Das Pentagramm in Barock und Klassizismus

© Werner Robl

 

Die Pentagramme der Kirche Notre-Dame in Vitry-le-François

Vitry-le-François ist eine im Schachbrettmuster angelegte Planstadt des 16. Jahrhunderts am Fluss Marne in der Champagne. Den Namen verdankt sie König Franz I., der den Ort 1544 wieder aufbauen ließ, nachdem er durch die Armeen Karls V. komplett zerstört worden war.

Im Jahr 1629 erfolgte die Grundsteinlegung für die Kollegiatskirche Notre-Dame, die heutige Hauptkirche der Stadt. Erst im Jahr 1755 konnte die Eindeckung des Daches abgeschlossen werden, die Fertigstellung des Chors erfolgte gar erst Ende des 19. Jahrhunderts. Ungeachtet dessen ist die Kirche Notre-Dame ein typischer Bau des französischen Barock im 17. und 18. Jahrhundert.

Die Nordwest-Fassade ist klassisch aufgebaut, der Baukörper des Schiffs ist so breit wie jeweils die beiden Türme. Dieser Dreiteilung entsprechen die drei etwa gleich hohen Etagen der beiden Türme. Das breite westliche Zentralfenster im Obergeschoss des Schiffes zeigt ein neo-gotisches Maßwerk, wobei sich unter der oberen 6-blättrigen Rosette unter Zweiteilung des Fensters zwei Untermaßwerke mit je einem Umkreis und einem innen liegenden, auf dem Kopf stehenden Pentagramm finden. Darunter öffnen sich erst die nochmals geteilte Fensterfläche.

Dieses Beispiel dient als Beweis, dass es im französischen Barock durchaus möglich war, das Pentagramm-Symbol offen in einer Kirchenfassade unterzubringen. Der Urheber und die Bedeutung dieser Fensterordnung im konkreten Fall von Vitry-le-François sind uns bis dato leider nicht bekannt.

Manosque ist eine Stadt mit ca. 22000 Einwohnern, direkt am rechten Ufer der Durance im Nationalpark Luberon gelegen.

Unmittelbar vor dem Hauptportal der Stadtkirche Notre-Dame-de-Romigier befindet sich im Pflaster der Stadt ein großes Pentagramm aus zweifarbigen Kieselsteinen mit mehreren konzentrischen Umkreisen aus Backsteinen. Eine Pentagrammspitze zeigt direkt auf den Eingang und das dahinterliegende Allerheiligste der Kirche.

  Die Kirche selbst stammt aus dem 13. Jahrhundert, das Portal aus der Zeit der Renaissance. Das Pentagramm vor dem Eingang mit seinen Mittelsenkrechten ist am ehesten den Umgestaltungen des 17. oder 19. Jahrhunderts zuzuweisen, deshalb erfolgt die Vorstellung innerhalb dieser Seite. Wie im Fall von Vitry-le-François sind uns ein konkreter Herstellungstermin und der eigentliche Anlass zur Gestaltung nicht bekannt.

 

 

Nicolas Poussin: Et in Arcadia Ego (Version 2, um 1640)

Nicolas Poussin (1594-1665) war ein französischer Maler des klassizistischen Barock. Sein Wissen um die Geheimnisse der Malerei erhielt er in Rom, wo er zwischen 1624 und 1641 studierte und Mitglied der "Accademia di San Luca" wurde. Im Jahr 1641 folgte Poussin dem Ruf des französischen Königs Ludwig XIII. nach Paris, wo er große Aufträge übernahm. Der Aufenthalt in seinem Heimatland währt allerdings nicht lang, 1643 kehrte Poussin für immer nach Rom und Italien zurück, wo er auch in den beiden nachfolgenden Jahrzehnten zahlreiche Auftragsarbeiten erledigte (auch aus Frankreich!) und 1665 verstarb.

Ein Bild mit den Titel "Die Hirten von Akadien" malte Poussin zweimal: Die erste Version entstand um 1630 und befindet sich heute in Chatsworth in der "Devonshire Collcetion".

Ganz anders als im ersten ist die Stimmung im zweiten, um 1640 entstandenen Bild eingefangen: In ruhig-elegischer Stimmung mustern drei Hirten die Inschrift eines Sarkophags, assistiert von einer Frauengestalt.

Peter Klink hat die Pentagramm-Konstruktion dieses Werkes wie folgt ans Licht gebracht; man beachte dazu vor allem die Achsenstellung der Hirtenstäbe.

Einzeichnung von Peter Klink

Viele haben sich bereits an der Analyse dieses Bildes von Nicolas Poussin versucht. Allein Harald Specht hat in seinem Werk "Das Erbe des Heidentums" (Marburg 2015) dafür 50 Druckseiten vorgesehen.

Folgende Abbildung zur Linken fanden wir im Internet, die eingezeichneten Linien wurden von uns nachträglich zur besseren Erkennbarkeit weiß hervorgehoben. Der Autor des Bildes tut hier nichts zur Sache. Seine Einzeichnung ist hervorragend geeignet, Pseudo-Analyse von stichhaltiger Analyse zu scheiden und die gravierenden Qualitätsunterschiede zu Peter Klinks Einzeichnung zu demonstrieren.

Der Autor der Einzeichnung ist mit dem Pentagon durchaus auf der richtigen Spur, fixiert sich aber ohne Grund auf einen der die Grabesinschrift "Et in Arcadia ego" (frei: "Auch ich bin nun Geheimnisträger.") entdeckenden Finger in ungefährer Bildmitte. Der Umstand, dass es hier zwei gleichwertige Zeigefinger verschiedener Personen statt einen gibt, war keine Überlegung wert. Alles, was um die Spitze des einen willkürlich gewählten Fingers herum konstruiert wurde - ein fürwahr imposantes Konstrukt mit doppeltem Pentagon und doppeltem Quadrat, mit 4 Umkreisen und vielen Fluchten und Schnittpunkten -, hat mit der Malerintention und -methode nicht das Geringste zu tun.

Alle Projektionen führen bei näherem Hinsehen nicht zu markanten Bildpunkten, sondern ausnahmlos ins Leere bzw. ins Subjektive des Betrachters!

 

 

Johann H. W. Tischbein: Goethe in der Campagna (1786/87)

Folgendes Gemälde von Johann H. W. Tischbein (1751-1829) entstand anlässlich der berühmten Italienreise Johann W. v. Goethes in den Jahren 1786/87. Auch Goethe hatte bei seinem Tagebuch das von N. Poussin benutzte Motto "Et in Arcadia ego" gewählt - hier wohl eher übersetzt mit "Auch ich weile in den Gefilden Arkadiens" resp. in der klassischen Antike.

Man beachte bei diesem Bild nicht nur das zentrale Pentagramm, das v. Goethes Sitzhaltung erklärt, sondern auch die sich aus ihm ergebenden Zirkelpunkte der rechten Bildhälfte, die dem Maler einige dynamisch geschwungene Linien an den Ruinen ermöglichten.

Zirkelpunkte, wie hier vorgestellt, gehören zu den besten Findmitteln zur Aufdeckung einer Pentagramm-Konstruktion!

Einzeichnung von Peter Klink

 

 

Johann Wolfgang v. Goethe: Mephistos Gefangenschaft (1808)

Auch der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war sich der Bedeutung des Pentagramms bewusst. In seinem berühmten Werk Faust 1, Vers 1395ff., hat er es als fragiles Bannzeichen für Mephisto, den personifizierten Teufel, verewigt.

Hier der entsprechende Textauszug aus dem Projekt Gutenberg:

 

Faust, I. Theil, Szene Studierzimmer:

Faust glaubt, den Teufel, der ihm in Gestalt des
Pudels zugelaufen ist, bannen zu können, als dieser
sich entfernen will:

 

MEPHISTOPHELES:

[...]Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?

FAUST:

Ich sehe nicht, warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen
Besuche nun mich, wie du magst.
Hier ist das Fenster, hier die Türe,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.

MEPHISTOPHELES:

Gesteh ich's nur! daß ich hinausspaziere,
Verbietet mir ein kleines Hindernis,
Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle -

FAUST:

Das Pentagramma macht dir Pein?
Ei sage mir, du Sohn der Hölle,
Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?

MEPHISTOPHELES:

Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen:
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

FAUST:

Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?
Das ist von ungefähr gelungen!

MEPHISTOPHELES:

Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus:
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

FAUST:

Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

MEPHISTOPHELES:

's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.

FAUST:

Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt,
Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen? [...]

 

Aber Faust täuscht sich. Er ist nicht Herr der Lage,
wie auch später nie mehr. Mephisto ruft seine hilfreichen Geister herbei, die zuerst Faust einschläfern
und dann, auf Befehl ihres Herrn, das Pentagramm zernagen:

 

MEPHISTOPHELES:

Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
Befiehlt dir, dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen [...]

Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist's geschehn.-
Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn [...]

 

Johann Wolfgang von Goethe hatte bei der Dichtung des Faust 1 sein künftiges Gartenhaus in Weimar, am östlichen Ilmhang, vor dem geistigen Auge. Viel später, mehr als 40 Jahre nach seinem Faust 1 und kurz vor Veröffentlichung von Faust 2, gab er dem Architekten Clemens Wenzelslaus Coudray den Auftrag, am Eingang zu seinem großen Garten an der Ilm ein hölzernes, weißes Gartentor in klassizistischem Stil zu errichten.

Im Sommer 1830 entstand davor ein Bodenmosaik aus großen Kalk- und Kieselsteinen, das als Bannzeichen des Bösen ein Pentagramm mit Um- und Inkreis darstellte. Trotz der in Faust 1 berichteten Fragilität hatte es für Goethe und seine Gäste noch jenen Schutz und jene Sicherheit zu symbolisieren, den es über Jahrtausende, von der Vor- bis zur Neuzeit, repräsentiert hatte.

 

 

Heinrich Maria von Hess: Apollo und die Musen (1826)

Heinrich Maria von Hess (1798-1863) kam im Jahr 1806 (Gründung des Königreichs Bayern) als Sohn des Kupferstechers Carl Ernst Christoph Hess nach München. Nach väterlichem Unterricht und einem Studium an der Münchner Akademie verbrachte der begabte Jungmaler, gefördert in königliches Stipendium, zwischen 1821 und 1826 einige prägende Jahre in Rom, studierte dort die alten Meister und schloss sich dem Kreis der Nazarener an, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine gewichtige Position im Kunstgeschehen der Ewigen Stadt einnahmen. Nach seiner Rückkehr wurde Hess 1826 von König Ludwig I. als Professor an die Münchner Akademie berufen. In München entwarf Heinrich Hess im Auftrag des Königshauses große Freskenzyklen für die Allerheiligen-Hofkirche und die Basilika St. Bonifaz, bei deren Ausführung ihn zahlreiche jüngere Künstler unterstützten. Als Leiter der Glasmalerei-Anstalt betrieb er die vom König geförderte Wiederbelebung der religiösen Glasmalerei und schuf Kartons für Kirchenfenster in verschiedenen Ländern Europas. Im Jahr 1844 erhielt Hess den Verdienstorden der bayerischen Krone und damit den persönlichen Kronadel.

Das folgende Monumentalgemälde von 245 x 449 cm Größe entstand nach Hess' Rückkehr aus Rom. Indem sich der junge Meister für das Thema "Apollo im Kreis der Musen" entschied, trat er in Konkurrenz zu so berühmten Werken wie Raffaels Parnass-Fresko in den Stanzen oder Anton Raphael Mengs’ Deckenbild in der Villa Albani. Das Gemälde kann heute in der "Neuen Pinakothek" in München bewundert werden.

Beim ersten Hinsehen erschließt sich dem Betrachter eine Bildkomposition, welche bei den bildfüllenden Flächen einen Aufbau mit den Pentagramm-Winkeln nahelegt:

Indes - das konstruktive Bemühen des Künstlers ist damit noch nicht genügend ausgedrückt!

Peter Klink hat sich zur Aufdeckung des handwerklichen Vorgehens auf folgende "Zinken" (von lat "signum") einer potentiellen Pentagramm-Konstruktion konzentriert: 1. Die Schreibtafel der Muse Kalliope (dritte von links), welche einen annähernden 108°-Winkel aufweist, 2. das Instrumentarium der Muse Klio, zur Rechten Apolls, mit Schwert und Trompete, die zueinander im rechten Winkel stehen, und 3. Kreisbogensegmente an der Lyra des Gottes selbst sowie am Gewandsaum der Muse Melpomene (vierte von links, mit der Theatermaske), deren Zirkelpunkte sich üblicherweise aus einem Planungspentagramm ableiten lassen.

Unter Berücksichtigung dieser Zinken ergibt sich folgende Pentagramm-Konstruktion, welche dem Hess'schen Entwurf zugrunde liegt und die Ableitung zahlreicher weiterer Schlüsselstellen der Bildkomposition ermöglicht.


Einzeichnung von Peter Klink

[Zur Vergrößerung bitte auf das Bild klicken!]

Kein Zweifel:

Heinrich Maria von Hess ist neben Tischbein und Poussin einer der wenigen Künstler, der in Rom noch das Geheimnis der alten Meister erfahren und studiert, und vielleicht sogar für sich selbst wiederentdeckt hatte. So war er  imstande, die Pentagramm-Konstruktion, die in der Renaissance noch weitest verbreitet gewesen war, aber nach Entdeckung der Zentralperspektive und höhren Trigonometrie in Vergessenheit geriet, in ein späteres Jahrhundert hinüber zu retten. Während mit Poussin das 17. Jahrhundert und mit Tischbein das 18. Jahrhundert erreicht war, schaffte es Heinrich Maria von Hess hinein in das 19. Jahrhundert und in das Königreich Bayern. Noch jüngere Spuren haben wir bislang nicht entdeckt!

 

 

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