Die Vormauerzonen von Berching - Wallgräben und Streuobst-Biotope

Ab dem 15. Jahrhundert wurden die Städte Deutschlands mit zunehmend großen Wehrmauern und Wall-Gräben umgeben. Zwar mussten die Wälle und Gräben von gemauerten Gebäuden frei gehalten werden, doch ging man in manchen Städten schon früh dazu über, in den durchschnittlich 20 bis 30 Meter breiten Vormauerzonen unter Wahrung einer gewissen Distanz zur Wehrmauer Obstgärten und Kleinviehweiden anzulegen.

Die Abbildungen aus dem Reisebuch des Pfalzgrafen Ottheinrich von 1536/1537 zählen zu den frühesten ihrer Art in Deutschland: Oben die Stadt Haid, links unten die Stadt Pfreimd, rechts unten die Stadt Berlin. In jedem Fall sind Vormauer-Pflanzungen zu erkennen.

Bei der Anlage von Streuobst-Gärten verband man den militärisch-strategischen Anspruch der Vormauerzonen mit dem wirtschaftlichen Nutzen: Die meist durch Rückschnitt niedrig gehaltenen Obstbäume behinderten unter Wahrung einer Distanz von ca. 10 Metern zur Mauer den Verteidigungsnutzen derselben nicht, sie lieferten aber im Herbst nicht nur die für die Stadtbewohner notwendigen Vitaminspender, sondern festigten mit ihrem Wurzelwerk auch die Wälle und beschatteten die Feuchtzonen der Gräben. Eine derartige Streuobst-Zone verband in der Regel die Obernutzung immer mit einer Unternutzung, d. h. im Schatten der Baumreihen konnten stadtnah Schafe und Ziegen als Standvieh unterhalten werden. Diese Fauna sorgte auf natürliche Weise dafür, dass das Gras kurz gehalten und die Bäume mit ihrem Mist gedüngt wurden.

Es ist gut möglich, wenn auch nicht dokumentiert, dass Berching schon zur Zeit des Fürstbischofs Wilhelm von Reichenau (1426 - 1496), der für die Errichtung der Innenstadt-Wehrmauer verantwortlich zeichnete, abschnittsweise in seinen Vormauer-Grünzonen Streuobst-Bestände und Kleinvieh-Weiden besaß!

Mit der Weiterentwicklung der Kriegstechnik nach dem Dreißigjährigen Krieg verloren die mittelalterlichen Mauern der bayerischen Kleinstädte ihre militärische Funktion weitgehend. Umso mehr verbreiteten sich nun die Streuobst-Gärten in den Vormauerzonen. Gerade die Zeit eines Christoph Willibald Glucks gilt als die Geburtszeit des professionellen Streuobst-Anbaus. Er wurde nicht nur in unserer Region, sondern durch die damals noch existierenden absolutistischen Staaten in ganz Europa gefördert.

In der natürlichen Symbiose zwischen zivilisatorischer Struktur (Mauer, Wall, Graben), Pflanzen (Obstbäume, Weiden, Blumenwiesen, Mauerpflanzen) und Tieren (Schafe, Ziegen, Bienen, Federvieh, Insekten) entwickelte sich ein Lebensraum von schier unglaublicher Artenvielfalt. Bis zu 5000 zusätzliche Arten von Flora und Fauna, Blumen, Kleintiere, Insekten etc. hat man inzwischen in den Streuobst-Gärten gezählt. [Link] [Link] [Link]

Deshalb gelten heute die erhalten gebliebenen Vormauer-Streuobst-Biotope als extrem wertvoll. Sie erfahren umfangreiche Förderung durch diverse Programme.
Selbst das ISEK der Stadt Berching von 2011 hat innerhalb seiner 121 Seiten, die allerdings einem Berchinger kaum etwas Neues verraten, an diversen Stellen diesem Umstand Rechnung getragen. So liest man z. B. auf Seite 95:

"Streuobstwiesen sind typisch für die Region und bieten zahlreichen heimischen Tieren von der Hornisse bis zum Siebenschläfer einen Lebensraum. Auch im unmittelbaren Umfeld der Altstadt sind Obstwiesen zu finden: im Graben zwischen Gredinger Tor und Frauenturm, zwischen Altenheim und Stadtmauer sowie am Badturm, Obstbaumreihe am Alten Kanal. Die Streuobstwiesen stellen ein Kultur- und Naturgut dar, das unbedingt zu erhalten ist."

Die verbliebenen Streuobst-Biotope an der Vorstadtmauer sind dem ISEK entgangen.

Dass die Projekte, die unter dem ISEK-Label ab 2014 in Berching durchgeführt werden, nicht in Geringsten auf diese Hochwertigkeit der Streuobstzonen Rücksicht nehmen, steht auf einem anderen Blatt!

 

Berching besaß schon seit dem späten 15. Jahrhundert einen doppelten Wall-Graben-Ring um die Stadt westlich der Sulz, und einen zweiten, einfacheren, abschnittsweise nur angedeuteten Wall-Graben-Ring um die Vorstadt (vor Anlage des Ludwig-Kanals und der Eisenbahn).

Die ursprünglichen Vormauerzonen lassen sich auf dem königlich-bayerischen Urkataster um 1820 gut nachvollziehen.

Der doppelte Wall-Graben um die Innenstadt war wohl nur durch den Wasseranfall der Sulz zu Überschwemmungszeiten notwendig geworden.

Er stellt für eine Kleinstadt in der Größenordnung von Berching eine außerordentliche Rarität dar.

Gelbe Zone: Zwei Wälle und zwei Gräben. Rote Zone: Ein Wall und zwei Gräben, der Außenwall entfällt. Blaue Zone: Zwei Gräben, ein linearer Wall, weitere Begrenzung durch die begradigte Sulz. Grüne Zone: Vorstadtmauerstreifen mit flacher Grabenmulde und einem niedrigen Außenwall, nach Norden flach auslaufend.

Von dieser doppelten Wall-Graben-Anlage in Westen hat sich eine Fotografie aus dem Jahr 1904 erhalten. Sie zeigt anschaulich die Mächtigkeit der Wälle und die Tiefe und Breite der Gräben.

Wenig später wurden Außenwall und Außengraben wegen der Anlage einer Streuobst-Zone teilweise eingeebnet. Teile des Innengrabens blieben dabei erhalten.

Aufnahme von 1904, vor dem Gredinger Tor.

Schon seit der Barockzeit existierte im Bereich des heutigen Kuffer-Parks und hinter dem Franziskaner-Kloster eine schüttere Vorpflanzung mit Obstbäumen, die Wallanlagen wurden dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts ohne echte Notwendigkeit beseitigt.

Im Süden der Stadtmauer befand sich seit etwas mehr als einem Jahrhundert innerhalb mehrerer Privatgärten eine weitere Mauer-Vorpflanzung mit Obstbäumen, die sich bis heute erhalten hat. Genau hier, in der südlichen Vormauerzone, schlug gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Geburts- und zugleich die Sternstunde des Berchinger Streuobstanbaus:

Wie uns Band 1 des "Geographischen, statistisch-topographischen Lexikons von Franken" aus dem Jahr 1799 auf Seite 343 verrät, hatte zu Ende der kurbaierischen Zeit der Apotheker Hermanseder im Stadtgraben von Berching eine Baumschule gegründet, von wo aus er "unendgeldlich alle Jahre gegen 1000 Stück Stämme von den besten Obstsorten" an die "Unterthanen" der Umgebung abgab, um die Obstbaumkultur zu fördern. Auch mit Tabak und Flachs experimentierte der botanisch gebildete Apotheker erfolgreich, und er erwarb sich dabei einen solchen Ruf, dass er gegen Ende seiner Berufskarriere zum Hofapotheker nach Eichstätt berufen wurde!

Über den Umfang der Hermanseder'schen Pflanzungen haben wir heute keine Informationen mehr. Sicher ist jedoch, dass ca. 100 Jahre später, kurz nach 1904, im Westen und Norden der Stadt eine eindrucksvoller Streuobst-Gürtel mit doppelten Baumreihen neu angelegt wurde.

Fliegeraufnahme von 1934.

Noch um 1950 bestand diese Disposition im nordwestlichen Vormauerbereich der Innenstadt. Nach einem unmittelbaren, eher unpassenden Mauerbewuchs (Spalier-Obst?) folgte der verbliebene Stadtgraben, nach außen schlossen sich auf verfülltem Terrain zwei Obstbaum-Reihen an.

Luftaufnahme von 1950.

Zur selben Zeit existierten auch im Bereich des Kuffer-Parks zwei Obstbaum-Reihen. Der Wall war dort inzwischen verlagert, bzw. auf die Hochwasserverbauung von 1922 zur weiteren Erhöhung der Oberkante aufgesetzt worden. Diese Geländeformation hat sich bis heute erhalten, die Baumreihen sind allerdings verschwunden.

Luftaufnahme von 1950.

Im Jahr 1954 zeigte der Streuobst-Gürtel, wie das nachfolgende Bild zeigt, im Bereich des heutigen Hollnberger-Parks bereits wieder deutliche Auflösungserscheinungen. Der verfüllte Außengrabenbereich im Norden wurde Brachland oder Wiese, die Obstbaumreihen wurden bis auf einen geringen Grabenbestand beseitigt.

Luftaufnahme von 1954.

Es folgen Bilder der Vorstadtmauer-Zone:

Vorpflanzungen mit Obstbäumen bestehen in Resten im Bereich des Netter- und Meier-Gartens noch heute. Noch vor 1970 kam es im nördlichen Bereich des Schaidl-Gartens zu einem Kahlschlag sowie zu unpassenden Neu-Pflanzungen von Blautannen, wie folgende Aufnahmen zeigen. Es verblieb lediglich zum Wegrand hin eine Baumreihe, die aber auf einer zweiten Aufnahme von 1985 auch nicht mehr auszumachen ist. Die heute dort stehenden, ausgewachsenen Kirschbäume stammen wohl aus späterer Zeit.

Der Schaidl-Garten um 1970, rechts nach 1985, mit niedrigem und spärlichem Baumbestand am Rand der Eisenbahntrasse/des Weges.

Der Schaidl-Garten um 1985.
Die Bilderreihe belegt die allmähliche Entwicklung der Berchinger Streuobst-Zonen, die von den Hermanseder'schen Pflanzungen um 1796 ausging und zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts ihren zweiten Höhepunkt fand. Erst die nachfolgende Zeit stand dann unter den schlimmen Zeichen der sukzessiven Verunstaltung und Beseitigung. Im Westen der Stadt erbrachte der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals zusätzliche Terrainveränderungen, wenn auch geringeren Ausmaßes.

Heute sind, wenn man von einigen Privatgärten im südlichen Stadtmauerbereich und an der Vorstadtmauer absieht, von der einst eindrucksvollen Streuobst-Anlage Berchings nur ein paar wenige Bäume neben dem Gredinger Tor und im Hollnberger-Park geblieben.

Die Entwicklung des Streuobst-Anbaus in Berching korreliert exakt mit der Entwicklung in Deutschland. Ein erster Höhepunkt lag hier noch in absolutistischer Zeit, ein zweiter in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit nahm auch die Artenvielfalt des kultivierten Obstes nochmals enorm zu. Zwischen 1965 und 2014 kam es zu einem Rückgang der Streuobst-Flächen in Mitteleuropa um mehr als 75 Prozent. In Berching dürften die Verluste noch größer gewesen sein. Die heute verbliebenen Restbestände sind in der Regel überaltert, eine effektive Nutzung findet nur noch im Bereich der Privatgärten statt.
Nichtsdestotrotz stellen die einstigen Streuobst-Biotope Berchings ein schützens- und restitutionswertes Bodendenkmal dar!

Etwa ab 1980 erkannte man deutschlandweit den ökologischen Nutzen und die außerordentliche Arten-Vielfalt der verlorenen Streuobst-Biotope. Seitdem werden vielerorts erhebliche Anstrengungen unternommen, den Streuobstbestand wieder zu rekultivieren und den Altbestand zu verjüngen. Hierzu sind inzwischen zahlreiche Förderprogramme des Bundes, der Länder und Kommunen aufgelegt.

In Berching besteht allerdings bis heute diesbezüglich Fehlanzeige, wenn man vom bloßen Lippenbekenntnis des ISEK absieht. Es existiert weder ein Rekultivierungs- noch ein Nutzungskonzept, noch eine sonstige Aktivität in dieser Richtung!

Wenige alte Fotografien zeigen, wie sich einst in Berching Nutzen und Optik in idealer Weise ergänzten, und wie schön der Obstbaumgürtel vor den alten Stadtmauern war!

Wenn die Bäume regelmäßig geschnitten und damit niedrig gehalten wurden, verdeckten sie nicht die dahinter stehende Mauerpartie, sondern erhöhten sie sogar optisch. Für einen lebendigen Landschaftseindruck sorgten auch die dazugehörigen Wiesen und verbliebenen Wall-Graben-Abschnitte. Durch sie wirkte das Terrain profiliert und entfaltet damit einen Tiefeneffekt. Je nach Sonneneinfall neigten die Baumzonen zu schönen Schattenwürfen.

Etwas ganz Besonders war der jahreszeiliche Wechsel in der Optik! Im Frühjahr blühte es in Weiß und Rosa um die gesamte Stadt herum, und im Herbst färbten sich Blätter und Obst rot, braun und gelb und gaben nicht minder reizvolle Blickfänge ab. Schönheit und Nutzen ergänzten sich also in idealer Weise!

Aufnahme um 1930.

Aufnahmen um 1930.
Berching im Frühjahr, das war einst das Bild einer steineren Braut, die sich zur Maienzeit einen Kranz aus Blüten umgelegt hatte! Die Ältesten des Ortes wissen noch heute mit Stolz davon zu berichten!

Doch heute?

So gut wie nichts ist davon geblieben und das unglückselige ISEK-Planerbüro verlangt sogar eine zusätzliche Freistellung der Mauern.

In den öffentlichen Zonen Berchings ist der einstige Streuobst-Gürtel zu 90 Prozent vernichtet, durch lieblos angelegte und glatt planierte Parkflächen ersetzt, die allenfalls von ein paar konzeptlos gepflanzten Laubbäumen und Büschen unterbrochen werden.

Im Hollberger-Park und am Gredinger Tor gibt es zwar noch wenige kleine Restbestände der ehemaligen Obstgärten, doch die fehlende Kohärenz lässt diese Kleingruppen in keiner Weise zur Geltung kommen.

Der Stil, das Flair früherer Zeiten ist definitiv dahin!

Aufnahmen um 1930.
Wir hoffen, den Leser davon überzeugt zu haben, dass Streuobst-Rekultivierung in Berching nicht nur als Feigenblatt im schriftlichen ISEK-Konzept taugt, sondern tatsächlich wie in anderen Städten aktiv betrieben werden sollte - in oberster Priorität bei allen Neugestaltungaktivitäten für die Vormauerzonen!

Dabei kommt es wie bei den Mauern darauf an, den linearen Charakter dieser zauberhaften Welt aus begrünten Wällen und Gräben, aus blühenden Obstbaumreihen und Kleinviehweiden zu wahren.

Dies ist das authentischste und vielsagendste Vormauer-Ensemble, das sich die historische Stadt Berching wünschen kann - Ausdruck einer jahrhundertelangen Entwicklung, die in der Sreuobst-Gartenkultur des frühen 20. Jahrhunderts gipfelte.

Erneute Schaffung und Pflege von Streuobst-Partien - das wäre in Berching gelebter Ensembleschutz par excellence!

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