Mykene - die Wiege der europäischen Kultur

© Werner Robl

 

Die im südlichen Peloponnes gelegene Höhenstadt Mykene war in vorklassischer Zeit eine der bedeutendsten Städte Griechenlands und über viele Jahrhunderte hinweg Träger einer eigenen mediterranen Kultur. In den Bergen oberhalb der Tiefebene von Argos auf einem Berg errichtet, kontrollierte Mykene die gesamte Süd-Ägäis und strahlte dabei weit über seine räumlichen Grenzen hinaus. Die Blütezeit Mykenes liegt zwischen dem 17. und 13. vorchristlichen Jahrhundert. Als Herrschersitz des Königs Agamemnon und seiner Gattin Klytämnestra spielte es eine wichtige Rolle in Homers Epen vom Trojanischen Krieg.

Besiedelt war der Hügel von Mykene schon seit der Jungsteinzeit (ca. 3500 v. Chr.), seine endgültige Gestalt erhielt er in sukzessiven Ausbauphasen erst in der späten Bronzezeit, die in Griechenland auch Späthelladikum genannt wird (ca. 1600 bis ca. 1200 v. Chr.). Danach trat ein allmählicher Niedergang ein. Im 3. Jhd. v. Chr. wurde die Stadt endgültig verlassen.

Schon in seiner Frühzeit muss der aufstrebende mykenische Staatstaat aus Mesopotamien die Planungstechnik mit dem Pentagramm übernommen haben, wie folgende Unterkapitel erweisen.

 

Der Hügel von Mykene

Beginnen wir mit der Formung des Hügels von Mykene, die etwa zwischen 1600 und 1300 v. Chr. stattfand. Der Hügel, so wie man ihn heute sieht, ist kein Produkt der Natur, sondern das Resultat eines künstlichen Eingriffs, bei dem sukzessiv Fels abgebaut wurde, um den Gebäuden der entstehenden Oberstadt das nötige Baumaterial direkt vor Ort zu liefern. Selbstredend musste bei der Ausbildung der neuen Hügelflanken dem Palast auf der Spitze eine angemessene Repräsentanz verschafft werden - so dass er schon vom weitem wahrgenommen wurde. Man entschied sich bei der Festlegung des Gefälles, wie nachfolgende Einzeichnung erklärt, für den halben Spitzenwinkel eines Pentagramms von 18°.

 

Man könnte dies vielleicht für einen Zufall oder eine Laune der Natur halten, allein - beides ist es sicher nicht. Denn als man sich noch in späthelladischer Zeit, um 1250 v. Chr., dazu entschloss, vor den Toren der Höhenfestung unterirdische Kuppelgräber für die Herrscherdynastie zu errichten, kam es exakt zur selben Flankenformung!

 

Das Schatzhaus des Atreus

Dies zeigt exemplarisch das sog. "Schatzhaus des Atreus" mit seinem bienenkorbähnlichen Aufbau und seinem ummauerten Eingang, dem sog. "Dromos". Wie der Aufriss zeigt, ergibt sich hier der klare Aspekt, dass nicht nur der Hügel, sondern auch der gesamte unterirdische Kuppelbau über Pentagrammen aufgerissen wurde. Selbst die eigenartig schräge Lage der Nebenkammer - das eigentliche Grab? - könnte sich aus einem Pentagramm-Grundriss ergeben, auch wenn die historische Zeichnung wie folgt dies nicht ganz exakt wiedergibt.

Besonders eindrucksvoll demonstriert sich am "Schatzhaus des Atreus" die Pentagramm-Technik bei der Errichtung der Eingangswand am Ende des "Dromos". Die dreieckige Oberlichte, die Stürze des Tores, dessen Fluchten und die Gesamtdimension der Wand beweisen, dass der Entwurf einst über einem Planungspentagramm aufgerissen wurde. Zu Zeit der Tag- und Nachtgleichen (21. März, 21. September) fiel das Licht der aufgehenden Vormittagssonne zwischen 7 und 8 Uhr morgens durch die Oberlichte in den Kuppelsaal.

Einzeichnung von Werner Robl

 

Bei diesen frappierenden Bezügen ist zu erwarten, dass auch der Grundriss der Oberstadt und ihres Mauerrings auf dem Pentagramm-Prinzip basiert. Hier muss man jedoch drei Bezirke und Bauperioden klar unterscheiden:

  1. die Weststadt am Löwentor,
  2. den eigentliuchen Palastbezirk auf dem Gipfel des Hügels (beide ca. 1300 v. Chr.) und
  3. die später errichtete Stadt im Osten des Palastbezirks (Ende 13., Anfang 14. Jhd.).

 

Stadtbezirke

Zunächst zur älteren Weststadt:

Wie nachfolgende Satelliten-Übersicht zeigt, spannt sich die Hauptachse des Pentagramms der Weststadt vom östlichen Pfeiler des Löwentors (blauer Punkt) bis zum Eingangsbereich des Palastes im Osten. Mit dem westlichen Pentagrammschenkel korrespondieren auffallend viele Baulinien des Stadtviertels zwischen dem Gräberrund und dem Palast. Aber auch die Fluchten der davon südöstlich gelegenen Stadterweiterung lassen sich zwanglos aus dem Pentagramm ableiten, ebenso die Zirkelpunkte der Ringanlage und der an sie angrenzenden Kreissektoren der Zyklopenmauer (rote Punkte). Als nordöstlich des Löwentors die Stadt ein weiteres Mal erweitert wurde, bezogen sich die radialen Baulinien auf dem Zirkelpunkt, der auch den Kreissektor der Stadtmauer definiert (kleiner roter Punkt östlich des Rings).

Die Sonnenachsen an den Tagen der Sommer- und der Wintersonnenwende (orange Linien) scheinen wie bei den Zikkurat Mesopotamiens im lichtdurchfluteten Mykene von eher untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein, wenngleich Teile des Palastes und seiner südwestlichen Vorbauten durchaus mit der Wintersonnwendachse fluchten.

Die jüngere Stadt im Osten der Burganlage entstand zeitverschoben, zusammen mit einem neu geschaffenen Nordtor (blaues Punktepaar). Durch Parallelverschiebung aus den Achsen der Weststadt heraus lässt sich auch hier ein Planungspentagramm definieren, dessen Südwestschenkel und die darauf senkrecht stehende Mittelsenkrechte der westlichen Südspitze die Achsen des gesamten schachbrettartigen Bebauungsmusters beschreiben. Die Südspitzen dieses Pentagramms lagen auf der abgegangenen Südmauer in diesem Abschnitt, Achsverlängerungen nach Osten definieren die Eckpunkte der dortigen Zitadelle (kleine weiße Punkte rechts im Bild).

 

Palast

Verbleibt als letztes der Palastbezirk selbst: Hier ist das Satellitenfoto wenig hilfreich, da es nur einen geringen Teil der ergrabenen Räume und Fluchten wiedergibt. Wir benutzen deshalb einen vereinfachten Grabungsplan aus früherer Zeit. Die unterschiedlichen Erbauungszeiträume spielen hier keine Rolle, denn das Planungspentagramm des Palastes galt wohl zu allen Zeiten. Zu beachten ist allerdings, dass der gesamte Palastbezirk im Niveau um etliches höher lag als die angrenzenden Wohnviertel. Prinzipiell wäre es möglich gewesen, mittels Schlauch- und Lotwaagen und Staffelpeilung den Pentagramm-Grundriss des Palastes in toto in den Gesamtplan der Stadt einzubeziehen, nachweisen konnten wir dies jedoch nur in grober Annäherung und nur in einer Flucht, ansonsten folgte der Plan des Herrschaftsbezirkes eigenen Prinzipien und abweichenden Achsen.

Der nachfolgende Plan verdeutlich die Fülle der Bezugspunkte und Fluchten, die sich aus dem eingezeichneten Planungspentagramm des Palastes ergeben. Nur die Fluchten des Nordkorridors und des Proplyons (die Nummern 12 und 14 in nachfolgender Graphik) blieben dabei außen vor. Diese Strukturen adaptieren sich jedoch an das Pentagramm der Weststadt und bilden demnach mit dieser eine funktionell-konstruktive Einheit. Er handelt sich hier quasi um die Verzahnungszone mit dem Innenpalast und seinen vielen abgestaffelten Räumen.

Auch am Palast zeigt sich hier im Gegensatz zu den viel weit nördlich gelegenen Stätten der Prähistorie die relative Unwichtigkeit der Sonnenstrahlen zur Zeit der Wintersonnenwende.

 

Löwentor

Planungspentagramme sind in Mykene auch am berühmten Löwentor, der ältesten Großplastik der Welt, präsent. Folgende Abbildung erklärt das Prinzip und bedarf kaum erklärender Worte. Alles wurde hier per Pentagramm und Umkreis entworfen, die lichte Weite des Tores, seiner Außenkonturen und selbst die Höhe der Seitenquader im Bereich des Sturzes. Die Großplastik der Löwen an der Säule adaptiert sich in mehreren parallelen Schichten an der Pentagrammspitze. Die seitlichen Eingangsmauern sind heute gekippt; einst standen sie gerade und spannten das Viereck auf, in welches das Tor hineinprojiziert wurde.

Doch noch immer sind wir in Mykene mit der Pentagramm-Technik nicht fertig. Beschäftigen wir uns am Ende mit wertvollen Kleinfunden.

 

Fundstücke aus Mykene

Folgende Kriegervase aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. wurde in Mykene gefunden. Sie steht heute im Nationalmuseum in Athen. Unsere Einzeichnung sollte man nun nicht auf die Waagschale legen, denn sie berücksichtigt nicht die Krümmung der Vase. Das Grundprinzip der Gestaltung wird ungeachtet dessen dennoch deutlich: Es ist unschwer zu erkennen, dass die Speere der Krieger mit dem Planum, auf dem sie stehen, den mythischen Pentagrammwinkel von 72° bilden, ein Teil ihrer Beine den Gegenwinkel in derselben Größenordnung. Weitere Bezugspunkte ergeben sich dem Betrachter von selbst.

Kein Zweifel: Der töpfernde Künstler hat auch hier mit dem Pentagramm gearbeitet!

Einzeichnung von Werner Robl

 

Als letztes präsentieren wir die sogenannte "Goldmaske des Agamemnon", die 1876 vom deutschen Ausgräber Heinrich Schliemann gefunden und dem sagenhaften König Mykenes, Agamemnon, zugeschrieben wurde. Heute ist man sich sicher, dass die ca. 26 x 26,5 cm große Maske aus getriebenem Goldblech aus der Mitte des 16. Jahrhunderts v. Chr. datiert und deshalb kaum Agamemnon, aber auch keinen anderen der Atriden zugeschrieben werden kann. Für unsere Thematik ist dies allerdings ohne Bedeutung.

Viel wichtiger ist die Erkenntnis, dass auch diese Prunkstück mykenischer Kultur bis ins kleines Detail über einem Pentagramm entworfen wurde! Auch hier bitte geringe Abweichungen unserer planen Einzeichnung von der Maskenstruktur nicht überbewerten, sie liegt in der Natur der Sache und verhindert nicht das Erfassen des planerischen Grundkonzeptes!

Am fehlplatzierten linken Auge, dessen Wange nicht ausreichend aus dem Blech herausgetrieben wurde, erkennt man, dass die Harmonie des Pentagramms von vornherein vom fertigen Bildeindruck des späteren Betrachters her definiert wurde, nicht von den Dimensionen des planen Rohbleches! Im vorliegenden Fall gelang dem Künstler am linken Auge das Treiben nicht perfekt genug, deshalb verblieb eine Dysproportion. Die gesamte Maske kann deshalb als unfertig bezeichnet werden!

Einzeichnung von Werner Robl

 

Vielleicht sollte man abschließend betonen, dass dasselbe Planungsprinzip "des Blicks von außen resp. von oben" für alle Pentagramm-Stadtpläne gilt. Diese Pläne wurden einst auf dem planen Projektionstisch auf geeignetem Material (Steinplatten, Pergament) in der Idealgestalt aufgerissen; sie sind deshalb gerade auf Satellitenaufnahmen so gut in den Proportionen nachzuvollziehen. Im realen Gelände, in das in einem zweiten Schritt die wichtigsten Marken und Linien per Staffelpeilung übertragen wurden, sah dies u. U. ganz anders aus: Je nach Steilheit des Geländes ergaben sich bei den tatsächlichen Winkeln, Umkreisen und Längen deutliche Abweichungen von der idealen Planunsfigur!

Das obige Satellitenfoto von Mykene erklärt dieses Prinzip des Idealplans - den Blick von oben - genauso gut: Immer kam es bei der Planung auf diesen Blickwinkel an - sozusagen aus dem Weltall heraus! Dies war wohl die Sicht des göttlichen Numen, welchem, wie auch immer es hieß, der Plan wohlgefallen sollte!

Aus diesem Grund sehen wir die Pentagramm-Technik in ihren Ursprüngen als priesterliche Wissenschaft an - als eine Art von Geheimwissen, das beim Träger der Tradition einen Initiationsprozess voraussetzte, und von ihm im Weiteren nach immer denselben Spielregeln mündlich tradiert wurde. Dies gilt im Ursprung vermutlich für alle Kulturen, die sich mit dem Planungspentagramm beschäftigt haben!

 

Unser Resümee zu Mykene:

Hier hat angesicht der ungewöhnlichen Dichte an Befunden das Schlagwort "Pentagramm-Stadt der Antike" seine volle Berechtigung!

 

 

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