Die letzte Krankheit des Peter Abaelard

© Werner Robl, Neustadt, April 2001

Für einen klinisch tätigen Mediziner führt die Beschäftigung mit dem Leben und Werk des französischen Philosophen Peter Abaelard, 1079-1142, mitunter zu überraschenden Einsichten, so manchen medizinischen Sachverhalt betreffend. Mehr noch: Die Biographie des frühmittelalterlichen Philosophen bietet sich geradezu dazu an, über die medizinische Versorgung im Frankreich des 12. Jahrhunderts im Allgemeinen und über den Einfluss einiger Erkrankungen auf die Lebensgeschichte des Philosophen im Besonderen zu reflektieren. Sicher ist, dass einige Krankheiten die Lebensbahn Abaelards ganz entscheidend beeinflusst haben. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich überwiegend mit der entscheidenden, letzten, zum Tode führenden Krankheit desselben, jedoch seien auch einige Ausblicke auf die anderen referierten Krankheiten erlaubt. Über diese berichtete er in erster Linie selbst, vor allem in seiner Autobiographie, der Historia Calamitatum, die uns heute in verschiedenen Editionen und Übersetzungen vorliegt. [1] Welche Diagnosen, Erkrankungen und gesundheitsrelevanten Probleme lassen sich der Lebensgeschichte Peter Abaelards entnehmen? Exemplarisch seien hier einige genannt:

 

Die Vorerkrankungen
Jugendkrankheit:  

Schon als junger Mann - kurz nach 1105, als er nur wenig über 25 Jahre alt war - musste Peter Abaelard nach ersten wissenschaftlichen Erfolgen in Paris, Melun und Corbeil plötzlich repatriieren, durch eine plötzliche Erkrankung, die er selbst auf Überarbeitung zurückführte, dazu gezwungen: "Beeinträchtigt durch mein unmäßiges Studium, wurde ich plötzlich schwer krank und musste in meine Heimat zurückkehren..." [2] Es folgte ein mehrjähriger Aufenthalt in der Heimat - im maritimen Klima der Haute-Bretagne, vermutlich im Heimatort Le Pallet am mütterlichen Herd. Wir wissen nicht, welcher Art diese Erkrankung war, die den Ortswechsel nötig gemacht hatte. Allerdings deutet die Tatsache, dass mit dem Orts- und Klimawechsel die Hoffnung auf Genesung verbunden war, auf eine Erkrankung der Respirationsorgane hin.

Kastration:  

Folterszene, Miniatur aus dem Decamerone von Boccacio, Paris BN Ms fr. 226, fol. 259Das im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendste Ereignis im Leben des Philosophen war seine gewaltsame Kastration durch Mitglieder der Familie Fulberts. Die Schnittverletzung, die zum Verlust der Testikeln und der Zeugungsfähigkeit [3] führte, hinterließ zwar bei Abaelard ein erhebliches psychisches Trauma, welches erst nach Jahren qualvoller Selbstvorwürfe einigermaßen sublimiert und aufgelöst wurde, stellte per se jedoch nur eine relativ geringfügige Verletzung dar. Den Vorgang der Kastration, die in der bäuerlich geprägten Gesellschaft des Frühmittelalters an Haus- und Nutztieren häufig praktiziert wurde, hat man sich folgendermaßen vorzustellen: Während mindestens zwei Helfer den Körper des sich wehrenden Opfers niederdrückten und festhielten, umschnürte ein weiterer mit einer dünnen und scharf schneidenden Darmsaite oder einem dünnen, reißfesten Zwirn den Hodensack des Betroffenen unter kompletter Drosselung der Blutversorgung ab und durchtrennte anschließend das Organ distal der Ligatur mit einem schnellen Messerschlag. Dabei wurden die Samenleiter - ductus deferentes - und die zu- und abführenden Blutgefässe und Nerven durchtrennt. Wegen der Ringligatur war die offene Wundfläche nur relativ gering. Der Vorgang dauerte nur einige Sekunden und dürfte wegen der durch das Abschnüren eingetretenen Anästhesie nur wenig schmerzhaft gewesen sein. Wegen der Ligatur kam es auch zu keinem nennenswerten Blutverlust. Falls die Wunde per primam intentionem, d.h. steril und ohne Wundinfektion, abheilte, fiel nach einigen Tagen die Ligatur von selbst ab, und es entstand eine trichterförmige, insgesamt nur wenig entstellende Narbe. Der Penis einschließlich der darin liegenden Harnröhre wurde bei dem Eingriff weitgehend verschont, so dass auch künftig die Harnkontinenz und eine ungestörte Miktion gewährleistet waren. Die notwendige Mindestzahl von drei Helfern - zwei haltende und ein schneidender - wird übrigens in einem anonymen Gedicht aus dem Kloster Fleury an der Loire, welches von einem Zeitgenossen Abaelards stammt und sich mit dem Schicksal des Philosophen beschäftigte, ausdrücklich bestätigt: "Drei Schurken haben sich verabredet: Stürzen wir auf den einen, packen wir ihn und schnüren wir ihn mit dem dreifach gekordelten Strick..." [4] Abaelard selbst hat bestätigt, dass ihm nach dem Attentat weniger das Ausmaß der körperlichen Verwundung als die Scham darüber schwer zu schaffen gemacht habe: "Ich litt mehr am Mitleid als an der Wunde, fühlte mehr die Scham als meine Versehrtheit, war mehr bedrückt von der Schande als vom Schmerz..." [5] Selbst die Kastration von Menschen war zur damaligen Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches. Offensichtlich kam es mitunter nach dem Vorbild von frommen Männern wie Origenes [6] zur Selbstkastration von religiösen Fanatikern. Das kanonische Recht enthielt genaue Regeln, wie mit solchen Personen zu verfahren sei. [7] Die Kastration war auch fester Bestandteil der Sippenrache: Wenn ein Mädchen unehrenhaft entjungfert oder geschwängert worden war, drohte dem Delinquenten seitens der Familie des Mädchens eine entsprechende Strafe nach dem Talionsrecht. [8] Eine derartige Selbstjustiz war in der Krondomäne allerdings weder durch das kanonische, noch durch das weltliche Recht abgedeckt. [9] Deshalb drohte den Tätern in einem solchen Fall eine nicht minder schwere Strafe. Im oben genannten Gedicht aus dem Kloster Fleury ist - als einziger Quelle - auch die Rede davon, dass in Abaelards Heimat Graf Matthias von Nantes, der Sohn Hoëls, des Herzogs der Bretagne, und der jüngere Bruder des Nachfolgers Alain Fergent, vor seinem gewaltsamen Tode um 1103/1104 kastriert worden war. [10] Im Falle Abaelards wurden zwei der gefassten Täter - einer davon sein verräterischer Diener - geblendet und ebenfalls kastriert. [11] Der dritte konnte entwischen.

Depressives Syndrom:  

Luxemburger Stundenbuch, 15. Jhd., fol. 142r, Russische Nationalbibliothek, St. PetersburgDie anhaltend depressive Verstimmung, die der Kastration folgte, mag nur zum Teil hormonelle Ursachen gehabt haben. Zum größeren Teil lag ihr das seelische Trauma zugrunde, an welchem der Philosoph nicht nur unmittelbar nach dem Ereignis selbst, sondern auch noch nach Jahren litt, und welches durch weitere Rückschläge - z. B. durch die Verurteilung auf dem Konzil von Soissons - noch verstärkt wurde. Dieses depressive Syndrom, welches durch zahlreiche Textstellen untermauert werden kann, musste sich umso schlimmer auswirken, als Abaelard zuvor - wegen häufiger Selbstüberschätzung und einer möglicherweise etwas abnormen Persönlichkeitsstruktur [12] - kaum Konfliktfähigkeit und Problemlösungsstrategien entwickelt hatte. Ein Psychiater würde ihn heute ungefähr mit folgenden Diagnosen versehen: "Reaktiv-depressives Syndrom mit vorherrschender Schuldsymptomatik und konsekutiver Neigung zur Panikreaktion, vornehmlich basierend auf einem somatischen Trauma (Genitaldeprivation) und einer latent-histrionischen Persönlichkeitsstruktur." Therapeutisch käme eine kognitive Verhaltenstherapie, unterstützt von stimmungsaufhellender Pharmakotherapie und Hormonsubstitution, in Frage. Für Abaelard lag jedoch zunächst die einzige Hilfe in der Selbsthilfe - in einem Rückzug aus der Welt und einer verstärkten Hinwendung zur Religion, in der Sublimation der Schuldgefühle durch Definition von neuen und höherwertigen Lebenszielen, in einem selbst gewählten Milieuwechsel, in der Identifizierung und Akzeptanz vermeintlicher Strafgründe, in der Abfassung einer Rechtfertigungsschrift, in einem auf eine höhere Ebene verlagerten, fortgesetzten Dialog mit der einstigen Geliebten, die sich in der Rolle der Äbtissin als eine ausgezeichnete Psychagogin erweisen wird, schließlich in der verstärkten Aktivierung vorbestehender Fähigkeiten und persönlicher Vorlieben, nämlich der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, der Dichtkunst und der Musik. Es gilt zu erkennen, dass Peter Abaelards Lebensbahn immer wieder von anfallsartiger Panik unterbrochen wurde, so zum Beispiel, als er sich plötzlich im Paraklet verfolgt fühlte und überstürzt in die Bretagne flüchtete, aber auch schon vorher, als er Saint-Denis fluchtartig verließ, oder später, als er in einer gleichartigen Überreaktion aus Saint-Gildas flüchtete. Abaelard litt des Öfteren unter erheblichen Angstgefühlen und Verfolgungszuständen, und er scheute sich nicht, dies in seiner Historia Calamitatum auch zu verbalisieren. Zu Verdeutlichung genügt es, eines der zahlreichen Beispiele anzuführen. Abaelard beschrieb seine Endzeit im Paraklet so: "Sooft ich vernahm, dass eine Versammlung von Kirchenmännern zusammentrete, fürchtete ich schon, es geschehe zu meiner Verurteilung. Schreckensstarr wie vor dem Schlag eines herabfahrenden Blitzes wartete ich darauf, dass ich als Ketzer oder Heide vor ihre Versammlungen und Schulen geschleppt würde... Unausgesetzt wurde ich von solchen Seelenängsten gequält..." [13] Allerdings lag bei diesen seelischen Krisensituationen meistens eine konkrete Bedrohung vor: In Soissons war Abaelard z. B. durch Steinigung bedroht, in Sens fürchtete er wie sein Gegenspieler Bernhard von Clairvaux einen Volksaufstand, im Paraklet drohte ihm zusätzlich zum geschilderten Rufmord auch die Verwicklung in die Krieg, der die Champagne überzog, und in Saint-Gildas und Nantes musste er - vielleicht nach Zerwürfnissen mit dem Grafenhaus der Bretagne - mit Recht um Leib und Leben fürchten. Dennoch gewinnt man den Eindruck, Abaelard hätte bei seinen Reaktionen durchaus Alternativen gehabt und mit Besonnenheit weit mehr erreicht als nur eine fortgesetzte Serie von persönlichen Katastrophen. Unübersehbar sah sich Abaelard in der Konsequenz seiner Ängste nahezu immer zu einer ad-hoc-Lösung seiner Probleme außerstande. Vielleicht haben sich die reellen Bedrohungen in ihm manchmal aufgrund seiner seelisch-geistigen Disposition zu gleichsam apokalyptischen Szenarien gesteigert. Doch selbst wenn Abaelard seine Angst wahnhaft, im Sinne eines Verfolgungswahns, ausgestaltet haben sollte, so litt er doch keinesfalls an einer ernsthaften Geistesstörung.

Halswirbelsäulendistorsion:  

Reitunfall, Malerei einer Florentiner Kiste, 15. Jhd.In seiner Historia Calamitatum berichtete Abaelard außerdem von einem Reitunfall, der sich vor 1133 - während seines Abbaziates in Saint-Gildas - zugetragen haben dürfte. Ein plötzlicher Abwurf habe ihm eine ziemlich schmerzhafte Verletzung beigebracht, gefolgt von einer langwierigen und wahrscheinlich unvollständigen Genesung: "Während ich also in diesen Gefahren schwebte, warf mich eines Tages mein Reittier ab und die Hand des Herrn schlug mich schwer, denn ich brach mir einen Halswirbel. Diese Fraktur setzte mir weitaus mehr zu als meine vorherige Verwundung..." [14] Die medizinischen Angaben, die hier Abaelard macht, sind recht präzise. Das gleichermaßen wörtlich und bildlich zu verstehende Bibelzitat - manus Domini me vehementer collisit - schildert einen heftigen Aufprall. Es steht zu vermuten, dass Abaelard nach seinem Sturz von einem erfahrenen chirurgicus oder einem in der Traumatologie versierten Barbier oder Mönch versorgt wurde, welcher im Stande war, eine Fraktur mit einiger Sicherheit zu diagnostizieren. Die Rede ist von der Fraktur einer kanalikulären Struktur des Halses - colli videlicet mei canalem confringens. Canalis colli beschreibt recht eindeutig einen Halswirbel. [15] Trotzdem mag sich der diagnostizierende Mediziner - oder Abaelard selbst - im vorliegenden Fall etwas geirrt haben. Die sicheren Frakturzeichen, die auch schon zur damaligen Zeit bestens bekannt waren, waren: 1. die abnorme anatomische Stellung des gebrochenen Knochens - dislocatio - , 2. die Krepitation - crepitatio -, d.h. das hör- und fühlbare Knirschen der Frakturenden, 3. die abnorme Beweglichkeit der Gliedmaße - motilitas abnormalis. Diese Zeichen sind jedoch an der Halswirbelsäule nicht sehr verlässlich: Da diese eine sehr flexible anatomische Struktur darstellt, konnte im Falle einer Verletzung die abnorme Beweglichkeit nur eingeschränkt beurteilt und verwertet werden. Die beiden anderen Frakturzeichen konnten ebenfalls nur vorgetäuscht sein, denn sie fanden sich auch bei Wirbelgelenksarthrose und Wirbelkörperluxation oder -subluxation. Die Komplettfraktur eines Halswirbels mit Dislokation hätte sowieso mit hoher Wahrscheinlichkeit einen hohen Halsmarksquerschnitt und in Folge den sofortigen Tod nach sich gezogen. Deshalb steht zu vermuten, dass es sich bei Abaelards Verletzung weniger um eine Wirbelfraktur, als um eine äußerst schmerzhafte Halswirbelsäulendistorsion - eventuell mit Subluxation oder Luxation eines Halswirbelgelenkes - gehandelt hat. Dieses weitaus häufigere Trauma hätte zumindest dieselben Symptome verursacht, die Abaelard schilderte. Es wird heute in der englischen Terminologie auch als whiplash injury - Peitschenschlagverletzung - bezeichnet und stellt das häufigste Trauma bei einem Aufprallunfall dar. Die Verletzung zieht häufig ein wochen- bis monatelang, manchmal sogar eine jahrelang anhaltendes Schmerzsyndrom nach sich. Abaelard selbst sprach davon, dass er an dieser Verletzung mehr und länger laboriert hatte als an der früheren Kastration.

Sexuelle Perversion:  

Am Schluss sei vielleicht der Hinweis erlaubt, dass sich in Abaelards Leidensgeschichte sogar Hinweise für eine gewisse sexuelle Perversion des Philosophen finden: Während seines heftig ausgelebten Liebesabenteuers mit Heloïsa zeigte er - und eventuell auch Heloïsa - sadomasochistische Neigungen. An entsprechender Stelle in der Historia Calamitatum ist die Rede von körperlichen Züchtigungen, die die Liebeslust wohl steigern sollten. [16] Der Verdacht wird durch eine andere Textstelle untermauert: Abaelard schilderte in einem seiner Briefe an Heloïsa deutlich, dass er sich nicht gescheut habe, mitunter in das Mädchen rücksichtslos - unter Androhung oder Anwendung von Gewalt - eingedrungen zu sein: "Auch wenn du nicht wolltest und dich wehrtest oder nach Ausflüchten suchtest, habe ich des Öfteren, obwohl du von Natur aus die Schwächere warst, dich mit Drohungen oder Schlägen willfährig gemacht. So geil und gierig war ich nach dir..." [17] Es bleibt dem Leser überlassen, ob er dieses Verhalten lediglich als Variante zur Steigerung der sexuellen Lust oder bereits als krankhafte Perversion einschätzen möchte. Auch wenn Heloïsa erwiesenermaßen Abaelard diese Verfehlungen nie vorwarf und ihrerseits ihre sexuellen Fantasien, die sich sogar während der Heiligen Messe einstellten, bekannte, [18] so mag sie dennoch zeitweise unter Abaelards Lüsternheit und Aggressivität gelitten haben.

 

Die gesundheitliche Verschlechterung

In seinem letzten Lebensabschnitt - nach der Verurteilung durch das Konzil von Sens - hatte Peter Abaelard all diese Krankheiten und Belastungen weit hinter sich gebracht. Er näherte sich nun rasch dem Ende seines Lebens - zu diesem Zeitpunkt bereits ein greiser, von körperlichem Verfall gezeichneter Mann. Kluniazenserabt Petrus Venerabilis, der für den gescheiterten Philosophen eintrat, machte in einem Bittschreiben an Papst Innozenz II., in dem er um Asyl für den gealterten und geschwächten Abaelard in Cluny nachsuchte, eindeutige Angaben: "Wir hielten es für angemessen, in Anbetracht seines Alters und seiner Gebrechlichkeit..." So schrieb der Abt an den Papst. [19] Und: "Ich bitte euch also,... dass ihr ihm gestattet, die restlichen Tage seines Lebens und seines Alters, derer vielleicht nicht mehr viele sind, in eurem Cluny zu verbringen." [20] Dass sich das Auge des Abtes nicht getäuscht hatte, und sich seine Prognose eines baldigen Ablebens Abaelards als richtig erwies, zeigt dessen Biographie. Er starb nur wenig später - vermutlich in seinem 63. oder 64. Lebensjahr. Bis zuletzt hatte sich Peter, der Ehrwürdige, um ihn gekümmert. Woher bezog der mächtige Kluniazenserabt seine medizinischen Kenntnisse bzw. seinen diagnostischen Scharfblick?

Vor Beantwortung dieser Frage ist es sinnvoll, die Entwicklung der Medizin, wie sie sich bis zur ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts darstellte, in groben Zügen nachzuzeichnen: [21]

 

Exkurs: Die europäische Medizin des Frühmittelalters

Avicenna, provencalische Miniatur aus dem 14. Jhd. Der Zusammenbruch des Römischen Reiches und die Wirren der Völkerwanderungszeit hatten nicht zu einem derartigen Bruch der medizinischen Lehre in Zentraleuropa geführt, wie früher angenommen. Schon zur Merowinger- und Karolingerzeit hatte die Franken, die die zentraleuropäische Hegemonie ausübten, einen gewissen medizinischen Unterbau entwickelt, der vornehmlich von den Erkenntnissen der Klostermedizin und der Volksmedizin gespeist wurde. Dass die Errungenschaften der antiken Medizin - vor allem die hippokratische und die Galen'sche Lehre - nach der Auflösung des fränkischen Reichsverbandes in Mitteleuropa einfließen konnten, ist in erster Linie den Arabern zu verdanken. Arabische Ärzte schufen im 9. Jahrhundert eine Reihe von Übersetzungen dieser gräkorömischen Medizinschulen. Diese Übersetzungstätigkeit setzte sich noch im 10. und 11. Jahrhundert fort. Von den herausragenden Ärzten, die sich um den Erhalt dieser Tradition verdient gemacht hatten, seien nur einige exemplarisch genannt: Yuhanna Ibn Masawajhy, Leibarzt von 6 aufeinanderfolgenden Kalifen, Qusta Ibn Luqa, Hohein Ibn Ishak, AliIbn Rabban at Tabari, und vor allem Rhazes, Leiter des Hospitals von Bagdad (um 865 - 925), der zahlreiche medizinische Standardwerke verfasste. Mit der Entwicklung der Omaijadenkultur auf europäischem Boden - in Südspanien, mit Zentrum Cordoba - wurde diese Lehre systematisch und für damalige Verhältnisse sehr professionell erweitert und überarbeitet. Die Bibliothek von Cordoba soll im 9. Jhd. um die 400 000 Bände umfasst haben. Der bedeutendste Mediziner Cordobas war Albukassis (Abul Kassim Khalaf Ibn Abbas al Zahrawi), auch unter dem Namen Alsahavarius bekannt (936 - 1039). Allein sein chirurgisches Standardwerk umfasste mehr als dreißig Bände. Nur wenig später wurde am anderen Ende der arabischen Welt, in Buchara, der Arzt Avicenna (Abu Ali al Hussein Ibn Abdillah Ibn Sina) geboren (um 980). Dieser Universalgelehrte sollte mit der Veröffentlichung von 156 medizinischen Werken zum berühmtesten Arzt des arabischen Kulturkreises avancieren. Die antike Säftelehre entwickelte er weiter und führte sie zur vorläufigen Perfektion.

Kreuzgang von Salerno Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts drangen die Errungenschaften dieser orientalischen Medizinschulen erstmals auch nach Zentraleuropa ein, und zwar vornehmlich bedingt durch zwei weltpolitische Ereignisse: Nach 1095, als Papst Urban II. in Zentral- und Südfrankreich zum ersten Kreuzzug aufgerufen hatte, kam es erstmals seit der Völkerwanderung wieder zu einer nennenswerten Verschiebung von Menschenmassen in den vorderen Orient, was auch einen intensiven Kulturaustausch zur Folge hatte. Schon früher - etwa seit 1040 - war in Süditalien durch die Landnahme der Normannen, die ihre Kontakte mit ihrem Mutterland, der Normandie, zu keinem Zeitpunkt unterbrochen hatten, ein erster Kontakt mit dem angrenzenden arabischen Kulturkreis hergestellt worden. Da es die Normannen wiederum gut verstanden, sich die nunmehr einfließenden Erkenntnisse aus dem fremden Kulturraum zu Nutze zu machen und mit dem tradierten Wissen der Mönchskultur, deren geistiges Zentrum der Montecassino war, zu verschmelzen, entstand nach relativ kurzer Zeit in Salerno eine blühende medizinische Fakultät - mit systematischer Lehre und einer Reihe von berühmten Ärzten. Die gegenseitige Befruchtung der mönchischen und der arabischen Medizin brachte so eklatante Fortschritte, dass die Schule von Salerno alsbald in ganz Europa einen ausgezeichneten Ruf genoss. Viele Gelehrte und Studenten aus dem gesamten Mittelmeerraum strömten dorthin. Die heraus ragendsten Mediziner waren ein gewisser Alfano (1068-1083), der damals Abt Desiderius vom Montecassino, den nachmaligen Papst Victor II., behandelte, und vor ihm bereits Constantinus Africanus - um 1015 in Karthago geboren -, der die salernische Medizinlehre um mesopotamische Wissensinhalte ergänzte und das gesamte Lehrgebäude der früheren salernischen Schule erneuerte. [22] Nicht minder berühmt ist eine weibliche Medizinerin namens Trotula, die im 11. Jahrhundert lebte und aus einer Medizinerdynastie stammte. Sie gab ein Werk über die Hautpflege und Frauenerkrankungen heraus. Johannes Aflicius Saracenus hieß ein weiterer Salernitaner, der verschiedene medizinische Werke publizierte. Nur wenig später - und ebenfalls aus einer früheren Tradition heraus - formierte sich auch im Süden Frankreichs in Montpellier eine medizinische Schule von Weltruf, welche schon nach kurzem dem Rang von Salerno nur wenig nachstehen sollte.

 

Petrus Venerabilis und der medizinische Fortschritt

Der Abt von Cluny, Petrus Venerabilis, war einer der fortschrittsorientierten Männer, die dafür sorgten, dass die traditionelle europäische Mönchsmedizin, die vornehmlich auf der Erfüllung der christlichen caritas ihr Lehrgebäude errichtet hatte, häufig jedoch auch von Aberglauben und nahezu Schamanismus gekennzeichnet war, in Folge nun eine äußerst fruchtbringende Symbiose mit den neueren Erkenntnissen der Schulen von Salerno und Montpellier einging. Es ist nachgewiesen, dass der kluge Kluniazenserabt, dem im übrigen auch die medizinische Entwicklung in Südspanien [23] nicht verborgen geblieben war, Verbindungen zu Montpellier und Salerno pflegte. Seine Kontakte mit Montpellier sind zum Beispiel durch einen Brief an einen dort lebenden Rechtsgelehrten belegt. [24] Zur eigenen medizinischen Beratung rief er einen Arzt namens Bartholomäus nach Cluny und gab ihm nach dessen Rückkehr in seine Heimatstadt einen seiner Mönche - einen gewissen Bernhard - zur ärztlichen Ausbildung mit. [25] Dieser Arzt, der offensichtlich einen ausgezeichneten Ruf genoss, stammte wahrscheinlich aus Salerno. Dies ist allerdings mitunter von der Fachwissenschaft bestritten worden, jedoch mit widerlegbaren Argumenten. Der Widerspruch begründete sich darauf, dass der besagte Kluniazensermönch Bernhard vom Wirkungsort seines Ausbilders bis nach Cluny und zurück circa vier Wochen brauchte. Man hielt dies - bezogen auf die Distanz Salerno-Cluny - für unmöglich. [26] Diese Skepsis bezog sich jedoch auf einen Reiseweg durch Italien und über den Apennin und die Südwestalpen. Doch dies muss durchaus nicht so gewesen sein. Falls Bernhard einen Mittelmeersegler von Salerno nach Marseille benutzt hatte, so konnte er die Seestrecke von ca. 900 km bei günstigem Wind und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 5 Knoten in spätestens 6-8 Tagen bewältigt haben. Der weitere Ritt nach Cluny durch das Rhonetal dürfte ebenfalls nicht länger als ca. 6-8 Tage gedauert haben. Die Rückkehr nach Salerno konnte sogar noch schneller bewältigt werden, wenn rhoneabwärts ein Flusskahn benutzt wurde. Im übrigen ist der Name des Arztes, Bartholomäus, sehr eng mit Salerno verbunden, ja nahezu exklusiv für diese Stadt. Dies rührt daher, dass die Reliquien des Apostels Bartholomäus nach seinem Märtyrertod zuerst auf die Liparischen Inseln, um 840 dann nach Salerno gekommen waren. Seitdem trugen viele Salernitaner den Namen des Apostels. Außerdem konnte der Nachweis erbracht werden, dass dieser Arzt in seinen medizinischen Ratschlägen für Petrus Venerabilis [27] nahezu wörtlich aus dem Regelwerk des Salernitaners Constantinus Africanus - aus dem Werk de gradibus simplicium - zitierte. [28]

 

Die medizinische Kompetenz des Petrus Venerabilis

Untersuchung eines Lungenkranken, Illustration aus der Anathomia von Guy de Vigeganot, 1345. Petrus Venerabilis war sehr um die eigene Gesundheit besorgt. Diesen Eindruck geben viele seiner persönlichen Schreiben wieder. Nach einer Malaria, die er sich im Jahre 1126 in Rom zugezogen hatte, [29] war er sichtlich stigmatisiert. Er hatte sich im Anschluss daran zu einem mehrmonatigen Kuraufenthalt in seine Heimat zurückgezogen, in den Konvent von Sauxillanges am Rande der Cevennen. Wie bereits in einem ähnlich gelagerten Fall bei Peter Abaelard zu erfahren war, sah man offensichtlich in dieser Art der klimatischen Heilbehandlung und in einer Pflege in der Nähe der Angehörigen die allergrößte Genesungschance. Aber auch bei ungünstigem Verlauf war wenigstens ein humanes Sterben im Kreise der Familie möglich. Im Jahre 1135 erkrankte Petrus Venerabilis erneut, diesmal in Pisa. Von diesem Zeitpunkt an betrachtete er das italienische Klima und Essen als unverträglich. [30] Des Öfteren sprach er von seinen vielfältigen körperlichen Beschwerden - multiplex incommodum corporis - oder seiner Gebrechlichkeit - fragilitas corporis. [31] In seinem Briefwechsel mit dem Arzt Bartholomäus schilderte Petrus Venerabilis etwas näher seine chronischen Erkrankungen. Seine Selbstdiagnosen wurden ihm von diesem Arzt im Rückschreiben bestätigt. Sie spiegeln einen außerordentlichen medizinischen Sachverstand und eine penible persönliche Gesundheitsvorsorge wider. Der Abt berichtete von seiner chronischen Bronchitis, die er catarrus nennt, und davon, dass sie ihn daran gehindert habe, den in zweimonatigen Abständen vorgeschriebenen Aderlass durchführen zu lassen. Er sei heiser geworden und habe befürchtet, seine Stimme anhaltend zu verlieren. Außerdem habe er an drückenden Brustschmerzen - pectus premere - und an einem schweren Magen - stomachum aggravare - gelitten. Die Anwendung verschiedener Heilkräuter habe keinen Effekt erzielt. Petrus Venerabilis hatte ein hohe Meinung von seinem Konsiliarius: Er finde keinen gleichrangigen Mediziner in Gallien, meinte er. [32] Die angenommene Polyglobulie - superabundantia sanguinis - dementierte Bartholomäus in seiner Antwort. Ein häufiger Aderlass sei nicht nötig, denn es handle sich vielmehr um eine superabundantia phlegmatis, einen Überfluss des Schleims. Davon habe er sich bei seiner letzten Visite persönlich überzeugt. Der Abt solle die Schläfen brennen und dabei keine Angst vor einem Sehverlust haben. Als Medikament, das - verschieden angewandt - sowohl den Überschuss als auch den Mangel an Säften, in Petrus' Fall den Auswurf und den Schnupfen, heile, empfahl er die Myrrhe. Außerdem solle Petrus Bäder, Wärme, Wickel und Inhalationen anwenden, Sublingualtabletten - pillulis sub lingua - , Gurgelmittel und Balsam einnehmen. [33] Die meisten seiner Therapieempfehlungen können selbst heute noch als fundiert und wirksam gelten.

 

Das Behandlungszentrum Cluny

Rekonstruktion Cluny, Infirmarium rot unterlegt, nach den Ergebnissen der Ausgrabung von K. Conant.In Cluny, dessen Konvent gerade zur Zeit des Petrus Venerabilis seine größte Ausdehnung und Machtfülle erfuhr, [34] lebten mehr als 400, nach einigen Quellen sogar 460 Mönche. [35] Für sie ließ der medizinisch versierte Kluniazenserabt das größte infirmarium - Krankenanstalt - seiner Zeit errichten. Dies geschah im Rahmen einer umfassenden Klosterreform, deren sinnhafte Regelungen, die sämtlich auf Petrus Venerabilis zurückgehen, auch heute noch beeindrucken. [36] Die Ausgrabungen Conants nach dem zweiten Weltkrieg haben die gewaltigen Ausmaße der Anlage an den Tag gelegt. Nach heutigen Maßstäben würde sie einer Großklinik entsprechen. Allein fünf verschiedene Abteilungen soll das Infirmarium unter seinem Dach vereint haben. Entsprechend den christlichen Maximen lag das Hospiz der Sterbenden inmitten der Anlage. [37] Dies mag allerdings seuchenhygienische Probleme nach sich gezogen haben, wie im folgenden noch aufzuzeigen sein wird. Zur Schonung der Kranken erließ der Abt ein strenges Schweigegebot. Außerdem setzte er der Unsitte ein Ende, dass Mönche aus betuchtem Hause ihre eigenen Diener und Nahrungsmittel mitbringen durften. [38] Die Kranken befreite er von unnötigen Störungen, zu Beispiel, indem er verbot, dass dort laut zur Messe gerufen wurde. [39] Zur Hebung des hygienischen Standards wurden auch Krankenwaschungen durchgeführt. [40] Dysenterie-Kranke mussten die vorgesehenen Latrinen aufsuchen, was manchmal Schwierigkeiten bereitete. [41] Wenn Petrus in Cluny weilte, visitierte er regelmäßig die Kranken persönlich [42] und führte Aufsicht über die Pfleger und Ärzte aus den Reihen der Mönche. Alsbald umgab ihn der Ruf besonderer Heilungskraft. Wenngleich die folgenden Beispiele aus der hagiographisch gefärbten vita das Abtes etwas überhöht erscheinen, so enthalten sie doch einen wahren Kern: So wird dem Abt die Heilung eines an der Malaria erkrankten Schülers nachgesagt. [43] Unglaublich klingt zunächst auch die Anekdote der Extraktion einer "Schlange" aus dem Munde eines erkrankten Mitbruders: "Der Elende öffnete den Mund und würgte den Kopf einer Schlange heraus. Diese packte der Abt und warf sie auf den Boden - zum Staunen aller. Der Mann wäre fast daran erstickt... Nach einer feierlichen Messe trat der Abt zu dem Kranken, nahm sein Glaubensbekenntnis entgegen, spendete ihm die Heilige Kommunion und entließ ihn anschließend unversehrt nach Hause..." [44] Das "Wunder" lässt sich medizinisch erklären: Vermutlich litt der arme Mönch an einer Band- oder Spulwurmerkrankung. In der Tat ist es möglich, durch Hochwürgen und Erbrechen eines Wurmkonvolutes - Bandwürmer erlangten eine Länge von mehreren Metern, Spulwürmer eine Länge von ca. 10-20 cm - von der Erkrankung geheilt zu werden. Ein solcher Wurm - als Schlange verkannt - konnte durchaus von dem informierten und couragierten Abt aktiv herausgezogen worden sein. Ob allerdings eine liturgische Feier den letztendlichen Heilungseffekt bewirkte, darf dahingestellt bleiben.

 

Die Seuchen von Cluny

Diese Beispiele zeigen, welch hohe medizinische Kompetenz einem Petrus Venerabilis zukam, als er den gesundheitlichen Zustand des alternden Abaelard beurteilte und sich um seine weitere medizinische Versorgung kümmerte - von seiner seelsorgerischen Leistung, die bereits an anderer Stelle beschrieben wurde, [45] ganz zu schweigen. Eigentümlicherweise ließ Abt Peter den greisen Philosophen, als sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechterte, nicht in das neu erbaute Infirmarium Clunys einweisen, sondern er schickte ihn vielmehr in ein Priorat des Ordens, welches in 42 km Luftlinie nördlich von Cluny bei Chalon-sur-Saône lag, wo er wenig später verstarb. Worin mögen die Gründe für diese Entscheidung gelegen haben?

Die einfachste und plausibelste Erklärung liegt darin, dass der Kluniazenserabt eben keine Heilungschance für Abaelard in Cluny sah. Dies lag sowohl an den Zuständen im Kloster selbst, als auch an der Art der Erkrankung, deren Symptome Peter Abaelard zunehmend deutlicher aufwies. Dies soll im folgenden etwas näher erläutert werden:

Krankensaal im Hôtel-Dieu, aus Jean Henry, Livre de vie archive de l'Hôtel-Dieu de Paris, 1482.Es sind insgesamt zwei Briefe des Petrus Venerabilis und ein weiterer Brief seines Freundes und Sekretärs, Peter von Poitiers, erhalten, worin sich beide über die hohe Sterblichkeit der Brüder in Cluny beklagten und sorgten. [46] Besonders Brief 133 - ein Trostbrief des Abtes an seine Brüder in Cluny - ist ein erschütterndes Zeugnis dafür, was sich damals im Mutterkloster abspielte: Es wütete offensichtlich eine schreckliche Epidemie - mit der Folge von unzähligen Todesfällen. Dies war angesichts der beengten Lebensverhältnisse und der personellen Überbesetzung kein Wunder. [47] Leider enthält der Brief keine Angaben darüber, welche Erkrankung die Ursache der Epidemie war. Immerhin teilte der Abt mit, dass Alt und Jung gleichermaßen davon betroffen war. [48] Denkbar ist die Bubonenpest, epidemische Durchfallserkrankungen, Arten von Fleckfieber, aber auch die Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten, wie z.B. die Meningitis epidemica, deren verheerende Auswirkung sogar schon im 6. Jahrhundert durch Gregor von Tours geschildert worden war. [49] Was den Ausbruch von Seuchen anbetrifft, muss die bereits oben angesprochene Regelung, die Sterbenden in der Mitte des Infirmariums zu versammeln, als eine äußerst unglückliche Lösung bezeichnet werden, die die Keimtransmission enorm begünstigte. Dies darf allerdings nicht weiter verwundern, denn die epidemiologischen Zusammenhänge konnten damals allenfalls erahnt werden. [50] Der misstrauische Kluniazenserabt muss die Entwicklung schon einige Zeit zuvor geahnt haben, denn er verließ just einige Wochen vorher das Kloster, um - welch ein ungewöhnlicher Akt für einen Großabt - mit einigen Brüdern in den Wäldern von Cluny ein passageres Eremitendasein zu führen. Als die Seuche in Cluny vollends ausgebrochen war, kehrte der Abt keinesfalls in das Kloster, wo er dringend gebraucht worden wäre, zurück; vielmehr beklagte er das Schicksal seiner Mitbrüder aus der Distanz und versuchte sie mit den Worten der Heiligen Schrift zu stärken. Sein Fernbleiben begründete er etwas verlegen mit der Notwendigkeit, demnächst den Papst aufsuchen zu müssen. [51] Hier tritt eine allzu menschliche Schwäche und Ängstlichkeit des ansonsten vorbildhaft lebenden Abtes zu Tage, der offenbar nicht gewillt war, sein eigenes Leben für das seiner Brüder aufs Spiel zu setzen. Ganz offensichtlich hatte er Angst vor Ansteckung und Verschlimmerung des eigenen, fragilen Gesundheitszustandes. Insofern war er von anderem Holz geschnitzt als z.B. die Ordensväter Robert von Arbrissel vor ihn oder Franziskus von Assisi nach ihm, von denen bekannt ist, dass sie in der gelebten Nachfolge Christi sogar die Leprösen trotz aller Ansteckungsgefahr umarmten und küssten.

Der Vorwand einer Papstreise führt unmittelbar zur Frage, wann die geschilderte Seuche in Cluny gewütet haben könnte. G. Constable stellte einen unmittelbaren Zusammenhang mit einem weiteren Brief des Petrus Venerabilis her, den er an seinen ehemaligen Mitbruder Theobald, den Bischof von Paris, gerichtet hatte. Dieser vormalige Prior von Saint-Martin-les-Champs bei Paris war im Jahre 1144 in Paris konsekriert worden. Deshalb datierte G. Constable den Trostbrief an die Brüder in Cluny in die Zeit des Papstbesuches, der der Konsekration Theobalds folgte - in die Zeit um 1145/1146. [52] Er widersprach damit der früheren Ansicht Mabillons, der Trostbrief sei im Jahre 1141 geschrieben worden. [53] Nach einer Analyse der besagten Briefe ist - entgegen Constables Einschätzung - kein eindeutiger zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen den beiden zu erkennen. Es ist vielmehr möglich, dass sich die kritische epidemiologische Situation in Cluny mehrfach wiederholt hat. Das Itinerarium des Abtes [54] zeigt deutlich, dass sich Petrus Venerabilis in den betreffenden Jahren auffallend oft und für lange Zeit aus Cluny entfernt hatte. Mabillons frühere Datierung hat also durchaus ihre Berechtigung, und es ist anzunehmen, dass Petrus Venerabilis in diesem Winter 1142/1143 Abaelard aus Cluny unter anderem deshalb wegbringen ließ, weil nach der betreffenden Epidemie im Vorjahr weiterhin hohe Ansteckungsgefahr herrschte. Ein weiterer triftiger Grund wird weiter unten diskutiert werden. Der Kluniazenserabt selbst ist auf jeden Fall in diesem Winter in Cluny nicht bezeugt. Erst im Frühjahr 1142 brach er von dort zu einer längeren Missionsreise nach Spanien auf, sodass er dem sterbenden Abaelard in Saint-Marcel nicht die letzte Ehre erweisen konnte.

 

Abaelards Zusammenbruch in Sens

Doch nun zurück zu Abaelard und den Symptomen seiner letzten und letalen Erkrankung, die sich nach und nach einstellten:

Synkope, Miniatur aus den Buch der Eigenschaften der Dinge, von Bartholomäus, dem Engländer, 15. Jhd., Paris, BN.Wie oben aufgezeigt wurde, hatte Abaelard bereits bei seinem Eintreffen in Cluny keinen sehr stabilen und gesunden Eindruck auf Petrus Venerabilis mehr gemacht. Nichtsdestotrotz gibt es keinen zweifelsfreien Beleg dafür, dass Abaelard zur Zeit des Konzils von Sens, welches nach neuerer Datierung [55] im Jahre 1141 stattgefunden hat, von schwerer Krankheit gezeichnet gewesen sei. Die Behauptung, die 1953 ein gewisser Dr. Jeannin, Professor der Medizinischen Hochschule Dijon, [56] aufstellte, Abaelards abruptes Schweigen und sein stuporöser Zustand angesichts der vorverurteilenden Bischofsversammlung seien auf seine frühere Halswirbelverletzung [57] zurückzuführen und als "Synkope" zu bezeichnen, entbehrt nicht nur jeglicher Grundlage, sondern schildert auch einen irrigen medizinischen Sachverhalt: Eine klinisch relevante Synkope [58] ist in der Regel ein nicht-epileptischer Anfall von mehrsekündiger Dauer, der eine kurze Bewusstlosigkeit zur Folge hat und häufig zu einer Sturzverletzung - daher der Name Synkope - führt. Ein derartiger Sturz Abaelards ist in keiner Weise überliefert. Der sowieso wenig objektive Bericht eines Gottfried von Auxerre, eines ehemaligen Mitschülers und späteren Intimfeinds Abaelards, lautete: "Sein Gedächtnis war teilweise verwirrt, sein Verstand vernebelte sich und die Sinne flohen nach Innen..." [59] Die Floskel ist wohl als Umschreibung von Abaelards Unverstand einzuschätzen. Vereinzelt wurde das überraschende Verhalten Abaelards auch als gezielte Provokation und lange vorbereitete Inszenierung eingeschätzt - etwa im Sinne einer imitatio Christi: Christus hatte auch vor Pontius Pilatus abrupt geschwiegen, mit Parallelen zur Geschichte der Susanna im Alten Testament. Abaelard hatte sich in seinen Schriften mehrfach mit dem entsprechenden Szenario auseinandergesetzt. [60] Wollte man eine medizinische Erklärung für Abaelards unverständliches Verhalten anführen, so hätte man am ehesten an eine Absence oder an einen psychomotorischen Anfall - auch Dämmerattacke genannt - zu denken. Dabei handelt es sich um Sonderformen einer fokalen Epilepsie, die bevorzugt im Kindesalter auftreten und nur entfernt an einen Gehirntumor als Ursache denken lassen. Doch dann wäre im weiteren Krankheitsverlauf mit einer zunehmenden Bewusstseinstrübung zu rechen gewesen, die in keiner Weise überliefert ist. [61] Insofern bleibt eine medizinische Analyse oder Einschätzung von Abaelards Verhalten in Sens ergebnislos.

 

Die gesundheitliche Verschlechterung im Alter

Über die Dauer von Abaelards Erkrankung kann man nur Vermutungen anstellen. Da das Konzil von Sens nicht mit absoluter Genauigkeit zu datieren ist, und selbst Abaelards Todesjahr nicht hundertprozentig feststeht, [62] lässt sich nur etwas approximativ die Dauer der terminalen Erkrankung Peter Abaelards auf seinen Aufenthalt in Cluny und im Priorat Saint-Marcel begrenzen. Die Zeitspanne liegt mindestens im Bereich mehrerer Monate; die Krankheitsphase dauerte jedoch keinesfalls länger als 2 Jahre. Peter, der Ehrwürdige, selbst sprach "von seinen letzten Lebensjahren" - in ultimis vitae suae annis. [63] Ein anderer Zeitzeuge, Abaelards einstiger Schüler, Bischof Otto von Freising, meinte, Abaelard sei "nach nur wenigen Tagen" - non multis post diebus - gestorben. [64] Nach dem, was wir im Weiteren über den Krankheitsverlauf durch Petrus Venerabilis erfahren, dürfte es sich um eine chronisch-progrediente Erkrankung - mit zumindest einer weiteren bekannten Begleiterkrankung - gehandelt haben.

 

Körperliche Verwahrlosung

Aus einem Kondolenzschreiben, welches nach Abaelards Tod der Kluniazenserabt an die von ihm hoch verehrte Heloïsa richtete, [65] erfährt man Einiges über die Symptome, welche Abaelard im Laufe seiner Erkrankung entwickelt hatte:

Noch einer nicht näher definierten Eingewöhnungszeit in Cluny zeigte Abaelard erste Symptome, die eine ernsthafte Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erwarten ließen. Zunächst erfährt man, dass der greise Philosoph zunehmend seine Körperpflege vernachlässigte. Dies muss das Maß des damals Üblichen überschritten haben, sonst hätte es der Kluniazenserabt in seinem Schreiben nicht eigens erwähnt. Nun wird man einwenden, dass dies auch krankheitsunabhängige Gründe gehabt haben kann, und dass neben einer persönlichen Marotte auch ein Ausdruck christlicher Demut und Weggeworfenheit, beziehungsweise ein Hang zur persönlichen Passion, vorgelegen haben könnte. Diese Ansicht ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings stellt die Vernachlässigung des eigenen Körpers und der Körperpflege häufig auch ein krankheitsbezogenes Syndrom dar. Durch sein äußerst ungepflegtes Gewand sei Abaelard der Letzte von allen gewesen. Er habe sich so weggeworfen, dass er bei seiner ganzen Körperpflege, und in Wort und Lebensstil, nicht nur Überflüssiges, sondern nahezu Alles abgelehnt habe. So äußerte sich der erstaunte Abt. [66] Damals wie heute gehören Demenz und Alkoholismus zu den Hauptursachen einer derartigen körperlichen Verwahrlosung. Doch beides scheint bei Abaelard nicht vorgelegen zu haben. Demenz war eine Erkrankung, die - wenngleich wegen der im Vergleich zu heute stark reduzierten Lebenserwartung von ca. 30-40 Jahren weit aus seltener - so doch durchaus nicht unbekannt war. Schon in der klassischen Periode schrieb ein Publilius Syrus: Quos deum perdere vult dementat prius - "Wen Gott verderben will, dem nimmt er den Verstand," und auch Horaz widmete sich der Thematik in einer seiner Oden. Dennoch gibt es keinerlei Anhalt dafür, dass Abaelard, der immerhin um die 63 Jahre und damit für damalige Verhältnisse hoch betagt war, an einer Demenz gelitten hätte. Der Kluniazenserabt berichtete nämlich, Abaelard habe bis zuletzt intensive theologische Studien betrieben: "Ständig befand er sich bei der Lektüre und verweilte im Gebet." [67] Von Alkoholismus - ein damals ebenfalls nicht seltenes Phänomen - dürfte Abaelard ebenso wenig betroffen gewesen sein, hatte er doch an diversen Stellen seiner Werke vor den Gefahren des Alkohols eindringlich gewarnt. [68] Somit lässt sich eine medizinische Ursache des Phänomens nicht eindeutig definieren, und es mag die Eingangsbehauptung gelten, es sei darin eher der Ausdruck besonderer Askese zu sehen.

 

Die Begleiterkrankung Skabies

Skabies = Krätze , Befall der Hand Nichtsdestotrotz hat die körperliche Verwahrlosung eine andere Erkrankung zur Folge gehabt, die Petrus Venerabilis als scabies beschrieb: "Er wurde von Skabies gequält" - scabie...gravabatur. [69] Skabies - auf Deutsch Krätze - ist ein stark juckender und teilweise schmerzender, papulöser Hautausschlag, der durch die Krätzmilbe sarcoptes scabei verursacht wird. Diese mit dem bloßen Auge gerade noch erkennbare Milbe gräbt subkutane Kriechgänge, die die Haut aufwerfen und entzünden und damit einen starken Juckreiz auslösen. Am Ende der Kriechgänge legt die Krätzmilbe ihre Eier ab. Die Milbenerkrankung ist eine typische Kasernierungskrankheit, d.h., sie wird durch zu engen Kontakt von Menschen in Massenquartieren übertragen. Derartige Infektionen sind auch heute noch häufig bei entsprechend untergebrachten Menschen, z.B. bei militärischem Personal, nachzuweisen. Es handelt sich somit um eine für das überlaufene Cluny des 12. Jahrhunderts geradezu kennzeichnende Erkrankung. Abaelard wird beileibe nicht der einzige gewesen sein, der damals an Skabies litt. In diesem Zusammenhang ist es absolut unwahrscheinlich, dass Abaelard an einem Juckreiz anderer Genese laborierte. Dieser war - als sogenanntes paraneoplastisches Symptom - von Jeannin einst unterstellt worden. Er glaubte deshalb, Abaelard habe an einer hämatologischen Systemerkrankung gelitten. [70] Die Gleichsetzung des Wortes scabies mit pruritus, die Jeannin vorgenommen hatte, ist jedoch ohne jegliche Evidenz: Die Skabies war eine der wenigen Infektionskrankheiten, die so typische Hautsymptome aufwies, [71] und deren Erreger mit dem bloßem menschlichen Auge erkannt werden konnten, [72] sodass eine Verwechslung mit ähnlichen Erkrankungen kaum denkbar ist. Ebenso eindeutig, wie die Tatsache, dass Abaelard an dieser Krätzmilbenkrankheit gelitten hat, ist die Tatsache, dass er nicht daran verstarb. Die Skabies endet in keinem Fall tödlich.

 

Die Schwindsucht

Damit ist die Skabies eindeutig als Begleiterkrankung identifiziert. Umso wichtiger ist es, auf weitere, ernsthaftere Symptome zu achten. Es finden sich im Schreiben des Abtes recht eindeutig Hinweise auf eine konsumierende Erkrankung. Petrus Venerabilis sprach von allgemeiner Schwäche - debilitas -, von Unpässlichkeiten - corporis incommoditates - von zunehmender Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung - hoc et in cibo hoc et in potu dampnabat - und von einem beschleunigten körperlichen Verfall - eoque ingravescente...morbo correptus. Außerdem deutete der Abt durch ein doppeldeutig zu verstehendes Bibelzitat an, Abaelard habe an Schlaflosigkeit gelitten - invenit eum vere vigilantem. Zuletzt habe sich Abaelard rapide verschlechtert. Nach kurzer Zeit sei er ans Ende gekommen - in brevi ad extrema perductus est. [73] Dagegen finden sich keinerlei Hinweise dafür, dass der todkranke Philosoph an stärkeren Schmerzen gelitten hätte. Alles in allem ist dies die Schilderung einer chronisch-progredienten, wenig oder nicht schmerzhaften, konsumierenden Erkrankung, die nach terminaler Akzeleration tödlich endete. Wegen der recht eindeutigen Verlaufsschilderung scheiden also alle plötzlich eintretenden Erkrankungen mit potentiell tödlichem Ausgang, wie z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungen- oder Hirnembolie als Todesursachen aus. Dasselbe gilt für akute und potentiell letale Infektionskrankheiten wie die Pest, Gelb- oder Fleckfieber und selbst die Malaria. Von Pestbeulen - bubones - wird nichts berichtet, und die Symptome einer Malaria hätte Peter, der Ehrwürdige, der selbst an dieser Erkrankung gelitten hatte, mit Sicherheit anders - differenzierter, z.B. als febris intermittens - beschrieben. Auch eine Lepra - obwohl weit verbreitet und teilweise mit Symptomen behaftet, die Abaelard an den Tag gelegt hatte - scheidet weitgehend aus, da Abaelard zum einem die typischen Haut- und Nervensymptome dieser Erkrankung nicht aufgewiesen hatte, zum anderen eine Kontaktisolierung in einem Leprösenhaus unvermeidlich gewesen wäre.

 

Die Differentialdiagnosen

Will man sich also einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose nähern, müsste man bei Abaelards tödlicher Erkrankung folgende, sehr häufige Differentialdiagnosen in Betracht ziehen:

Diabetes mellitus:  

Harnuntersuchung, aus dem Buch De probrietatibus rerum, von Bartholomäus, dem Engländer, 15. Jhd., Paris, BN.Diese endokrine Erkrankung war auch damals schon relativ häufig, absolut unbehandelbar und damit tödlich. Sie verläuft in der Regel in zwei altersabhängigen Varianten. Die so genannte juvenile Form - heute auch Typ-I- oder Insulinmangel-Diabetes genannt - konnte bei Abaelard aus Altersgründen nicht vorgelegen haben. Der später auftretende, nicht durch Insulinmangel, sondern durch Insulinresistenz gekennzeichnete Erwachsenen-Diabetes erscheint im Falle Abaelards ebenfalls äußerst unwahrscheinlich, da die notwendige Disposition - nämlich starkes Übergewicht und Überernährung - bei Abaelard wegen dessen karger Lebensführung kaum anzunehmen ist. In jedem Fall führte die Erkrankung in der präkomatösen Phase zu erheblicher Zuckerharnruhr [74] und zur Entwicklung eines schweren Austrocknungszustandes, verbunden mit starken Durstgefühl. Daran kann Abaelard nicht gelitten haben, denn der Kluniazenserabt berichtete, dass er kaum getrunken habe. Ein Diabetes mellitus als Todesursache scheidet also weitgehend aus.

Maligne Erkrankungen, wie z.B. Krebs und andere Neoplasien:  

Eine derartige Erkrankung wurde z.B. von Marenbon und Constable vermutet. [75] Jeannin hatte eine Leukämie oder Hodgkin'sche Erkrankung unterstellt. [76] Diese Stellungnahmen sind spekulativ. Ihre Wahrscheinlichkeit ist nicht allzu hoch anzusetzen, und zwar aus folgenden Gründen: Solide, im weiteren Verlauf metastasierende Tumoren, deren vielfältige Varianten und Verläufe hier nicht weiter diskutiert werden sollen, führen am häufigsten entweder zu einer Knochen- oder zu einer Lebermetastasierung oder zu einer diffusen Organinfiltration, z.B. des Bauchfells. Im ersteren und letzteren Fall wäre mit der Auslösung einer erheblichen Schmerzsymptomatik zu rechnen gewesen, die von Abaelard nicht überliefert ist - ganz im Gegenteil: Abaelard hatte bis zuletzt seine Studien fortgesetzt, was gegen schwere Schmerzen spricht. Im Falle der Lebermetastasierung, zum Beispiel in Folge eines Magen- oder Dickdarmkarzinoms, wäre ein Leberausfall mit Ikterus zu erwarten gewesen. Auch davon gibt es keine Kunde. Einen Gehirntumor halten wir aus anderen Gründen für nicht sehr wahrscheinlich. [77] Die von Jeannin gestellte Diagnose morbus Hodgkin wird durch keinerlei Symptome unterstützt: Der bestehende Pruritus, der im übrigen keineswegs spezifisch ist für die Hodgkin'sche Erkrankung, findet - wie erwähnt - seine Erklärung in einer parasitären Erkrankung, nämlich der Krätze. Und die anderen Symptome wie Lymphknotenschwellungen, Hepatosplenomegalie, Anämie und Fieber sind auch nicht andeutungsweise überliefert. Im übrigen ist der morbus Hodgkin eine Erkrankung, die normalerweise in den ersten Lebensdekaden auftritt. Diese wie andere hämatologische und lymphatische Neoplasien sind insgesamt eher selten. Insofern muss die Hypothese eines morbus Hodgkin oder einer ähnlich gelagerten Neoplasie als reines Phantasieprodukt bezeichnet werden. Die Diagnose einer Anämie wäre sowieso trügerisch, denn wegen der mehrmals jährlich vorgeschriebenen Aderlässe litten selbst organgesunde Mönche an Blutarmut und sahen bleich aus. [78]

Organtuberkulose:  

Der schwindsüchtige, Gemälde von Wolfgang Hembach, 17. Jhd., Kunsthalle Hamburg.Dies war die bei weitem häufigste konsumierende Erkrankung des Mittelalters. Sie ist in zahlreichen Dokumenten der Zeit zum Teil recht spezifisch als Schwindsucht - phthisis - beschrieben. [79] Die Tuberkulose ist die weitestverbreitete Erkrankung aller Zeiten. Auch heute noch sterben alljährlich ca. 7 Millionen Menschen an Tuberkulose, zumeist in den Entwicklungsländern. Die Erkrankung hat schon zur Steinzeit und im altägyptischen Reich bestanden, wie Knochenfunde belegen. Vor der Entdeckung der Krankheitserreger durch Robert Koch wurde die nur wenig oder nicht schmerzhafte Erkrankung als schicksalhaft hingenommen. Nach einem schleichenden körperlichen Verfall, der sich oft über Jahre hinzog, entwickelten die Kranken eine zunehmende, zuletzt "galoppierende" Schwindsucht, verbunden mit subfebrilen Temperaturen und Nachtschweiß. Große Schmerzen bestanden nicht - falls es sich nicht um den Sonderfall einer Knochentuberkulose handelte. Nicht immer lag eine Lungentuberkulose vor, wenngleich die Lungen der häufigste Manifestationsort sind und waren. Auch nahezu alle anderen Organsysteme konnten - nach Reaktivierung einer vor Jahrzehnten abgelaufenen Primärinfektion - befallen werden. Im Frühmittelalter war die Tuberkulose mit Sicherheit die häufigste Todesursache, gefolgt von Diabetes mellitus, anderen Infektionskrankheiten und den nicht-natürlichen Todesarten wie Unfall oder Körperverletzung. Erst weit dahinter rangierten die malignen Erkrankungen und Gefäßerkrankungen. Auch in den Klöstern dürfte die Erkrankung grassiert haben, und es darf darüber spekuliert werden, ob die funera crebra - die ungeklärten Todesfälle in Cluny - nicht zum Teil auch durch diese leicht übertragbare Erkrankung verursacht waren. [80]

 

Die Diagnose

Es ist am wahrscheinlichsten, dass Abaelard an einer unheilbaren Organtuberkulose gelitten hat. Es ist gut mit dieser Erkrankung vereinbar, dass er ohne große Schmerzen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihn seine letzten Kräfte verließen, studieren und geistig arbeiten konnte: "Er hat - soweit es seine Unpässlichkeit erlaubte, seine alten Studien wieder aufgenommen, und saß ständig über seine Bücher gebeugt... Keinen Augenblick ließ er vorübergehen, an dem er nicht betete oder las oder schrieb oder diktierte..." [81] Nächtliche Schweißausbrüche und subfebrile Temperaturen mögen den Nachtschlaf gestört oder verhindert haben. Lungentuberkulöse litten außerdem an zunehmend produktivem Husten, der bei Peter Abaelard nicht berichtet wurde. Allerdings muss der greise Philosoph nicht zwangsläufig an einer pulmonalen Form dieser Erkrankung gelitten haben.

Es gibt zwei weitere gewichtige Hinweise auf das Vorliegen dieser Erkrankung Peter Abaelards. So ist Tuberkulose zwar eine typische Erkrankung des höheren Alters; sie wird allerdings meist schon in der Jugend erworben. Die gefährliche Altersform entsteht, wenn bei geschwächtem Immunsystem eine seit Jahrzehnten ruhende Primärtuberkulose reaktiviert wird. Abaelard hatte in seiner Jugend an einer entsprechenden Erkrankung gelitten, die ihn gezwungen hatte, in seine Heimat zurückzukehren. [82]

Die Behandlung

Besuch am Krankenbett, Gautier de Coincy, La vie et les miracles de Notre Dame, Frankreich, um 1260, Russische Nationalbibliothek, St. Petersburg.Noch mehr wird die Vermutungsdiagnose durch die Tatsache gestützt, dass Petrus Venerabilis die einzige Therapieform für Peter Abaelard wählte, die bei dieser Erkrankung eine geringe Selbstheilungschance erhielt - nämlich eine Klimakur. Schon die hippokratischen Schulen, z.B. von Kos oder Epidauros, hatten den Heilschlaf an frischer Luft - in einem Reizklima - als eine potentiell wirksame Therapieform identifiziert und fortentwickelt. Die Erkrankung konnte in der Tat durch eine Stärkung der Immunabwehr und eine optimale Belüftung der Lungen in frischer Luft in Einzelfällen zum Erliegen gebracht werden. Doch die Verhältnisse in Cluny waren besonders in diesem Winter 1141/1142 nicht dazu angetan, diese Spontanheilung zu bewirken. Es ist überliefert, dass der betreffende Winter sehr kalt war: "In diesem Jahr war der Winter hart, der Hunger der Menschen allgegenwärtig, und die körperliche Schwäche enorm." So liest man in einer zeitgenössischen Chronik. [83] Cluny lag im burgundischen Hügelland in mehr als 500 m Höhe, und das Infirmarium von Cluny war wohl sehr kalt, schlecht beheizt und belüftet. Außerdem müssen für Abaelard, der die einzige Linderung seines Leidens in einer Fortsetzung seiner Studien sah, die dortigen Verhältnisse auch aus psychischen und mentalen Gründen unerträglich gewesen sein. So beschloss der weise Kluniazenserabt bei Einbruch des Winters, den todkranken Philosophen ins Tal, in ein Priorat des Ordens in 42 km Luftlinie Entfernung von Cluny, bringen zu lassen, nämlich in das durch sein besonders mildes Klima bekannte Saint-Marcel bei Chalon. [84] "Ich möchte sagen, damit hat sich der ebenso einfache wie geradlinige und gottesfürchtige Mann, der vor dem Übel zurückwich, noch eine Zeitlang beschäftigt. Er weihte seine letzten Tage Gott, dann wurde er - als er mehr als sonst an Skabies und anderen körperlichen Beeinträchtigungen litt, von mir zur Erholung nach Chalon geschickt. Denn dieser Ort ist außerordentlich angenehm und übertrifft damit fast alle anderen Orte unseres Burgunds. Ich hatte eine geeignete Unterbringung - zwar nahe an der Stadt, aber getrennt von dieser durch den Fluss Saône - ausgewählt..." [85] Das Kloster des Heiligen Marcellus war im Vergleich zu Cluny klein und übersichtlich; es besaß neben dem Infirmarium auch eine gut sortierte Bibliothek, deren Bestände bis in die Merowingerzeit zurückreichten, sowie ein Skriptorium. Vor nicht allzu langer Zeit war es in ein kluniazensisches Priorat umgewandelt worden. [86] Abaelard fand dort also alles vor, was er in seinen letzten Tagen brauchte - Wärme, gute und frische Luft, eine abwechslungsreiche Ernährung, die aus der nahen Stadt im Bedarfsfall herbeigeholt werden konnte, viel Ruhe, eine effektive Krankenversorgung in einem Infirmarium, nur wenige Schritte von Bibliothek und Schreibstube entfernt.

 

Das Ende

Leider war Abaelard wegen seiner offensichtlich schon weit fortgeschrittenen Erkrankung kein längerer Aufenthalt in Saint-Marcel mehr vergönnt - von einer Heilung ganz abgesehen. Er verstarb nach wenigen Monaten, am Ende eines strengen Winters, umringt von seinen Mitbrüdern. Kurz zuvor hatte er noch über seinen Büchern gesessen. Petrus Venerabilis konnte nicht bei dem Sterbenden sein, nachdem er einige Wochen zuvor eine längere Reise nach Spanien angetreten hatte. Und auch Heloïsa war mit Sicherheit nicht an der Seite ihres Abaelard, als er den letzten Atemzug tat. Der Todestag des Philosophen im Mönchsgewand ist - entsprechend den Angaben im Totenbuch des Paraklet und einigen anderen zeitgenössischen Obituarien - als der 21. April überliefert. [87] Das Todesjahr kann nur durch einen Eintrag in einer Bischofschronik aus Paris indirekt erschlossen werden: "Etienne de Senlis, 70e évêque de Paris, termina sa vie en 1142, âgé de 63 ans, la même année et au même âge qu'Abélard." [88]

 

Resümee

Unter Berücksichtigung aller Krankheitsumstände und -symptome und der gewählten Therapieform ist es also am wahrscheinlichsten, dass Abaelard an den Folgen einer fortgeschrittenen Organtuberkulose verstarb. Zumindest erscheint diese Todesursache weitaus plausibler als alle bislang geäußerten Hypothesen. Eine Hodgkin'sche Erkrankung kann mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. 

Abaelards Krankheitsfall wirft ein bezeichnendes Licht darauf, dass der Kluniazenserabt Petrus Venerabilis sich einerseits sehr um eine Verbesserung und innere Reform der Mönchsmedizin bemühte, andererseits die gravierenden seuchenhygienischen Probleme in seinem Mutterkloster Cluny auch nicht ansatzweise lösen konnte. Obwohl er eine privilegierte Privatbehandlung für die Mönche eher abgelehnt hatte, ließ er seinem Freund und Bruder im Herrn, Peter Abaelard, eine solche Vorzugsbehandlung dennoch zukommen. Dies war jedoch noch nicht der letzte Liebes- und Freundesdienst, den der Abt ihm leistete. Denn nach seiner Rückkehr aus Spanien im Laufe des Jahres 1142 [89] überstellte der Kluniazenserabt persönlich den Leichnam des Philosophen dem Paraklet-Kloster - auf Bitten der Äbtissin Heloïsa. Die Überführung fand im November desselben oder des darauf folgenden Jahres statt. [90]

 

Die Bestattung

Totenmesse, Stundenbuch von Franz II. der Bretagne, Paris, um 1420, Russische Nationalbibliothek St. Petersburg.Über die vorherige Bestattung in Saint-Marcel, vor allem den Bestattungsritus und den exakten Begräbnisort, ist nichts Genaues überliefert. Allerdings erscheint - wegen Abaelards Rang als Abt von Saint-Gildas - eine Chorbestattung in einer steinernen Gruft, einer Krypta oder einem Sarkophag viel wahrscheinlicher als eine einfache Erdbestattung im cimeterium des Klosters. Vielerorts ist behauptet worden, die "Exhumierung" in Saint-Marcel habe Petrus Venerabilis heimlich - sozusagen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion - vornehmen lassen. Dieser Eindruck entstand durch eine Formulierung des Abtes in seiner absolutio Petri Abaelardi, welche er als offenes, jedoch durch Siegel autorisiertes Dokument der Äbtissin des Paraklet später zukommen ließ: "Ich, Petrus, Abt der Kluniazenser, habe Peter Abaelard als Mönch aufgenommen. Nach seinem Tod habe ich verstohlen - furtim - den Leichnam der Äbtissin Heloïsa und den Paraklet-Nonnen überstellen lassen." [91] Die Angabe furtim delatum bezieht sich eindeutig auf die stille Art der Überführung, nicht jedoch auf eine heimliche Exhumierung. Diese hätte sich der Kluniazenserabt aus Gründen der Reputation wohl kaum erlaubt, zumal sie auch nicht vollständig vor den Mitbrüdern in Saint-Marcel zu verheimlichen gewesen wäre. Die Überführung muss allerdings diskret zugegangen sein. Der tote Peter Abaelard hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr viele Anhänger im Lande, und ein Diebstahl der Körperreliquie wäre nicht ganz ausgeschlossen gewesen. Zumindest aber hätte ein offener und angekündigter Leichenzug einiges Aufsehen in den Dörfern und Städten erregt. So ist es anzunehmen, dass der Abt den hölzernen Innensarg mit dem Leichnam aus dem Sarkophag entnehmen ließ, um ihn - in seinem Tross als normales Gepäck getarnt - in den Paraklet überführen zu lassen. Er erfüllte dem toten Freund damit einen Wunsch, den er zu Lebzeiten geäußert hatte. [92] Im Paraklet wurde der Leichnam an einem 16. November im Beisein des Abtes und aller Paraklet-Nonnen nach einem feierlichen Requiem beigesetzt, und zwar in der Gruft der Kapelle petit-moustier, in der später auch Heloïsa beigesetzt wurde. [93] Seine einstige Geliebte und Frau ließ zu Lebzeiten dort zu Ehren Abaelards ein Epitaph des Petrus Venerabilis anbringen - mit folgendem Distichon:

 

Ést satis ín tituló, Petrus híc jacet Ábaelárdus,
cúi solí patuít scíbile quídquid erát.
Es genüge als Inschrift: Hier liegt Peter Abaelard,
dem allein alles Wissen offen stand.

 

Anmerkungen

[1] Z.B. Monfrin, J., Abélard, Historia Calamitatum, Paris, 1959, oder: Hicks, E., La vie et les epistres, Pierres Abaelart et Heloys sa fame, traduction du XIIIe siècle, attribuée à Jean de Meun, avec une nouvelle édition des textes latins d'après le ms. Troyes Bibl. Mun. 802, Paris, Genf, 1991.

[2] "...ex immoderata studii afflictione correptus infirmitate coactus sum repatriare..." Historia Calamitatum, künftig abgekürzt mit HC, Monfrin, J., a.a.O., Seite 65.

[3] Sie führte nicht zwangsläufig und sofort zum Verlust der Libido, die nicht nur vom männlichen Geschlechtshormon Testosteron, sondern auch von zentralnervösen Regelsystemen abhängig ist.

[4] "Tres ex condicto dixere ruamus in unum et triplici captum fune ligemus unum…", siehe Cuissard, M. Ch., Documents inédits sur Abélard, tirés des manuscrits de Fleury, conservés à la Bibliothèque Publique d'Orléans, Orléans, 1880, Seite 35, und Dronke, P., Abelard and Heloise in Medieval Testimonies, Glasgow, 1976, Appendix, Seite 43ff. Der dreifach gekordelte Strick zeichnete sich durch besondere Reißfestigkeit aus.

[5] "...ut multo amplius ex eorum compassione quam ex vulneris lederer passione, et plus erubescentiam quam plagam sentirem, et pudore magis quam dolore affligerer... ", siehe HC, Monfrin, J., a.a.O., Seite 80.

[6] Der griechische Kirchenschriftsteller (184/85 - ca. 250 n. Chr.) hatte sich aus Gründen der Askese selbst kastriert.

[7] Ivo von Chartres, Panormia, Buch 3, Kap. 56: "Si quis per egritudinem naturalia a medicis habuerit secta, similiter et qui a barbaris aut dominis stultis fuerint castrati, et moribus digni fuerint visi, hos canon admittit ad clericatus officium promoveri. Si quis autem sanus, non per disciplinam religionis et abstinentie, sed per abscissionem plasmati a Deo corporis existimans posse a se carnales concupiscentias amputari, castraverit se, non eum admitti decernimus ad aliquod clericatus officium. Quod si iam ante fuerat promotus ad clerum, prohibitus a suo ministerio deponatur...", z.B. in Brasington, B. und Brett, M., The Panormia of Ivo of Chartres, bislang nicht publizierte Version, Seite 39.

[8] Rechtslehre, wonach die Vergeltung der Tat entsprechen müsse.

[9] Anders als in England; Clanchy wies in seiner Abaelard-Biographie darauf hin, dass in England der damaligen Zeit sogar ein entsprechendes, schriftlich festgehaltenes Gesetz nach einem Gesetzbuch Heinrichs I. bestand; siehe Clanchy, M., Abelard - a medieval life, dt. Ausgabe, Darmstadt 2000, Seite 260.

[10] Siehe a.a.O und z.B. Chronicon Britannicum Alterum, Recueil des Historiens des Gaules et de la France XII, Paris, 1877, Seite 559: "MCIV: Obiit Matthias Nannetensis, Hoeli Comitis (Cornugalliae) filius. Hic vero eodem anno cimiterium beatorum Petri et Pauli violare, consilio suorum baronum, praesumpserat, res canonicorum Nannetensis ecclesiae iniuste diripiendo. Unde manifestissime apparet divina ultione ipsum suosque coadiutores ipso anno morti esse datos…"

[11] Siehe HC, Monfrin, J., a.a.O., Seite 79.

[12] Gemeint ist vor allem seine Geltungssucht, so wie sie bei histrionischen Persönlichkeitsstörungen beschrieben wird.

[13] "Quotiens aliquem ecclesiasticarum personarum conventum adunari noveram, hoc in dampnationem meam agi credebam. Stupefactus ilico quasi supervenientis ictum fulguris, expectabam ut quasi hereticus aut prophanus in conciliis traherer aut sinagogis...Cum autem tantis perturbationibus incessanter affligerer atque hoc extremum mihi superesset…", siehe HC, Monfrin, J., a.a.O., Seite 97f.

[14] "...dum autem in istis laborarem periculis, forte me die quadam de nostra lapsum equitatura manus Domini vehementer collisit, colli videlicet mei canalem confringens. Et multo me amplius hec fractura afflixit et debilitavit quam prior plaga..." HC, Monfrin, J., Seite 106. Die Bezeichnung equitatura findet sich nur vereinzelt in der zeitgenössischen Literatur und beschreibt ebenso wie der häufiger verwendete terminus iumentum ein Reittier, d.h. heißt ein Pferd oder einen Maulesel.

[15] Die beiden anderen kanalikulären Strukturen am Hals, die Trachea und der Ösophagus, konnten nicht brechen -confringere - sondern allenfalls rupturieren.

[16] Wenngleich Abaelard zunächst vorgab, die Schläge seien erfolgt, um jeglichen Verdacht einer näheren Beziehung zu vermeiden. Onkel Fulbert habe ihn selbst zum Schlagen aufgefordert: "Quoque minus suspicionis haberemus, verbera quandoque dabat amor, non furor, gratia, non ira, que omnium ungentorum suavitatem transcenderent. Quid denique? Nullus a cupidis intermissus est gradus amoris, et si quid insolitum amor excogitare potuit, est additum; et quo minus ista fueramus experti gaudia, ardentius illis insistebamus, et minus in fastidium vertebantur... " HC, Monfrin, J.,a.a.O., Seite 73.

[17] "Sed et te nolentem, et prout poteras reluctantem et dissuadentem, quae natura infirmior eras, saepius minis ac flagellis ad consensum trahebam. Tanto enim tibi concupiscentiae ardore copulatus eram…", Brief Abaelard an Heloïsa, in: Hicks, E., La vie et les epistres, Pierres Abaelart et Heloys sa fame…, Paris, Genf, 199, Seite 80.

[18] "Inter ipsa missarum solemnia, ubi purior esse debet oratio, obscena earum voluptatum phantasmata ita sibi penitus miserrimam captivant animam, ut turpitudinibus illis magis quam orationi vacem…", Brief Heloïsa an Abaelard, in:Hicks, E., a.a.O., Seite 66.

[19] "Quod nos senectuti eius, debilitati eius, religioni eius, congruere putantes...", Brief 98 an Papst Innozenz II., in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, 2 Bände, Cambridge, 1967, Band 1, Seite 2; auch in PL Band 182.

[20] "Rogo igitur ego qualiscumque tamen vester, rogat devotissimus vobis Cluniacensis conventus, rogat ipse per se, per nos, per praesentium latores filios vestros, per has quas ut scriberem rogavit litteras, ut reliquos dies vitae et senectutis suae, qui fortasse non multi sunt, in Cluniaco vestra eum consummare iubeatis…", a.a.O.

[21] Darüber existiert zahlreiche Fachliteratur, die an dieser Stelle alle aufzuführen zu weit gehen würde. Von den großen Standardwerken waren hilfreich: Villey et al., Histoire de la Médicine, Paris 1978, deutsche Ausgabe von Toellner, R., Illustrierte Geschichte der Medizin in 6 Bänden, Salzburg 1986; Koch, E., Ärzte, die Geschichte machten, Augsburg, 1989; Schneider/Lang, Geschichte der Medizin, München, 1977; Diepgen, P., Geschichte der Medizin, Berlin, Neuauflage 1986; Lichtenthaeler, Ch., Geschichte der Medizin, Köln, 1988; Ackerknecht, E., Geschichte der Medizin, Stuttgart, Neuauflage 1992; Meyer- Steineg, Th., Illustrierte Geschichte der Medizin, Stuttgart, Neuauflage 1965.

[22] Zu den historischen Ausgaben des Constantinus Africanus siehe vor allem: Petro, H., Summi in omni philosophia viri Constantini Africani medici operum reliqua hactenus desiderata, Basel, 1536.

[23] Gerade zur Lebzeit des Petrus Venerabilis lehrte dort ein weiterer Mediziner von Weltrang, nämlich Averroës (Abul Walid Mohammed Ibn Rochd; 1126-1198).

[24] Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Band 1, Brief 19, Seite 27.

[25] Constable, G., a.a.O., Briefe 158 a und b (Petrus Venerabilis an den Arzt Bartholomäus und Rückantwort), Seite 379ff. und 382f.

[26] Siehe: Sudhoff, K., Mitteilungen zur Geschichte der Medizin, 24, 1925, Seite 83.

[27] Z.B. durch Anwendung der Heilpflanze Myrrhe und einige Formulierungen.

[28] Siehe Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Band 2, Seite 303, Fußnote.

[29] Siehe a.a.O., Seite 247.

[30] "Sic natura mea universa Italicae regionis elementa simul et alimenta sibi nociva quam maxime sentit...", Brief 3 an Kanzler Haimerich, in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Band 1, Seite 7.

[31] A.a.O. und: Brief 166 an Abt Suger von Saint-Denis, Seite 400.

[32] "…frustra michi in Gallia nostra alter quaerendus esset…", Constable, G., a.a.O, Band 1, Seite 381.

[33] Siehe a.a.O., Briefe 158 a und b (Petrus Venerabilis an den Arzt Bartholomäus und Rückantwort), Seite 379ff. und 382f.

[34] Mit mehr als 300 Tochterkonventen und insgesamt ca. 10000 Mönchen in ganz Europa, gegen Ende des 12. Jahrhunderts.

[35] Siehe PL Band 189, Prolegomena, Spalte 32.

[36] Siehe a.a.O., Spalte 1023ff.

[37] "...in infirmaria Cluniacensi quae quique habitaculis sub uno tecto divisis distinguitur, tali discretione silentium teneatur, ut in ea parte, in qua fratres defunguntur, quae media est...", PL Band 189, Spalte 1031.

[38] "...statutum est ut infirmis ipsis vel quibuslibet in infirmaria comedentibus nullus ut fieri solebat famulorum laicorum serviat sed monachi, tantummodo aut conversi barbari...", PL Band 189, a.a.O.

[39] "...fratres in infirmaria jacentes inhoneste ad missam vocare solebant...ut fratres in infirmaria dormientes...terrerentur." PL 189, Spalte 1033.

[40] "erat quidam frater phthysicus, qui eadem infirmitate ductus est ad mortem. Qui cum lavaretur...qui eum lavabant..." Vita Petri Venerabilis, auctore Rudolpho Monacho eius discipulo, PL 189, Spalte 24.

[41] "…latrinas cursu velocissimo petiit…" Vita Petri Venerabilis, a.a.O.

[42] "…at ille infirmum visitans…" Vita Petri Venerabilis, a.a.O.

[43] "…discipulum quartana febre liberat..." Vita Petri Venerabilis, a.a.O., Spalte 25.

[44] "…miser tunc os aperuit et serpens caput emisit. Quem pater cunctis qui aderant stupentibus in medium projecit. Homo vero corruens fere spiritum prae angustia exhalavit. Missae vero solemnitate completa ad infirmum accessit, qui ab eo confessionem suscipiens, et eum sacrosanctis mysteriis communicans incolumem remisit ad propria ..." Vita altera Petri Venerabilis, PL Band 189, Spalte 29.

[45] Siehe Online-Dokument: http://www.abaelard.de: Zeitzeugen/Briefe des Petrus Venerabilis zur Rettung Peter Abaelards.

[46] Briefe 128, 133 und 134 des Briefwechsels; siehe Constable,G., The letters of Peter the Venerable, Band 1, Seite 326, Seite 334ff., Seite 338f.

[47] "Audivi carissimi et hoc antequam nuper a vobis recederem, ex parte videram, quod manus domini tetigit vos, quod flagellum inundans per vos transitum habuit, quod plurima et preciosa corporis nostri membra, peccatis nostris hoc promerentibus iudicii divini gladius amputavit...", a.a.O.

[48] "Nulla in qualibet aetate vitae fiducia, mixti senibus juvenes, decrepitis adulescenteas corruunt, ipsique pene pueri centenarios moriendo praeveniunt...a morte quisque rapitur...quomodo ergo absque maximo et intimo cordis dolore, tam frequenti et pene subita morte rapi de latere meo tot tamque carissimos cernere potero?" A.a.O.

[49] "Hoc anno mense secundo tam in Turonico quam in Namnetico gravis populum lues adtrivit, ita ut modico quisque aegrotus capitis dolore pulsatus animam funderet,…", in: Buchner, R., Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, Band 2, Darmstadt 1959, Seite 398.

[50] Zumindest war die Unterbringung der äußerst ansteckenden Leprakranken, die allerorts in Häusern außerhalb der Klostermauern, ja sogar in einiger Entfernung zu diesen, untergebracht wurden, sinnvoll geregelt.

[51] "...rediissem ad vos, et quod scribo ore proprio dicere mauissem, et ut sanctus vir ait: Consolarer vos sermonibus, et meverem caput meum super vos, (Hiob, 16,5), nisi coeptum iter versus dominum papam, ad quem certis de causis valde festino impediret. Si deo propitio sospes inde rediero, non praeteribo donec videam quos diligit anima mea..." a.a.O.

[52] Treffen mit Papst Eugen III.

[53] Vor einer Reise nach Pisa, wo Petrus Venerabilis Papst Innozenz II. getroffen haben dürfte.

[54] Siehe Constable G., The letters of Peter the Venerable, Band 2, Seite 257ff.

[55] Siehe Mews, C., The council of Sens 1141: Abelard, Bernard and the fear of social upheaval, Speculum 77, 2002, S. 342ff.

[56] Siehe Jeannin J., La derniere maladie d'Abelard, Melanges Saint Bernard, Dijon, 1953, Seite 110.

[57] Siehe weiter oben.

[58] Von griechisch synkopto = ich schlage zusammen. Die Synkope ist meist Folge einer kurzen zerebralen Ischämie, wie sie durch Herzrhythmusstörungen oder einen kurzzeitigen Blutdruckabfall ausgelöst werden kann.

[59] "Maxima quidem ex parte memoria eius turbata fuerit, ratio caligaverit et interior fugerit sensus..." PL Band 185, Spalte 311.

[60] Siehe Jaeger, C.S., Peter Abelard's Silence at the Council of Sens, Res Publica Litterarum 3, 1980, Seite 31ff.

[61] Siehe weiter unten. Über eine mögliche psychische Ursache des pseudosynkopalen Ereignisses waren bereits weiter oben Vermutungen angestellt worden.

[62] Siehe weiter unten.

[63] Brief 115 an Heloïsa, in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Band 1, Seite 306.

[64] Siehe Waitz, G., Simson, B. von, Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. Imperatoris, Hannover 1912, Nachdruck 1997, Buch 1 Kapitel 51, Seite 74.

[65] Siehe Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 2, Brief 115, Seite 303ff. Oder PL, Band 189, Spalte 346ff.

[66] "...ultimus omnium vestitu incultissimo videbatur…sic se abiicere posse...hoc et ...in omni cura corporis sui servabat ut non dico superflua sed et cuncta nisi valde necessaria tam in se quam in omnibus verbo pariter et vita dampnabat", a.a.O.

[67] "…lectio erat ei continua, oratio frequens...", a.a.O.

[68] Siehe z.B. Brief 8 an die Nonnen des Paraklet: "Quid vero inter universa hominum alimenta tam periculosum est, vel damnosum, et religioni nostrae vel sanctae quieti contrarium quantum vinum..." PL, Band 179, Spalte 289.

[69] Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 2, Brief 115, a.a.O.

[70] Siehe Jeannin J., La derniere maladie d'Abelard, Melanges Saint Bernard, Dijon, 1953, Seite 113f.

[71] Typische Milbengänge, vor allem in den Interdigitalfalten.

[72] Nachdem die Milben mit einer Nadelspitze aus den Milbengängen herausgehoben worden waren, konnten sie mit dem bloßen Auge betrachtet werden.

[73] Siehe Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 2, Brief 115, a.a.O.

[74] Daher der griechische Name Diabetes mellitus: Absetzen von dünnflüssigem, stark glucosehaltigen Urin. Die Mönche stellten die Diagnose durch eine Geschmacksprobe des Harns.

[75] Siehe Marenbon, J.,The philosophy of Peter Abelard, Cambridge, 1997, Seite 123, und Constable, G., a.a.O. Band 2, Seite 178.

[76] Jeannin J., La derniere maladie d'Abelard, Melanges Saint Bernard, Dijon, 1953, Seite 114.

[77] Zur Begründung siehe weiter oben.

[78] Siehe z.B. Balderich von Bourgeuil, Vita Roberti de Arbrissello, in: PL Band 162, Spalte 1053f.: "Nec iam innumeram copiositatem praeparata capiebant tuguriola, imo capacioribus tirunculi Christi indigebant mansionibus... adventabant principes et populi, novam Dei familiam pro parcimonia regulari marcidam et pallidam visitaturi..."

[79] Z.B. ist in einer alten Chronik die Rede von einer Schwangeren, die trotz Schwindsucht kurz vor ihrem Tode noch entband: "Post haec Elizabeth filiam suam uxorem Andreae de Aluia phthisis consumpsit quae diu ante mortem parturiens viro suo Hugonem et Agnetem reliquit, morboque praedicto afflicta interiit...." Aus: Gesta Ambaziensium Dominorum, zitiert aus: Marchegay, Paul, Chroniques d'Anjou, Paris 1856, Seite 214. Auch in den "institutiones nostrae" des Paraklet findet sich eine entsperechender Hinweis: "gravi languore correptis..."

[80] Siehe oben.

[81] "...ibi iuxta quod incommoditas permittebat, antiqua sua renovans studia, libris semper incumbebat, nec ... momentum aliquod preterire sinebat, quin semper aut oraret, aut legeret, aut scriberet, aut dictaret..." Petrus Venerabilis an Heloïsa, in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 2, Brief 115, a.a.O.

[82] Siehe oben.

[83] "MCXLII: Hoc anno hyems aspera, fames plurima, languor hominum extitit..." Ex chronico Lobiensi, in: M. Delisle, Léopold (ed.), Recueil des Historiens des Gaules et de la France, Tome XII, Paris, 1877; Seite 583.

[84] Eine weitere Reise hätte Abaelard zu diesem Zeitpunkt sicher nicht mehr absolvieren können.

[85] "Tali nobiscum vir simplex et rectus, timens deum, et recedens a malo, tali inquam per aliquantum temporis conversatione, ultimos vitae suae dies consecrans deo, pausandi gratia, nam plus solito, scabie et quibusdam corporis incommoditatibus gravabatur, a me Cabilonem missus est. Nam propter illius soli amenitatem, qua cunctis pene Burgundiae nostrae partibus praeminet, locum ei habilem, prope urbem quidem, sed tamen Arari interfluente provideram..." Petrus Venerabilis an Heloïsa, in: Constable, G., The letters of Peter the Venerable, Cambridge, 1967, Band 2, Brief 115, a.a.O.

[86] Zur Beschreibung des Priorates siehe am besten: http://www.abaelard.de: Schauplätze/Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône.

[87] "21. apr. XI kal. Maistres Pierres Abaalarz (1142) gist ou petit moustier Obit. lat.: 20 et 21 avr. - 20 apr. Abaillardus; il est mort le 21 avril 1142 et il gissoit jadis au petit moustier. Fußnote: 1143 (ms. de Troyes) - 21 apr. Anniversarium magistri nostri Petri Abaelardi, loci hujus fundatoris nostreque religionis institutoris (1142)" Aus: Boutillier du Retail et Piétresson de Saint-Aubin, Recueil des historiens de la France, Obituaires de la province de sens, IV, Diocèse de Meaux et e Troyes, Seiten 386ff. Auch in: Lalore, Charles, Collection des principeaux obituaires et confraternités du diocèse de Troyes, Troyes, 1882, 460ff.

[88] Suite chronologique des évêques de Paris, Bibl. Nat, MS 10510.

[89] Siehe Constable, G., a.a.O., Band 2, Seite 262.

[90] Petrus Venerabilis ist erst im November 1143 durch ein Schreiben an Papst Coelestin wieder sicher in Cluny bezeugt.

[91] "Ego Petrus Cluniacensis abbas, qui Petrum Abaelardum in monachum recepi, et corpus eius furtim delatum Heloissae abbatissae et monialibus Paracleti concessi..." Absolutio Petri abaelardi, in: PL Band 189, Spalte 428.

[92] "...quocunque casu viam universae carnis absens a vobis ingrediar, cadaver, obsecro, nostrum ubicunque vel sepultum vel expositum jacuerit, ad coemeterium vestrum deferri faciatis..." Brief Abaelard an Heloïsa, in: Hicks, E., a.a.O., Seite 59.

[93] "Apud nos anno praeterito XVI Kal. Decembris, missam celebrastis...", siehe Brief 167, Constable, G., a.a.O., Band 1, Seite 400f. Zur Lage der Kapelle siehe: http://www.abaelard.de: Schauplätze/Paraklet/Baugeschichte des Paraklet.


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