Das Pentagramm zur Zeit der Romanik

© Werner Robl

 

Die Kirche St. Michael in Hildesheim

Die Kirche St. Michael in Hildesheim wurde ab dem Jahr 1010 von Bischof Bernward auf einem Hügel vor den Toren der Stadt erbaut und am Michaelstag 1033 von seinem Nachfolger, Bischof Godehard, vollendet. Da sich die Kirche ganz am ottonischen Baustil orientiert und obendrein einen Kreuzpartikel aus der Hand Kaiser Ottos III. erhielt, zählt sie zu den frühesten Vertretern des romanischen Baustils, wenn man sie nicht sogar korrekter als vorromanisch bezeichnen sollte. Wegen ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung zählt die Hildesheimer Michaelskirche heute zusammen mit dem Hildesheimer Dom zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Bischof Bernward von Hildesheim (960-1022 ) soll höchstpersönlich der Architekt dieser Kirche gewesen sein; er wird nach einem Pauluswort auch als "architectus sapiens" (1 Kor 1, 13) bezeichnet. Als Bauleiter diente vermutlich der erste der Abt des Michaelisklosters Goderam. Beide Gottesmänner waren durchdrungen von den Schriften des Philosophen Boethius und des römischen Architekten Vitruv; in der antiken Pentagramm-Technik müssen sie bestens bewandert gewesen sein, wie nachfolgende Planzeichnung zeigt:

Rot und gelb die Innenpentagramme, grün die Querachse, blau die Knotenpunkte und Baulinien, die sich aus denselben ergeben.

Die Längsschiffe der Kirche ist um eine von Nord nach Süd verlaufende Achse (grün) gespiegelt und somit doppelt achssymmetrisch angelegt; dazu gehören auch 2 nahezu gleichgroße Querschiffe mit Vierungstürmen. Für den Grundriss haben die Baumeister ein doppeltes achssymmetrisches Pentagramm zugrunde gelegt. Aus den beiden Fünfsternen lassen sich zusammen mit einigen Unter- und Zusatzpentagrammen nicht nur ein Großteil der Baulinien der Kirche ableiten, sondern auch die wichtige Position der zentralen Viereckpfeiler und der seitlichen Portale, die Lage der Chorschranken und die Dimensionen der beiden Chöre. Die offiziellen Beschreibungen sprechen von der außerordentlichen Stilreinheit und Harmonie der Kirche, das zugrundeliegende Konstruktionsprinzip bleibt dabei jedoch unerwähnt. Zum Vergleich: 

Unter kunsthistorischen Aspekten gilt die Michaelskirche in Hildesheim als Leitgebäude für viele nachfolgende Kirchenbauten der europäischen Romanik. Der Grundriss mit dem Pentagramm wurde damit zum integralen Bestandteil vieler romanischer Kirchen und ging sukzessive auch auf den Kathedralbau der Gotik über (siehe Kapitel Gotik ).

Der Architekt Wolfgang Kamke hat in seinem Werk "Pentagramm, Hexagramm und Achtort bei den Kirchen der Zisterzienser und anderen Kirchen" (Book-on-demand, 2003) darauf hingewiesen, dass auch der Zisterzienserorden für viele Kirchenbauten das Pentagramm-Prinzip übernahm. Es folgt an dieser Stelle eine Auswahl der von Kamke untersuchten Kirchengrundrisse, inklusive Grundrissen mit Doppelpentagrammen wie in Hildesheim. Diese Zisterzienserkirchen werden auch im Kapitel Gotik als Präkursoren des gotischen Kirchenbaus nochmals vorgestellt.

Bilder aus Kamke, Pentagramme..., zur besseren Erkennbarkeit von uns farbig unterlegt.

 

Bei Kamke sind bei den meisten dieser Kirchen die Presbyterien von der Pentagramm-Konstruktion losgelöst und bleiben eigenen Dreieckskonstruktionen vorbehalten. Im Gegensatz dazu sehen wir vielerort auch in den Chören das Pentagramm-Prinzip verwirklicht, wenngleich mit eigenen Zentralpentagrammen, die mit den Pentagrammen der Schiffe meist nur in mittelbarem oder gar keinem  Zusammenhang stehen. Man vergleiche hierzu auch die Chöre der Michalskirche oben, sowie den Ostchor des Karlsdomes im Kapitel "Das Pentagramm in der karolingischen Kunst".

Mit anderen Worten:

Das heidnische Symbol des Pentagramms machte wegen seines genialen Prinzips auch vor dem Allerheiligsten nicht halt!

 

 

Relief am Taufbecken im ehemaligen Jupitertempel von Split (11. Jhd.)

Innerhalb des Stadtzentrums der kroatischen Stadt Split, das von den Ruinen des ehemaligen Diokletianspalast aus dem 3./4. Jhd. n. Chr. geprägt wird, befindet nordwestlich der Domnius-Kathedrale am Ende einer schmalen Gasse ein kleiner Jupitertempel, der bereits in der Spätantike in ein Baptisterium umgewandelt wurde.

In diesem ehemaligen römischen Tempel, der sich wie kaum ein zweiter inklusive einer gewölbten Kassettendecke komplett erhalten hat, wurde spätestens im 12. Jahrhundert ein Taufbecken in Kreuzesform untergebracht, dessen Wände sich aus Marmortafeln zusammengesetzen, die wiederum bereits im 11. Jahrhundert in der Kathedrale als Chorschranke gedient hatten.

Diese Tafeln sind aufwändig skulptiert und mit einer umlaufenden Flechtband-Ornamentik verziert. Auf der Stirnseite des Beckens befindet sich die Darstellung der kroatischen Königs Petar Krešimir IV., die linke Seitenfront des Beckens ist aber einem fein skulpierten, aufrecht stehenden Pentagramm mit einem verdrillten Umkreis aus drei Schnüren vorbehalten. In den dadurch aufgespannten Teilflächen befinden sich die Darstellungen von 4 Vögeln und jeweils einer 6- und 7-blättrigen Blüte. Die Ecken sind mit Palmen-Ornamenten verziert.

Wegen dieser Komposition wird das frühromanische Pentagramm-Relief in Split als eine Art von Lebensbaum verstanden: Der zentrale Fünfstern symbolisiert im Sinne Platons die 4 Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft, ergänzt durch das 5. Element des Äthers. Damit ist der Urstoff allen organischen Lebens auf dem Erdkreis beschrieben, die Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Flora und Fauna.

 

 

Schmuckfenster in der Kirche San Bartolomé bei Ucero in Spanien

Eingebettet in eine Schleife des vielfach gewundenen Rio Lobos, der sich nördlich von Ucero tief in die Berglandschaft von Soria eingegraben hat und von wildzerklüfteten Überhängen gesäumt wird, findet sich in einsamer Lage die späromanische Kirche San Bartolomé. Es handelt sich um einen relativ großen, schlichten Apsidensaal mit Querschiff. Das Halbrund der nahtlos an das Schiff anschließenden Apsis ist durch vier Lisenen in 3 Felder gegliedert, in welche jeweils ein Fenster eingeschnitten ist. Das einschiffige und von einer Spitztonne gewölbte Innere beherbergt mehrere schöne Kapitelle.

Neben einem angedeutet spitzbogigen, reich gegliederten Archivoltenportal und einem umlaufenen Konsolenfries finden sich an der Südfassade nur wenige Zierelemente. Umso mehr fällt dem Betrachter schon aus der Ferne das hoch am Querhaus angebrachte Rundfenster auf, das wie sein Pendant an der Nordseite durch ein Pentagramm in 5 Sektoren geliedert wird.

Bei näherer Betrachtung handelt es sich um einen künstlerisch gestalteten romanischen Okulus, dessen Gewände sich dreifach nach innen staffelt und in einem zentralen Rundfenster endet. Dieses glaslose Fenster wird durch ein Pentagramm besprosst, das aus einem filigran ziselierten Band ohne Anfang und Ende besteht und nicht nur die Pentagrammschenkel ineinander verflicht, sondern auch den Umkreis als Serie spitzbogiger Doppelarkaden profiliert. Am späten Vormittag wirft die Sonne dieses Pentagramm als Schattenwurf hinein ins Kircheninnere.

Im Gegensatz zur Chorschranke von Split steht hier das Pentagramm auf dem Kopf und weist mit einer Spitze auf den Erdboden. Kirchenfenster dieser Art sind in der Romanik eine Seltenheit. Im Fall der Kirche San Bartolomé, die überwiegend in den Beginn des 13. Jahrhunderts datiert wird, gibt dies sogar Anlass zu Spekulationen:

Da bis zur seiner Aufhebung im Jahr 1312 der geheimnisumwitterte Templerorden in der Gegend von Ucero reich begütert war und in der Nähe auch die Komturei "San Juan de Otero" (heute abgegangen) betrieb, wird die Einsiedlei San Bartolomé mit diesem Ritterorden in Verbindung gebracht, ohne dass dafür ein abschließender Beweis vorläge.

Das Pentagramm-Symbol kann dafür als Beweismittel nicht herangezogen werden, denn es ist nicht templerspezifisch und in den meisten Templerkirchen auch nicht anzutreffen. Für eine Eremitage ist die Kirche allerdings ungewöhnlich groß. Speziell das wuchtige Querhauses spricht gegen den alleinigen Betraum eines Einsiedlers und belegt eine Investition, die das Vermögen einer Einzelperson bei Weitem überschritt. So stellt sich, auch wenn sich hier keine weiteren Bauten fanden, die berechtigte Frage, ob sich an dieser entlegenen Stelle nicht doch eine Templer-Niederlassung oder wenigstens das Kloster eines anderen Konventes befand. Fragen wirft auch das Patrozinium der Kirche auf, deren Achse eher auf den Sonnenaufgang am Festtag des heiligen Martin von Tours (am 12. Mai) als auf den Bartholomäustag (am 24. August) hinweist, zumal die Steilwand im Osten der Kirche den Sonnenaufgang stark verzögerte.

San Bartolomé ist allerdings nicht einzige spanische Kirche des 13. Jahrhunderts, die ein Fenster mit einem inversen Pentagramm zeigt. Die Kirche San Juan in Castrojeriz liegt inmitten der nordspanischen Meseta am berühmten Jakobspilgerweg und weist ein analoges Fenster über ihrem Westportal auf. Das Portal selbst war einst über einem Planungspentagramm aufgerissen, wie an der dreieckförmigen Aussparung des Giebelfeldes unschwer zu erkennen ist.

 

 

Gott als Geometer - Frontispiz eines  fr. Manuskriptes aus dem 13. Jhd.

Folgendes Frontispiz stammt aus dem Codex Vindobonensis 2254, f. 1v., heute in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Das 34,4 x 26 cm große Pergamentblatt ist ein Meisterstück romanischer Buchmalerei. Es stammt aus dem 2. Viertel des 13. Jahrhunderts und aus der Hand eines französsichen Mönchs/Geistlichen und leitet eine sogenannte "bible moralisée" ein, mit einem reichen Bilderzyklus mit Bibelszenen und Randkommentaren in Altfranzösisch. Das Werk stammt aus dem Umfeld des französischen Königshauses, möglicherweise befand es sich im Besitz der Königin Blanka von Kastilien (188-1252).

Das Motiv des Titelblattes zeigt den stehenden Christus nach vorne gebeugt. Er ist gerade dabei, mit dem göttlichen Instrument die Erd- und Himmelsscheibe mit Land und Wasser, Sonne, Mond und Sternen auszuzirkeln.

Dieses Motiv "Gott als Geometer der Welt" war zur Zeit des Herstellung des Prunkblattes nicht neu:

Die zugehörige Sinnfrage war bereits vom Propheten Jesaja (40,12) um 720 v. Chr. gestellt worden, wobei der älteste der Propheten bereits dem hinterfragten Schöpfer der Welt den Zirkel in die Hand drückte: "Wer mißt die Wasser mit der hohlen Hand und fasst den Himmel mit der Spanne und begreift den Staub der Erde mit einem Dreiling und wägt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?" Beantwortet wir diese Frage dann im Buch der Weisheit, auch Weisheit Salomons genannt (11,20-21). Dieser um 50 v. Chr. verfasste und König Salomon zugeschriebene Text stammt aus der Feder eines hellenistisch geprägten Juden, der in einen fiktiven Dialog mit Gott tritt: "Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet. Denn Du bist immer imstande, Deine große Macht zu entfalten. Wer könnte der Kraft Deines Arms widerstehen?" Spätere Autoren haben den nämlichen Sachverhalt in Erzählvarianten dem Philosophen Platon (428-347 v. Chr.) in den Mund gelegt: "Quid facit in caelis deus? Geometrizat - Was macht Gott im Himmel? Er betreibt Geometrie!" Unter den christlichen Schriftstellern war es wiederum der römische Staatsmann und Gelehrte Cassiodor (485-580 n. Chr.) gewesen, der um 570 n. Chr. in seinen "institutiones" erstmals von "deus geometra - Gott, dem Geometer" sprach.

Der Maler des Codex Vindobonensis 2554 griff also bei seinem Titelblatt bereits auf einen Gemeinplatz der Philosophie und Theologie hin, jener Wissenschaften, die gerade zu seiner Zeit in Paris enormen Aufschwung genommen hatten. Selbst ein Philosoph Leipniz wird über 400 Jahre später in seiner "Metaphysische Abhandlung" das Thema wieder aufgreifen: "So kann man sagen, dass der vollkommen Handelnde gleich einem Geometer ist."

Einzeichnungen durch Peter Klink

Peter Klink hat in diesem Motiv einen Entwurf mit dem Pentagramm entdeckt:

Ausgangspunkt ist ein größerer Pentagrammpfeil, dessen Spitze durch die rechte Augenbraue Gottes (zugleich Mittelpunkt des Heiligenscheins) geht, und dessen Basis durch die Breite des Scheibenmodells definiert wird. Dieses gleichschenkelige Dreieck weist die typischen Pentagramm-Innenwinkel von 36° und 72° auf. Das aus der Dreieckspitze abgeleitete Pentagramm zwischen dem Kopf und der rechten Hand Christi definiert einige Zirkelpunkte, deren Umkreise sich im Bildmotiv wiederfinden, z. B. in der Zirkelspange oder im Rücken des göttlichen Geometers.

 

 

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