Peter von Celle: De disciplina claustrali - Die Lehre des Klosters

Reminiszenzen zu Peter Abaelard und seinem Werk Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum

 

© Dr. Werner Robl, 2002

 

Hinführung

Im Jahre 1179 veröffentlichte der Abt des Kloster Saint-Remi in Reims, Peter von Celle,[1] die Abhandlung De disciplina claustrali, die er für einen Jugendfreund aus England geschrieben hatte. In diesem Spätwerk findet sich eine Anspielung auf Peter Abaelards Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum. Deshalb werden im Folgenden Peter von Celle und die betreffenden Passagen seines Werkes - ergänzt um eine deutsche Übersetzung und einige Erläuterungen - vorgestellt.

 

Peter von Celle: Lebensbeschreibung

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Peter von Celle wurde um das Jahr 1115 herum in der Champagne geboren - als Spross des Hauses Aulnoy-les-Minimes bei Provins. Es bestand eine entfernte Verwandtschaft zum französischen Königshaus.[2] Schon als junger Mann beschritt er eine klösterliche Laufbahn. Einer eigenen Bemerkung nach[3] suchte er zunächst Anschluss an die Kluniazenser von Saint-Martin-des-Champs in Paris. Dort lernte er Johann von Salisbury, den späteren Bischof von Chartres, kennen, mit welchem ihn nach einem gemeinsamen Studienaufenthalt auf dem Montagne Sainte-Geneviève eine lebenslange Freundschaft verband.

Nach einigen Studienjahren ließ sich Peter von den Vertretern der Gregorianischen Reform überzeugen; er entsagte dem verweltlichten Schulbetrieb in Paris und wurde Benediktinermönch: „Oh Paris, wie sehr bist du dazu angetan, die Seelen zu packen und zu enttäuschen. In dir gibt es Netzwerke des Lasters und Fallgruben des Bösen; in dir durchbohrt der Pfeil der Hölle die Herzen der Törichten...“ So schrieb er entsetzt in einem seiner Briefe.[4]

Nach der Studienzeit in Paris trat Peter in den Benediktiner-Konvent von Montier-la-Celle[6] ein, welcher einige Kilometer südwestlich von Troyes in der Champagne lag. Ihm verdankte er seinen künftigen Beinamen Cellensis oder de Cella. In diesem Konvent hatte er eventuell bereits seine Kindheit verbracht. Um 1145[5] wurde Peter Abt dieses Klosters. Während dieses Abbaziats verkehrte er mit zahlreichen Größen seiner Zeit. Unter anderem freundete er sich auch mit Bernhard von Clairvaux an, dessen Zisterzienserorden ihm viel Bewunderung abrang.[7] Beide Konvente hatten in der Folge auch wiederholt geschäftlich miteinander zu tun.[8] Für Bischof Theobald von Paris, den er wohl in dessen Zeit als Prior von Saint-Martin-des-Champs persönlich kennen gelernt hatte, verfasste er einige Auftragspredigten.[9]

Im Jahre 1148 besuchte Johann von Salisbury seinen Freund in Montier-la-Celle und verblieb dort eine ganze Weile, nachdem er seine Rolle als Lehrer der artes liberalium in Paris aufgegeben hatte und im Jahre 1147 zum Priester geweiht worden war.[9a] Peter setzte sich unter Vermittlung Bernhards von Clairvaux für Johann bei Theobald, dem Erzbischof von Canterbury, ein, der diesen alsbald in seine Dienste nahm. Peters Briefe aus dieser Zeit vermitteln ein lebendiges Bild seiner vielfältigen Aktivitäten und Kontakte: Mit Johann von Salisbury, Thomas Becket, Erzbischof Eskil von Lund, sowie den Päpsten Eugen III. und Alexander III. stand er in ständigem Briefwechsel.

Zu Peters engen Vertrauten zählte auch Bischof Heinrich von Beauvais. Auch diese Bekanntschaft ging auf Peters Studienzeit in Paris zurück. Heinrich war der leibliche Sohn König Ludwigs VI. und der Königin Adelaide von Savoyen; er war schon von Kindheit an auf eine hohe Kirchenkarriere vorbereitet worden. Seinen Aufstieg in der Kirchenhierarchie begann er als Kanoniker des Domkapitels von Notre-Dame, dem er bis 1136 als Subdiakon angehörte. Um 1145 wurde er Archidiakon am Dom Sainte-Croix von Orléans, anschließend Titularabt aller königlichen Eigenklöster, derer sieben an der Zahl.[10] Es folgte ein kurzes Intermezzo als Zisterziensermönch unter Bernhard von Clairvaux, wobei er erstmalig die Bekanntschaft des Papstes Eugen III. machte. Im Jahre 1147 - nach einigen Quellen erst 1149 - wählte ihn der Klerus von Beauvais zum dortigen Bischof.[11] Dieses Episkopat war von schweren Querelen mit dem Volk und Kapitel von Beauvais und dem mittlerweile rivalisierenden Bruder auf dem Königsthron überschattet. Peter von Celle stand in dieser Zeit seinem Freund Heinrich beratend zur Seite.[12]

Im Jahre 1162 wurde Heinrich dann überraschend zum neuen Erzbischof von Reims gewählt. Noch im selben Jahr[13] holte er Peter von Celle an seine Seite und verschaffte ihm das renommierteste Abbaziat der Stadt. Peter wurde Abt des alt-ehrwürdigen Klosters Saint-Remi in Reims, in welchem einst der erste Merowingerkönig Chlodwig getauft und mit dem legendären Öl der Sainte-Ampoule gesalbt worden war.[14] Peter von Celle führte als Abt den Konvent über neunzehn Jahre - bis zum Jahre 1181.[15] In seiner Funktion als Vikar vertrat er den Metropoliten von Reims während seiner Abwesenheit.

Selbst in dieser Zeit suchte Johann von Salisbury den befreundeten Abt noch auf. Hier in Reims soll er seine Historia Pontificalis geschrieben haben,[16] ehe er im Jahre 1176 auf Betreiben Erzbischof Wilhelms von Sens und König Ludwigs VII. auf den Bischofsstuhl von Chartres gewählt wurde.

Deambulatorium Saint-
Remi, Reims, 1170-1185
Unter die Ägide Peters von Celle fällt die architektonische Neugestaltung und Vergrößerung des Reimser Remigius-Klosters. Um für die zahlreichen Pilgergruppen Platz zu schaffen, wurde der alte romanische Portalbau abgetragen und durch einen neuen im gotischen Stil ersetzt. Dabei verlängerte man das Schiff um zwei Gewölbejoche. Die stilistische Besonderheit eines fensterlosen Triforium kennzeichnet exemplarisch diese Bauphase. Auch ein neuer, tieferer Chor mit Deambulatorium und fünf Rayonnant-Kapellen[17] ersetzte nun den alten Chorbau - errichtet im Stil der Champagne.[18] Wenn man von den gravierenden Schäden absieht, die der zweite Weltkrieg mit sich brachte, präsentiert sich Saint-Remi auch heute noch in derselben architektonischen Form, wie sie einst Peter von Celle projektiert hatte.

Im Jahre 1182 nahm das Leben des greisen Abtes nochmals eine überraschende Wendung: Bereits von schwerer und jahrelanger Krankheit gezeichnet - er litt an Nierensteinen und Gicht - folgte Peter von Celle seinem im Oktober 1180 verstorbenen Freund Johann von Salisbury ins Episkopat von Chartres nach. Papst Lucius III. sprach die entsprechende Ernennung aus. Diese Wahl überraschte; denn noch 1178 war Peter von Celle bei der Kardinalswahl leer ausgegangen: Er hatte krankheitshalber am 3. Lateran-Konzil nicht teilnehmen können. Nach seiner Wahl zum Bischof von Chartres soll Peter noch mit Elan ans Werk gegangen sein: Er ließ Chartres aus eigener Schatulle mit einer Stadtmauer versehen, was ihm den Dank der dortigen Bürger einbrachte.[19] Aber eine lange Amtszeit war ihm nicht mehr vergönnt. Am 19. oder 20. Februar 1183 (1182 Osterrhythmus) verstarb der vormalige Abt an den Folgen einer kurzfristig eingetretenen Erkrankung. Die Bürger von Chartres sollen beim Leichenzug den aufgebahrten Leichnam geküsst haben - so beliebt sei der Bischof gewesen.[20] In der Abtei von Josaphat wurde Peter von Celle an der Seite Johanns von Salisbury bestattet.

 

Die Werke Peters von Celle

Neben zahlreichen Briefen, deren deutsche Neuedition durch Falkenstein gerade in Vorbereitung ist,[21] hat Peter von Celle auch eine ganze Reihe von Predigten sowie einige kleinere und vier größere Abhandlungen hinterlassen. Das literarische Gesamtwerk des Abtes hatte erstmals im Jahre 1671 Dom Janvier in Paris herausgegeben. Eine Sammlung von 169 Briefen war schon zuvor, im Jahre 1613, von J. Sirmond veröffentlicht worden. Im Jahre 1728 erfolgte dann eine Neuauflage dieser Edition.[22] Mignes Patrologia Latina, Band 202, Spalten 405-1146, gibt die Ausgabe Janviers wieder, ergänzt um weitere, Peter von Celle betreffende Schreiben. Diese Sammlung umfasst 177 Briefe, 95 Predigten sowie einige kleinere und vier größere Abhandlungen: De panibus ad Joannem Sarisberiensem, Mosaici tabernaculi mysticae et moralis expositionis libri duo, De conscientia und das Spätwerk De disciplina claustrali ad Henricum I, Campaniae comitem. Im Jahre 1850 gab Messiter in Oxford eine große Briefsammlung aus den Manuskripten des St. John's College heraus. Im Jahre 1948 fügte schließlich J. Leclercq sieben weitere, neu entdeckte Briefe des Abtes hinzu - darunter auch einen Briefwechsel mit Abt Goswin von Anchim, einem erklärten Abaelard-Gegner.[23] Inzwischen erfuhr der Briefwechsel Peters von Celle eine Neuauflage im englischen Schrifttum: Im Jahre 2001 veröffentlichte J. Haseldine sämtliche Briefe in einer kritischen, lateinisch-englischen Ausgabe.[24]

 

Das Spätwerk De disciplina claustrali

Dieses Werk, welches im Jahre 1977 erstmalig in einer zweisprachigen, kritischen Version erschien,[25] steht nun im Mittelpunkt des Interesses. Peter von Celle verfasste es gegen Ende seines Abbaziats in Reims und veröffentlichte es im Jahre 1179. Diese Datierung kann aufgrund gewisser Angaben in den Begleitschreiben erschlossen werden. Peter entsprach mit der Abfassung dieses Werkes einer wiederholten Bitte eines befreundeten englischen Geistlichen. Richard von Salisbury war der leibliche Bruder Johanns von Salisbury und lebte als Regularkanoniker in Merton Abbey, Surrey. Wann sich Richard und Peter persönlich kennen gelernt hatten, lässt sich aus dem Werk heraus nicht genau erschließen; Richard muss allerdings zu diesem Zeitpunkt noch ein Kind gewesen sein.[26] Richard hatte sich später einige Zeit in Reims aufgehalten - so wie sein Bruder. Als im Jahre 1170 Thomas Becket ermordet wurde, waren beide Brüder wieder in England. Peter von Celle schrieb einen Brief dorthin, da er sich darüber im Unklaren war, ob die beiden Opfer des Attentats geworden waren. Damals wurde Richard Kanoniker.

Vor 1179 stellte der Abt von Saint-Remi für seinen Freund eine Übersicht über Sinn und Zielsetzung eines regulierten Lebens zusammen. Gleichzeitig widmete er dieses Werk dem Herrscher der Grafschaft Champagne, Heinrich, dem Liberalen, 1152-1181.

BM Troyes MS 253
Folio 96r Detail
Nur zwei handschriftliche Kopien der Disciplina claustralis aus dem 12. Jahrhundert sind heute noch erhalten: Das Manuskript BM Troyes 253[27] stammte ursprünglich aus Clairvaux. Ein weiteres, englisches Manuskript, MS Cambridge University Library, Gg. IV, 16,[28] war wohl als Transskript über Merton Abbey nach Cambridge gekommen. Weitere Exemplare aus der Kartause von Mont-Dieu, mit welcher Peter von Celle ebenfalls in Briefkontakt stand, und aus seinem Mutterkloster Saint-Remi sind heute verschollen. Die kritische Edition von Martel aus dem Jahre 1977 basierte erstmalig - im Gegensatz zu den älteren Versionen[29] - auf dem Manuskript von Cambridge, welches überraschenderweise trotz seiner geographischen Distanz weitaus näher am heute verlorenen Archetypus lag als die Version aus Clairvaux. So ermöglichte es die Emendation zahlreicher Lese- und Schreibfehler früherer Ausgaben. Im Jahre 1987 erschien eine englische Übersetzung des Werkes;[30] über eine deutsche Version ist uns nichts bekannt.

Die folgenden Auszüge aus der Schrift De disciplina claustrali - ergänzt um eine deutsche Übersetzung - basieren auf der aktuellen Edition von Martel. Der Einfachheit halber wurde auf die Darstellung der Emendationen und verschiedenen Lesarten, sowie auf die Angabe von Seitenzahlen und Querverweisen verzichtet. Die dem Werk vorangestellten Widmungsschreiben sind vollständig wiedergegeben, da sie neben der Werkintention als solcher auch die etwas dichotomen Rezeptionsvorstellungen des Abtes und die besonderen Umstände seiner literarischen Arbeit anschaulich beschreiben. Aus dem Werk selbst wurden lediglich die Eingangskapitel in Auszügen entnommen, um Stil und Sinngehalt zu demonstrieren. Vollständig ist jedoch das achte Kapitel wiedergegeben, in welchem sich der Abt mit den konkurrierenden geistigen Strömungen seiner Zeit befasste. Hier finden sich die eingangs erwähnten Bezüge zu Peter Abaelards Lehre, welche im Anschluss an den Text noch etwas ausführlicher diskutiert werden.

 

Peter von Celle - De disciplina claustrali -  Auszüge

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Epistola Petri abbatis sancti Remigii ad comitem Henricum Trecensium de opere sequenti.

Brief Peters, des Abtes von Saint-Remi, an den Grafen Heinrich von Troyes bezüglich des nachfolgenden Werkes.

Domino et amico suo Henrico illustri Trecensium comiti palatino Petrus humilis abbas sancti Remigii salutem et omnem prosperitatem.

Libertas animi nisi ex proprio arbitrio et adiuncto limosi corporis consortio infatuata fuisset, nequaquam poenali disciplina quae plicat, planat et ligat, indiguisset. Plicat erecta, planat aspera et ligat lasciva. Plicat indomita, planat inaequalia, ligat dissoluta. Plicat animum, corpus planat, utrumque ligat. Plicat humilitate, planat aequitate, ligat religione. Plicat conversione, planat confessione, ligat professione. Plicat palmitem in vite, planat tabulas cordis ad mandata vitae, ligat pullum suum ad vineam, id est animum ad gratiam. Plicat denique taurum de saeculo cervicosum, planat camelum gibbosum, ligat bubalum sive onagrum. Utroque autem, animo scilicet et corpore, in genere suo naturali bonitate privato, coepit vias explorare pietas Creatoris, quibus resarciret damna tantae temeritatis. Et quia causa tanti morbi inventa est privilegium insitae libertatis, salubri artificio regulari[s] disciplina colligavit pennas depravatae libertatis et depressit collum temerariae praesumptionis. Quod itaque generali censu in universo genere humano Deus disposuit, hoc in me factum benignissima pietate expertus sum. Nam huc illucque postposita ordinis nostri maturitate vagabundus discurrebam, et saecularia negotia atque terrenas occupationes tanquam fures et latrones pene omnem religionis suppellectilem a me asportare negligebam, sed ecce manus Domini filias pharetrae suae misit in renibus meis et gutta arctissima renes meos congelavit et domi consistere coegit. Sentiens itaque disciplinam, de disciplina coepi cogitare et cogitata describere. Quam patienter vero passus sum disciplinam, tam libenter et diligenter etsi non eleganter scripsi de disciplina. Scripsit sanctus Augustinus ut Augustinus et ut episcopus de disciplina christiana; scripsi ego abbas et monachus de claustrali disciplina. Ille ut gigas beatissimus et litteratissimus montes cervorum et mentes humilium humeris suis gestat; ego ut formica tenuissima grana non integra, sed incisa, traho ad tractatus nostri despectum tuguriolum et praeparo futurae fami et hyemi quantulumcumque viaticum.

Opusculum itaque nostrum de claustrali disciplina, nec stilo nec titulo sollempni irradiatum, argumentosa philosophiae non ingreditur palatia, sed humili vultu et habitu in speluncis et cavernis terrae ei de qua agit materiei conformatur. Qua igitur fronte, princeps nobilissime, quinimmo et ingenii subtilitate vivacissime, tibi ad legendum transmitto tractatum squalidum et pannosum? Sed verbis oris mei illaqueatus, malo argui de indocto quam de mendaci verbo. Legat itaque pius et intelligens animus, attendens non formam verborum, sed virtutem sensuum. Sicut enim plus est virtus animi quam decor corporis, sic in scriptura potius spiritus requirendus est qui vivificat quam littera quae inflat. Fructus plus placet in arbore quam folia. Utrumque tamen bonum est si utrumque adest, sed pulchra sine fructu folia potius sunt oculorum lenocinia quam stomachi subsidia. Apostolus reprobat speciem pietatis ubi deest virtus caritatis. Dominus quoque veniens ad arborem fici quae fructum non habebat, sed tantum folia, maledicit ei et in aeternum illam condemnat.

Imploro nobilitatem vestram ne in lectione ista attendatis quales sumus, sed quales esse debemus. Nec lateat prudentiam vestram lucernam ordinis nostri in Israel non esse prorsu[m] extinctam, sed Isaac oculos quia senuit caligasse. Conquerenti Helyae adversus Achab et Iezabel ac dicenti: Domine, altaria tua suffoderunt, prophetas tuos occiderunt, et relictus sum solus ego et quaerunt animam meam, responsum est ei: Reliqui mihi septem millia hominum qui non curvaverunt genua sua ante Baal. Sic certe, sic, domine et amice carissime, et si magna antiquorum patrum virtus regularis nostris temporibus elanguit, non exspiravit; et si abiit, non obiit; et si refriguit, non periit.

Qui quasi nichil sunt apud homines plerumque tanquam lucerna despecta, pluris sunt apud Deum quam qui aliquid esse videntur. Non excuso malos, sed praedico bonos. Praeiudicium tollo, quia iudicium Dei expecto. Vestrum est honorare nomen Dei, non solum in sanctis, sed et in perversis. Nam quaecumque persona etiam vilissima, si sigillum vestrum portaverit, auctoritate nominis vestri suscipienda est et honoranda, non quia digna sit, sed quia digni sit. Sic plerumque dignus facit indignum dignum; indignum utique proprie, dignum inproprie; indignum ex se, dignum ex officii perfunctione.

Nolo, nolo ut mihi in aliquo parcatis, ubi excessi. Rogo etiam ut non legatis cum fastidio, sed statim ut coeperit onerare mentem, de manu vestra proicite; et si placuerit, alias resumite; aut si displicuerit, reclusum perpetuis tenebris condemnate. Pauperes et gloriosi homines paupertatem veraciter sustinentes et inutiliter gloriam affectantes, ad contegendam paupertatem et gloriam comparandam, solent oras clamidis suae aut pretiosis aut speciosis pelliculis supervestire, non ad utilitatem, sed ad curiositatem intuentium respondentes. Sic ego ipse, quia huic nostro operi prae inopia nostra deerat pretium sententiarum et decus verborum, titulum nominis vestri anteponens, ingressum eius decentissime adornavi, ut lector sperans non nisi optima vobis offerri currat ad perlegendum, non ex sapore conditi poculi, sed in splendore tituli tanti principis.

Continentur autem in hoc opere nostro de disciplina claustrali capitula ista.

Seinem Herrn und Freund Heinrich, dem berühmten Pfalzgrafen von Troyes, Peter, demütiger Abt von Saint-Remi: Heil und jedwedes Wohlergehen!

Wenn die Freiheit des Geistes nicht aus eigenem Gutdünken und wegen der Verbindung mit einem aus Lehm gezeugten Körper in Verwirrung geraten wäre, hätte es beileibe nicht einer Straflehre bedurft, die beugt, glättet und bindet. Sie beugt das Stolze, glättet das Harsche und bindet das Ausschweifende. Sie beugt das Zügellose, glättet das Unbillige und bindet, was in Auflösung begriffen ist. Sie beugt den Geist, glättet den Körper und bindet beides. Sie beugt durch die Demut, glättet durch die Gerechtigkeit und bindet durch die Gottesfurcht. Sie beugt durch die Bekehrung, glättet durch die Beichte und bindet durch das Bekenntnis. Sie beugt die Rebe am Weinstock, sie glättet die Schreibtafeln des Herzens und passt sie so den Erfordernissen des Lebens an, sie bindet das Füllen an den Rebstock (Gen, 49,11), d. h. die Seele an die Gnade. Sie beugt schließlich den wegen der Verweltlichung halsstarrigen Stier, glättet das höckerige Kamel, bindet den Büffel oder Wildesel. Nun, da beide, die Seele freilich und der Körper, jeweils auf ihre Art der natürlichen Güte beraubt wurden, beginnt das Pflichtgefühl des Schöpfers die Wege zu erforschen, auf welchen er die Schäden eines derartigen Leichtsinns ausbessern kann. Und weil als Ursache einer so schweren Krankheit das Privileg der enthaltenen Freiheit befunden wurde, bündelte die Lehre eines regulierten Lebens in heilsamem Werk die Federn der verderbten Freiheit und drückte den Nacken leichtfertiger Anmaßung nieder. Das, was Gott durch allgemeine Einschätzung im gesamten Menschengeschlecht verfügte, erfuhr ich deshalb durch seine allergütigste Liebe auch in mir. Denn ich stellte die Vollendung unseres Ordens hintan und lief ziellos - mal hierhin mal dorthin schweifend - umher und übersah dabei, dass die weltlichen Geschäfte und die irdischen Beschäftigungen wie Diebe und Räuber mir fast das ganze Rüstzeug unserer Religion wegnahmen. Doch siehe: Die Hand des Herrn ließ die Töchter seines Köchers (Lam. 3, 13) in meine Nieren fahren, fror diese mit schlimmster Gicht ein und zwang mich, im Haus zu bleiben. Da ich die Zucht fühlte, begann ich, über die rechte Lehre nachzudenken und meine Gedanken niederzuschreiben. So geduldig ich aber diese Lehre über mich ergehen ließ, so bereitwillig und umsichtig schrieb ich darüber, wenn auch nicht in elegantem Stil. Der Heilige Augustinus schrieb über die christliche Lehre das eine Mal als Augustinus, das andere Mal als Bischof; ich jedoch schrieb als Abt und Mönch über die Klosterdisziplin. Jener trug beharrlich wie der seligste und hoch gebildete Gigant die Berge der Hirsche und die Gesinnungen der Demütigen auf seinen Schultern; ich dagegen ziehe wie die winzigste Ameise nicht ganze Körner, sondern nur Spleiße zur armseligen Hütte unsere Abhandlung und bereite damit allenfalls ein Quäntchen Wegzehrung für den künftigen Wintershunger vor. 

Deshalb betritt unser kleines Werk über die Klosterdisziplin, welches weder durch seinen Stil noch durch einen feierlichen Titel glänzt, nicht die an Schlagworten reichen Paläste der Philosophie, sondern passt sich mit demütiger Miene und Haltung in den Grotten und Niederungen der Erde dem Stoff an, von dem es handelt. Mit welcher Ungeniertheit, vornehmster Fürst, der Du von höchst lebendiger Verstandesschärfe bist, schicke ich Dir diese schäbige und lumpige Abhandlung zur Lektüre? Verstrickt in den Worten meines Mundes, möchte ich lieber einer ungelehrten als einer lügnerischen Aussage gescholten werden. Es möge deshalb ein rechtschaffener und aufmerksamer Geist, der nicht auf die Schönheit der Worte, sondern auf die Redlichkeit des Sinngehaltes achtet, das Folgende lesen. So, wie die Kraft des Geistes mehr wert ist als die Zierde des Körpers, so ist in dieser Schrift eher der Geist zu suchen, der belebt, als der Buchstabe, der nur aufbläht. Mehr gefällt die Frucht am Baum als das Laubwerk. Dennoch ist beides gut, wenn beides vorhanden ist. Aber schöne Blätter ohne Frucht sind eher ein Anreiz für die Augen als ein Kräftigungsmittel für den Magen. Der Apostel tadelt den Anschein der Frömmigkeit dort, wo der Vorzug der Nächstenliebe fehlt. (Tim., 3,5) Als der Herr zum Feigenbaum kam, der keine Frucht, sondern nur Laub trug, verwünschte er diesen und verurteilte ihn in alle Ewigkeit. (Markus 11, 13-14)

So bitte ich Eure Eminenz inständig, bei der Lektüre nicht darauf zu achten, wie wir sind, sondern wie wir sein müssen. Möge es Eurer Klugheit nicht verborgen bleiben, dass das Licht unseres Ordens in Israel nicht völlig erloschen ist, (Sam.2, 21, 17) sondern dass Isaaks Augen sich nur deshalb verfinsterten, weil er alt wurde. (Gen. 27,1) Elias beklagte sich über Ahab und Isebel und sprach: Herr, sie haben Deine Altäre umgestürzt und Deine Propheten getötet; ich allein bin übrig geblieben, und schon trachten sie nach meinem Leben. (Könige 1, 19, 10) Da erhielt er die Antwort: Ich habe mir Siebentausend zurückbehalten, die ihre Knie nicht vor Baal beugten. (a. a. O., 18) Es ist wirklich wahr, mein Herr und teuerster Freund: Auch wenn die große Regeltreue unserer Vorväter in unserer Zeit erlahmt ist, so ist sie dennoch nicht erloschen. Auch wenn sie sich entfernt hat, so ist sie dennoch nicht dem Tod anheimgefallen. Und wenn sie erkaltet ist, so ist sie dennoch nicht zu Grunde gerichtet.

Diejenigen, die in den Augen der Menschen meistens nichts wert sind, wie ein verachtetes Licht, gelten bei Gott mehr als die, die etwas zu sein scheinen. Ich entschuldige nicht die Schlechten, sondern ich rühme die Guten. Ich beseitige das Vorurteil, weil ich den Richterspruch Gottes erwarte. Es obliegt Euch, den Namen Gottes zu ehren - nicht nur in den Heiligen, sondern auch in den Verderbten. Denn  jede noch so wertlose Person muss, wenn sie Euer Siegel trägt, kraft des Ansehens Eures Namens empfangen und geehrt werden - nicht weil sie selbst würdig ist, sondern weil sie Eurer Würdigung wert ist. So macht ein Würdiger meistens auch einen Unwürdigen zum Würdigen - den Unwürdigen allerdings auf eigentliche Art, den Würdigen auf uneigentliche; den Unwürdigen aus sich heraus, den Würdigen aus der Erfüllung seines Amtes.

Ich möchte keinesfalls, dass ihr mich in irgendeiner Hinsicht dort schont, wo ich zu weit ging. Auch sollt Ihr das Buch bitte nicht mit Verdruss lesen, sondern aus Eurer Hand wegwerfen, falls es beginnt, Euren Geist zu belasten. Doch wenn es Euch gefällt, nehmt es ein anderes Mal erneut zur Hand. Falls es Euch missfällt, sperrt es weg und verdammt es zu ewiger Finsternis. Arme, aber ruhmreiche Menschen, die die Armut wahrhaftig ertragen und nichtsnutzig nach Ruhm streben, pflegen, um ihre Bedürftigkeit zu verdecken und sich Ruhm zu verschaffen, die Säume ihres Mantels mit wertvollen und hübschen Fellstreifen zu verbrämen. Sie entsprechen dabei nicht dem Nutzen, sondern antworten auf die Neugier derer, die sie betrachten. So habe auch ich, weil diesem unseren Werk wegen unserer Not der Wert an Sätzen und die Zierde an Worten fehlen, den Titel Eures Namens vorangestellt und damit seine Einleitung auf das Schicklichste geschmückt. So möge der Leser in der Hoffnung, dass Euch nur Bestes vorgelegt werde, es eilends durchlesen - nicht wegen des Geschmacks eines würzigen Trankes, sondern im Glanze des Titels eines so bedeutenden Fürsten.

Folgende Kapitel sind in diesem unseren Werk über die Klosterzucht enthalten:

 

Incipit Prologus eiusdem ad Ricardum de Salesbirae canonicum Meritoniae de eodem.

Vorwort an Richard von Salisbury, Kanoniker in Merton.

Aut periti est aut experti iudicare de re cognita. Imperiti vero et inexperti tractare de re incognita, potius est praesumere quam diffinire. Me peritum in claustrali disciplina aut expertum, si fateor, mentior. Non ego contradico. Non nego vidisse regulares et religiosos homines quorum consortio et si aliquamdiu interfui, virtutem non retinui. Quomodo ergo poscis a me audire de disciplina claustrali, cum jam fere triginta annis vix summo labello illam degustaverim? Tamen quia caritas omnia credit, et te scio ex devotione non ex tentatione id quaerere, postposita negandi difficultate, audeo scribere quod nequeio tenere. Nec multum erubesco, si me talem in hoc opusculo recognoveris qualem ab infantia tua didicisti, nisi forte quod aetas nostra iam advesperascens parum habet de meridie, plus de vespera.

Einem erfahrenen oder beschlagenen Mann steht es zu, über einen bekannten Sachverhalt zu urteilen. Ein unerfahrener oder blauäugiger Mensch neigt eher dazu, über einen unbekannten Sachverhalt zu mutmaßen als ein festes Urteil abzugeben. Wenn ich mich für einen in der Klosterzucht erfahrenen und erprobten Mann hielte, so würde ich die Unwahrheit sagen. Ich behaupte aber auch nicht das Gegenteil. Ich stelle nicht in Abrede, unter einer Regel lebende und gottesfürchtige Menschen gesehen zu haben. Ich habe sogar mit ihnen eine Zeit lang zusammengelebt, aber dennoch ihre Tugend nicht behalten. Wie kannst Du also von mir verlangen, etwas über die Klosterzucht zu hören, während ich sie schon fast dreißig Jahre nur mit spitzem Mund gekostet habe? Dennoch: Weil die brüderliche Liebe alles glaubt, und weil ich weiß, dass Du aus Ergebenheit darum gebeten hast, und nicht, um mich zu versuchen, habe ich schwerlich absagen können und wage nun, über das zu schreiben, was ich selbst nicht recht einhalten kann. Ich schäme mich ein bisschen darüber, wenn Du mich in diesem Werklein als denjenigen wieder erkennst, als den Du mich schon von Deiner Kindheit an erfahren hast - einmal von dem Zufall abgesehen, dass mein vorgerücktes Alter kaum mehr dem Mittag, eher schon dem Abend des Lebens entspricht.

 

Item prologus eiusdem ad eundem.

Zweites Vorwort an denselben Briefpartner.

Prolixum me fecit in hoc tractatu de disciplina claustrali et tua totiens repetita postulatio et sciatica gutta quae renes meos sub aspera disciplina diutissime detinuit. In hoc opusculo tanquam confectione de consuetis et notis in hortis nostris nascentibus herbis, non de pretiosis et remotarum regionum speciebus comparato, plus de melle Gregorii quam de scamonia Ieronimi apposui, timens ne inventum proiceretur si scamonia morderet, et operis vilitas tam pro artificio quam pro artifice sorderet. In huius autem laboris recompensatione mercedem hanc a te peto ut diligenter legas, et quicquid ibi displicuerit confidenter detrahas et corrigenda corrigas.

In dieser Abhandlung über die Klosterzucht hat mich sowohl Deine so oft wiederholte Aufforderung als auch das Zipperlein, die Gicht, die meine Nieren äußerst lange unter einer harten Zuchtrute gehalten hat, weitschweifig werden lassen. In diesem Büchlein habe ich - wie in einem Aufguss, der aus gewohnten und bekannten Kräutern, die in unseren Gärten wachsen, hergestellt wurde, nicht aus wertvollen und exotischen Sorten - mehr vom Honig Gregors als vom Rankgewächs des Hieronymus angefügt - in der Befürchtung, dass das Gefundene weggeworfen würde, wenn die Stacheln der Scammonia schmerzten, und die Wertlosigkeit des Werkes wegen des Künstlerischen und wegen des Künstlers gleichermaßen Missbehagen auslöste. Ich bitte Dich, diese Arbeit zu vergelten, indem Du sie sorgfältig liest und all das getrost entfernst, was Dir darin missfällt, oder verbesserst, was eine Verbesserung lohnt.

 

Item prologus eiusdem ad eundem

Drittes Vorwort an denselben.

Reddo cum usuris debitum non a me tibi promissum, sed a te frequenter postulatum. Sufficit mihi ratio debendi, ubi praecessit in amico voluntas postulandi. Usuras superaddo, quia in solvendo intercessit longa dilatio. Age gratias Deo qui dedit opportunitatem sine qua nondum me a debito illo absolvissem. Quam? Dolorem in renibus qui me sub disciplina aspera diu religavit et vagandi huc illucque facultatem negavit. Congratulor itaque et ego infirmitati meae, et dico: Patiamur mala, ut faciamus bona; immo patiamur mala, ne faciamus mala. Hoc ad nostram claustralem pertinet disciplinam, pati et non facere mala, sed potius pro malis reddere bona. Hanc docuit ille qui adinvenit omnem viam disciplinae, et docuit eam Iacob puero suo et Israel dilecto sibi. Passus est enim mala a malis et pro malis, sed retribuit bona pro malis et fecit bonos de malis. Non mireris, amice carissime, si stilum claudicantem deprehenderis, quia cum toto corpore suo simul et manus claudicat. Manus enim vacillans rectas lineas non servat. Et quid mirum si claudus claudum generat?

Plus mirandum si curvus gigneret rectum. Tu tamen, quia recte sentis et recte incedis, excusa Hysboseth debilem pedibus apud David, et omnem sermonem claudicantem aut corrige aut succide. Melius enim est cum uno pede intrare in vitam, quam duos pedes habentem mitti in gehennam. Est autem gehenna legentium invidia. Merito autem succumbit invidia, ubi succincta veritate, expedita constructione, armata ratione, labia mordentium evadit materia, vel ubi adeo extincta est hebitudine, despecta habitudine, macra verborum crassitudine, exanguis sensuum exilitate, quod dens invidiae non habet ubi mordeat. Non reputo aspectu publico digna mea opuscula, sed secretum meum mihi, secretum meum mihi. Simplex devotio, non falerata eloquentia legat scripta mea, non ad plausum, sed ad planctum. Plangit enim columba mea in foraminibus suis, corvus crocitat in cadaveribus et morticinis, et clamat corvus: Cras, cras, vel appellans sibi quod crassum est sicut in passione Domini leguntur quidam dixisse: Ecce Helyam vocat iste, cum Dominus diceret: Hely, Hely vel promittens sibi falso longos dies et annos, vel frustratoriam poenitentiam spondens: Cras, cras, id est nunquam, sicut dicitur: Hodie cum pretio, cras sine pretio. Ego quoque pretium precum et orationum pro opere isto hodie et cras postulo.

Ich bezahle mit Zinsen meine Schulden, nicht weil ich in Deinem Wort stehe, sondern weil Du selbst sie so häufig zurückverlangt hast. Es ist für mich ein hinreichender Grund, meine Schuld zu begleichen, wenn der Freund gewillt ist, Forderungen zu stellen. Zinsen gebe ich obendrein, weil ich mir mit dem Zurückzahlen so viel Zeit gelassen habe. Ich danke Gott, der mir die entsprechende Gelegenheit gab. Ohne sie hätte ich mich nicht von dieser Schuld freimachen können. Welche Gelegenheit? Ich meine die Nierenkoliken, die mich lange unter ihrer harten Zucht hielten und mir verbaten, mal hierhin oder dorthin zu reisen. Deshalb wünsche ich mir selbst zu dieser Krankheit Glück und sage: Lasst uns das Schlimme ertragen, damit wir das Gute tun! Mehr noch: Lasst uns das Schlimme ertragen, damit wir nichts Schlechtes tun. Denn das gehört zu unserer Klosterdisziplin – zu leiden und nichts Schlechtes zu tun, aber obendrein Schlechtes mit Gutem zu vergelten. Das lehrte derjenige, der den ganzen Weg der Lehre erfand und diese Jakob, seinem Knaben, und Israel, seinem Geliebten, beibrachte. Er ertrug nämlich Schlechtes von den Schlechten und für die Schlechten; aber er vergalt Schlechtes mit Gutem, und schuf gute Menschen aus schlechten. Wundere Dich nicht, teuerster Freund, wenn Du den hinkenden Stil tadelst, dass gleichzeitig mit dem ganzen Körper auch die Hand lahmt. Eine zitternde Hand zieht nämlich keine geraden Linien.

Wen wundert es, wenn der Lahme Lahmes erzeugt? Verwunderlicher wäre es, wenn die Kurve die gerade Linie zeugte. Du jedoch, weil Du richtig fühlst und gerade einhergehst, entschuldige bei David den fußlahmen Hyboseth (Sam. 2, 4, 4); und verbessere jede hinkende Rede oder vielmehr: schneide sie ab. Besser nämlich ist es, auf einem Bein ins Leben zu treten, als mit zwei Beinen in die Hölle zu fahren. Die Hölle aber - das ist die Missgunst der Leser. Die Missgunst kommt verdientermaßen dann zum Erliegen, wenn der Stoff den Lippen der Beißenden entrinnt, wenn er mit Wahrheit gerüstet, in sauberer Konstruktion ausgeführt und mit Vernunft gewappnet ist. Oder er ist durch Stumpfheit so ausgetrocknet, durch das Aussehen so verächtlich gemacht, durch die Plumpheit an Worten so ausgezehrt und durch die Schwäche der Empfindungen so blutleer geworden, dass der Zahn der Missgunst nichts findet, worauf er beißen könnte. Ich halte meine kleinen Werke nicht für würdig, der Öffentlichkeit gezeigt zu werden: Mein Geheimnis für mich, mein Geheimnis für mich! (Is. 24, 16) Eine einfache Hingabe möge meine Schriften lesen, nicht eine geschminkte Beredsamkeit, und nicht, um Beifall zu klatschen, sondern um wehzuklagen. Es klagt nämlich meine Taube in ihren Felslöchern, (Hohes Lied, 2, 14) es krächzt der Rabe auf den Kadavern und dem Aas, und die Krähe ruft: Cras, cras  - morgen, morgen. Oder sie ruft sich das herbei, was crassus - fett - ist. So soll einer beim Leiden des Herrn gesagt haben: Hört, dieser ruft Elias. Denn der Herr sagte: Eli, Eli. Oder die Krähe verspricht sich irrigerweise lange Tage und Jahre, bzw. sie gelobt vergebliche Reue: Cras, cras, das heißt niemals, so wie man sagt: Heute mit Lohn, morgen ohne Lohn. Auch ich fordere für dieses Werk den Lohn der Bitten und Gebete - heute und morgen.

 

Incipiunt capitula libri.

Es beginnen die Kapitel des Buches:


[I] De auctoribus disciplinarum.
[II] De apostolica disciplina.
[III] Comparatio inter iudaicam et nostram claustralem disciplinam.
[IV] Communiter de omnibus observantiis claustralis disciplinae.
[V] Quod per disciplinam regularem prima reparatur transgressio.
[VI] Comparatio inter crucem et claustrum.
[VII] Item de claustro quare institutum sit.
[VIII] Comparatio inter disciplinam philosophi, iudaei, christiani et cuiuslibet religiosi.
[IX] De angelica disciplina.
[X] De forma claustralis disciplinae.
[XI] De stadio.
[XII] De atrio interiori.
[XIII] De gazophilatio.
[XIV] De sancto saeculari.
[XV] De regali cubiculo.
[XVI] De patibulo.
[XVII] De foro venali et moraliter de Tyro.
[XVIII] De silentio.
[XIX] De lectione.
[XX] De confessione.
[XXI] De vera confessione.
[XXII] De oratione.
[XXIII] Item de oratione.
[XXIV] De meditatione mortis.
[XXV] [De meditatione mortis.]
[XXVI] [Item de morte.]
[XXVII] De communicatione corporis et sanguinis Domini.
[Epylogus.]

[I] Über die Urheber der Klosterregeln.
[II] Über die apostolische Lehre.
[III] Vergleich zwischen der Lehre der Juden und unserer Klosterdisziplin.
[IV] Über alle Observanzien der Klosterzucht im Allgemeinen.
[V] Die Wiedergutmachung der Erbsünde durch das Regelwerk.
[VI] Vergleich zwischen Kreuz und Kloster.
[VII] Erneut: Warum das Kloster eingerichtet wurde.
[VIII] Vergleich zwischen der Lehre des Philosophen, Juden, Christen und jedes Religiösen.
[IX] Über die Lehre der Engel.
[X] Über die Schönheit der Klosterdisziplin.
[XI] Über die Kampfbahn.
[XII] Über das innere Atrium.
[XIII] Über die Schatzkammer.
[XIV] Über das irdische Heiligtum.
[XV] Über die Kammer des Königs.
[XVI]  Über das Kreuzesholz Christi.
[XVII] Über den Marktplatz und über Tyrus, in moralischer Hinsicht.
[XVIII] Über das Schweigen.
[XIX] Über die Lesung.
[XX] Über die Beichte.
[XXI] Über das wahre Bekenntnis.
[XXII] Über das Gebet.
[XXIII] Erneut über das Gebet.
[XXIV] Über das Denken an den Tod.
[XXV] [Über das Denken an den Tod.]
[XXVI] [Erneut über den Tod.]
[XXVII] Über die Teilhabe am Leib und Blut unseres Herrn.
[Nachwort.]
 

Incipit liber de disciplina claustri.

Hier beginnt das Buch über die Klosterzucht.

 

[I] De auctoribus disciplinarum.

[I] Über die Urheber der Klosterlehren.

Igitur auctores huius disciplinae in scriniis autenticae scripturae revolvens, praecipuos et summos invenio Moysen in heremo, Iesum in mundo, Paulum in delegato sibi docendae gentis officio. Duo quoque rivuli ex his emanantes canonicos regulares et monachos incluserunt in claustro, tanquam cervos et capreas in inclauso ut ita dicam parco, Augustinus et Benedictus. In exodo, in levitico, in numeris, in deuteronomio, populi Domini peculiaris claustralem disciplinam lege et nudo intellectu mores informantia praecepta retine. Caeremonialia vero tanquam vestita vestibus Esau valde bonis discinde et intrinsecus latentem spiritualem nucleum comede. Certe disciplina illa severissima fuit, et si nostra illi comparetur, tolerabilior inveniretur. Adeo enim illa importabilis fuit, ut non solum quilibet de populo infirmus et plebeius legis mandata implere non posset, sed nec etiam quilibet iustus et sanctus. Unde Petrus: Quid nobis iugum imponere tentatis, quod neque nos neque patres nostri portare potuerunt? Nostra vero disciplina satis tolerabilis est, ut in epistola Iohannis dicitur: Caritas haec est ut mandata eius custodiamus, et mandata eius gravia non sunt. Quid est autem nostra disciplina, nisi vivere secundum mandata Dei? Iesus vero magister magnus et bonus, cuius cathedra est in coelo et scola in mundo, in evangelio quasi in antidotario quae fecit et docuit inscripsit, et duodecim apostolos claustrales suos cum septuaginta duobus discipulis claustralem disciplinam docuit. Nec de claustro illo exivit evangelico, nisi is qui filius perditionis erat, vel illi qui dixerunt: Durus est hic sermo, et abierunt retro, et iam non cum illo ambulabant.

Wenn ich also in den Schreinen der authentischen Schrift die Verfasser dieser Lehre nachlese, so finde ich als wichtigste und größte folgende Männer: Moses in der Wüste, Jesus in der Welt, Paulus in der Heidenmission. Auch zwei aus ihnen heraus fließende Bächlein haben die Regularkanoniker und Mönche im Kloster eingeschlossen,  wie Hirsche und Ziegen im Gehege - kurzgesagt: Augustinus und Benedikt. Lese im zweiten bis fünften Buch Mose - Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium - die Klosterzucht des vom Herrn auserwählten Volkes nach und verinnerliche mit unverbrämtem Verstand die Vorschriften, aus denen sich die Riten bildeten. Die Zeremonialien aber, die gleichsam mit den sehr schönen Kleidern Esaus angetan sind,  (Gen. 17, 15) zerreiße und verkoste den in ihnen schlummernden geistlichen Kern. (Rup. V. Deutz, In Cant. VI) Sicherlich war jene Lehre die allerstrengste, und im Vergleich mit der unseren befände man letztere als nur allzu erträglich. So unerträglich war nämlich jene, dass nicht nur jeder schwache und einfache Mann aus dem Volk die Gesetzesvorschriften nicht einhalten konnte, sondern nicht einmal jeder gerechte und heilige. Deshalb sagte Petrus: Was versucht ihr, uns ein Joch aufzuerlegen, was wir ebenso wenig wie unsere Vorväter tragen können? (Apos. 15, 10) Unsere Lehre ist dagegen genügend erträglich, so wie es im Brief des Johannes steht: Die Liebe besteht darin, dass wir seine Befehle beachten, und seine Befehle sind nicht hart. (Joh.1, 5, 2) Was aber bedeutet unsere Lehre anderes, als nach den Befehlen Gottes zu leben? Jesus, der große und gute Meister, dessen Katheder im Himmel, und dessen Schule in der Welt ist, schrieb ins Evangelium wie in eine Pharmakopoe, die er zusammenstellte und lehrte, und er vermittelte seinen zwölf klösterlichen Aposteln mit ihren zweiundsiebzig Schülern die Lehre. Und niemand hat jenes evangelische Kloster verlassen, außer dem, der ein Sohn des Verrats war, oder jenen, die sagten: Hart ist diese Rede. (Joh. 17, 12). Diese zogen sich von ihm zurück und wanderten fortan nicht mehr mit ihm. (Joh, 6, 66)

 

[II] De disciplina apostolica.

[II] Über die Lehre der Apostel.

Nota disciplinam apostolicam ubique et in omnibus reverendam, praecipue ubi Petrus innuit Iohanni, qui in coena super pectus Domini recumbebat, ut interrogaret quis eum esset traditurus. Tanta enim ad magistrum erat reverentia, tanta obedientia, tanta subiectio, tanta ad invicem fraterna dilectio, ut ne spiraculum susurrii per eos transiret, nisi forte quando contentio facta est inter eos, quis eorum videretur esse maior, vel cum indignati sunt de duobus qui quaerebant sedere ad dexteram et sinistram. Quicquid tamen humana fragilitas in vasis fictilibus necdum igne sancti Spiritus sufficienter decoctis committebat, manus figuli statim resarciendo solidabat. Modo siquidem arguebat eos dicens: Modicae fidei, quid turbati estis? modo consolabatur: Confidite, inquiens, ego vici mundum, et: Ecce ego vobiscum sum usque ad consummationem saeculi; modo in parabolis, modo sine parabolis loquebatur; modo subtrahebat se pernoctans in oratione, modo celabat se ambulans supra mare et putabant fantasma esse, modo ad congregationem suam revertebatur et cum omni familiaritate conversabatur...

Iam inflectamus stilum ad nostros speciales eruditores, beatum Augustinum et sanctum Benedictum. Alter episcopus et canonicus, alter abbas et monachus; uterque sanctus, uterque dominici gregis doctor et ductor egregius. Convenit in quibusdam nostra et vestra claustralis disciplina; differt in quibusdam. Sunt enim quaedam quasi substantialia in religione, quaedam accidentalia. Substantiale est religionis sine quo non est religio. Accidentale, quod adest et abest pro loco, pro tempore, pro causa, pro persona, pro caeteris circumstantiis praeter religionis corruptionem. Haec in arbitrio procuratoris eatenus relinquuntur ut salva pace et unitate vel intendantur vel remittantur. Non tamen nimis intendantur ne rumpatur fragilitas, neque nimis remittantur ne laedatur regula...

Beachte, dass überall und in allem die apostolische Lehre verehrt werden muss, vor allem, als Petrus dem Johannes zunickte, der beim Mahl auf der Brust des Herrn ruhte, er solle ihn fragen, wer ihn am nächsten verrate. (Joh. 13, 25) So groß war nämlich die Ehrerbietung vor dem Meister, so groß der Gehorsam, so groß die Unterwerfung, so groß die gegenseitige brüderliche Liebe, dass nicht einmal ein Hauch des Flüstern bei ihnen umherging (Hiob, 41, 7) - vielleicht einmal davon abgesehen, dass zwischen ihnen ein Streit ausgebrochen war, wer von ihnen der größere zu sein schien, (Lukas 22, 24) oder als sie sich über die zwei empörten, die zur Rechten und zur Linken sitzen wollten. (Matth. 20, 20) Aber das, was die menschliche Gebrechlichkeit den Tongefäßen, die noch nicht im Feuer des Heiligen Geistes ausreichend gebrannt worden waren, anvertraute, verfestigte sogleich die Hand des Töpfers durch Reparatur. Bald nämlich tadelte er sie mit den Worten: Ihr Kleingläubigen, was seid ihr verwirrt? (Matthäus 8, 26) Bald tröstete er sie: Seid getrost, ich habe die Welt besiegt! (Joh. 16, 33) Und: Siehe, ich bleibe bei euch bis ans Ende der Welt. (Matth. 28, 20) Bald sprach er in Gleichnissen, bald ohne diese. Bald zog er sich nachts im Gebet zurück; bald verbarg er sich, als er über das Meer wandelte, und sie daraufhin glaubten, er sei ein Hirngespinst. Bald kehrte er in ihrer Gemeinschaft ein und unterhielt sich mit ihnen in aller Vertraulichkeit...

Nun wenden wir uns unseren speziellen Erziehern zu, dem Heiligen Augustinus und dem Heiligen Benedikt. Der eine war Bischof und Kanoniker, der andere Abt und Mönch. Beide waren sie heilig und hervorragende Lehrer und Leiter der Herde des Herrn. In mancherlei Hinsicht stimmen unsere und Eure Klosterlehre überein; in anderem unterscheiden sie sich. Es gibt nämlich auch in der Religion manches Substanzielle, manches Akzidentelle. Das Substanzielle in der Religion besteht aus dem, ohne welches es keine Religion gibt. Das Akzidentelle kommt hinzu oder entfällt, je nach Örtlichkeit, Zeitpunkt, Ursache, Person oder anderen Umständen, jedoch immer, ohne die Religion als solches zu verderben. Es ist insofern dem Gutdünken des Sachwalters überlassen, Derartiges anzustreben oder zu erlassen, wenn nur Frieden und Eintracht gewahrt bleiben. Doch soll man nicht zu strebsam sein, damit die Schwäche nicht zerbreche, aber auch nicht zu nachgiebig sein, damit die Regel nicht verletzt werde...

 

[III] Comparatio inter iudaicam et nostram claustralem disciplinam.

[III] Vergleich zwischen der Lehre der Juden und unserer Klosterdisziplin.

Sicut mandata legalia in duabus tabulis conscripta iudaicam disciplinam continent, sic omnis regularis tam canonicus quam monachus inter medios cleros, regularis videlicet institutionis et traditae a senioribus bonae consuetudinis, vivere debet. In altero admittitur dispensatio, in altero negatur. Non enim iudex iudicat legem, sed secundum legem. Consuetudo autem et usus, sicut voluntate utentium introducuntur, sic contraria voluntate mutantur. In his si quid necessitate mutandum, corrigendum supplendumque fuerit, non usquequaque interdicitur dispensationis alteratio. His ergo quasi fortissimis ligamentis vita claustralis ita constringitur, ut nec manus nec pedes extra licita moveantur.

Professio itaque, secundum regulam et loci consuetudinem cohercens in compedibus suis vinctum, Iesu Christi iugum suave et onus leve humeris imponit renuntiantis saeculo, ante praesepe et ad cunabula Emmanuelis ligans asinam et pullum in quibus sedens Iesus horam sequitur glorificationis. Praecedunt tamen, sicut in capite, sic et in membris, passiones posteriores glorias. Dicitur quia Iesus ligatus ante praesidem stetit. Et quia non est discipulus super magistrum, voluntarius et libens appetat verus religiosus disciplina regulari tanquam fasciolis ab appetitu carnis religari. Vincula autem religionis, statuta sunt regularia. Verbi gratia: silentium, ieiunium, reclusio claustralis, incessus in nullo notabilis, compassio et dilectio fraterna, paterna reverentia, lectio et oratio assidua, recordatio praeteritorum malorum, timor mortis, ignis purgatorii, ignis aeterni. Vix tam vaga, tam petulans poterit esse cogitatio, quae non coherceatur tam forti et multiplici funiculo. Verbum otiosum, verbum superfluum, verbum inordinatum sepelit silentium. Titillationes et incentiva succensa in spinis malorum desideriorum soporat continuum ieiunium. Discursus vagos et vanos per plateas et vicos civitatis sanguinum retardat reclusio claustralis. Motus stimulantes in malam suspitionem aspectus intuentium elidit incessus tam modestus quam maturus. Inhumanitatem excludit compassio, discordiam dilectio, paterna reverentia contumaciam, lectio ignorantiam, oratio immunditiam et malitiam, meditatio torporem et somnolentiam. Recordatio praeteritorum malorum affert cautelam de futuris, dolorem de praeteritis et de praesentibus sollicitudinem. Muscas morientes et vermes qui non moriuntur, comedentes miseram animam, timor mortis tanquam mirra occidit. Ignis purgatorius revocat a venialibus, ignis aeternus a criminalibus. Nulla observationum istarum sterilis in Israel, qui cum angelo colluctans, non Iacob, sed Israel appellatur. Omnis tamen gloria filiae regis, non in his quae in facie sunt, sed ab intus in fimbriis aureis quae intra velum sanctum sanctorum, versis vultibus cum cherubim, in propitiatorium tantum respiciunt. Cardinales virtutes fimbriae aureae sunt, quia Domini sunt cardines orbis terrae. Sunt etiam columnae argenteae super bases aureas, salubres virtutes de corde puro et conscientia bona et fide non ficta, de quibus dicitur: Ego confirmavi columnas eius. Hae portant templum Salomonis, cum vera religio fundata in mente bona regularibus disciplinis evangelium Dei non erubescit, sed evangelica mandata tanquam superpositam fabricam humeris voluntariae observationis conservat, sicut Maria conservabat omnia verba haec.

Ad claustralem itaque disciplinam stilum teneamus, et velut in uno corpore speciosae puellae formam, non de genere Amalech, sed de semine Abrahae, diffiniamus.

So wie die auf zwei Tafeln niedergeschriebenen Gesetzesvorschriften die jüdische Lehre enthalten, (Deut. 9, 10) so muss jeder "Regulierte" - sei er Kanoniker oder Mönch - zwischen zwei geistlichen Verpflichtungen leben, nämlich der Regellehre und der von den Älteren überkommenen guten Sitte. In dem einen Fall ist eine Auslegung möglich, in dem anderen jedoch nicht. Denn der Richter richtet nicht das Gesetz, sondern er richtet nach dem Gesetz. Gewohnheit und Gebrauch aber werden, so wie sie durch den Willen der Anwender eingeführt werden, durch gegenläufige Absicht auch verändert. Wenn daran etwas aus Notwendigkeit verändert, verbessert oder ergänzt werden muss, so ist die Abänderung der Regelungen nicht in Allem verboten. Dennoch sind sie gleichsam stärkste Bande, mit denen das Klosterleben so eingeschränkt wird, dass weder Hände noch Füße aus dem erlaubten Rahmen sich entfernen können.

Und so zwingt die Profess gemäß der Regel und der örtlichen Gewohnheit den Regulierten in Fußfesseln, legt das süße Joch und die leichte Last Jesu Christi auf die Schultern dessen auf, der er der Welt entsagt und seine Eselin und das Füllen, auf denen Jesus gegen die Stunde seiner Glorifizierung saß, vor der Grippe und an die Wiege Emmanuels anbindet. (Matthäus 21, 7) Doch gehen dem späteren Ruhm Leiden voran - gleichermaßen für das Haupt, wie für die Glieder. Jesus soll noch in Fesseln vor dem Landpfleger aufrecht gestanden sein. (Matthäus 27, 11) Und weil der Schüler nicht über seinem Meister steht, mag der wahre Ordensmann freiwillig und mit Freude danach streben, durch die Zucht der Regel gleichsam wie durch Bande von der Begehrlichkeit des Fleisches abgeschnürt zu werden. Die Fesseln der Religion, das sind jedoch die Regelstatuten. Beispielsweise das Schweigen, das Fasten, das Abgeschlossensein im Kloster, ein unauffälliges Betragen, das Mitleid und die brüderliche Hochachtung, die Ehrfurcht vor dem Abt, die Lesung und das beharrliche Gebet, die Erinnerung an vergangene Übel, die Furcht vor dem Tod, vor dem Fegefeuer, vor dem Feuer der ewigen Verdammnis. Man wird nur schwerlich einen so losen oder so leichtfertigen Gedanken finden, dass er nicht durch ein so starkes und vielfaches Band in Schach gehalten werden könnte. Ein müßiges Wort, ein überflüssiges Wort, ein ungeordnetes Wort begräbt das Schweigen. Kitzel und Verlockungen, entzündet in den Dornen schlechter Sehnsüchte, schläfert das beharrliche Fasten ein. Lose und inhaltsleere Diskussionen auf den Plätzen und Gassen (Hohes Lied, 3, 2) der Stadt des Blutes (Ezekiel, 22, 2) bremst die klösterliche Abgeschiedenheit. Bewegungen, die die Blicke der Zuschauer zu schlimmen Argwohn reizen, erstickt ein maßvolles und überlegtes Betragen. Die Unmenschlichkeit schließt das Mitleid aus, die Zwietracht die Liebe, die Schande die Ehrfurcht vor dem Abt, die Unkenntnis die Lesung, die Unreinheit und Boshaftigkeit das Gebet, die Betäubung und Schläfrigkeit die Meditation. Die Erinnerung an vergangene Übel schafft die Vorsicht vor der Zukunft, den Schmerz über die Vergangenheit und die Sorge um die Gegenwart. Sterbende Fliegen (Eccl., 10, 1) und unsterbliche Würmer (Isaias, 66, 24 und Markus, 9, 46), die die arme Seele auffressen,  tötet die Furcht vor dem Tod ab wie die Myrrhe. Das Fegefeuer warnt von den lässlichen Sünden, das Feuer der ewigen Verdammnis vor den Todsünden. Keine dieser Observanzien ist unfruchtbar in Israel, welcher, als er mit dem Engel kämpfte, nicht Jakob, sondern eben Israel genannt wurde. (Gen. 32, 28) Dennoch liegt der ganze Ruhm der Königstochter nicht in dem, was vor dem Antlitz liegt, sondern innerlich, auf den Goldfransen, (Psalter 45, 14) die innerhalb des heiligen Schleiers der Heiligen liegen und mit den Cherubim von Antlitz zu Antlitz nur auf den Gnadenthron (Exodus 25, 20) blicken. Die Goldfransen - das sind die Kardinal-Tugenden. Denn die Grundfesten der Welt - Cardines - gehören dem Herrn. (Sam. 1, 2, 8) Und die silbernen Säulen über den Goldbasen (Sirach 26, 23) - das sind die heilsamen Tugenden, die einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem ungekünstelten Glauben entspringen (Timotheus 1, 5) - gemäß dem Wort: Ich habe seine Säulen gestärkt. (Psalmen 57,4) Diese tragen den Tempel Salomons, während die wahre Religion, die auf einer guten Gesinnung aufgrund des Regelwerkes beruht, das Evangelium Gottes nicht in Scham versetzt, (Römer 1, 16) sondern die evangelischen Befehle wie ein Gebäude, das auf den Schultern freiwilligen Gehorsams liegt, bewahrt, so wie Maria einst all diese Worte bewahrte. (Lukas 2, 19, 51)

Richten wir also unseren Stil auf die klösterliche Zucht und Lehre. Wir wollen wie in einem Körper die Schönheit jenes hübschen Mädchens beschreiben, welches nicht vom Geschlechte Amalechs, sondern vom Samen Abrahams abstammte.

 

[V] Quod per disciplinam regularem prima reparatur transgressio.

[V] Dass die Erbsünde durch das Regelwerk wieder gut gemacht wird.

...Est autem claustrum in confinio angelicae puritatis et mundanae colluvionis. Si quas arenulas honestatis de mundo tanquam de Aegypto hebraeus transiliens a vicinis artibus quae appellantur liberales mutuans ad claustrum detulerit, uti eis remoto iudicio furti poterit. Omnis enim sapientia a Domino Deo est, praeter sapientiam carnis quae inimica est Deo. Hanc non amat disciplina claustri, quia potius est ad subversionem simplicitatis, quae est unica claustri filia, quam ad aedificationem. Rasis itaque superciliis pomposae vanitatis, unde ait Apostolus: Ne quis decipiat vos per philosophiam et inanem fallaciam, et unguibus avarae rapacitatis subtractis, secure matrimonium cum omni doctrina quae contra fidem non est contrahat incola claustri. Quicquid enim alterius saporis est extra claustrum, etiam si oleaster, etiam si ramnus, insertum in bonam olivam pinguedine radicis dulcoratur et gremio divinae sapientiae fotum ab ignobilitate commutatur. Sic grammatica, sic dialectica, sic rethorica, sic musica, sic arithmetica, sic geometria, sic astronomia, divinae scripturae sapidissimo sale conditae, quae gustatae solebant afferre mortem sicut filii prophetarum clamant ad Eliseum prophetam: Mors in olla vir Dei, admixtione farinae, id est gratiae, praestant salubrem refectionem, et tanquam Gabaonitae comportant ligna et aquas ad claustralem disciplinam. Haec iure belli Israelitae ad claustrum suum deferunt a castris Philistinorum cum, edocti saecularibus litteris, divinas studiosius legunt, acutius intelligunt, haereticorum deceptiones cautius deprehendunt, fidei simplicitatem et veritatem fortius et firmius defendunt. His claustralis noster vacans non vacat; his intentus, otiosa, vana et superflua cordis fantasmata effugat; his consepultus dormiens vigilat. Istae sunt vestes mutatoriae quas secum Naaman leprosus ad regem Israel detulit...

... Das Kloster aber liegt an der Grenze zur Reinheit der Engel und zum Schmutz der Welt. Wenn einer die Tummelplätze der Ehre überwindet und die Welt verlässt, wie einst der Hebräer Ägypten, und von den benachbarten Studien, die die freien Künste genannt werden, etwas borgt und zum Kloster bringt, so wird er sich dessen bedienen können, ohne des Diebstahls schuldig zu sein. Denn alle Weisheit kommt vom Herrn und Gott, (Sir. 1, 1) außer der Weisheit des Fleisches, die Gott feindlich gesonnen ist. (Römer 8, 7)  Diese liebt die Klosterdisziplin nicht, weil sie eher zur Beseitigung der Schlichtheit - dieser einzigartigen Tochter des Klosters - führt als zu ihrer Errichtung. Wenn die  dünkelhaften Brauen (Lev. 14, 9) einer aufgeblasenen Eitelkeit geschoren sind -  weswegen der Apostel sagt: Dass Euch keiner durch die Philosophie und leeren Trug hinters Licht führe (Kol. 2, 8) -, und wenn die Nägel gieriger Raffsucht gezogen sind, dann mag der Klosterbewohner ein sicheres Ehebündnis (Deuter. 21, 11) mit all der Lehre eingehen, die nicht gegen den Glauben ist. Denn all das, was von einem anderen, dem Kloster fremden Geschmack ist - selbst wenn es ein wilder Ölbaum ist, oder ein Pfropfreis, der in einem guten Olivenbaum steckt - wird versüßt durch die Üppigkeit der Wurzel und, gehegt im Schoß der göttlichen Weisheit, aus der Niedrigkeit gelöst. Die Grammatik, die Dialektik, die Rhetorik, die Musik, die Arithmetik, die Geometrie, die Astronomie - all diese Künste pflegten den Tod zu bringen, wenn sie erst einmal verkostet waren -  so, wie es die Söhne der Propheten dem Propheten Eliseus zuriefen: Der Tod ist im Topf, Mann Gottes! Doch wenn man sie mit dem kräftigsten Salz der Heiligen Schrift würzt und ihnen das Mehl der Gnade zumischt, dann gewähren sie heilsame Labung, und wie die Gabaoniten (Jos. 9, 27) bringen sie der Klosterdisziplin Holz und Wasser. Genau diese bringen die Israeliten nach ihrem Kriegsrecht vom Feld der Philister in ihr Kloster (Sam. 1, 14, 34), wenn sie - ausgebildet in den weltlichen Schriften - umso eifriger in den göttlichen Schriften lesen und umso scharfsinniger wahrnehmen, umso sorgsamer die Täuschungen der Ketzer tadeln und umso tapferer und fester die Einfachheit und Wahrheit des Glaubens verteidigen. Wenn sich unser Klosterinsasse frei macht, so ist er von diesen dennoch nicht frei; indem er sich darin anstrengt, vermeidet er die müßigen, leeren und überflüssigen Trugbilder des Herzens; in ihnen begraben, wacht er im Schlaf. Diese sind das Wechselgewand, das der lepröse Naaman zum König Israel brachte... (Könige 4, 5, 5)

 

[VIII] Comparatio inter disciplinam philosophi, iudaei et christiani et cuiuslibet viri religiosi.

[VIII] Vergleich zwischen der Lehre des Philosophen, Juden, Christen und eines jeden Ordensmannes.

Scintilla naturalis boni, quae remansit in homine extincto primordiali manus Dei seminario, discurrens per gratiam Dei in arundineto omnium artium, multiplices adinvenit disciplinas secundum quas vivendo, etsi non prorsus prima creatio repararetur, saltem usque ad cineres deficiendo non extingueretur. Unaquaeque igitur gens sub sole et regio pro capacitate rationis disciplinam sibi confinxit, ad quam stultorum enormitas et prudentium aequitas regulariter viveret.

Philosophi itaque suam statuerunt disciplinam, iudaei acceperunt suam, christiani suam, ad ultimum heremitae et claustrales suam.

Diversa intentio dividit inter disciplinam et disciplinam.

Intendit philosophus gloriam humanam et favorem sibi adquirere, iudaeus bona terrae, christianus spem veniae et gratiae; claustralis cumulum gratiae et gloriae.

Philosophus rimatur secreta naturae, iudaeus crassitudinem terrae, christianus promissionern vitae quae nunc est et futurae, claustralis partim activae fructum, partim contemplativae.

Philosophus abicit impedimenta carnis et onera saeculi; iudaeus hostiis et muneribus studet ad emundationem carnis; christianus sacramentis ecclesiasticis emundatur ab operibus mortuis; claustralis non solum abstinet ab illicitis, sed etiam a licitis.

Philosophus seminat in spiritu non Dei, sed suo et vano; iudaeus in carne; christianus in fide, spe et caritate; claustralis in filiali adoptione.

Praesumptio iuvat philosophum, temporalitas iudaeum; fides relevat christianum; praegustatio futurae spei confortat claustralem religiosum.

Ingenium acuit philosophus; quaerit lucrum iudaeus; implorat bonum spiritum christianus; coronam auream sperat religiosus.

Novitate verborum et sententiarum gaudet philosophus, littera et carnalitate iudaeus, spirituali intelligentia christianus, austeritate vitae religiosus.

Farinam comedit de molendino ingenii philosophus, insipidum corticem de lege iudaeus, similam de evangelio christianus, medullam de bono proposito religiosus.

Spargit philosophus, congregat iudaeus, erogat christianus, renuntiat omnibus religiosus.

Docet in scolis philosophus, in sinagoga iudaeus, in ecclesia christianus, in claustro religiosus.

Plausum amat philosophus, nummum iudaeus, Deum christianus, planctum religiosus.

Ut cervus in silvis philosophus, ut taurus in campis iudaeus, ut columba in foraminibus petrae christianus, ut aquila in contemplatione religiosus.

Philosophus vivit arte, iudaeus carne, christianus fide, religiosus carnis mortificatione.

Disputat philosophus, somniat iudaeus, legit et intelligit christianus, orat religiosus.

Capit scyniphes philosophus, muscas morientes iudaeus, aves christianus, apes religiosus.

Telas araneae orditur philosophus, fovet ova sua iudaeus, rete Petri reficit christianus, rationale et superhumerale texit religiosus.

Si fidei coagulum intervenisset, claustralis et philosophica disciplina mutuis sese brachiis amplexarentur et in remotione a turbis oscularentur. Impedit namque vires ingenii et sensus animae retardat saecularis occupatio et vana colloquutio. Ut itaque totum sensum sibi philosophus vindicaret, quieta et secreta quaerebat loca, ubi excoleret animum et sensu purgato proferret non fermentatum fermento evangelico fidelem sensum, sed cum Iacob in virgis artium decorticatis, non unius, sed diversi coloris commentatum verisimile verum. Sensus carnis transiens et ad sensus animae pertingens, si ad sensum Dei et fidei pertransisset, salvus esset.

Sed qui offendit in uno, factus est omnium reus.

Utinam tanta severitate et assiduitate cum fide et regulari observatione nostram carnem affligeremus et paupertatem amaremus, quanta plurimi philosophorum vitia carnis a se exstirpaverunt. Sed quia fides mundat corda et vera poenitentia per confessionem omnia exterminat peccata, si quid minus habet extrinseca politura, totum resarcit intrinseca novae creaturae forma. Omnis enim gloria filiae regis ab intus, nec est remunerabilis religio aut disciplina, quam non commendat gratia cum conscientia bona.

Teneat itaque disciplina nostra cum philosopho fecundum silentium, cum iudaeo iuge sacrificium, cum christiano commune caritatis solatium, cum sua professione singulare divinae voluntatis obsequium.

Excludat mundanarum sollicitudinum curam cum philosopho, observet unius Dei cultum cum iudaeo, gratiae se commendet cum christiano, seipsum superet interno ad Deum desiderio.

Adimpleat quae prima sunt in voto cum philosopho, quae media cum iudaeo, quae extrema cum christiano, quae suprema ex gratia cum libero arbitrio.

Metat quod viride est cum philosopho, quod fecundum cum iudaeo, quod maturum cum christiano, quod fructuosum cum suo voto.

Der Funke des natürlichen Guten, der im Menschen zurück blieb, nachdem der erste Zunder aus der Hand Gottes erlosch, lief durch die Gnade Gottes (Weisheit, 3, 7) im Schilf aller Künste auseinander und führte zur Entdeckung vieler anderer Lehren. Wenn man nach diesen lebt, wird der Funke zwar nicht erneut entfacht, aber er wird wenigstens nicht ausgelöscht, selbst wenn er bis zur Asche herunter brennt. So dachten sich jedes Volk und jede Gegend unter der Sonne - je nach dem Fassungsvermögen der Vernunft - eine eigene Lehre aus, nach der die übermäßige Zahl der Dummen und die eher angemessene Zahl der Klugen regelgemäß leben.

Deshalb schufen sich die Philosophen ihre eigene Lehre, erhielten sich die Juden und die Christen die ihrige, und schließlich auch die Eremiten und die Klosterleute.

Doch unterschiedliche Intention trennt zwischen Lehre und Lehre:

Der Philosoph will sich Ruhm und Ansehen unter den Menschen verschaffen; der Jude strebt nach den irdischen Gütern; der Christenmensch nach Hoffnung auf Vergebung und Gnade. Der Klosterinsasse sucht dagegen nach dem Gipfel der Gnade und des Lobpreises.

Der Philosoph forscht nach den Geheimnissen der Natur; der Jude trachtet nach der Üppigkeit des Landes; der Christ nach dem Versprechen des jetzigen und künftigen Lebens. Der Klosterinsasse forscht teils nach der Frucht des aktiven, teils des kontemplativen Lebens.

Der Philosoph wirft die Hindernisse des Fleisches und die Lasten der Welt von sich; der Jude bemüht sich um Opfer und Weihegaben zur Läuterung des Fleisches; der Christ wird durch die kirchlichen Sakramente von toten Werken geläutert. Der Klosterinsasse enthält sich nicht nur der unerlaubten Dinge, sondern sogar der erlaubten.

Der Philosoph sät nicht im Geiste Gottes, sondern in seinem eigenen, wertlosen; der Jude sät im Fleische; der Christenmensch in Glaube, Hoffnung und Liebe. Doch der Klosterinsasse sät in der Annahme an Sohnes Statt.

Anmaßung kommt dem Philosophen zugute; die Diesseitigkeit dem Juden; der Glaube entlastet den Christen. Aber der Vorgeschmack der künftigen Hoffnung stärkt den frommen Ordensmann.

Der Philosoph hat den Geist geschärft; der Jude sucht den Gewinn; der Christ fleht den guten Geist an. Auf die goldene Krone hofft der Ordensmann.

Über die Unerhörtheit der Worte und Sätze freut sich der Philosoph; über den Buchstaben des Gesetzes und die Leiblichkeit der Jude; über das geistige Verständnis der Christ. Der Ordensmann dagegen freut sich über die Strenge des Lebens.

Das Mehl aus der Mühle des Geistes ißt der Philosoph, die törichte Hülle des Gesetzes verspeist der Jude; der Christ genießt den feinen Geschmack des Evangeliums. Der Ordensmann genießt das Mark aus seinem guten Vorsatz.

Es verschwendet der Philosoph; es häuft der Jude an; es verteilt der Christ. Der Ordensmann aber entsagt allem.

Es lehrt in den Schulen der Philosoph; in der Synagoge der Jude; in der Kirche der Christ. Im Kreuzgang lehrt der Ordensmann.

Der Philosoph liebt den Beifall; der Jude die Münze; der Christenmensch seinen Gott. Der Ordensmann aber bevorzugt das Klagelied.

Wie ein Hirsch in den Wäldern ist der Philosoph; wie der Stier auf den Feldern ist der Jude; wie die Taube in den Felslöchern der Christ. Der Ordensmann ist wie der Adler in der Anschauung.

Der Philosoph lebt von der Kunst; der Jude vom Fleisch; der Christ vom Glauben. Der Ordensmann lebt von der Abtötung des Fleisches.

Es diskutiert der Philosoph; es träumt der Jude; es liest und begreift der Christ. Der Ordensmann jedoch betet.

Der Philosoph fängt Mücken; der Jude sterbende Fliegen. (Eccl. 10, 1) der Christ Vögel. Der Ordensmann sammelt die Bienen.

Der Philosoph webt Spinnennetze; der Jude bebrütet seine Eier; der Christ holt das Netz des Petrus ein. (Ex, 28,4) Brusttuch und Schulterumhang webt sich der Ordensmann.

Doch mit dem Lab des Glaubens würden sich die Lehre des Klosters und der Philosophie wechselseitig umarmen und sich in der Entrücktheit von den Menschenmassen den Bruderkuss geben. Denn Beschäftigung mit dem Profanen und eitle Unterhaltung behinderten die Kräfte des Geistes und lähmten das Empfinden der Seele. Um sich das ganze Gespür zu verschaffen, suchte der Philosoph ruhige und abgeschiedene Orte. Dort kultivierte er seinen Geist und geläuterten Sinnes brachte er ein sicheres Gefühl hervor - wenn auch noch nicht versetzt mit dem Sauerteig des Evangeliums: Wie Jakob brachte er über den entrindeten Ruten der Künste (Gen. 30, 37) nicht nur einen einfarbigen, sondern einen mit verschiedenen Farben getünchten Entwurf von großer Wahrheitsgetreue hervor. Wenn er die Empfindungen des Fleisches überschritt und an die Empfindungen der Seele rührte, wenn er zum Gefühl für Gott und den Glauben gelangt wäre, dann wäre er gerettet.

Aber wer sich an dem Einen stößt, wird zum Angeklagten aller. ( Jak, 2, 10)

Oh könnten wir doch durch den Glauben und die Beachtung der Regel unser Fleisch mit so großer Strenge und Beharrlichkeit züchtigen und die Armut lieben, wie die meisten der Philosophen die Laster des Fleisches aus sich entrissen haben! Aber weil der Glaube die Herzen reinigt, und weil wahre Reue in der Beichte alle Sünden aufhebt, bessert die innere Schönheit der neuen Kreatur alles aus, wenn die äußere Glättung etwas zu gering ausfällt. Weil der ganze Ruhm der Königstochter von innen kommt, (Psalter, 45, 14) ist keine Frömmigkeit oder Zucht zu vergelten, die nicht die Gnade mit einem gutem Gewissen empfiehlt.

Deshalb halte unsere Klosterzucht mit dem Philosophen das fruchtbringende Schweigen; mit dem Juden das unermüdliche Opfer; mit dem Christen den gemeinschaftlichen Trost der Nächstenliebe; mit dem eigenen Bekenntnis den einzigartigen Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen.

Sie schließe mit dem Philosophen die Sorge um weltliche Beunruhigungen aus; sie beachte mit dem Juden die Verehrung des einen Gottes; sie empfehle sich der Gnade mit dem Christenmenschen; sie übertreffe sich selbst durch die innere Sehnsucht nach Gott.

Sie erfülle mit dem Philosophen, was im Gelübde an erster Stelle steht; mit dem Juden, was in der Mitte folgt, mit dem Christen, was zuletzt kommt; und in freier Entscheidung, was aus der Gnade heraus an höchster Stelle steht.

Sie ernte mit dem Philosophen, was noch grün ist; mit dem Juden, was ertragreich ist; mit dem Christen, was reif ist; mit dem eigenen Gelübde, was reichlich Frucht trägt.  

 

Item epylogus ad eundem.

Nachwort an Richard von Salisbury.

Amicus disciplinae, Ricarde carissime, tanquam expertus sim illam, non semel inquietas senem elementarium ut inde aliquo scripto tibi quod sentio decerpam. Et si non propter amicitiam, tamen propter improbitatem evangelici amici non possum non surgere de lectulo, in quo clauso ostio oris cum pueris caeterorum sensuum decumbebam, et dare non quantum requirit affectus tuus, sed quantum capit pugillus meus. Timeo ne occurrat avidus, et non inveniens fructum, sed tantum folia in arbore fici, maledicat falsae spei, sive promissioni. Rursum nauseans, qui singula curiose carpit et odiose contemnit, si accesserit, potius vomitum spero quam gustum. Sed quia caritas omnia credit, et nemo cogitur munus habere meum, tibi soli qui prae multo amore medullae etiam cortices nostros insipidos rodis, quod ex voluntate Dei occurrerit excipiam, et matri Rebeccae ut inde escas praeparet tradam.

Obwohl ich als Freund der Klosterzucht, teuerster Richard, jene Lehre erfahren habe, beunruhigst Du mich "alten Anfänger" (Seneca) erneut, ich solle in einer Schrift Dir darlegen, was ich meine. Auch wenn ich - nicht wegen der Freundschaft, so doch wegen Dreistigkeit des englischen Freundes - es nicht vermag, mich aus dem Bett, in dem ich fest verschlossen Mundes mit den Kindern meiner anderen Sinne schlief, nicht zu erheben, und  Dir nur geben kann, wie viel meine Hand fasst, und nicht, wie viel Deine Zuneigung fordert. Ich fürchte nur, dass mir ein Ausgehungerter begegnet und die getrogene Hoffnung bzw. das falsche Versprechen verwünscht, weil er keine Frucht, sondern nur Laub am Feigenbaum findet. Erfüllt vom Ekel eines Mannes, der Einzelnes neugierig ergreift und dann voll Abscheu verachtet, wenn er es näher betrachtet hat, hoffe ich wieder lieber auf ein Erbrechen als auf einen Wohlgeschmack. Aber weil die Liebe alles glaubt, und niemand gezwungen ist, mein Geschenk zu besitzen, werde ich für Dich allein, der Du aus großer Liebe zum Mark auch die Rinde unserer Torheit kaust, empfangen, was aus dem Willen Gottes mir begegnet, und es der Mutter Rebecca übergeben, damit sie daraus ein Mahl bereite.

 

Peter von Celle - De disciplina claustralis - Literarischer Gehalt

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Zunächst stellt sich die Frage, für welches Lesepublikum der Reimser Abt seine Schrift über die „Lehre des Klosters“ vorgesehen hatte. Nachdem der unmittelbare Adressat ein befreundeter Kleriker war, könnte man vermuten, die Arbeit trüge ausschließlich einen persönlichen Charakter. Peter von Celle versuchte sogar in einem der Begleitschreiben, mit einem Prophetenwort einen entsprechenden Eindruck zu vermitteln: „Ich halte meine kleinen Werke nicht für würdig, der Öffentlichkeit gezeigt zu werden: Mein Geheimnis für mich, mein Geheimnis für mich!“[31]

Doch mit Sicherheit liegt hier keine brüderliche Adhortatio im eigentlichen Sinn vor. Richard von Salisbury erscheint in den Widmungsschreiben als ein Mann, der keiner diesbezüglichen Belehrungen bedurfte und eher zum Kritiker des Werkes und zum Berater des Schreibers prädestiniert war, als zum gelehrigen Adepten: „Ich bitte Dich, diese Arbeit zu vergelten, indem Du sie sorgfältig liest und all das getrost entfernst, was Dir darin missfällt, oder verbesserst, was eine Verbesserung lohnt...“ Wie allein der Dreizahl der persönlichen Widmungsschreiben an Richard zu entnehmen ist, hatte Peter von Celle aufgrund von krankheitsbedingten Unterbrechungen das Werk nicht in einem Zug verfasst, sondern erst nach und nach fertig gestellt und in mehreren Teilredaktionen nach England gesandt.

Dass der Abt durchaus mit einem größeren Leserkreis - auch in seiner französischen Heimat - rechnete, entnimmt man der aus heutiger Sicht etwas manierierten Widmung an einen Politiker von hohem politischem Rang: Heinrich, der Liberale, der älteste Sohn des Grafen Theobald der Champagne und der Mathilde von Kärnten, war Graf von Troyes und hatte im Jahre 1152 von seinem Vater die Regentschaft in der Grafschaft Champagne übernommen. Peter bekannte in seinem Schreiben, er habe den Namen dieses Fürsten vor allem deshalb vorangestellt, weil er dadurch erhoffte, „die Leser mögen es nun in der Hoffnung, dass einem solchen Fürsten ja nur Bestes vorgelegt werde, eilends durchlesen.“

Der Abt von Saint-Remi hatte sich also durchaus einem größeren Leserkreis zugewandt. Damit handelte er ganz im Zeichen seiner Zeit. Die Widmungsbriefe und der nachfolgende Traktat stellten eine literarische Einheit dar. Selbst die Briefe allein hätten nicht nur eine private Mitteilung zum Zweck gehabt. In einer Zeit, in der es keine Zeitschriften oder öffentlichen Nachrichten gab, dienten Schreiben wie die vorliegenden dem gelehrten Diskurs, der kontemplativen Reflexion oder ganz allgemeinen einem pastoralen Zuspruch. Damit erfüllte diese Literaturgattung das, was in der Neuzeit vergleichsweise ein Prosa-Essay vermag: ein drängendes Thema auf wenigen Seiten in gefälliger literarischer Art und Weise darzustellen. Nicht selten waren derartige Schriften auch Mittel zur werbenden Selbstdarstellung oder sogar zur öffentlichen Agitation. Schon allein aufgrund des relativ aufwendigen Herstellungsprozesses und des Wertes der verwendeten Materialien handelte es sich um ausgesprochene Pretiosen, deren Substanz man durch Transkription und Weitergabe an spätere Generationen zu erhalten suchte.

So verschränkten sich auch im vorliegenden Fall mehrere Rezeptionsebenen: Der Verfasser wandte sich simultan an zwei reale, auf jeden Fall unmittelbare Adressaten, dann an einen größeren, literarisch gebildeten Leserkreis, schließlich aber auch an eine posthume Leserschaft. Dies war genau der Kreis der Adressaten, mit dem man im Umfeld des üblichen Aufbewahrungsortes solcher Manuskripte - der klösterlichen Bibliothek - rechnen konnte. Dieser vielschichtige Charakter, der auch an anderen Widmungsschreiben der Epoche nachvollzogen werden kann, zeichnet den genuinen Wert und die zeitlose Schönheit und Faszination dieser Literaturgattung aus.[32]

Ob eine Kopie der Disciplina den hochadeligen Adressaten in der Champagne noch persönlich erreichte, ist fraglich. Zumindest in dem der letzten Redaktion folgenden Jahr 1180 weilte Graf Heinrich, der Liberale, nicht mehr in der Champagne. Er war zum zweiten Mal ins Heilige Land gezogen, um erst im Jahr darauf zurückzukehren. Kurz danach verstarb er am 16. März 1181 in seinem Palast in Troyes an den Folgen der Krankheit, die er sich auf seiner Expedition zugezogen hatte.

Dass sich Peter von Celle letztlich an einen erweiterten Leserkreis wandte, der über die Mauern eines Klosters hinausging und auch den nicht-klerikalen Bildungsadel einschloss, erfährt man nicht nur aus der Widmung an einen Politiker, sondern auch durch die Intention des Werkes als solcher: Selbst wenn seine Disciplina exklusiv vom klaustralen Leben handelte, so wollte Abt Peter keinesfalls eine Art „Gebrauchsanweisung für den Ordensmann“ schreiben - etwa in dem Sinne, dass er ein Regelwerk entwarf oder die vorhandenen Regeln neu interpretierte. Ganz im Gegenteil: Die Kenntnis der Augustinischen oder Benediktinischen Regel[33] war keine Voraussetzung zum allgemeinen Verständnis.[34] Indem Peter den Idealtypus eines Klosterinsassen zeichnete, sollte das Werk nicht nur die Vertreter beider regulierter Stände in ihrem Ziel bestärken, der Welt zu entsagen, sondern auch einen nicht-klerikalen Leser dazu ermutigen, eine derartige Laufbahn einzugehen. Insofern hat das Werk durchaus einen edukatorisch-katechetischen Charakter, was eine gewisse Verbreitung geradezu notwendig machte. Sie wird deshalb vom Verfasser bewusst intendiert gewesen sein.

Der Abt reflektierte in mehreren Kapiteln schriftgetreu, aber auch fantasievoll über den spirituellen Werdegang des vir vere religiosus, über den Sinn eines abgeschirmten Lebens im Kreuzgang und über dessen wesentliche Elemente: Schweigen, Lesung, Schuldeingeständnis, Glaubensbekenntnis, Gebet und Meditation hin zum Tod. Dabei handelte es sich auch um eine Art später Selbstreflexion. Peter ließ sich zum Beispiel nicht davon abhalten, Selbstkritik zu üben, wenn es ihm notwendig erschien: „Ich wage, über etwas zu schreiben, was ich selbst nicht recht einhalten kann... und was ich nur mit spitzem Mund gekostet habe...“ So äußerte er sich skeptisch gegenüber Richard von Salisbury.

Der den Titel und Tenor des ganzen Werkes bestimmende Terminus disciplina findet sich übrigens innerhalb des Textes an zweiundneunzig Stellen - und zwar je nach Sinnzusammenhang in den verschiedensten Bedeutungen und Schattierungen. Überwiegend zielte der Abt mit diesem Begriff auf die Lehre und Unterweisung im Kloster ab, d. h., auf alles, was zur sittlichen Erziehung des „Regulierten“ gehörte, sozusagen auf ein „Leben nach den Gesetzen Gottes.“[35] Doch mitunter nahm das Wort auch abweichende Bedeutungen an, wie etwa Regelwerk, Unterrichtsgegenstand, Studium. Nicht zuletzt trug es auch einen pönalen Charakter und beschrieb ein Spektrum, welches von der Zucht und Disziplin über die Maßregelung bis hin zur Strafe oder Straflehre reichte.[36] Gerade in letzterer Bedeutung hatte Peter von Celle dem Grafen der Champagne gegenüber den Begriff als einleitenden Sammelbegriff gebraucht: „Wenn die Freiheit des Geistes nicht... in Verwirrung geraten wäre, hätte es beileibe nicht einer Straflehre bedurft, die beugt, glättet und bindet.“[37] Deshalb haben wir uns bei der deutschen Übersetzung nicht gescheut, den etwas martialisch anmutenden Ausdruck „Klosterzucht“ zu verwenden, wo er uns passend erschien - reflektierte er doch besser als der Begriff „Schule“, der in der französischen und englischen Übersetzung[38] verwendet wurde, die Austerität des Klosterlebens. Den Leidenszug der Klosterzucht beschrieb Peter von Celle so: „Die ganze Schönheit der Klosterdisziplin resultiert aus dem Kreuz... Der Klosterinsasse muss sich sozusagen ans Kreuz schlagen lassen...“ [39]

Gezeichnet von jahrelang schmerzhafter Krankheit, erwies sich Abt Peter in seinem übersteigerten monastischen Rigorismus und seinem unübersehbaren Hang zur personalen Askese und Passion als ein typischer Vertreter des Jenseits-Eudämonismus, der in Erwartung der künftigen himmlischen Glückseligkeit die Niederungen der diesseitigen Welt umso mehr verachtete. Insofern unterschied sich sein Werk über die Klosterzucht nur wenig von der anderen Contemptus-mundi-Literatur seiner Zeit.

Geradezu lustvoll sprach der Abt von den Fesseln, die den Insassen eines Klosters an die Nachfolge Christi knebelten: „Und so zwingt die Profess gemäß der Regel und der örtlichen Gewohnheit den Regulierten in Fußfesseln, und legt das süße Joch und die leichte Last Jesu Christi auf die Schultern dessen, der der Welt entsagt und seine Eselin und das Füllen, auf denen Jesus einst vor der Stunde seiner Glorifizierung saß, vor der Grippe und an die Wiege Emmanuels anbindet...“ In seinem Hang zur Selbstkasteiung und zur mystischen Versenkung erwies sich Peter von Celle ganz als der geistige Bruder Bernhards von Clairvaux, mit dem ihn auch eine persönliche Freundschaft verband.

Deshalb ging es Peter von Celle in seinem Werk nicht darum, bestehende Probleme der Klosterkultur rational-argumentativ zu behandeln oder gar zu lösen. Ganz im Gegenteil: Er schnitt sie nicht einmal andeutungsweise an. Insofern benötigte er auch kein durchkonstruiertes inhaltliches Konzept. Ohne erkennbare Struktur oder Hierarchie machte er sich daran, die monastische Lebensform durch immer neue Parabeln allegorisch zu umschreiben. Als nahezu einziges Rechtfertigungsmittel dienten ihm Stellen aus dem Alten und Neuen Testament. Selbst manche Kirchenväter erschienen ihm nicht sehr geeignet, zu seinem Vorhaben etwas beizutragen. Deshalb verwendete er nur selten Sentenzen aus der Patristik. Als ausgesprochener Verfechter der Gregorianischen Reform hielt er sogar die Lehre des Heiligen Hieronymus für zu verfänglich, als dass sie ein sicheres Glaubensfundament hätte abgeben können. So verglich er sie mit einer Schlingpflanze: „In diesem Opuskel habe ich... mehr vom Honig Gregors als vom Rankgewächs des Hieronymus angefügt - in der Befürchtung, dass das Gefundene weggeworfen würde, wenn die Stacheln der Scammonia schmerzten...“[40]

In der geradezu überbordenden Verwendung des biblischen Zitatenschatzes, der auch die dunkelsten Stellen der Propheten einschloss, erwies sich Peter als ein profunder Kenner der Heiligen Schrift und als beschlagener Exeget. Eindrucksvoll setzte er zum Beispiel in den Kapiteln 18 bis 26 seines Werkes, welche die oben genannten Klostertugenden beschrieben, einen metaphorisch-symbolhaften Bezug zum Kapitel 6 der Apokalypse des Apostels Johannes her. Bei der intentionalen Rechtfertigung der Klosterdisziplin in den Kapiteln 9 bis 17 verwendete Peter zum Teil recht eigenwillige Allegoreme: den Engel der Auferstehung, die Kampfbahn, die Schatzkammer, das innere Atrium, das irdische Sanktuarium, die Kammer des Königs, den Marktplatz, die Richtstätte Christi.

Somit handelte es sich bei der Disciplina claustralis um eine Art von literarischem Gemälde, das auch in so manchem plastischen Kunstwerk der Epoche[41] sein Pendant fand. Wenn Peter von Celle die Schrecken des Diesseits und die Glückseligkeit des Jenseits in immer neuen Tönungen und Farben umschrieb, bediente er sich einer wortreichen, blumigen, manchmal weitschweifigen und gekünstelten Sprache, die wohl dem literarischen Geschmack seiner Zeit entsprach, den heutigen Leser jedoch mitunter mehr ermüdet als stimuliert. Wortspiele, Tropen, Figuren und vor allem Reimrosa finden sich in dem Traktat in einem solchen Übermaß, dass eine entsprechende Analyse viele Seiten füllen würde.

Leider litt durch diese Quantität der Stilmittel u. E. der literarische Wert des Traktates mehr, als er davon profitierte. So mag der heutige Leser dem Abt nicht ganz unrecht geben, wenn er sich selbst in seinen Widmungsschreiben des literarischen Unvermögens bezichtigte und von „hinkendem Stil“ sprach. Mehr noch: Er bezeichnete sein Traktat sogar als „schäbig und lumpig“, als ein Werk „voller schöner Blätter, aber ohne Frucht“, befürchtete „aufblähende Buchstaben“ und den Mangel an „wertvollen Sätzen und geziemenden Worten.“ Doch durch dieses notorische Understatement belegte Peter von Celle letztlich nur, dass er auf das Dementi des Lesers hoffte und sich insgeheim für das Gegenteil dessen hielt, als was er sich selbst apostrophierte. Es ist nicht zu verkennen: Peter von Celle war vielleicht ein frommer, vom Glauben durchglühter Abt, aber er war auch ein durch und durch eitler, selbstgefälliger Literat.

 

Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen der Epoche - der Bezug zu Peter Abaelard

Nach dem bisher Vernommenen verwundert es sehr, dass sich Peter von Celle im achten Kapitel seines Traktats, welches zur mystisch-allegorischen Ausrichtung der andern in seltsamem Kontrast steht, einer eher diskursiv zu behandelnden Thematik näherte. In der Überschrift avisierte er einen Vergleich verschiedener Lehren - der Lehre des Philosophen, des Juden, des Christen und des reguliert lebenden Ordensmannes: Comparatio inter disciplinam Philosophi, Iudaei, Christiani et cuiuslibet Religiosi.

Die Ähnlichkeit der Formulierung ist für den Abaelard-Freund nicht zu übersehen: Die Exposition des Themas suggeriert a priori eine Verwandtschaft mit Peter Abaelards religionsphilosophischer Toleranzschrift Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum.

War es möglich, dass der Abt von Saint-Remi diese Schrift und ihren Verfasser kannte?

Gerade zu der Zeit, als Peter von Celle als junger Scholar nach Paris gekommen war - kurz nach 1130 -, unterrichtete Peter Abaelard wieder in Paris, bei Saint-Hilaire auf dem Genovefaberg. Beide mögen nahezu gleichzeitig hier angekommen sein. Das Säkularkanonikerstift der Heiligen Genovefa hatte unter der Leitung seines Dekans Stephan von Garlande nach einer Zeit des Umbruchs einen unerhörten Zulauf von Scholaren aus ganz Europa erfahren.[42] Dazu zählte ab 1136 auch der künftige Freund Peters von Celle, der junge Johann von Salisbury, der etwa zwischen 1136 und 1138 die Philosophie-Vorlesungen des „Peripatetikers aus Le Pallet“ - so nannte er später respektvoll Abaelard - hörte.[43] Da Peter und Johann seit dieser Studienzeit eng befreundet waren, ist es nahezu sicher, dass damals beide gemeinsam bei Peter Abaelard studierten.

Dass Peter von Celle aus dem genuinen Lieblingsfach Peter Abaelards, der Dialektik, Frucht davon getragen hatte, erkennt man selbst an diesem seinem Spätwerk, z.B. wenn er plötzlich im zweiten Kapitel die spezifischen Begriffe der Dialektik - Substanz und Akzidens - auf die Definition der Religion anwandte: „...Das Substanzielle in der Religion besteht aus dem, ohne welches es keine Religion gibt. Das Akzidentelle kommt hinzu oder entfällt, je nach Örtlichkeit, Zeitpunkt, Ursache, Person oder anderen Umständen, jedoch immer, ohne die Religion als solches zu verderben...“

Reflektierte dieser Satz nicht exakt das Anliegen seines damaligen Lehrers, nämlich die Methodik der Dialektik auf die Beantwortung theologischer Fragestellungen anzuwenden? Hier findet sich eine erste Reminiszenz auf Peter Abaelard - auch wenn dessen Name expressis verbis nicht genannt wurde.

Wenn sich nun der Abt von Saint-Remi wie einst Abaelard auf einen Vergleich konkurrierender Weltanschauungen einließ, so stellt sich die konkrete Frage, ob sich Peter Abaelard während seiner zweiten Schaffensperiode in Paris mit dieser Thematik tatsächlich im konkreten Unterrichtsgeschehen befasst hatte. Dies rührt unmittelbar an eine zweite Frage: Wann entstanden Abaelards Collationes?[44]

Entgegen den früheren Einschätzungen von R. Thomas, der die erste kritische Version der Collationes veröffentlicht hatte[45] und diese für ein ausgesprochenes Spätwerk Abaelards aus seiner Zeit in Cluny, 1140-1142, hielt, hatte C. Mews aufgrund eines Textvergleichs mit den einzelnen Versionen der Theologia und anderer Werke aus Abaelards Feder dafür plädiert, die Abfassung der Collationes bereits in die Paraklet-Zeit, zwischen 1123 und 1125, zu datieren.[46] Ohne diese literaturkritischen Argumente beiseite schieben zu wollen - und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Nachbarschaft des Paraklet eine sehr bedeutsame Judengemeinde existierte -,[47] erscheint uns aus Gründen der Lebenssituation des Verfassers diese Abfassungshypothese als wenig wahrscheinlich.

Es ist aus nichts ersichtlich, warum Abaelard der interkonfessionelle Dialog gerade in seiner Eremitage im Paraklet unter den Nägeln gebrannt haben sollte. Die Collationes ihrerseits reflektierten bereits einen gereiften und argumentativ vorsichtig gewordenen Abaelard.[48] Deswegen - und weil im Paris der dreißiger Jahre des 12. Jahrhunderts der geistige Boden für einen derartigen Dialog weitaus mehr bereitet war als im Paraklet, scheinen die Collationes am ehesten während des zweiten Pariser Aufenthalts Abaelards entstanden zu sein - also genau dann, als ein Peter von Celle damit konfrontiert werden konnte. Im Übrigen halten wir aufgrund der Tatsache, dass die englischen Manuskripte Abaelards Ergänzungen propria manu enthielten, welche das ältere Manuskript aus Wien nicht wiedergegeben hatte,[49] eine späte Überarbeitung der Collationes in Cluny und somit das Kursieren von zwei Versionen in Übereinstimmung mit Krautz[50] für durchaus plausibel.

Es ist quellenmäßig belegt, dass in Paris um 1130 noch ein relativ judenfreundliches Klima herrschte. Am vicus Iudeorum im Herzen der Cité - dem ehemaligen Cardo der Römerzeit und der späteren Rue de la Juiverie - hatte sich eine Judengemeinde mit ihren Zinsstuben und Läden, ihrer Rabbinerschule und der jüdischen Synagoge etabliert. Ausdruck der unproblematischen und weitgehend friedlichen Koexistenz war zum Beispiel die Tatsache, dass die Pariser Juden beim Empfang des Papstes Innozenz II. im Jahre 1130 ehrenvoll teilnahmen; aus Ehrerbietung schenkten sie dem Papst eine Thora-Rolle.[51] Einige Juden studierten sogar Dialektik und alttestamentarische Theologie - bei denselben Lehrern wie ihre christgläubigen Kommilitonen. Eine jüdische Quelle, die etwas später - zwischen 1160 und 1170 – entstand, nahm noch Bezug auf diese Zeit und hob Paris als besonders bildungsfreundlich hervor: Es soll hier eine jüdische Rechtsschule bestanden haben; außerdem seien die jüdischen Studenten von den Nichtjuden gastfreundlich in gemeinsamen Unterrichtsveranstaltungen akzeptiert worden.[52]

Dieses projüdische Klima muss verwundern. Der Antisemitismus ist so alt wie das Diaspora-Judentum selbst, und schon 1007 waren in Frankreich erste Judenpogrome in Limoges und Orléans gemeldet worden. Die Kreuzzüge schürten in Europa die generelle Aversion gegen das Judentum. Anlässlich des ersten Kreuzzugs, 1096-1099, waren die Judengemeinden in den Städten des Rheintals vom aufgewiegelten Mob überfallen, und ihre Mitglieder massakriert worden. Schon damals wurden auch in Frankreich vereinzelt Juden ermordet oder zwangskonvertiert - so in Rouen oder Metz. Doch König Ludwig VII. und sein Berater Abt Suger von Saint-Denis trugen diese antijüdische Stimmungsmache nicht mit - wohl weil sie die wirtschaftliche Bedeutung der Juden richtig erkannt hatten.[53]

Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass zu der Zeit, als Peter von Celle in Paris studierte, und Peter Abaelard hier lehrte, der interkonfessionelle Dialog gepflegt wurde, und dass beide aktiv in ihrer jeweiligen Rolle als Schüler und Lehrer daran teilnahmen.

Giorgione, Die drei Philosophen, 1508

Die diskursive Auseinandersetzung mit Andersgläubigen, resp. den Juden, in Form eines dialogischen Traktats war durchaus keine originäre Erfindung Peter Abaelards. Schon in der frühen Patristik fanden sich entsprechende Vorlagen. Justinus, der Märtyrer, hatte im 2. nachchristlichen Jahrhundert einen umfangreichen, 142 Kapitel umfassenden Dialog mit einem jüdischen Rabbiner namens Trypho verfasst, der mit einer Konversionsspekulation desselben endete.[54] Diese klassische Vorlage dürfte auch Peter Abaelard bekannt gewesen sein. Bei anderen Kirchenlehrern fanden sich entsprechende thematische Anspielungen - allen voran bei dem von Abaelard als maßgebliche Autorität hoch verehrten Heiligen Augustinus. Der Bischof von Hippo hatte in einigen seiner Schriften die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Heiden, Juden und Christen thematisiert.[55]

Aber auch zeitgenössische Schriften konnten Abaelard als Vorlage gedient haben. Einige Jahre vor ihm, am Ende des 11. Jahrhunderts, hatte der Anselm-Schüler Gilbert Crispin zwei entsprechende Dialoge veröffentlicht: die Disputatio Iudei et Christiani und die Disputatio cum gentili.[56] Und selbst Wilhelm von Champeaux, den Abaelard aus seinen frühen Jahren in Paris in nur allzu guter Erinnerung hatte, soll einen entsprechenden Dialog verfasst haben.[57] Die meisten dieser „literarischen Gespräche“ entsprachen dem bestens bekannten Schema der Altercatio. Sie findet sich in der zeitgenössischen Literatur in den verschiedensten Variationen.[58]

Wenn man in den zuletzt genannten Schriften die Zahl der (fiktiven) Disputanten berücksichtigt, so glaubt man eine direkte Entwicklungslinie von der Zweizahl Gilbert Crispins - Iudeus-Christianus; Gentilis-Christianus - über die Dreizahl Abaelards - Philosophus, Iudaeus et Christianus - hin zur Vierzahl Peters von Celle - Philosophus, Iudaeus, Christianus, Claustralis oder Religiosus – zu erkennen. Deswegen - und wegen der geschilderten persönlichen Bekanntschaft - kann man beide Werke zunächst in einer direkten literarischen Tradition sehen und gespannt sein, ob dies bei der Durchführung des Themas ein inhaltliches Korrelat findet.

Aber derart hochgespannte Erwartungen werden bitter enttäuscht: Mit der ähnlichen Disposition der Protagonisten erschöpfen sich zunächst alle Gemeinsamkeiten. Der Inhalt beider Schriftwerke steht in quantitativer und qualitativer Hinsicht in einem derartigen Kontrast, das er sich kaum für eine vergleichende literarische Analyse eignet. Dies sei an einigen Beispielen kurz erläutert:

Zwar erweisen sich beide Autoren – Abaelard und Peter von Celle - jeweils als profunde Kenner des Alten und Neuen Testamentes; doch setzen sie deren Zitatenschatz höchst unterschiedlich nach ihrer jeweiligen Intention ein - Abaelard mehr argumentativ-klärend, Peter von Celle mehr allegorisch-überhöhend. Zwar verwenden sie vereinzelt gemeinsame Vorlagen - zum Beispiel die Prophetie von den nicht-sterbenden Würmern[59] oder die Allegorie von der Rebe am Weinstock,[60] doch diese Parallelen sind so selten, dass man daraus keinesfalls Rückschlüsse über die Abhängigkeit der Werke ziehen kann.

Inhaltliche Analogien klingen ebenfalls nur vereinzelt und auch dann nur andeutungsweise an. Zwar erkannte auch Peter von Celle in der Hinführung zu seiner Vierer-Typologie, dass sich jedes Volk aus eigener „Vernunftbegabtheit“ ein eigenes wissenschaftliches Erklärungssystem, eine Lehre verschafft habe, aber er schränkte den Wert einer solchen Lehre sogleich ein, indem er behauptete, dass sie nicht nur „die angemessene Zahl der Klugen“, sondern auch die „übermäßige Zahl der Dummen“ bediente. Hier findet sich allenfalls ein loses Korrelat zur Haltung des Philosophen in den Collationes Abaelards, der zwar mit der Vernunft die Wahrheit erforschen, sich aber nicht der allgemeinen Meinung anpassen wollte,[61] zumal er die Juden für töricht und die Christen für verrückt hielt.[62] Diese Anklänge von Gemeinsamkeit sind kein Zeichen der Abhängigkeit der Werke, denn die geschilderten Attitüden waren ja diametral verteilt: Bei Peter von Celle urteilte der Religiöse über die Philosophen, bei Abaelard der Philosoph über die Religiösen.

Auffallen konnte immerhin, dass Peter von Celle den paradiesischen Urzustand eines bonum naturale[63] postulierte und damit die beiden von Abaelard in den Collationes formulierten Begriffe des summum bonum und der lex naturalis in eigenartiger Weise verschränkte. Ähnlich wie in den Collationes klang auch bei ihm die Kritik an der Diesseitigkeit und Endlichkeit des jüdischen Glaubens an.[64]

Doch all diese Bezüge und Parallelen sind so allgemeiner Natur, dass eine direkte Abhängigkeit der Werke damit nicht zu untermauern ist. Und so erscheint es äußerst fraglich, ob Peter von Celle eine Kopie von Abaelards Spätwerk überhaupt besaß. Nach der Verurteilung des Philosophen auf dem Konzil von Sens waren dessen Werke indiziert. Die Tatsache, dass die Collationes überhaupt nur in einer sehr geringen Anzahl von Kopien und in großer räumlicher Distanz zum Lebensraum des Verfassers die Zeiten überdauerten,[65] weist auf eine nahezu vollständig unterbrochene Kopistentätigkeit in Frankreich hin.

Lohnte es sich bei dieser mageren Ausbeute überhaupt, nach weiteren Anknüpfungspunkten zu suchen, zumal sich die beiden Texte auch umfangsmäßig erheblich unterschieden?

Was Abaelards Werkintention und die Exposition seines visionären Gespräches zwischen einem heidnischen Philosophen und Vertretern der beiden monotheistsichen Weltreligionen auszeichnete, kann an dieser Stelle nur kursorisch dargestellt werden. Es gibt eine ganze Reihe von aufschlussreichen Arbeiten, die die betreffenden Hintergründe und Auswirkungen wesentlich ausführlicher erhellen.[66]

Abaelard hatte sich bemüht, den Gesprächspartnern seiner Collationes Argumente für ihre jeweilige Geisteshaltung in den Mund zu legen, die sich an den Regeln der Vernunft im Allgemeinen und am natürlichen Sittengesetz im Besonderen orientierten. Obwohl Abaelard das Werk vermutlich nicht ganz hatte vollenden können,[67] ist aufgrund der Gewichtung der Argumente und Gesprächsanteile nicht zu verkennen, dass er eine gewisse Entwicklungslinie aufzeigen wollte, die weg vom Formelglauben des Juden und dem Räsonnieren des Philosophen hin zur vollendeten Argumentation des ethisch denkenden Christen führte. Abaelard beschrieb so exemplarisch die Evolution des sittlichen Menschen, welcher vielleicht seine Erfüllung in dem Ideal des Mönchsphilosophen finden könnte, zu welchem sich der Autor selbst auf Bitten des Abtes Petrus Venerabilis von Cluny durchgerungen hatte - zum verus philosophus Christi.[68]

Was die Collationes darüber hinaus zu einem Werk machte, welches die geistigen Spielräume seiner Zeit weit hinter sich ließ, war die sublime Gesprächskultur, die Abaelard propagierte. In der Exposition eines Ich-Iudex, der nicht nur auf die ursprünglich avisierte Rolle des Arbiter, sondern im weiteren Verlauf auch auf die des Moderators ganz verzichtete und zuletzt nur noch schweigend zuhörte, stellte er jeden präjudizierenden Umgang mit der Thematik an den Pranger; darüber hinaus emanzipierte er die Dialogpartner und schuf eine Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Toleranz. Indem er die prinzipielle Daseinsberechtigung aller Geisteshaltungen vor Gott anerkannte, solange sie sich nur auf der Suche nach dem summum bonum an der Ethik orientierten, schuf er ein Friedensmodell, welches geeignet war, alle Schismen und Glaubenskriege zu überwinden. Darüber hinaus überwand er auch den dialektischen Streit in der Philosophie, den er bis dahin selbst eher gesucht als vermieden hatte, und die antisemitische Haltung seiner jungen Jahre.[68a] Indem Abaelard nun Vernunft als Gnade in einem Leben hin zu Gott auffasste, suchte er nicht nur die eigenen existentiellen Konflikte in vorbildhafter Weise zu lösen, sondern er wurde zum Vorbild für jeden gläubigen Menschen. Seine irenische Utopie des Miteinanders der monotheistischen Weltreligionen reflektierte eine geistige Reife, wie sie erst Jahrhunderte später, zur Zeit der Aufklärung, wieder erreicht wurde. Unter der Sicht der eigenen Biographie stellen die Collationes in der Tat das Vermächtnis eines von den Wirrungen der Welt geläuterten Abtes und Theologen dar.

Vor diesem Hintergrund musste sich Peter von Celle in seinen Äußerungen an einem hohen Maßstab messen lassen – einem Maßstab, dem er zunächst nicht gewachsen zu sein schien:

Schon im Titel des dritten Kapitels hatte der Abt einen Vergleich zwischen der Lehre der Juden und der Lehre des Kreuzgangs angekündigt - ohne diesem Anspruch in der folgenden Ausführung auch nur im Geringsten gerecht zu werden. Lediglich im Einleitungsgedanken ging der Abt kurz auf das Zweitafelgesetz Mose ein. Danach befasste er sich ausschließlich mit der eigenen Konfession. Er plädierte in glühenden Appellen und unter Verwendung alt- und neutestamentarischer Bilder für die unbedingte Einhaltung der christlichen Klosterlehre. Über die jüdische Lehre als solches verlor er kein Wort.

Dabei hätte der Abt in Hinsicht auf eine vergleichende Analyse auf eine exzellente Erfahrungsgrundlage zurückgreifen können - wenn er es nur gewollt hätte:

Denn während seines Aufenthalts in Montier-la-Celle bei Troyes hatte er siebzehn Jahre lang in der lächerlichen räumlichen Distanz von 2,5 km zu der berühmtesten jüdischen Philosophenschule des zentraleuropäischen Mittelalters gelebt:

  Thora-Rolle
Um 1040 war in Troyes der Rabbi Chlomo Itzhaki[69] geboren worden, der später auch den Namen Rashi erhalten sollte. Der alsbald europaweit bekannte, hochgeschätzte Lehrer hatte sich durch kongeniale Kommentare über die Bibel und den Talmud, deren dunkelste Stellen er in einer bis dahin nie gekannten Gewandtheit kommentierte, hervorgetan. Wie in Paris hatten sich die Juden von Troyes am ehemaligen Cardo der Stadt niedergelassen und betrieben größtenteils Weinhandel. Wie in Paris muss auch hier ein gewisser intellektueller Austausch mit den christlichen Schulen der Stadt bestanden haben. Rashi war schon um 1105 verstorben, doch die so genannten Tosafisten[70] setzten seine Tradition fort: Sie unterhielten in Troyes eine Rechtsschule und zogen auch Lehrer aus anderen Kathedralstädten Frankreichs an, z. B. Simon von Sens, Eliezer von Touques, Moïse von Evreux, Jakob von Orléans, Samuel von Metz und Isaak von Dampierre. Der einflussreichste Tosafist war Jacob Ben Meir, 1100-1171, auch Rabbenu Tam genannt, der genau zur Zeit Peters von Celle in Troyes lebte und lehrte.

Auf seine Initiative hin wurde hier im Jahre 1160 die erste jüdische Synode des Mittelalters auf europäischem Boden abgehalten. Damals beschloss man, Streitfälle zwischen den Juden nicht mehr vor einem christlichen Hof zu verhandeln. Man regelte das Zusammenleben zwischen Juden und Nicht-Juden und erließ Regelungen zu Heirat und Scheidung, Handel und Proselytentum[71] sowie zum Dienst in der Synagoge. Eindrucksvoll manifestierte sich so der unabhängige, innovative Geist des französischen Judentums - trotz der Anerkennung von Tradition und Gesetz.[72] Troyes wurde damals zur geistigen Drehscheibe des Judaismus in ganz Europa, [73] und die Wirkung seiner Schule hielt über Jahrhunderte an.

Angesichts dieser Erfahrungsgrundlagen durfte man, wenn sich nun Peter von Celle im achten Kapitel seines Werkes den alternativen Glaubensformen und intellektuellen Haltungen seiner Zeit näherte, Einiges erwarten. Doch bei Peter von Celle scheint all dies nicht den geringsten Eindruck hinterlassen zu haben.

Der Abt von Saint-Remi beschäftigte sich mit der gewählten Thematik keineswegs aus einem Geist der Aufklärung heraus. Er hatte nicht vor, in der Disciplina claustralis das Spannungsgefälle zwischen Fides und Ratio darzustellen, geschweige denn, eine Konkordanzschrift für die monotheistischen Weltreligionen abzuliefern. Da er offenen Fragestellungen oder einer räsonierenden Wahrheitssuche mit tiefem Misstrauen begegnete, vermied er tunlichst jede Dialogstruktur in seiner Abhandlung. Er warnte „vor den dünkelhaft hochgezogenen Brauen einer aufgeblasenen Eitelkeit“ und meinte mit dem Apostel: „Lasst euch ja nicht durch Philosophie und leeren Trug hinters Licht führen.“ Kolloquenten in Glaubensfragen mussten seinem Verständnis nach über kurz oder lang in jene Spitzfindigkeit eristischer Dialektik verfallen, die ihm schon in seinen Studientagen in Paris so widerwärtig geworden war. Mehr noch: Alle Säkularwissenschaften lehnte er in Bausch und Bogen als hochgefährlich ab - es sei denn, sie beugten sich dem Joch des Glaubens: „Die Grammatik, die Dialektik, die Rhetorik, die Musik, die Arithmetik, die Geometrie, die Astronomie - all diese Künste pflegen den Tod zu bringen, wenn sie erst einmal verkostet sind...“

Abhold jeder kontroverstheologischen Ausrichtung, bezog sein Traktat den missionarisch-persuasiven Charakter allein aus der Heiligen Schrift. Abt Peter erwies sich in dieser Haltung besonders deutlich als Anhänger des rigorosen Traditionalismus, der die Klosterkultur seiner Zeit prägte. In Übereinstimmung mit seinem geistigen Mentor Bernhard von Clairvaux musste er schon das bloße Hinterfragen von Glaubenswahrheiten als schweren Anschlag auf die Integrität der christlichen Lehre empfinden. Schweigen erschien ihm allemal ein höheres Gut zu sein als jede Diskussion.[74] „Die klösterliche Abgeschiedenheit bremst diese losen und inhaltsleeren Diskussionen auf den Plätzen und Gassen der Stadt des Blutes...“[75] In der Tat mag die flammende Rede, die Bernhard von Clairvaux mit entsprechendem Tenor im Jahre 1140 vor den Scholaren von Paris gehalten hatte, für den jungen Peter von Celle das entscheidende Bekehrungserlebnis gewesen sein - ähnlich wie beim Abaelard-Gegner Goswin von Anchin, der später zu Peters Freunden zählte.

Mit den geschilderten Stellungnahmen legte Peter von Celle nun zwangsläufig jene hermeneutische Ignoranz an den Tag, die auch Abaelards Ankläger und Richter in zwei Konzilen gekennzeichnet hatte. Diese hatten sich nicht im Geringsten Mühe gegeben, die Originalwerke Abaelards inhaltlich zu untersuchen, und Peter Abaelard Ketzereien unterstellt, die so von ihm nie formuliert worden waren. Damit entsprach Peter von Celle - selbst wenn er sich eingangs flüchtig des Philosophie-Jargons bedient hatte[76]- in seiner Haltung letztlich dem Typus des Antidialektikers, den Abaelard seinerseits nicht nur in seinen Collationes, sondern auch in anderen Schriften angeprangert hatte.[77]

Wenn sich Peter von Celle jetzt dennoch explizit mit den unterschiedlichen Attitüden des Philosophen, des Weltjuden, des Christenmenschen und des Klostermannes beschäftigte, orientierte er sich allenfalls formal, aber keinesfalls intentionell an Abaelard. Es ging ihm ja nicht um ein heuristisches Behandeln von Glaubenswahrheiten, sondern um bloße Exemplarität. So schilderte er zwar kurz professio, intentio und habitus eines jeden Gesinnungsgenossen, doch den eigenen Stand präsentierte er als denjenigen, der schon a priori im Besitz der Wahrheit war. Wenn wir überhaupt wo eine Originalität an seinen Ausführungen erkennen wollen, dann in der Idee, erstmalig den Ordensmann bzw. Regularkanoniker direkt mit den drei anderen weltanschaulichen Haltungen in Beziehung zu setzen. Dabei ließ der vir claustralis oder vir religiosus selbstverständlich den Philosophen und Juden in allen Praktiken und Tugenden weit hinter sich und überstieg selbst die hohe ethische Haltung des Christenmenschen in der klaustralen Selbstaufgabe. Wie die „Bienen“ den Nektar suchen, so suchte nach Peters Auffassung „der Klosterinsasse nach dem Gipfel der Gnade und des Lobpreises.“ Das war der monastischen Idealtypus, die „Krone der Schöpfung.“ Quod erat demonstrandum!

Zur syntaktischen Umsetzung seines Idealplans bildete der Autor sechzehn Satzreihen repetitiven Charakters, deren Teilsätze sich zunächst in quantitativer Hinsicht kaum unterschieden und eine gewisse äußere Regelmäßigkeit und Symmetrie aufwiesen. Aber indem ihre Subjekte - die genannten weltanschaulichen Standardtypen - in immer der gleichen Reihenfolge mit unterschiedlichen adjektivischen oder verbalen Prädikaten versehen wurden, entstand eine innere Klimax zugunsten des Klostermannes. An diesen Formulierungen ist sehr deutlich zu erkennen, dass der Abt auch auf die Schönheit der literarischen Konstruktion und seiner ars dictaminis abzielte. Die Beschreibungen entbehrten in ihrer spartanischen Kürze nicht einer gewissen Griffigkeit und Eindringlichkeit; sie erfuhren umso mehr Bedeutungsstabilität, als Zusätze über Hintergründe und Zusammenhänge a priori ausgeschlossen waren. Diese hätten in den Augen ihres Verfassers als sophistische Bearbeitung einer Aporie gegolten.

Doch damit erhielt der gesamte erste Abschnitt des achten Kapitels einen für den heutigen Geschmack unangenehm präjudizierenden, stellenweise fast diffamierenden Unterton - vor allem, was die Haltung des Juden anbetraf. Ihn schilderte Peter von Celle allein in sechs von insgesamt sechzehn Umschreibungen wenig schmeichelhaft: als habgierig und gewinnstrebend.[78] Mit diesen „Gassenhauern“ machte sich Peter von Celle - ob gewollt oder ungewollt, sei dahingestellt - zum Sprachrohr des gemeinen Volkes.

Denn in den Jahren vor Abfassung der Disciplina claustralis hatte sich der Antisemitismus auch in Frankreich immer mehr ausgebreitet, selbst wenn die offizielle Reichsdoktrin noch immer von einer Judenverfolgung Abstand nahm. Die Juden, denen seit alters her eigener Landbesitz auf christlichem Territorium verboten, und damit Ackerbau und Viehzucht verunmöglicht war, hatten sich ganz auf Handel und Geldverleih spezialisiert - und zwar höchst erfolgreich. Selbst Könige, Fürsten, Bischöfe und Äbte mussten bei ihnen Anleihen aufnehmen. Das mittelalterliche Judentum war somit ein rein urbanes Phänomen. Die Städte wurden jetzt zur Brutstätte eines unheiligen Fanatismus. Man warf den Juden so genannten „Zinswucher“ vor. Dass er seine plausible Begründung in der Kompensation der drückenden Steuern, die man den Juden auferlegt hatte, fand, interessierte niemanden. Die rituelle Isolation einerseits und die Handelserfolge andererseits brachten den Juden die pauschale Missgunst der christlichen Mitbürger ein. Die Schreckensvisionen und demagogischen Szenarien anlässlich des zweiten Kreuzzugs, 1147-1149, bewirkten das ihrige: Christusmörder wurden die Juden jetzt genannt.

Nach erneuten Ausschreitungen in den Städten des Rheintals musste es verwundern, dass die Juden in der Krondomäne und den französischen Grafschaften immer noch von größeren Unrechtshandlungen verschont blieben. Dies war vor allem Bernhard von Clairvaux zu verdanken, welcher sich in Predigten und Briefen vehement gegen die Judendiskriminierung[79] - vor allem gegen die Hetzpredigten eines zelotischen Wandermönchs namens Rudolf - wandte. Damit opponierte er letztlich auch gegen einen so einflussreichen Mann wie den Kluniazenserabt Petrus Venerabilis, der wegen seiner Warmherzigkeit und Diplomatie allseits geschätzt wurde, aber andererseits einen Adversus-Traktat gegen die Juden verfasst und sich für eine Konfiszierung ihres Besitzes ausgesprochen hatte.

Erst acht Jahre vor der Edition der Disciplina claustralis durch den Abt von Saint-Remi war es zu einem ersten größeren Judenpogrom in Frankreich gekommen. Im Jahre 1172 waren in Blois einunddreißig Juden - Männer, Frauen und Kinder - unschuldig verbrannt worden, nachdem man ihnen einen Ritualmord an einem christlichen Kind in die Schuhe geschoben hatte.[80] Es folgte eine Reihe von öffentlichen Anklagen in anderen französischen Städten. König Ludwig VII. soll damals ein letztes Mal die Pariser Juden in Schutz genommen haben.

Peter von Celle konnte sich wohl der Volksstimmung nicht entziehen, wenn er im ersten Absatz des achten Kapitels unbewusst in dasselbe Horn der Judenfeindlichkeit blies, das nun landauf, landab ertönte. So fand er zum Beispiel, was die Gesetzestradition der Juden anbetraf, nur verächtliche Worte: „Der Jude verspeist die törichte Hülle des Gesetzes... er fängt sterbende Fliegen...“ Das war das Wenige, was er zum Thema jüdische Lehre zu sagen hatte.

An diesem Punkt seiner Ausführungen angekommen, könnte man geneigt sein, nicht mehr weiterzulesen. Doch was nun folgt, rechtfertigt die weitere Lektüre allemal:

Plötzlich vollzog der Abt eine Kehrtwendung. Daraus, wie er sie vollzog, kann man ableiten, dass er sich - wenn schon nicht explizit mit den Collationes Abaelards - dann vielleicht doch mit ihrem Verfasser in einer gewissen Weise auseinandersetzte.

Denn am Ende seines plumpen Klassifikationsversuchs angelangt, unterbrach der Abt von Saint-Remi seine Philosophie- und Religionskritik und verfiel in einen eher schwärmerischen Ton. In kurzen Worten entwickelte er eine Utopie darüber, wie sich Philosophie und Ordensleben zu einem höheren Ganzen vereinigen ließen: „Mit dem Lab des Glaubens könnten sich die Lehre des Klosters und der Philosophie wechselseitig umarmen und in der Entrücktheit von den Menschenmassen den Bruderkuss geben...“

Damit verfiel der Abt in das Imperfekt einer etwas nostalgisch-wehmütigen Erinnerung:

„Denn Beschäftigung mit dem Profanen und eitle Unterhaltung behinderten die Kräfte des Geistes und lähmten das Empfinden der Seele. Um sich das ganze Gespür zu verschaffen, suchte der Philosoph ruhige und abgeschiedene Orte. Dort kultivierte er seinen Geist und geläuterten Sinnes brachte er ein sicheres Gefühl hervor... Wenn er die Empfindungen des Fleisches überschritt und an die Empfindungen der Seele rührte, wenn er zum Gefühl für Gott und den Glauben gelangte, dann wäre er gerettet.“

Es ist dahin gestellt, ob diese eigenartige und zum Vorhergehenden in deutlichem Kontrast stehende Passage nur ein literarischer Topos war. Auf jeden Fall war es der Originalton Abaelards, der dieses Philosophenideal seinerseits in der Historia Calamitatum für sich reklamiert hatte: „Viele Philosophen haben die volksbelebten Städte und die städtischen Lustgärten verlassen..., damit durch Üppigkeit und Überfluss an Gütern die Kraft ihrer Seele nicht erschlaffe und ihre Keuschheit nicht befleckt werde." Abaelard hatte in diesem Zusammenhang weitere Beispiele aus der griechischen Philosophie und dem Alten Testament angeführt - die Anhänger des Pythagoras und Platons sowie die Jünger des Propheten Elias -, und den Kirchenlehrer Hieronymus zitiert.[80a]

Vielleicht erinnerte sich der greise Abt nun in seinem Rückblick ganz konkret an seinen ehemaligen Lehrer Abaelard, der sein philosophisches Leben in der in der Einsamkeit des Paraklet entsprechend umgestaltet und in der Abgeschiedenheit von Saint-Marcel als Zönobit beendet hatte.

Und bezog sich das nun folgende Bibelwort, das zusammenhangslos und enigmatisch-einsam inmitten der Gedanken steht, nicht auch auf den toten Abaelard und seine Verurteilung in Sens?

„Aber wer sich an dem Einen stößt, wird zum Angeklagten aller!“

Man darf annehmen, dass Abt Peter bei seiner Arbeit ins Grübeln gekommen war...

Jedenfalls war damit die Abkehr weg von der reinen Adversus-Haltung vollzogen: Peter von Celle beendete diese Passage mit einem generösen Lob der Philosophen:

„Oh könnten wir doch durch den Glauben und die Beachtung der Regel unser Fleisch mit so großer Strenge und Beharrlichkeit züchtigen und die Armut lieben, wie die meisten der Philosophen die Laster des Fleisches aus sich entrissen haben!“

Dies ist eine Textstelle, wo das durch körperlichen Schmerz und jahrelanges Ordensjoch verhärtete Herz des Abtes etwas weich geworden war. Peter von Celle entblößte sich nicht, seinen Zelotismus in sympathischer Inkonsequenz für einen Augenblick fallen zu lassen. Aus seinen Formulierungen meint man zu erkennen, dass sein Herz nicht aufgehört hatte, insgeheim weiter für jenen verfemten Philosophen zu schlagen, dem er seine wissenschaftliche Ausbildung verdankte. Beim Namen nennen konnte er ihn natürlich nicht; dies war nach den Ereignissen von Sens und dem abschließenden päpstlichen Verdikt kaum möglich.

So klingt in diesen Gedanken des Abtes die Verlegenheit eines untreu gewordenen Schülers seinem ehemaligen Meister gegenüber an - eine Verlegenheit, die in der folgenden Begebenheit ein eigentümliches Pendant findet:

Gerade zu der Zeit, als Peter von Celle Abt von Montier-la-Celle in Troyes gewesen war, hatte Heloïsa, Abaelards einstige Geliebte und Ehefrau, den nur einen Tagesritt von Troyes entfernten Konvent des Paraklet geführt (1129-1164). Mit welchem diplomatischen Geschick, ja, mit welcher Raffinesse Heloïsa ihre kleine Ordensgemeinschaft durch unsichere Zeiten steuerte, lässt sich an vielen Beispielen festmachen.[81]

Cellier des moines - alte Grangie des Paraklet
Im Jahre 1155 geriet Heloïsa nun mit dem Konvent von Montier-la-Celle in einen Streit darüber, wem der Zehnte des Nachbardorfes Saint-Aubin zustand. Die erhaltene Urkunde[82] sprach von einem öffentlichen scandalum. Während Abt Peter die Hälfte des Zehnten für seine Abtei beanspruchte, bestand die Äbtissin Heloïsa darauf, dass der gesamte Zehnte nach einem Privileg des Heiligen Stuhles ihr gehörte, weil er durch eigenen Arbeitseinsatz erzielt worden war.

Dies ist übrigens für die Geschichte Heloïsas und Abaelards eine höchst bedeutsame Angabe. Denn sie bestätigt, dass seit allerfrühester Zeit der Paraklet-Konvent Anbaurechte in Saint-Aubin besaß - und diese konnten nur aus der Schenkung Abaelards stammen, da die Zehntrechte an Saint-Aubin in den späteren Papstbullen nur in dem von Abt Peter behaupteten Umfang aufgeführt wurden. Abaelard hatte seinerseits diesen Landbau in seiner Historia Calamitatum erwähnt: „Gern reichten mir meine Schüler dar, was ich an Nahrung und Kleidung brauchte, nahmen mir auch die Bestellung der Äcker ab..."[83]

Heloïsa bezog sich bei ihrem Anspruch recht eindeutig auf das älteste, auch heute noch im Wortlaut erhaltene Privileg des Papstes Innozenz II., welches von diesem kurz nach der Gründung des Paraklet am 23. November 1131 in Auxerre ausgestellt worden war. Es bestätigte die Zehntrechte des Paraklet aus eigenem Landbau pauschal, also nicht ortsbezogen, außerdem alle Besitzungen, die bis zur Gründung des Klosters im Jahre 1129 angefallen waren, d.h. alles Land und alle Rechte aus der Zeit Abaelards.[84] Abaelard hatte anlässlich der Altarweihe von Morigny im Jahre 1130 Papst Innozenz II. persönlich getroffen und ihn wohl um diese Bulle gebeten. Das Privileg des Papstes wird ursprünglich mit der Schenkungsurkunde Abaelards verbunden gewesen sein - anders machte es in der Pauschalität seiner Formulierungen keinen Sinn. Genau so hatte Abaelard selbst den Besitzübergang in der Historia Calamitatum beschrieben: „Ich habe ihr dieses Oratorium mit allem, was dazugehörte, überlassen und geschenkt. Später hat diese unsere Schenkung Papst Innozenz II. - unter Zustimmung und Zuziehung des Landesbischofs - ihr und ihren Anhängerinnen durch ein Privileg bestätigt...“[85]

Die Eigentumsurkunde Abaelards, die den Umfang seiner Rechte am Paraklet genau beschrieb, ist später in den Akten des Paraklet nie aufgetaucht - ebenso wenig wie die angedeutete Zustimmungsurkunde des örtlichen Bischofs. Vermutlich wurden diese Urkunden schon in früher Zeit bewusst beseitigt. Dass Besitzansprüche aufgrund einer Schenkung eines verurteilten Ketzers äußerst heikel waren, wird selbst Heloïsa nach 1140 nicht entgangen sein. Den Nonnen drohte bei einer derartigen Aktenlage erneut das, was zur Gründung des Paraklet-Konvents geführt hatte - nämlich Vertreibung. Deshalb wandte sich Heloïsa an Bernhard von Clairvaux[86] mit der Bitte, auf Papst Eugen zugunsten des Paraklet Einfluss zu nehmen. Dass dieser Wunsch nicht umsonst war, entnimmt man einer mehrere Druckseiten umfassenden Bulle des Papstes Eugen von 1147, die akribisch den Paraklet-Besitz in allen Einzelheiten auflistete, ohne auch mit nur einem Wort auf die Gründerperson Abaelard Bezug zu nehmen.[87]

Auch wenn wir nicht wissen, wie sich der damalige Zehntstreit im Detail abgespielt hat, so steht fest: Als Heloïsa mit Peter von Celle in Streit geriet, hatte sie ein frühes Besitz- oder Anbaurecht aus der Zeit Abaelards geltend gemacht, welches auf Papst Eugens Urkunde nicht vollständig wiedergegeben war, jedoch durch die Urkunde des Papstes Innozenz untermauert werden konnte.

Heloïsa setzte ihre Ansprüche vollständig durch. Abt Peter gab dagegen auf der ganzen Linie nach. Wie clever Heloïsa verhandelt hatte, erkennt man an den Einzelheiten der getroffenen Regelung. Die Paraklet-Nonnen erhielten den gesamten Zehnten in hieb- und stichfester Berechnung - sowohl nach dem „groben“ wie nach dem „verminderten“ Maß von Nogent.[88] Die Mönche von Montier-la-Celle erhielten stattdessen alljährlich die symbolische Lieferung von zwei Fuder Stroh für ihr Priorat in Pont-sur-Seine. Auch hier überließ Heloïsa nichts dem Zufall: Im Kriegsfall oder bei Wetterschäden wurde die Lieferung nicht fällig. War Peter von Celle ein exzellenter Alttestamentler gewesen, so erwies sich Heloïsa nun als sehr beschlagen im neuen Testament: Sie hatte im wahrsten Sinn des Wortes mit „reichlichem Maß“[89] gemessen und „die Spreu von dem Weizen getrennt“[90] - zugunsten ihres Konvents!

Warum hatte Abt Peter ohne Angaben von Gründen klein beigegeben? Seinen Anspruch durchzusetzen, wäre ein Leichtes gewesen: Er hätte nur Abaelards einstige Rechte anfechten müssen, zumal spätere Urkunden des Paraklet und ein Privileg des Papstes Anastasius zugunsten seiner eigenen Abtei[91] seine Version der Ansprüche stützten. Doch genau dies tat er nicht. Er gab trotz seiner Erfolgschancen nach, weil er „den Streit beilegen und die erwähnte Kontroverse zu einem friedlichen Ende führen wollte.“[92] Andernfalls wäre er gezwungen gewesen, seinen alten Lehrer erneut als Ketzer zu diffamieren und dessen ehemalige Frau, eine fromme Äbtissin, der Lüge zu bezichtigen. Konnte dies in seinem Sinne sein? Lieber nahm Abt Peter wirtschaftliche Nachteile für seinen Konvent hin, als dass er sich zu einem solchen Vorgehen verstieg. Was anderes sprach aus diesem Verhalten, als dieselbe latente Scheu vor seinen früheren Meister, die man oben aus seinen Reflektionen über den wahren Philosophen heraushörte?

Wie peinlich die ganze Angelegenheit für Abt Peter gewesen sein muss, erkennt man aus einem weiteren Umstand: Er wich von der absolut üblichen Gewohnheit ab, als Abt eines benachbarten Männerklosters zur Vertragsunterzeichnung persönlich im Paraklet zu erscheinen. Aber er wagte auch nicht, als Unterhändler einen x-beliebigen Klosterbruder zu schicken. Vielmehr sandte er absolute Vertrauenspersonen, die die delikate Mission erfüllen konnten - seinen leiblichen Bruder Engenold und den künftigen Mann seiner Nichte, Peter de la Tournelle.[93] Vermutlich hätte er selbst den vorwurfsvollen Blick der Äbtissin Heloïsa nicht ertragen - und noch viel weniger die Peinlichkeit, persönlich dem toten Lehrer, der zugleich ein päpstlich verurteilter Ketzer war, in seinem Grab im „petit moustier“ des Paraklet die letzte Ehre erweisen zu müssen. Das erschien ihm wohl zu verfänglich. So schickte er seine Verwandten.

Es existiert übrigens ein weiteres Dokument, das einen frühen Briefkontakt Peters von Celle zu Heloïsa nahe legt.  Es handelte sich um die eisige Antwort des Abtes auf einen nicht näher bekannten Vorwurf Heloïsas, bezüglich des Verhaltens des Priors von Saint-Ayoul in Provins - möglicherweise sogar in Sachen Abaelard. In diesem Brief hatte Peter von Celle peinlichst den Namen Heloïsas wie seinen eigenen verschwiegen - in seinem umfangreichen Briefwechsel nahezu eine Einmaligkeit. Das beiderseitige Verhältnis war also bereits früher deutlich belastet gewesen.[93a] 

Doch nun zurück zum Traktat über die Klosterzucht - und zum letzten Abschnitt des achten Kapitels. Wie erwähnt, hatte Peter von Celle in einer nostalgischen Reflexion über den wahren Wert der Philosophie seine vorherige Kritikhaltung relativiert. Nun - in den letzten Sätzen des Kapitels ging er noch ein Stück darüber hinaus:

In einer Art von irenischer Kehrtwendung präsentierte er plötzlich die Prototypen des Philosophen, Juden und Christen in einem neuen Gewand. Gleichwertig und gleichgewichtet fungierten sie als Vorbilder für den Ordensmann. Welch ein Gesinnungswechsel!

In dieser Retractatio scheint Peter von Celle endlich Mut gefasst zu haben - den Mut, die populären Klischees und Gemeinplätze über Juden und Philosophen fallen zu lassen und sich zu einer toleranteren Haltung durchzuringen, die ihn nun befähigte, die fremden Geisteshaltungen mit einem weitaus objektiveren Auge zu sehen.

Er betonte jetzt die Andersartigkeit ohne Herabwürdigung der Person oder ihres Anliegens und fand ausschließlich lobende Worte: für das Schweigen und die Weltverachtung des Philosophen, für die Opferbereitschaft und den Monotheismus des Juden. Plötzlich war das Verbindende, nicht das Trennende zum Argument geworden.

Konnte sich Abt Peter, als er diese Sätze niederschrieb, auch nur im Traum ausmalen, was die nahe Zukunft brachte?

Kurz nach dem Erscheinen seiner Schrift im Jahre 1179 rief der neue König Philipp II. – trotz seiner Jugend bereits ein verschlagener und skrupelloser Mann und ein gewiefter Politiker - zur Hatz auf die Juden von Paris auf. Die Verleumdungen religiöser Fanatiker und frustrierter Kreuzfahrer lieferten die Argumente: Man warf den Juden jetzt Brunnenvergiftungen, Ritualmorde, Hostienfrevel und Blutopfer vor. Natürlich waren sämtliche Vorwürfe aus der Luft gegriffen. Im Jahre 1181 ließ König Philipp alle Juden von Paris ins Gefängnis werfen, um sie einige Zeit später gegen hohes Lösegeld wieder freizugeben. Im Jahr darauf erklärte er alle Juden im Reich für vogelfrei und startete eine globale Vertreibungskampagne.[94] Der jüdische Gesamtbesitz wurde konfisziert und fiel an die Krone. Erst im Jahre 1198 durften die Juden unter drückenden Steuerlasten wieder nach Paris zurückkehren. Der König hatte begriffen, dass man mit beiden Strategien - Vertreibung und Wiederzulassung - treffliche Gewinne einheimsen konnte. Kurz zuvor war es anlässlich des dritten Kreuzzugs, 1189-1192, auch in Südfrankreich zu schrecklichen Massakern an Juden gekommen. Doch von dort drohte noch eine weitaus größere Gefahr – die Häresie der Katharer...

Diese Ereignisse erlebte Peter von Celle nur noch zum Teil; er verstarb am Anfang des Jahres 1183. In der Abenddämmerung, die der Nacht der Judenpogrome und der Inquisition vorausging, hatte er sein Werk über die Klosterzucht geschrieben. Wenn er seinen so präjudizierend begonnenen Vergleich zwischen dem Philosophen, Juden, Christen und Ordensmann in den wenigen Schluss-Sätzen des achten Kapitels so versöhnlich beendete und damit den opportun gewordenen Antisemitismus seiner späten Tage überwand, so erwies er sich realiter als der wahre Schüler seines Meisters Peter Abaelard, zu dem er sich öffentlich nie bekannt hätte.

Als er diese Zeilen verfasste, wird er sich in der Tiefe seines Herzens wehmütig an eine Zeit erinnert haben, die er gerade noch am Rande hatte erleben dürfen - diese Zeit der lebhaften Diskussionen mit dem Meister auf dem Montagne Sainte-Geneviève bei Paris, die Zeit der relativen Religionstoleranz und der freien Meinungsäußerung, in der das Studium der Philosophie und Theologie sowie die geistige Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden noch kein Widerspruch war, sondern gelebter Alltag eines Intellektuellen.

Und so übertraf sich Peter von Celle selbst: Was in eine verbale Vernichtungskampagne hätte münden können, endete mit einem Friedensangebot - hin zu in einem Miteinander, zu einem gemeinsamen Ringen um ein sittliches Leben, zu einer geteilten Wahrheitssuche.

Genau diese Utopie hatte Abaelard in der Quintessenz seiner Collationes vor mehr als dreißig Jahren entworfen. Der frische, innovative Geist des geächteten Philosophen hatte wohl noch einmal geweht - wenn auch nur in der Schreibstube des hoch betagten Abtes vom Saint-Remi in Reims, der mit "zitternder Hand"[95] im Schein einer Kerze diese letzten Worte in ungelenken Lettern niederschrieb: 

„So ernte die Klosterzucht mit dem Philosophen, was noch frisch, mit dem Juden, was ergiebig, mit dem Christen, was reif, und mit dem eigenen Gelübde, was fruchtbringend ist...“

Draußen aber „war die Welt ganz offensichtlich alt geworden...

 

und die Menschen selbst mit allem, was zur Welt gehört, hatten die alte natürliche Frische eingebüßt, und die Liebe war nach jenem Wort Christi nicht in vielen, nein in fast allen erkaltet ...“[96]

 

Fußnoten

[1] lat. Petrus Cellensis oder Petrus de Cella. Obwohl es begrifflich sinnvoller wäre, im Deutschen mit Peter von der Zelle zu übersetzen, folgen wir dem bisher üblichen Sprachgebrauch.

[2] Siehe: Godefroy, J., La Maison d’Aulnoy-les-Minimes, souche de Pierre de Celle, in: Revue Mabilllon 41, 1951, 33ff. Peters Eltern hießen Hadewidis und Lethericus, seine Brüder Engenoldus und Gaucherius. Eine Verwandte des Hauses war Agnes von Baudement, die Schwägerin König Ludwigs VII. Siehe Brief Johanns von Salisbury an Thomas Becket, in PL 199, Spalte 117B.

[3] Epistel 8, PL 202, Spalte 603.

[4] „O Parisius, quam idonea es ad capiendas et decipiendas animas! In te retinacula vitiorum, in te malorum decipula, in te sagitta inferni transfigit insipientium corda…“ Epistel 4, a.a.O., Spalte 519. Über die Situation des Schulbetriebs zu dieser Zeit siehe: http://www.abaelard.de, Peter Abaelard in Paris.

[5] Der terminus ante quem ergibt sich aus dem Kartularium von Montier-La-Celle: Eine Urkunde Heinrichs, des Liberalen, von 1145 erwähnte erstmalig Petrus, abbas Sanct Petri de Cella. Siehe: Lalore, Ch., Cartulaire de Montier-la-Celle, Paris, 1882, Seite 42. Der terminus post quem liegt im April 1139, in welchem als Vorgänger im Abbaziat ein Mönch namens Walter erwähnt ist. Siehe a. a. O., Seite 204 und 256.

[6] Der Niedergang des einst so bedeutsamen Konvents trat bereits einige Zeit vor der französischen Revolution ein. Heute sind von diesem Konvent in einem südwestlichen Vorort von Troyes nur noch geringfügige Überreste vorhanden: ein Taubenturm und ein Teil der Umfassungsmauer.

[7] Siehe: Wellstein, G., Der freundschaftlichen Beziehungen des Petrus Cellensis zu den Zisterziensern, in. Cist. Chron. 38, 1926, 213ff.

[8] Siehe z. B. Vertrag mit Bernhard von Clairvaux aus dem Jahre 1152, Lalore, Cart. Montier-la-Celle, a.a.O., 54. Und: Winkler, G. (ed.), Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Innsbruck 1992, Band 3, Seite 832f.

[9] Theobald war bis 1142 Prior von Saint-Martin gewesen. „Tres sermones de Adventu Domini et unum de Navitate orditus sum vobis“, Epistel 1, PL 202, Spalte 421.

[9a] Obwohl Peter von Celle und Johann von Salisbury nahezu gleich alt waren, bezeichnete ersterer in seinen Briefen wiederholt letzteren als seinen magister, sich selbst jedoch als dessen discipulus. Wenn dagegen von dem Aufenthalt bei Troyes die Rede war, betitelte Peter von Celle seinen Freund als suus clericus, sich selbst als suus bbas. Siehe Haseldine, J., The letters of Pter of Celle, Oxford 2001, Seiten 652ff.

[10] Saint-Denis-de-la-Châtre in Paris, Sainte-Marie in Étampes, Sainte-Marie und Saint-Exupéry in Corbeil, Sainte-Marie in Mantes, Sainte-Marie in Poissy und Saint-Melon in Pontois.

[11] Nach der Gallia Christiana (GC), Band 9, Paris, 1751, Spalte 88ff. Nach neueren Untersuchungen soll Henri de France, wie der Bruder des Königs auch genannt wurde, im Jahre 1149 Bischof von Beauvais geworden sein. Heinrich verstarb am 13. November 1175.

[12] Siehe Briefe Peters von Celle in: GC, a.a.O. In dieser Zeit - genau im Jahre 1159 - nahmen beide auch noch an der Regelung von Pariser Angelegenheiten teil, zum Beispiel an der Neuvergabe des Dekanats von Saint-Germain-l’Auxerrois. Siehe Lasteyrie, Cartulaire Générale de Paris, Seite 357f.

[13] In den Akten von Montier-la-Celle ist Peter das letzte Mal als Abt im Jahre 1161 erwähnt. Siehe Lalore, Cart. Montier-la-Celle, a.a.O., Seite 32.

[14] Es handelte sich um das Salböl der französischen Könige. Zum Werdegang Peters von Celle in Reims siehe auch die älteren Arbeiten von: Gillet, De Petro Cellensi, abbate Sancti Remigii Remensis et Carnotensi episcopo dissertatio, Paris, 1881. Und: Georges, Pierre de Celles, sa vie et ses œuvres, Troyes, 1857.

[15] Der Bischof von Reims und der Abt von Saint-Remi standen u. a. auch mit Papst Alexander III. in engem Kontakt; allein Heinrich wechselte weit über 150 Briefe mit diesem. L. Falkenstein, Aachen, arbeitet derzeit an der Neuedition der beiden Reimser Briefsammlungen.

[16] Die er vielleicht schon früher begonnen hatte.

[17] Je zwei Säulen zwischen Chorumgang und Kranzkapellen nahmen die Gewölbe von zwei Seiten auf und markierten elegant die räumliche Trennung.

[18] Siehe u. a.: Prache, A., Les arcs boutants de XIIe siècle, Gesta, XV, 31ff. Und: Saint-Remi de Reims: l'oeuvre de Pierre de Celle et sa place dans l'architecture gothique, Bibl. Société. française d'archéologique., VIII, Genf, 1978.

[19] Eintrag im Nekrolog von Chartres: „Civitatem enim istam a porta de Sparris usque ad ecclesiam S. Fidis, quae in ea parte fossatis tantummodo cingebatur, ad quorum reparationem ipsius episcopi terrae homines pro voluntate comitis saepius urgebantur, de suo proprio novis muris vallavit...“ Aus: Analecta Mabillonii, Band 2, Seite 557.

[20] Da Peter einen alten Weinbann des Grafen der Champagne löste, sollen sich die Bürger von Chartres bei seinem Trauerzug nicht davon haben abhalten lassen, den Mund und das Gesicht des Toten zu küssen. Angaben a. a. O.

[21] Siehe oben.

[22] Jacobi Sirmondi Opera Varia, Venedig, 1728, Band 3, Spalte 659ff.

[23] Leclercq, J., Nouvelles lettres de Pierre de Celle, veröffentlicht in: Studia Anselmiana, 43, 1958, Seite 160ff.

[24] Haseldine, J., The letters of Peter of Celle, Oxford/New York 2001.

[25] Martel., G. de, Pierre de Celle, L’école du cloître, Paris, 1977.

[26] Vorwort an Richard: „…si me talem in hoc opusculo recognoveris, qualem ab infantia tua didicisti…“

[27] Die Sammlung enthält ausschließlich die Werke Peters von Celle. Es handelt sich um 135 Folios von 235 mal 335 mm Größe. Das Werk, zweispaltig geschrieben in gotischer Minuskel, mit roten und blauen Initialen, betrifft die Folios 81r-96v und enthält viele nachträgliche Ausbesserungen. Die Blätter sind in einem Einband aus dem 17. Jahrhundert gebunden.

[28] Das Werk findet sich am Ende einer Schriftensammlung verschiedener Autoren; es umfasst 120 Folios aus dem 12. Jahrhundert von 210 mal 260 mm Größe, zweispaltig geschrieben in gotischer Minuskel, mit roten und grünen Initialen. Die Abhandlung De disciplina claustralis findet sich auf den Folios 102r-120r. Die Transskription erfolgte wohl auf Veranlassung Richards von Salisbury, der das Werk an zwei Abhandlungen befreundeter englischer Kanoniker anfügen ließ. Die Arbeit ist sorgfältig ausgeführt und enthält nur wenige Fehler.

[29] Achery, Spicilegium, Band 3, 1659; Tassin, 1723; Janvier, 1671; Bibliothèques des Péres, 1677, und Migne, 1855, nach Janvier, Spalten 1097-1146. Siehe auch bibliographische Angaben in: Martel, a. a: O., Seite 78f.

[30] Feiss, Hugh, The School of the Cloister in Peter of Celle, Selected works, Kalamazoo, Cistercian, 1987.

[31] Sämtliche hier enthaltenen Werkzitate entstammen den wiedergegebenen Auszügen und erfahren deshalb keine gesonderte Zitation.

[32] Besonders eindrucksvolle Beispiele dieser Verschränkung rezeptorischer Ebenen, die zum vorliegenden Themenkreis passen, sind gerade Peter Abaelards Historia Calamitatum, deren einseitig unilineare Interpretation über Jahrhunderte hinweg zu geradezu abenteuerlichen Spekulationen über die Authentizität des Werkes und den eigentlichen Verfasser geführt hatte, oder das Trostschreiben des Abtes Petrus Venerabilis an seine Brüder anlässlich des Todes seiner geliebten Mutter Raingardis im Jahre 1135, welches trotz der Intimität der Information stellenweise geradezu hagiographischen Charakter trägt. Siehe hierzu: Brief des Petrus Venerabilis an seine Brüder Jordanus, Pontius und Armannus, in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 1, Seite 153ff. Und: Hicks, Eric, La vie et les epistres Pierres Abaelart et Heloys sa femme, traduction du XIIIe siècle avec une nouvelle édition des textes latins d'après le ms. Troyes Bibl. mun. 802, Paris Genève, 1991. Zum so genannten „Expertenstreit“ empfiehlt sich folgende Lektüre: Moos, P., Mittelalterforschung und Ideologiekritik, München, 1974. Und: Marenbon, J., Authenticity Revisited, in: Wheeler B., Listening to Heloise, New York 2000, Seite 19ff.

[33] Der Autor bezog beide Ordensstände gleichrangig in seine Abhandlung ein.

[34] Auch wenn mitunter, vor allem im Kap. 17, Analogien zur allgemeinen Benediktsregel anklangen. Siehe Martel, a. a. O., Seite 55.

[35] De discliplia claustrali: „...Quid est autem nostra disciplina, nisi vivere secundum mandata Dei?“ Disciplina wird hier analog zur Disciplina christiana des Heiligen Augustinus eingesetzt. Auch Rabanus Maurus hatte ähnlich definiert: „Disciplina facit in Christo manere semper ac jugiter Deo vivere, ad promissa coelestia et divina praemia pervenire…“ Rabanus Maurus, in: PL 102, Spalte 1231.

[36] Ähnlich schwierig waren im Deutschen auch die sehr spezifischen Begriffe claustrum oder claustralis wiederzugeben, die unterschiedliche kontextuelle Bedeutungen aufwiesen: Beschrieb claustrum zunächst nur einen abgeschlossenen Bezirk, so dann auch das Kloster als Institution, den inneren Klosterbezirk und den Kreuzgang, in Bezug auf die ausdrücklich einbezogenen Regularkanonikerstifte und Domkapitel auch den Stifts- oder Domherrenhof. Der zugehörige vir claustralis oder vir religiosus ist mit Klosterinsasse, Mönch oder Ordensmann nicht immer adäquat übersetzt, da Peter von Celle ausdrücklich auch den Regularkanoniker – nicht den Säkularkanoniker – mit einbezogen hatte.

[37] „Libertas animi nisi... infatuata fuisset, nequaquam poenali disciplina quae plicat, planat et ligat, indiguisset.“ Bei der vorliegenden Übersetzung wurde versucht, die jeweiligen Nuancen zu berücksichtigen, was wegen der Vieldeutigkeit jedoch nicht immer der ursprünglichen Autorenintention entsprochen haben mag. Der in der französischen und englischen Edition verwendete Titel „L’école du cloître“ oder „The school of the cloister“ erscheint ausgesprochen ungünstig und missverständlich, da er den offiziellen Schulbetrieb eines Klaustrums durch Magister suggeriert, den Peter von Celle keinesfalls gemeint hatte.

[38] Werkausgaben von Feiss und Martel, siehe oben.

[39] De discliplia claustrali: „Plane tota forma claustralis disciplina emanavit de cruce... Debet claustralis ligno affligi...“

[40] Vereinzelt zitierte er den Ezechielkommentar des Heiligen Hieronymus.

[41] Wie denken hier z. B. an die eindrucksvollen Portalkunstwerke von Vezelay, Conques, Moissac.

[42] Siehe dazu: Robl, W., Auf den Spuren eines großen Philosophen: Peter Abaelard in Paris, Untersuchungen zur Topographie von Paris und zur Alltagsgeschichte des Frühscholastikers zwischen 1100 und 1140, Neustadt, 2002.

[43] „…anno altero postquam illustris rex Anglorum Henricus leo iustitiae rebus excessit humanis, contuli me ad Peripateticum Palatinum, qui tunc in monte sanctae Genovefae clarus doctor et admirabilis omnibus praesidebat…“ Johann von Salisbury, Metalogicon Buch 2, Kap. 10.

[44] Dies ist die authentischere Bezeichnung für den Dialogus inter Philosophum, Christianum et Iudaeum, der ja so von Abaelard selbst nicht betitelt worden war.

[45] R. Thomas, Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum, Stuttgart, 1970. Thomas, R., Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg Peter Abaelards im Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum, Bonn, 1966, 19ff.

[46] Siehe: Mews, C., On dating the works of Peter Abelard, Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen age 52, Paris, 1985, 73ff. Siehe auch: Allen, J., On the dating of Abailard’s Dialogus, A Reply to Mews, in: Vivarium 36, 1998, Seite 135ff.

[47] In Troyes; siehe weiter unten.

[48] Als Abaelard in relativ jungen Jahren seine Theologia Summi Boni verfasste, schlug er noch wesentlich unversöhnlichere Töne an: „Cum itaque dominus et per prophetas Iudaeis et per praestantes philosophos seu vates gentibus catholicae fidei tenorem annuntiaverit, inexcusabiles redduntur tam Iudaei quam gentes, si cum hos in ceteris doctores habeant, in salutem animae, cuius fundamentum est fides, ipsos non audiant...“ Zitiert aus: Niggli, U., Theologia Summi Boni, Hamburg, 1988, Seite 56.

[49] London, British Museum Royal XI. A.5, 13. Jhd., und Oxford, Balliol College, MS 296, 14. Jhd.

[50] Siehe: Krautz, H.-W., Abailard - Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, Frankfurt, 1995. Derselbe Autor: Zwischen Boethius, Lullus, Cusanus und Lessing - Streiflichter auf Abaelards Collationes, Frankfurt, 2002.

[51] „...Cum autem et militiae cunei et populi multi concursus ei honestissime occurreret, nec ipsa etiam Iudeorum Parisiensium excoecata defuit synagoga, quae legis litteram, rotulam scilicet velatam offerens, ab ore eius hanc misericordiae et pietatis obtinet supplicationem...“ Suger von Saint-Denis, hier zitiert aus: Du Boulay, Historia Universitatis Parisiensis, Paris 1665, Band 2, Seite 114.

[52] Bericht des Benjamin aus Tuy aus Galizien. Dieser ursprünglich hebräisch verfasste, später ins Lateinische übersetzte Bericht einer Reise durch Europa wurde zur Zeit König Ludwigs VII. und des Papstes Alexander III. erstellt und ist abgedruckt in RdH, Band 14, Seite 469ff. „...Quod ad Franciae regnum attinet, quam terram Tsarphath dicimus, inde ab urbe Alsodo sex dierum iter est Parisios usque urbem maximam, Ludovici Regis regiam, quae ad Sequanam sita eos sapientiae studiosos habet, quales in toto orbe hodie invenire non est, qui dies noctesque legi incumbant: hospitales in omnes peregrinantes, qui fratres et socios se praebent quibusvis consanguineis Iudaeis.“ Bezüglich der Lage der Juden von Paris war Benjamin allerdings kein Augenzeuge gewesen. Er hatte auf ältere Berichte zurückgegriffen, an deren Glaubwürdigkeit wegen der exzellenten Kontakte, die die europäischen Juden untereinander pflegten, kaum zu zweifeln ist. Der Ersteditor von Abaelards Werken, François d'Amboise, nannte 1616 bereits diese Quelle: "Nec tantum inter Christianos Lutetiae, sed etiam inter Iudeos floruerunt linguarum et divinae scientiae studia...“ D'Amboise fügte einige weitere Belegstellen an. Siehe Migne, J. P., PL Band 178, Praefatio apologetica, Spalte 102.

[53] Wenngleich der König 1144 doppelt-konvertierte, d. h. vom Judentum zum Christentum und zurück konvertierte Juden verurteilte und damit ersten Vertreibungen Vorschub geleistet haben mag.

[54] Justin, der Märtyrer, Rhetoriker, Dichter, Philosoph, Lehrer in Ephesus und Rom, geb. um 100 in Nablus in Samaria, gest. um 163 in Rom als Märtyrer. Der Dialog mit dem Rabbiner Trypho stammt aus der Zeit um 156-161, also aus der Zeit in Ephesus, kurz nach Justins Konversion zum Christentum und dem Fall Jerusalems. Diese frühe Quelle beschrieb das Verhältnis von Juden- und Christentum und gab zuletzt ein fiktives Bekehrungsszenario des Juden wieder. Siehe: Mignes Patrologia Graeca, Band 6. Auch: Archambault. G., Dialogue avec Tryphon: texte grec, traduction française, 2 Bände, Paris, 1909. Und: Spade, P. V., Justin Martyr, Dialogue with Trypho the Jew, Prologue, Online-Dokument.

[55] Augustinus, De opere monachorum: „…Quos utique non nisi Gentiles, quos Paganos dicimus, vult intellegi. Aliud est ergo esse sub Lege, aliud in Lege, aliud sine Lege. Sub Lege carnales Iudaei: in Lege spiritales et Iudaei et Christiani; unde illi servaverunt morem illum patrium, sed onera insolita credentibus Gentibus non imposuerunt; et ideo et illi circumcisi sunt: sine Lege autem Gentes quae nondum crediderunt, quibus tamen se Apostolus congruisse testatur per misericordem compassionem, non per versipellem simulationem; id est, ut eo modo subveniret carnali Iudaeo vel Pagano, quo modo sibi ipse, si hoc esset, subveniri voluisset: portans utique eorum infirmitatem in compassionis similitudine, non fallens in mendacii fictione; sicut continuo sequitur, et dicit…“ In „De vera religione“ des heiligen Augustinusfinden sich ähnliche Passagen.

[56] Gilbert Crispin, 1085-1117, war ein Schüler Anselms von Bec und nachmaliger Abt von Westminster Abbey, London. Die Disputatio Iudei et Christiani verfasste Gilbert kurz bevor Anselm im September 1093 Erzbischof von Canterbury wurde. Später folgte die Disputatio cum gentili... Siehe hierzu auch: Jakobi, K., Gilbert Crispin - zwischen Realität und Fiktion, in: ScriptOralia, Gespräche lesen, Tübingen 1999, Seite 125ff.

[57] „Dialogus seu altercatio cujusdam Christiani et Iudaei“ Ob dieses mystisch-exegetische Kompendium wirklich aus der Feder Wilhelms von Champeaux stammte, ist nicht gesichert.

[58] Die Altercatio bedeutet Frage-Antwort-Spiel, Wortwechsel oder Rededuell; sie bezog ihre rhetorische Begründung aus den Regeln der Dialektik. Beispiel: Rupert von Deutz: Altercatio monachi et clerici (1125). Dem auf stilistische Eleganz erpichten Verfasser der Rota Veneris, Boncompagno da Signa, ca.1170-ca.1240, war die Altercatio ein Dorn im Auge. In seiner Rhetorik definierte er: Die Altercatio ist ein hassenswerter Streit: „Quid altercatio: Altercatio est odibilis contentio.“ Siehe: Boncompagno da Signa, Rhetorica novissima, Buch 11, Online-Dokument. Siehe auch: Martel, a.a.O., Seite 62.

[59] De disciplina claustrali: „Muscas morientes et vermes qui non moriuntur, comedentes miseram animam…“ Collationes: „Vermis eorum non morietur et ignis eorum non exstinguetur...“ Krautz, a.a.O., Seite 120.

[60] De disciplina claustrali, Vorwort an Graf Heinrich: „ Plicat palmitem in vite..“. Collationes: „Palmes autem vitis, nisi in se praecidantur… “ Krautz, a.a.O., Seite 56.

[61] „...rationibus veritatem investigare et in omnibus non opinionem hominum, sed rationis sequi ducatum...“ Krautz, a.a.O., Seite 8.

[62] „...comperi ludaeos stultos, Christianos insanos...“ Krautz, a.a.O., Seite 9.

[63] Im Widmungsschreiben an Graf Heinrich auch in analoger Form als naturalis bonitas bezeichnet.

[64] De disciplina claustrali: „Praesumptio iuvat philosophum, temporalitas iudaeum...“ Collationes: „...nec observationi totius legis remunerationem fuisse promissam nisi temporalem...“ Krautz, a.a.O., Seite 62.

[65] Ein Manuskript in Österreich und fünf Manuskripte in England.

[66] Krautz. H.-W., Abailard, a.a.Orten. Oder: Niggli, U., Abaelards Ideen über die jüdische Religion und seine Hermeneutik im Dialogus, Referat, 9. Internationaler Kongress für Mittelalterliche Philosophie, Ottawa, 1992. Westermann, H., Wahrheitssuche im Streitgespräch, Überlegungen zu Peter Abaelards Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum, in: ScriptOralia, Gespräche lesen, Tübingen 1999, Seite 157ff. Laurien, H.-R., Abälards Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, In: Lebendiges Zeugnis 53, 1998, 298ff. Aus dem englischsprachigen Schriftgut empfiehlt sich: Mews, C., Peter Abelard and the enigma of dialogue, in: Laursen, J. C., Nederman, C. J. (ed), Beyond the persecuting society: Religious toleration before the enlightenment, Philadelphia, 1998, 25ff.

[67] Dass den beiden Gesprächen zwangsläufig noch ein drittes zwischen Juden und Christen hätte folgen müssen, ist durch nichts zu ersehen. Auch ein abschließendes Urteil des Iudex Abaelard ist vom Autor vermutlich nicht intendiert worden. Dennoch bricht das Werk relativ abrupt ab, obwohl gerade der letzte Satz doch noch eine gewisse Fortsetzung in Aussicht gestellt hatte: „Quod quia ex inquisitione summi boni pendebat, si quid superest, quod de ipso ulterius quaeri censeas, licet te subferre vel ad reliqua festinare.“

[68] Die betreffenden Briefe des Abtes wurden mehrfach veröffentlicht, zuletzt von G. Constable; sie blieben in den etablierten Abaelard-Biographien, z.B. von Clanchy, jedoch unbesprochen. Siehe Robl, W., Petrus Venerabilis, Briefe zur Rettung Abaelards, in: http://www.abaelard.de. Auch: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, 2 Bände, Cambridge, 1967, Band 1, Seite 14ff.

[68a] In einer wenig beachtete Anekdote, die er während seiner Studienzeit in Paris erfahren hatte, berichtete Gerald von Wales, 1147-1216, im Jahr 1191, dass Peter Abaelard einst in Gegenwart König Philipps I. von Frankreich - also vor 1108 - auf die Invektiven eines Pariser Juden, der hinterfragt hatte, warum christliche Gotteshäuser so oft vom Blitz getroffen würden, voller Häme mit einem Ovid-Wort geantwortet habe: Höchstes sei immer den Unbilden der Witterung ausgesetzt. Dies könne einer jüdischen Synagoge schon deshalb nicht passieren, da sie keine Höhe, sondern das Allerniederste in einem Haus, nämlich den Abort, repräsentiere. Diese Anekdote muss als besonders authentisch gelten, da das in diesem Zusammenhang von Gerald angeführte Zitat aus den Remedia Amoris Ovids - Summa petit livor... - in der Tat von Abaelard an diversen Stellen seiner Schriften verwendet worden war, so z.B. in der Historia Calamitatum, im Carmen ad Astralabium und in einem Brief gegen Bernhard von Clairvaux. Zur Anekdote selbst siehe: Geraldus Cambrensis, Itinerarium Cambrense, Buch 1, Kapitel 12; in: Dent, J. M., Gerald von Wales, The Itinerary of Archbishop Baldwin through Wales, 1912

[69] Das heißt Salomon, der Sohn Isaaks.

[70] Das waren die Lehrer, die Rashis Werk fortsetzten. Der Inhalt ihrer Arbeit wurde mit dem hebräischen Wort Tosafot, d. h. Beifügungen, Kommentare, belegt. Die berühmtesten Tosafisten waren: Rabbi Jakob ben Meir, Rabbenu Tam, 1100-1171. Er war Rashis Enkel und lebte in Ramerupt. Er gilt als einer der originellsten Talmud-Interpretatoren. Durch seine Arbeit harmonisierte er die Vorschriften des Talmud mit den rituellen Praktiken, die sich im damaligen Frankreich eingebürgert hatten. Im Jahre 1147 wurde er von Kreuzfahrern persönlich angegriffen und musste nach Troyes fliehen. Er war auch Grammatiker und Poet. Rabbi Samuel ben Meir, 1080-1158, war der Bruder von Rabbenu Tam. Er war Autor eines berühmten Thora-Kommentars und vollendete unkommentiert gebliebene Talmudkommentare seines Großvaters. Rabbi Isaak of Dampierre, Neffe der beiden, war ebenfalls ein bekannter Tosafist. Rabbi Samson Ben Abraham von Sens, spätes 12. und frühes 13. Jahrhundert, war Schüler des letzteren und siedelte nach Jerusalem über. Er kommentierte die zwei Ordnungen des Mishna, für welche der Babylonische Talmud keine Vorschriften enthielt. Rabbi Meir Ben Baruch von Rothenburg, geboren um 1125 in Worms, war jüdischer Zivilrechtler und verstarb 1293 in der Haft Kaiser Rudolphs.

[71] Proselyten waren zum Judentum konvertierte Nicht-Juden.

[72] Siehe auch: Schloessinger, M., in: Jewish Encyclopedia, Band 7, Seite 36ff.

[73] Siehe: Lipman, D., Gates to Jewish Heritage, Online-Dokument.

[74] De disciplina claustrali: „Tanta enim ad magistrum erat reverentia, tanta obedientia, tanta subiectio, tanta ad invicem fraterna dilectio, ut ne spiraculum susurrii per eos transiret.“

[75] De disciplina claustrali: „...Discursus vagos et vanos per plateas et vicos civitatis sanguinum retardat reclusio claustralis.“

[76] Bezüglich der Verwendung von Substanz und Akzidens siehe oben.

[77] Wie sehr sich Peter Abaelard Zeit seines Lebens gegen die antidialektische Gilde gewehrt hatte, zeigt die Art seiner Methodenkritik in seinem Brief 13 und an anderen Stellen. Siehe: Abaelard, Ad quendam dialecticem, in: Smits, E. R., Abelard, Letters IX-XIV, Groningen, 1983, 188ff. Oder: Dialectica, Tractatus IV, in: Rijk, C. M. de, Assen 1970, 469ff. Oder: Invectio in pseudodialecticos, in: Niggli, U., Theologia Summi Boni, Hamburg 1988, Seite 66.

[78] De disciplina claustrali: „Der Jude... strebt nach irdischen Gütern... trachtet nach der Üppigkeit des Landes... sucht seinen Gewinn... häuft Schätze an... liebt die Münze... bebrütet seine Eier...“

[79] Siehe dazu neben einigen Briefen Bernhards von Clairvaux, u. a. Epistel 365 an Erzbischof Heinrich von Mainz, 1146, in S. Bernardi Opera, Leclercq/Rochais, Bd. 8: Epistolae, Rom 1977, S. 320–322. Die Gesta Friderici Otto von Freisings geben die Vorgänge ausführlich wieder: Waitz, Simson, MGH, Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. Imperatoris, Hannover 1912, Reprint 1997, Seite 58ff.

[80] Bericht des Ephraim Ben Jakob, 1132-1200, in: Marcus, J., The Jew in the Medieval World: A Sourcebook, 315-1791, New York: JPS, 1938 , 127ff.

[80a] „…multi philosophorum reliquerunt frequentias urbium et ortulos suburbanos…, ne per luxum et habundantiam copiarum anime fortitudo mollesceret et eius pudicitia stupraretur…“ Siehe HC, a.a.O., Seite 30.

[81] Zum Beispiel bei der Gründung des Kloster La Pommeraie. Siehe hierzu: Robl, W., Heloïsas Herkunft: Hersindis Mater, München, 2002. Abaelard selbst hatte über Heloïsa als Ordensleiterin folgendermaßen geurteilt: „Tantam autem gratiam in oculis omnium illi sorori nostre, que ceteris preerat, Dominus annuit, ut eam episcopi quasi filiam, abbates quasi sororem, laici quasi matrem diligerent; et omnes pariter eius religionem, prudentiam, et in omnibus incomparabilem patiencie mansuetudinem ammirabantur...“ HC, in Hicks, E., a.a.O., Seite 37.

[82] Siehe Urkunde Nr. 65 über den Zehnten von Saint-Aubin: „Paraclitenses decimam laborum suorum Romanae auctoritatis privilegio absolute possidere niterentur.“ Siehe Lalore, Ch., Collection des principeaux cartulaires du diocèse de Troyes, Tome II, Cartulaire de l’abbaye du Paraclet, Paris, 1878, Seite 75.

[83] Die ausführlichste Bulle des Papstes Eugen III. vom 1. November 1147 bestätigte für den Paraklet nur die Hälfte des Zehnten - so, wie von Abt Peter unterstellt: „...Ex dono preterea Atonis, Trecensis episcopi, medietatem omnis decime de Sancto Albino…” Lalore, Cart. du Paraclet, a.a.O., Seite 12. Spätere Papsturkunden bestätigten diesen Besitz in gleichem Wortlaut und identischem Umfang. Abaelard schrieb seinerseits in der Historia Calamitatum, dass seine Schüler für ihn die Äcker bestellten: „...scolares autem ultro mihi quelibet necessaria preparabant, tam in victu scilicet quam in vestitu vel cultura agrorum..." Siehe HC, a.a.O., Seite 31.

[84] Bulle des Papstes Innozenz II. vom 23. November 1131: „ut quascunque possessiones, quecunque bona impresentiarum juste et legitime possidetis... firma vobis in perpetuum et illibata permaneant... Sane laborum vestrorum decimas quas propriis excolitis sumptibus seu animalium vestrorum absque contradictione aliqua vobis concedimus possidendas...“ Siehe Lalore, Cart. du Paraclet, a.a.O., Seite 2.

[85] „...ipsum oratorium cum omnibus ei pertinentibus concessi et donavi; ipsam postmodum donationem nostram assensu atque interventu episcopi terre Innocentius secundus ipsis et earum sequacibus per privilegium in perpetuum corroboravit...“ Siehe HC, in Hicks, E., a.a.O., Seite 37.

[86] Siehe Brief Bernhards von Clairvaux, in: Winkler, G. (ed), Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Innsbruck, 1992, Seite 420f. Dass es sich um ein diskretes Schreiben handelte, erkennt man daran, dass Bernhard nicht alle Inhalte der Gesuche ausformulierte; dies sollte dem Überbringer eines weiteren Gesuchs, einem gewissen Meister Garner, vorbehalten bleiben. Der in diesem Schreiben ebenfalls erwähnte Heinrich entsprach Peters von Celle Freund: Heinrich, Erzbischof von Reims, der damals noch Bischof von Beauvais war. Siehe oben.

[87] Siehe Lalore, Cart. Du Paraclet, a.a.O.

[88] Die entsprechenden Maße sind bis zur französischen Revolution im Wägeort Nogent-sur-Seine in Gebrauch gewesen. Die decima grossa oder minuta berechnete sich nach dem „groben“ oder nach dem „verringerten Maß“, d. h. entweder nach dem rohen Erntegut oder nach dem von Spelzen und Schalen befreiten Getreide. Aus der Uneinigkeit, welches Maß jeweils zur Anwendung kommen musste, entstand oft ein Zehntstreit. Doch die kluge Heloïsa hatte hier durch eine entsprechende Doppelregelung Vorsorge getroffen.

[89] Mark. 4, 24.

[90] Matthäus 3, 12.

[91] „...et jus quod habetis in decima Sancti Albini...“ Urkunde des Papstes Anastasius vom 10. Dez. 1153, in: Lalore, Cart. Montier-la-Celle, a.a.O., Seite 209. Warum trotz des Vertrags mit Heloïsa die gleichlautende Formulierung in der Bestätigungsurkunde Alexanders III. vom 21. Jan. 1164 wieder auftauchte, bleibt unklar. Wahrscheinlich war die erstere Urkunde ohne Prüfung einfach abgeschrieben worden. Siehe Lalore, a.a.O., Seite 219. Frühere Urkunden des Klosters Montier-la-Celle gaben die entsprechenden Zehntrechte nicht wieder.

[92] „...voluit domnus abbas Petrus contentionem compescere et predictam controversiam ad finem pacis perducere...“ Lalore, Cart. du Paraclet, a.a.O., Seite 75.

[93] „Testes sunt... Engenoldus frater abbatis...“ A.a.O., Seite 76.

[93a] Siehe Haseldine, J., The letters of Peter of Celle, Oxford 2001, Brief Nr. 25, Seite 80f. Eine Untersuchung, deutsche Übersetzung und Online-Publikation des Briefes durch den Autor dieses Aufsatzes ist in Vorbereitung.

[94] Vertreibung der Juden aus Paris durch Philipp August, Bericht des Mönchs Rigord in den Gesta Philippi Augusti. Siehe: Recueil des Historiens des Gaules et de la Françe, Band 17, Paris, 1878, 1-62. Auch in: Jacob Marcus, The Jew in the Medieval World: A Sourcebook, 315-1791, New York, 1938, 24-27.

[95] De disciplina claustrali : „Manus enim vacillans rectas lineas non servat.“

[96] „Senuisse jam mundum conspicimus, hominesque ipsos cum ceteris que mundi sunt pristinum nature vigorem amisisse, et juxta illud Veritatis, ipsam karitatem non tam multorum quam fere omnium refriguisse...“ Heloïsa an Abaelard, Brief 3, in: Hicks, a.a.O., Seite 96.

 


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