Mesopotamien

© Werner Robl

 

Der Hügel Tell Brak (bis 5500 v. Chr.)

Der uralte Siedlungshügel Tell Brak liegt mitten in der Wüste des nordöstlichen Syrien (aktuell auch mitten im Einflußgebiet des Islamischen Staats) und konkurriert nach einer Ausgrabungskampagne des Jahres 2006 mit Jericho um den Titel "älteste Stadt der Welt" (u. E. zu Unrecht). Vor mehr als 7000 Jahren wurde dieser langgestreckte Sandberg bereits frühbesiedelt, seine Blütezeit als Zentralort von städtischen Ausmaßen lag im 4. bis 2. Jahrtausend vor Christus. Tell Brak kontrollierte damals den Karawanenweg von Tigris nach Zentralanatolien.

Entdeckt wurde Tell Brak 1934 von dem Briten Max Mallowan, dem Gatten von Agatha Christie; es folgten erste Grabungen in den Jahren 1937 und 1938, mit Entdeckung von Hunderten sog. Augenidole, die heute alle im Nationalmuseum von Aleppo ausgestellt sind. Bis 2011 gruben britische Wissenschaftler an dieser Stätte. Ob diese Aktivitäten angesichts der aktuellen Gefährung heute noch fortgesetzt werden können, entzieht sich unserer Kenntnis.


Der Tell Brak aus dem All.

Wie die vorangehende Satellitenaufnahme zeigt, liegt eine flächendeckende Erschließung der Hügelkette noch lange nicht vor, insofern ist eine Analyse der Stadtplanung nicht möglich.

Als wir jedoch in einem der Detailpläne der nördlichen "Area TW" und der Siedlungschicht 16 aus dem 4./5. Jahrtausends vor Chr. die Grundrisse einiger Häuser inspizierten, konnten wir sogleich eine Pentagrammplanung erkennen - so, wie sie sich auch im Uruk und an anderen mesopotamischen Städten nachweisen lässt (siehe unten).

Nebenstehende Planzeichnung verdeutlicht die Situation: Die beiden rechteckigen Häuser zeigen eine Proportionalität, die sich nur durch ein Planungspentagramm schlüssig erklärt, welches als Schnurgerüst aufgespannt worden war, ehe die Mauern hochgezogen wurden.

Schale der Halaf-Kultur, um 5500 v. Chr.

Doch damit nicht genug:

Zum Zeitpunkt der Erbauung dieser Häuser muss auf dem Tell Brak die Geometrie des Pentagramms und Pentagons bereits über 2500 Jahre bekannt gewesen sein. Denn als der Erstentdecker Max Mallowan in der Region grub, fand er entweder am Tell Brak selbst oder auf dem nur 27 km nordnordwestlich davon gelegenen Hügel von Chagar Bazar neben jüngerer Töpfereiware aus der sog. Dschemdet-Nasr-Zeit, die um 3200 bis 2900 v. Chr. auf Verbindungen nach Südmesopotamien hinwies, eine weitaus ältere, um 5500 v. Chr. entstandene Schale, deren Dekor die Kenntnis des Pentagramms und seiner Winkelverhältnisse voraussetzt. Diese Keramik wird der neolithischen Halaf-Kultur zugeordnet, deren Kernland etwas nördlich des Tell Brak, im Quellgebiet von Euphrat und Tigris lag.

Erkennbar ist die Pentagramm-Geometrie am Dekor: Man sieht hier ein zentrales Pentagon mit der 5er-Einteilung seiner Linien, danach folgt unter Multiplikation mit 2 ein Dekagon, gesäumt von 10 gleichschenkligen Dreiecken, so dass der Eindruck einer Sonne besteht. Außen aber ist ein aus 3 Reihen bestetehendes Würfeldekor besonders signifikant: Es bildet eine Art von Schachbrettmuster mit je 108 weißen und 108 schwarzen Feldern.

Diese Zahl 108 kann keinesfalls ein Zufall sein! Die Schale gibt damit exakt den Innenwinkel des Pentagramms von 108° und somit eines seiner wichtigsten Attribute wieder!

Wir schließen mit einer nordmesopotamischen Drehscheibenware aus der soeben erwähnten Dschemdet-Nasr-Zeit, die auf der weit entfernten Halbinsel Oman in den Vereinigten Emiraten entdeckt wurde und sich heute im Ashmolean Museum in Oxford befindet. Hier hat sich der Töpfer nicht mehr die Mühe gegeben, die Geometrie des Pentagramms zu verschlüsseln, sondern kurzerhand ein solches direkt in den Ton der Kanne eingebrannt:

 

 

Die Naram-Sîn-Stele aus Akkad (um 2250 v. Chr.)

 

Im Louvre wird heute das Fragment einer Siegesstele des akkadischen Königs Naram-Sîn gezeigt. Naram-Sîn war von 2273 bis 2219 v. Chr. König von Akkad. In seine Amtszeit fiel der Krieg gegen die Lullubäer im Zagros-Gebirge, welchen er siegreich beendete. Anlässlich dieses Sieges wurde die genannte Stele angefertigt. Ursprünglich war sie in Sippar aufgestellt gewesen, sie wurde jedoch ca. ein Jahrtausend später als Kriegsbeute nach Susa verschleppt, wo sie 1898 als größeres Fragment wieder aufgefunden wurde.

Diese Stele erinnert motivisch an die Darstellungen der ersten altägyptischen Könige/Pharaonen Narmer und Den, die wir andernorts vorgestellt haben.

Dargestellt ist zur Linken ein übergroßer Naram-Sîn mit der göttlichen Stierkrone - in der Pose des Siegers und Gottes. Vor ihm auf die Knie niedergesunken und im Sterben begriffen ist der gefallene lullabäische König Anubanini. Er hat einen Wurfpfeil im Hals stecken und versucht verzweifelt, diesen herauszuziehen. Darunter befinden sich z. T. die Krieger der siegreichen akkadischen Armee, z. T. gefallenene Gegner.


Einzeichnungen von Werner Robl

Die Stele zeigt deutliche Hinweise dafür, dass dem ildhauer des 3. Jahrtausends v. Chr. die pentagonale Geometrie bekannt war:


Einzeichnung von Werner Robl

  In der Quintessenz handelt es sich bei diesem über 4260 Jahre alten Relief um die älteste Darstellung mit Verwendung der pentagonalen Geometrie, die bis jetzt für Mesopotamien bekannt geworden ist. Ein Keramikfund und auch die dortige Tempelarchitektur weisen allerdings darauf hin, dass das zugrundeliegende Wissen noch weiter zurückreicht. Hierzu mehr im Folgenden.

 

 

Die Zikkurat von Ur und Uruk

Das Femininum Zikkurat ist das babylonische Wort für "Himmelshügel". So werden die gestuften Tempelberge in Mesopotamien (heute Irak) genannt, von denen inzwischen ca. 25 identifiziert worden sind - meist nur als rudimentäre Ruinen. Die Gemeinsamkeit aller Zikkurat ist ihre Stufenform, sowie die Backstein-Bauweise der beiden untersten Podeste, mit einem Kern an ungebrannten, luftgetrockneten Lehmziegeln und Strohmattenlagen. Dass einst ein Hochtempel die oberste Ebene der Bauwerke zierte, steht zu vermuten, ist aber ohne archäologisches Korrelat. Insofern sind Rekonstruktionsversuche wie der nebenstehende mehr oder weniger spekulativ.

Die ersten Zikkurat werden in das 5 Jahrtausend von Chr. (!) datiert. Sie finden sich zum allergrößten Teil im südlichen Zweistromland zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, das ab ca. 1900 v. Chr. mit dem Reich der Babylonier und ab ca. 1000 v. Chr. mit dem Reich der semitischen Chaldäer gleichgesetzt wird. Dort entwickelte sich als erstes in der Menschheitsgeschichte die Astrologie und Astronomie, weswegen das Wort "Chaldäer" mitunter auch als Synonym für "Sterndeuter" verwendet wird. Nach Harald Specht u. a. Autoren seien es auch die Babylonier/Chaldäer gewesen, welche sowohl den Horizont als auch das Firmament in 360 Grade einteilten, diese durch die Zahl 5 teilten und so auf den Pentagrammwinkel von 72° bzw. 72 Sternbilder kamen (Vgl. Harald Specht: Das Erbe des Heidentums, Marburg 2015, S. 41-63).

Es bestätigt sich hier, dass Mesopotamien vermutlich das Ursprungsland des Pentagramms in seiner astrologischen und religiösen Bedeutung war!

 

Die Zikkurat des Nanna in Ur

Befassen wir uns als erstes mit der Zikkurat des Mondgottes Nanna in der Ruinenstadt von Ur (heute 15 km westlich von Nasiriya). Dieser Stufentempel erreicht zwar nicht die ägyptischen Pyramiden, aber er soll um 2000 v. Chr. erbaut worden und damit auch schon mehr als 4000 Jahre alt sein. Es handelt sich um einen massiven Lehmziegelbau mit 2,5 m dicken Mauern aus Backstein. Seine Kantenkänge beträgt an der Basis 62,5 x 43 m. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lag der Tempel in Ruinen; er wurde aber inzwischen wieder aufgebaut. Rekonstruiert sind bis dato das untere Stockwerk mit 3 langen Aufgangsrampen sowie Teile des zweiten Podestes. Der dritte Stock und der Tempel sind nicht erhalten.


Leider steht uns ein exakter Aufriss der Tempelburg nicht zur Verfügung, insofern ist die pentagonale Geometrie in der Höhendefinition der Stockwerke nicht exakt überprüfbar. Erstaunt hat uns aber der Grundriss des Tempels, so wie er sich aus aktuellen Satellitenaufnahmen ergibt. Das Gesamtbild stammt aus Google Maps (26.05.2016); links unten im Bild findet sich die besser auflösende Darstellung von Microsoft Bing Maps vom selben Tag, welche aber nicht im Lot liegt.

Einzeichnung von Werner Robl

Anmerkung zu den Lichtachsen:

An sich ist anzunehmen, dass die winterlichen Sonnwendachsen im lichtdurchfluteten Mesopotamien eine untergeordnete Rolle spielten, und speziell an der Zikkurat von Ur gar keine, da dieser einer Mond-Gottheit geweiht war. Im Übrigen stimmen die Achsen der meisten Zikkurat nicht überein, wenngleich die Achsen eigenartig gekippt wirken und z. B. eine Ost-West-Ausrichtung nie anzutreffen ist. Eine einheitliche Ausrichtung nach den Sonnenachsen ist aber wegen der Varianz nicht anzunehmen, eine Ausrichtung nach anderweitigen astrologischen Phänomen natürlich nicht ausgeschlossen. Nur die Zikkurat des Gottes An in Uruk (Nr. 2 in der Übersicht) hält sich in etwa an die Sonneaufgangsachse zur Wintersonnenwende, wobei die Achse des Tempels und die Prozessionsstraße beiderseits der Sonnenachse etwas auseinandertriften.


Dennoch unterscheiden sich die Zikkurat von Ur (Nr. 1) und die weit nördlich gelegene, aber ganz ähnlich ausgerichtete Doppel-Zikkurat von Aššur (Anu-Adad-Tempel, Nr. 7) deutlich von den anderen: Wie an den eingezeichneten orange-farbenen Linien zu erkennen ist, beträgt die Abweichung der Sonnwendachse (Untergang 21.12. und Aufgang 21.06.) von der Querachse der Tempel in beiden Fällen nur wenige Grad. So könnte am Ende doch ein gewisser Zusammenhang zwischen Sonne und Kult bestehen, zumal vor 4000 Jahren die Sonnwendachsen etwas anders lagen als die heutigen.

Am Ende muss man die Sache mit den Lichtachsen aber offen lassen.

Die Bedeutung und Funktion des Pentagramms:

Frappierender ist, dass sich die Baulinien der beiden untersten Stockwerke der Tempelanlage von Ur und ihre Aufgangsrampen zwanglos aus einem großen Planungspentagramm mit Unterpentagrammen an den Spitzen ableiten lassen. Man betrachte dazu nochmals die obige Satellitenaufname. Die für die Definition der Baulinien wichtigen Pentagramm-Schnittstellen sind hier mit roten Punkten markiert. Geringe Abweichungen der Südost- und Südwestlinie der Tempelbasis sind plausibel durch die konische Bauweise der Mauern und eine gewisse Fehlprojektion der Satellitenaufnahme erklärt.

 

Ein Tempel in Uruk

Aus der Reihe der anderen Zikkurat ist nur der Bezirk des "Weißen Tempels" in Uruk von Interesse, allerdings nicht die dem Himmelgott An geweihte Zikkurat selbst, welche stark zerstört ist, sondern ein tiefer gelegenes Gebäude unmittelbar nordwestlich davon, dessen Grundmauern und Eingangstore sich im Wüstensand sehr gut erhalten haben. Auch dies wird eine Tempelanlage gewesen sein, wenn auch nicht in der Bedeutung der Ziggurat des An und seiner Tochter Ianna weiter nördlich, im sog. Eanna-Distrikt.

Die Stadt Uruk gilt als die größte Stadtruine des südlichen Babylonien. Ihre Blütezeit lag zwischen dem 5. und 3. Jahrtausend v. Chr., besiedelt war sie bis zur Zeit der Seleukiden (4. bis 2. Jhd. v. Chr.)

Bei der mehr als 5000 Jahre alten Anlage am "Weißen Tempel" gelingt es, mit Hilfe einer Google Maps Satellitenaufnahme (26.05.2016) das Pentagramm-Prinzip der dreischaligen Konstruktion nachzuweisen. Über ein Zentral-Pentagramm und 4 von 5 Spitzen-Unterpentagrammen lassen sich sämtliche Schnittpunkte und Baulinien der Anlage rekonstruieren (siehe rote Punkte in folgender Aufnahme). Interessanterweise kommen die Peilpunkte bei den 3 Toren an deren seitlichen Partien zu liegen (gelbe Punkte). Wie in vielen Anlagen sollten derartige Meßmarken nicht durch den Publikumsverkehr zerstört werden, daher die seitliche Anordnung - außerhalb der Passage.


 

Die Ergebnisse unserer Untersuchung sind frappierend:

An der Verwendung der pentagonalen Geometrie bei den ca. 4-5 tausend Jahre alten Bauwerken in Ur und Uruk kann u. E. kein Zweifel bestehen!

 

 

Das Ischtar-Tor aus Babylon (um 600 v. Chr.)

 

Das Ischtar-Tor war das nördliche Stadttor des alten Babylon. Nach seiner Bauinschrift wurde es unter König Nebukadnezar II. (605-562 v. Chr.) errichtet. Berühmt geworden ist das Monumentaltor wegen seiner aufwändigen Gestaltung mit farbig glasierten Ziegeln.

Die Glasurziegel gelangten nach Grabungskampagnen in zwei Lieferungen von Baylon in die Berliner Museen - zur Rekonstruktion des Tores. Im Jahr 1930 konnte das fertige Tor erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Ausgehend von der Grundfarbe blau war es den babylonischen Künstlern gelungen, durch Glasurauftrag in Braun-, Grau- und Gelbtönen diverse Fabeltiere der baylonischen Mythologie darzustellen, z. B. die Göttin Ischtar (Löwe), das Zwitterwesen Marduk (Panther mit Schlangenkopf) und den Wettergott Adad (Stier).

Heute stellt das Ischtar-Tor als glänzendes Wunderwerk der Frühantike die große Attraktion des Berliner Pergamnon-Museums dar.

Am Zikkurat von Ur haben wir dargestellt, dass im Zweistromland die Bedeutung des Pentagramms seit mindestens 5000 Jahren bekannt war; eine Keramikschale der Halaf-Kultur fügt hier sogar noch 2 Jahrtausende hinzu.

In diesem Zusammenhang stellt sich die interessante Frage, ob sich wie in Ninive die Prinzipien der pentagnoalen Geometrie auch am Ischtar-Tor von Babylon nachweisen lassen. Da uns ein zeichnerischer Aufriss des Tores nicht zur Verfügung stand, kam eine geeignete Fotografie zur Untersuchung. Bei der Analyse dieser Aufnahme werden alle räumlichen Effekte außer Acht gelassen und nur zwei Ebenen planimetrisch untersucht, nämlich die der zurückgesetzten Torwand und die der vorgezogenen Front der Seitentürme, nicht jedoch deren Zusammenhang:

Hier unser Befund:

Die Torwand:

Die lichte Breite des Tores wird durch ein auf dem Planum stehendes Pentagramm aufgespannt, dessen Spitze exakt der Zirkelpunkt für den inneren und äußeren Umkreis des Torbogens ist. Ein zweites, wesentlich größeres Pentragramm umfasst mit seinen unteren Spitzen die Breite der gesamten Torwand, die beiden oberen Innenwinkel markieren ebenfalls den Bogen, nunmehr an seinem Randdekor. Die Spitze dieses Pantagrammes umschließt die beiden zentralen Zinnen des Tores, welche eine gestufte Pyramide aus Ziegeln bilden. Die Zinnen zeigen an der Basis den Pentagrammwinkel 72° und an der Spitze den Pentagrammwinkel 36°. Dies machen auch zwei seitlich gestellte Unterpentagramme deutlich, welche zugleich das obere Fries definieren. Weitere Schnittpunkte und Linien markieren den Dekor des Tores mit Bändern und Tieren, zwei seitliche Pentagramme bestimmen mit ihrer oberen Mittelsenkrechten die seitliche Begrenzung der Torwand.

Die Frontpartie der Seitentürme:

Zwei übereinander stehende Großpentagramme gleicher Größe erfassen die Breite der Türme sowie ihre Gesamt höhe. Aus mehreren Unterpentagrammen lassen sich die horizontalen Bämder des Tores ableiten, außerdem die Position und der vertikalen Anstand der Fabelwesen. Auch hier bilden die Zinnen jeweils die Spitzen von Pentagrammen.

Resümee:

Mit diesen Funden ist eine ununterbrochene Tradition der Pentagramm-Technik in Mesopotamien belegt - von der Halafkultur ca. 5500 v. Chr. über die Sumerer von Ur (ca. 3000 v. Chr) und die Assyrer von Ninive (um 650 v. Chr.) bis hin zum Babylonischen Reich unter König Nebukadnezar II. (600 v. Chr.)!

 

 

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