schönen Nebenfiguren in der Kirche "Mariä Himmelfahrt". Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

An den Schiffswänden hängen, hier nicht abgebildet, zahlreiche weitere Heiligenfiguren, sowie die schön gemalten und gerahmten Tafelbilder des umlaufenden Kreuzwegs.

Wir schließen dieses Kapitel mit einer Abbildung der Zunftstangen aus dem 18. Jahrhundert, die im Schiff zu beiden Seiten des alten Betgestühls aufgestellt sind und früher bei Prozessionen von den jeweiligen Handwerkergilden durch die Stadt getragen wurden.
 

Die spätbarocken, teils gotisierenden Zunftstangen in der Kirche "Mariä Himmelfahrt". Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.
 

Ehe wir den unteren Kirchenraum verlassen, um uns auf die Empore zu begeben, zeigen wir noch den modernen Volksaltar der Kirche,  der mit Ambo und der alten Lorenz-Reliquie unbekannter, wahrscheinlich "Nürnberger" Provenienz [Link] eine Einheit bildet und am 21. November 2011 eingeweiht wurde. Der kubistische Entwurf stammt vom Eichstätter Künstler Günter Lang. [Link] An diesem relativ neuen Altar scheiden sich die Geister. U. E. wäre man angesichts der spätbarocken Stilreinheit der Kirche im Eichstättischen Übergangsstil zum Rokoko gut beraten gewesen, jeglichen Modernismus zu vermeiden und vor allem den Blick auf den wertvollen Hochaltar und die Grabdarstellung des Altartisc-Unterbauss - nach Auskunft von Herrn Kirchenpfleger Altrichter soll dies kein sog. Heiliges Grab, sondern eine Grablege des heiligen Franz-Xaver darstellen - mit diesem großen, viergeteilten Kalkstein-Block nicht zu sehr zu verstellen.

In seiner Wucht harmoniert der neue Altar auch wenig mit dem restlichen Kirchenraum. Wir halten ihn deshalb für eine unpassende Lösung - wenngleich ganz ein Zeichen seiner Zeit. Dass die in ihn integrierte Lorenz-Reliquie, die erst vor ein paar Jahren wiederentdeckt wurde, eigentlich nicht hierher, sondern in die St.-Lorenz-Kirche gehört, haben wir bereits andernorts berichtet! [Link]
 
 

Der Volksaltar von Günter Lang verrät u. E. ein falsches Kunstverständnis. Wie kann es Kunst sein, simple Blöcke aus Kalkstein maschinell zu schneiden, zu schleifen und hinterher kaum nachzubearbeiten?

 

Die spätbarocke Empore der Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt"

Verlassen wir nun den unteren Kirchenraum und begeben uns auf die Empore. Selbst unter der Empore ist das Blickfeld von Maurizio Pedetti mit Raffinesse gestaltet worden: Wenn man die Raummitte einhält, verdeckt keine der hölzernen Emporenstützen die 5 Altäre der Kirche und die Kanzel!
 

Unter der doppelstöckigen Empore.

Es folgt der Gesamtprospekt der Empore, vom Altarraum aus gesehen:

Die spätbarocke Doppelempore vom Altarraum aus gesehen.

Im ersten Stock der Empore befindet ein altes, grobschlächtiges und unbequemes Gestühl, lediglich bestehend aus roh gezimmerten Balken, das den Dienstboten der Stadt und einfachen, armen Leuten ohne Bürgerrecht vorbehalten war. Es ist vollständig erhalten und stammt aus dem Jahr 1760.

Als Kuriosum befindet sich dort auch der Sitzplatz des Abdeckers. Er ist vom sonstigen Kirchenvolk durch einen Querbalken abgetrennt. Dieser Mann, der zu manchen Zeiten in Personalunion auch der Scharfrichter der Stadt war, übte einen "unehrlichen" Beruf aus, [Link] also musste er Distanz zu den anderen Gläubigen halten und auch als erster die Empore nach dem Gottesdienst wieder verlassen.
 

Links das Chorgestühl für Dienstboten und einfache Leute. Rechts der Sitzplatz des Abdeckers. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

Im zweiten Stock der Empore befindet sich die Orgel, seit 1996 ein modernes  Exemplar der Orgelbaufirma Hubert Sandtner aus Dillingen an der Donau, mit 29 Registern und 128-facher Setzer-Anlage. Der Orgelprospekt ist allerdings im spätbarocken Original erhalten geblieben; er stammt aus dem Jahr 1758.

Die Sandtner-Orgel hat sich aufgrund ihrer Klangvielfalt in zahlreichen Konzerten bewährt und einen guten Ruf verschafft; renommierte Organisten konnten inzwischen zu Konzerten gewonnen werden. Ebenso gastierten bereits namhafte Chöre wie die "Regensburger Domspatzen" oder der "Münchner Frauenchor" in der Stadtpfarrkirche.
 

Hinter der Balustrade die neue Sandtner-Orgel im historischen Gehäuse. An der Decke das Baader-Fresko mit König Davids Engelskonzert. Durch Klick auf das Bild kommt man zu einer vergrößerten Abbildung.

Es folgt eine kurze Bitte am Ende, gerichtet an den Herrn Stadtpfarrer, an den/die Mesner-innen, an den Kirchenpfleger, an den Pfarrgemeinderat und die gesamte katholische Pfarrgemeinde in Berching:

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, den historischen Eingangsraum einer so wertvollen Rokoko-Kirche so stilfremd zu gestalten, wie er sich heute meistens darstellt: Da stehen moderne Stühle herum, manchmal sogar in Haufen, Konsolen mit irgendwelchen belanglosen Dingen darauf und Paravents oder Anschlagtafeln, an denen irgendwelche Zettel, simple Kinderzeichnungen und Werbeplakate hängen. Hinzu kommen neuerdings "moderne" Weihwasserspender in glatter Metalloptik, die einfach an historische Bauteile angeschraubt wurden, etc. etc.

Dabei kommt es gerade beim Betreten eines derartigen Kunstwerks zur Ehre Gottes so sehr auf den ersten Blick und den ersten Eindruck an!

Wir sind der Meinung:

Der Eingangsraum der Berchinger Stadtpfarrkirche ist schlichtweg hässlich! So einfallslos und unpassend gestaltet man vielleicht eine Bahnhofshalle oder eine Einkaufspassage, aber nicht einen Kirchenraum, in dem Gott an uns wirken soll! Und schon gleich nicht ein so großartiges Gesamtkunstwerk wie das vorliegende. Es verlangt ganz einfach nach Stilreinheit, selbst im kleinsten Detail!

Deshalb unsere dringende Bitte:

Jetztzeit-Artikel und sonstige Modernismen komplett raus und mehr Geschmack und Einfühlungsvermögen bei einer würdigen Neugestaltung im spätbarocken Geist und Stil! Beides kostet sehr wenig, benötigt nur ein bisschen Gefühl und Überlegung - und vielleicht ein paar Euro, die bei einer entsprechenden Kollekte rasch zusammenkommen dürften.

Unabhängig davon besteht angesichts der bestehenden Schäden auch das dringende Desiderat einer Renovierung des kompletten Innenraums der Kirche!

In diesem Zusammenhang bitten wir darum, diese Facharbeit als Planungshilfe an die dafür Verantwortlichen in der Diözese Eichstätt weiterzugeben!

Mit diesem doppelten Appell beschließen wir den kunsthistorischen Teil der Kirchenvorstellung. Abschließend ein paar Worte zu den "Tönen und Klängen" der Kirche:

 

Die Kirchenglocken

Die Glocken der Berchinger Stadtpfarrkirche stellen ein 7-stimmiges Geläute aus Bronzeglocken dar. Eine davon, die sog. "Angst", stammt noch aus der Zeit um 1300, zwei weitere aus der Zeit um 1500 und aus dem Jahr 1590. [Link]

Wenn diese Glocken im Ensemble erklingen, vernimmt man ein Klangbild von äußerster Harmonie. In seinen Genuss sind wir unvermutet gekommen, als wir am Samstag, den 24. Februar 2024, nach unserer Foto-Tour die Kirche nach Süden verließen. Als wir die südliche Kirchentür von außen schlossen, begann sekundengenau um 15 Uhr nachmittags der Wohlklang des Glockenspieles, um den nachfolgenden Sonntag einzuläuten. Wir waren tief beeindruckt: Wenn das kein Fingerzeig Gottes war!

Das folgende Bild stellte einen Teil der Südfassade der Kirche vor, mit einer Sonnenuhr an der Außenwand des Sakristeianbaus. Durch Klick auf das Bild, erhält man eine kurze Kostprobe des festlichen Geläutes, wobei hier allerdings nicht alle Glocken in Schwingung sind.

Einen Eindruck vom sonoren Klang des Vollgeläutes oder Plenums erhält man durch zwei kurze Filme bei Youtube: [Link] [Link]
 

Die Sonnenuhr der Pfarrkirche "Mariä Himmelfahrt". Sie steht hier genau auf 3 Uhr nachmittags und markiert den Zeitpunkt, an dem jeden Samstag die Glocken der Kirche den Sonntag einläuten.

 

Damit endet unsere ausführliche Beschreibung der Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" in Berching. Nicht zuletzt wegen der sensationellen Befunde, die wir im Kirchenaufriss des Maurizio Pedetti und im Deckenfresko des Johann Martin Baader entdeckt haben, nennen wir ab sofort den inneren Kirchenraum die "spätbarocke Sixtina" von Berching!

Wir denken, dass ein jeder, der ein wenig von Kunstgeschichte versteht, weiß, was wir damit ausdrücken wollen:

Die Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" in Berching ist bezüglich ihres Wertes bis dato weit unterschätzt. In Wahrheit ist sie trotz ihres schlichten Äußeren ein Juwel der Kirchenbaukunst, errichtet im spezifisch Eichstättischen Übergangsstil vom Barock zum Rokoko. Diese Kirche besitzt dabei wenigstens zwei Alleinstellungsmerkmale: eine Konstruktion nach dem Pentagramm-Prinzip, das zu ihrer Zeit längst verlassen war, sowie ein Deckenfresko von hohem künstlerischem Wert, das u. a. die persönliche und vermutlich lebenslang währende Liebe des Malers zu einer schönen Frau abbildet. Und auch dieses Bild wurde einst nach dem geheimen Pentagramm-Prinzip entworfen!

Wo hat es so etwas schon gegeben?

Allein wegen dieser Spezifika, die sie weit über andere Kirchenbauten derselben Zeitstellung hinaushebt, hätte die Kirche "Mariä Himmelfahrt" es verdient, in das Weltkulturerbe des UNESCO aufgenommen zu werden, um so künftig besondere Wertschätzung und besonderen Schutz zu erfahren!
 

+++ Gott segne und beschütze diese Kirche - über die alle schwierigen Zeiten hinweg! +++

 


 

[Referenzen]

Die erste ausführliche Biographie Johann Michael Baaders stammt vom oberösterreichischen Kunsthistoriker und Museumsdirektor in Linz, Georg Wacha: "Johann Michael Baader (* Eichstätt 18. Mai 1729, † Paris 30. November 1792)", publiziert im Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt Nr. 86, 1993, S. 67-83.

Als 2003 in Eichstätt Baaders Jephtha-Gemäldezyklus der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und dazu aus der Hand des Herausgebers Klaus-Walter Littger ein Begleitband erschien - "Jephthas Tochter: eine alttestamentarische Geschichte in Eichstätt", Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt Nr. 57, Wiesbaden 2003 -, stellte die Eichstätter Kunsthistorikerin Christina Grimminger auf den Seiten 17 bis 36 erstmalig Baaders Lebenslauf in ausführlicherer Form zusammen, ging dabei (im Gegensatz zu Wacha) auch auf kunsthistorische Aspekte ein und merzte einige Fehlinformationen aus früherer Zeit aus.

Zu Baaders Berchinger Deckenfresko und zu seiner außerehelichen Beziehung zu Anna Maurer hat der verstorbene Berchinger Lehrer Heinrich Edinger in der Zeitschrift "Die Oberpfalz" Nr.5, 2009, S. 292-294, einen Artikel geschrieben: "Das Deckengemälde der Berchinger Pfarrkirche - Ein Werk des Eichstätter 'Hoff- und Cabinets Mahlers' Johann Michael Baader".

Da leider sämtliche Arbeiten Lücken, Unrichtigkeiten und Fehlbeurteilungen aufweisen, außerdem im Grundsatz Wesentliches übersehen haben, fügen wir in dieser Arbeit nach eigenem Quellenstudium weitere Informationen zum Leben und Werk Baaders hinzu. Der Übersicht halber verzichten wir dabei auf die jeweiligen Referenzen, da sie vor allem bei Wacha und Grimminger umfassend nachzulesen sind.

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